Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Quedlinburg

Quedlinburg

(1) Das 922 erstmals in einer Urkunde König Heinrichs I. erwähnte Qu. liegt in der westlichen Flussaue der Bode. Funde belegen mehrere Phasen älterer Siedlungsaktivitäten. Die Furt des überregionalen West-Ost-Handelsweges von Braunschweig nach Halle a. d. Saale querte sechs Kilometer nördlich bei Ditfurt. Seit dem frühen 10. Jahrhundert war der Ort liudolfingischer Familienbesitz. König Heinrich I. hielt sich dort drei Mal zur Feier des Osterfestes auf, was die Tradition als Osterpfalz der Ottonen begründete. Otto I. gründete nach dem Tod seines Vaters 936 an dessen Bestattungsort ein Stift für die Familien-Memoria, 966 wurde Ottos I. Tochter Mathilde zur Äbtissin des Stiftes geweiht. Mit deren späterer Aufwertung zur Metropolitana durch ihren Bruder Otto II. erlebte auch der Ort einen Bedeutungszuwachs, der zudem 994 von Otto III. mit Markt-, Münz- und Zollrecht privilegiert wurde. Das Stift blieb als fürstliche Reichsabtei selbständig bis zum Ende des Alten Reichs, wenn auch im 16. Jahrhundert unter sächsischem, nach einem Verkauf der Rechte 1697 unter brandenburgischem Schutz stehend, wodurch ab 1575 die Wahl der Äbtissin nicht mehr frei erfolgte und die inneren Angelegenheiten des Stifts, auch die Stadt Qu. betreffend, beeinflusst wurden. In der weltlichen Herrschaft, auch über die Stadt Qu., wurden sie von (Stifts-)Vögten vertreten, die seit dem 13. Jahrhundert aus den Gf.enfamilien des weiteren Harzumlands stammten. Dem Bedeutungsverlust durch den Rückgang der Herrscherbesuche im 12. Jahrhundert wirkten die Äbtissinnen durch die Errichtung neuer Institutionen entgegen. Die 1222 erwähnte Neustadt wurde planmäßig als Textilgewerbesiedlung östlich der Altstadt angelegt. Durch den 1330 erfolgten Zusammenschluss von Alt- und Neustadt und die bis 1343 andauernden Auseinandersetzungen zwischen Vögten und dem Rat ging der Einfluss der Äbtissinnen zurück. 1477 gelang es Äbtissin Hedwig von Sachsen (1458–1511) nur mit Hilfe ihrer Brüder, der Herzöge Albrecht und Ernst von Sachsen, einen Aufstand der Bürger niederzuschlagen. Kirchlich war Qu. direkt Kaiser und Papst unterstellt, was insbesondere den Halberstädter Bischof wiederholt zu Eingriffen reizte. Das Stift war hochadligen Damen vorbehalten. Die Äbtissinnen entstammten im Hochmittelalter aus den Herrscherhäusern, im Spätmittelalter aus regionalen Gf.enfamilien (Stolberg, Schraplau), in der frühen Neuzeit von verschiedenen Kurfürsten (Sachsen, Brandenburg) und Hzg.en (Sachsen-Weimar). Die drei letzten Äbtissinnen vor der Auflösung des Stifts 1802 waren wieder Verwandte von Kg.en (Dänemark, Preußen, Schweden).

(2) Im Norden des Dreiecks aus Damenstift, Benediktinerinnenkloster auf dem Münzenberg (Mont Sion) und Kanonikerkonvent auf dem Königshof entstand die Altstadt. Benediktii- und Ägidii-Viertel liegen nördlich, Blasii-Viertel südlich und Pöllen-Viertel östlich des Marktes. Die östlich eines Mühlgrabens angelegte Neustadt unterteilte sich in das nördliche Öhringer-Viertel und das südliche Pölken-Viertel. Außerhalb dieser von der Stadtmauer eingeschlossenen Viertel entstanden drei Vorstädte: im Süden um das Hl.-Geist-Hospital und den Neuen Weg, im Norden das Töpfer-Viertel Gröpern und im Südwesten das Töpfer-Viertel Alte Topf. 1310/30 sind im Stadtbuch 750 steuerzahlende Haushaltsvorstände verzeichnet, was auf weit über 3000 Einwohner schließen lässt. Die Einwohnerzahlen schwankten zwischen ca. 4500 (1459) und knapp über 3000 (1525), mit einer Spitze von etwa 5000 Einwohnern gegen Ende des 16. Jahrhunderts . Die Einwohnerzahl hing zudem von Epidemien ab, die 1566, 1577, 1598 grassierten.

Die Hochgerichtsbarkeit tagte unter dem Vorsitz des Stiftsvogts. Der am Neuen Weg außerhalb der Stadtbefestigung gelegene Hohe Baum (abgebrannt 1676) bildete die Gerichtsstätte. Die Niedergerichtsbarkeit (994 verliehen) tagte unter Vorsitz eines Untervogtes. Die Neustadt unterstand zunächst als eigener Gerichtsbezirk dem Hochvogt, erst Anfang des 14. Jahrhunderts ist ein besonderes Niedergericht überliefert. Die Einwohner der Vorstädte besaßen kein Bürgerrecht und bildeten wie das Westendorf eine eigene Vogtei. Seit 1479 hatte das Westendorf zusammen mit den Vorstädten ein eigenes Halsgericht. Die Eintragungen im Qu.er Stadtbuch deuten auf das Goslarer Stadtrecht als Vorbild. Ein Stadtrat wird 1229 erwähnt. Über die Gemeindeverfassung ist bis zum Auftreten von Ratsmitgliedern 1265 nichts bekannt. Die Mitgliederzahlen des Rates schwankten im 13. Jahrhundert zwischen 13 und 19. In der Neustadt, in der die Stadtherrin bis Mitte des 14. Jahrhunderts einen stärkeren Einfluss hatte, begegnet erstmals 1306 ein zwölfköpfiger Rat. Die nur selten auftretende Bürgergemeinde war gegenüber dem Rat und der ihn tragenden städtischen Oberschicht politisch einflusslos. Mit der Vereinigung von Alt- und Neustadt 1330 entstand ein Verbund aus beiden Räten, für den drei Entwicklungsstufen bekannt sind: Bis 1335/1343 gab es zwei Bürgermeister (je ein Alt- und Neustädter) und einen zwölfköpfigen Rat (je sechs Alt- und Neustädter), diese bildeten eine von drei Ratsabteilungen, die sich in einem Dreijahreszyklus abwechselten. 1335/43 wechselte diese Ratsverfassung auf vier Bürgermeister im aktiven Rat. 1477 wurde die Ratsverfassung dahingehend geändert, dass die Äbtissin sich von jedem vorab von ihr genehmigten Ratsmitglied einen persönlichen Lehnseid leisten ließ, zugleich wurde alljährlich eine pauschale Steuer in Höhe von 500 Gulden im Jahr (etwa 15 % des Stadthaushaltes) eingezogen. Die Zahl der amtierenden Bürgermeister wurde auf zwei verringert. Der Gesamtrat bestand bis 1661 aus 36 Ratsherren, danach aus 24. Zwei Familien (Aken, Harzgerode) stellten sowohl im 14. wie auch 16. Jahrhundert Ratsherren, während später keine Konstanz mehr beobachtet werden kann. Der Anteil ratsfähiger Familien lag im 16. Jahrhundert bei einem Drittel der Haushaltsvorstände, jener der bürgermeisteramtsfähigen bei ca. 7 %. Ein Teil der ratsfähigen Familien entstammte den Familien der Stiftsministerialität, die im 14. Jahrhundert zusammen mit Ministerialen des Bf.s von Halberstadt oder der Grafen von Regenstein etwa 10 % der Bürgerschaft stellte. Adelsfamilien wurde 1477 der Erwerb von Häusern gestattet. Sie bildeten eine Sondergemeinde (»Freie Kommune«), die bis 1810 bestand. Die zur Stadt gehörige Feldmark umfasste 7500 ha, von der ein Drittel dem Stift zustand. Das Stift verfügte 1764 über etwa ein Drittel der Feldflur, knapp unter einem Viertel der Altstadt und ca. 10 % der Neustadt. Das zumeist verpachtete Land befand sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Händen weniger Haupterwerbslandwirte.

Bereits 1134 bestätigte Kaiser Lothar III., dass die Äbtissin den Gewandschneidern jährliche Abgaben erlassen habe. Die frühe Förderung dieses Gewerbes schlug sich in der Entstehung zweier Gilden nieder, die sich 1289 vereinigten. Im 14. Jahrhundert stellten sie über die Hälfte der Ratsmitglieder. Herausragende Bedeutung besaß die Bierproduktion, im 16. Jahrhundert verfügten 204 Höfe über Braurecht. 1310/30 werden 20 Gewerbekorporationen genannt, deren Zahl bis 1520 auf zwölf sank, von denen 1585 nur noch sechs übrig blieben: Bäcker-, Fleischer-, Schmiede-, Gewandschneider-, Kürschner- und Schuster-Gerbergilde. Im 18. Jahrhundert erhöhte sich die Zahl der Innungen auf Initiative der Äbtissin auf 49. Als hofnahe Gewerbe gab es Perückenmacher, Strumpfstricker/-wirker, Posamenten- und Schnurmacher. Wenig förderlich waren mehrere Besetzungen im Dreißigjährigen Krieg, bei denen die Stadt aber nicht zerstört wurde. Das 1680 im brandenburgisch-sächsischen Handelskrieg verhängte Wollausfuhrverbot wurde von der Äbtissin für eine Freihandelszone ausgenutzt. 1719 kauften zehn Qu.er Wollhändler aus Magdeburg, Halberstadt, Hannover, Braunschweig, Anhalt, Hildesheim und Stolberg-Wernigerode sämtliche Wolle auf und führten diese nach Sachsen aus. Kurz darauf wurde Qu. vom preußischen Wollmarkt abgetrennt. Die schwierige Lage verdeutlichen 244 Konkurse unterschiedlicher Gewerke von 1672 bis 1724.

Seit 994 hatte das Stift das Recht, eigene Münzen zu schlagen, teilweise hat es dieses die Stadt ausüben lassen. Die Münzstätte lag vom 13. Jahrhundert bis 1674 an der Südwestseite des Marktes (später Schmiedegildehaus). 1511 bis 1611 und ab 1760 ruhte die Münzprägung. Kredite konnten, auch von Adel und Fürsten des weiteren Umlands, bei den ab 1241 belegten jüdischen Leihgebern aufgenommen werden, deren Rechtsstellung erst ab 1310/30 von der der christlichen Umwelt getrennt wurde (Zwang der Äbtissin zur Ansiedlung in der Neustadt [allerdings ignoriert], Übergriffe). Im 15. Jahrhundert wurde die Synagoge aus der Hohen Straße in die ab 1459 sogenannte Jüdengasse verlegt. Rechte der Juden, deren Anzahl auf zwölf Familien (Minjan) begrenzt wurde, wurden von der Äbtissin mehrfach gegen den Rat verteidigt. Nach der Vertreibung der Juden 1477 gewährten Franziskaner und Augustiner überregional Kredite. Nach deren Auflösung 1525/40 traten finanzkräftige Niederadlige an deren Stelle. Nach einem Verbot der Äbtissin 1685 durften sich erst ab 1695 wieder drei Schutzjuden im Stiftsgebiet aufhalten.

(3) Das Stift verfügte über die St.-Servatius-Kirche mit 25 Altären und drei Kapellen. In der Altstadt gibt es drei große Pfarrkirchen: St. Blasii, St. Benedikti und St. Ägidii, in der Neustadt eine: St. Nikolai. Zwei Klöster lagen innerhalb der Stadtmauern, zwei weitere außerhalb. Aus den 961 institutionalisierten Kanonikern in der St.-Wiperti-Kirche wurde 1146 ein Prämonstratenserkonvent, der ab 1422 durch Klosterreformen (Visitation von Johannes Busch 1458), zu neuer Blüte kam, bevor er 1525 zerstört und 1547 endgültig aufgelöst wurde. Auf dem Münzenberg wurde 986 ein Konvent mit Benediktinerinnen eingerichtet, der ebenfalls Memorialaufgaben übernahm. Die St.-Marien-Kirche wurde ab 1525 zersiedelt. An Hospitälern sind das St.-Annen-Hospital (14. Jahrhundert ) mit der Kapelle Unser Lieben Frauen zu nennen, weiterhin der St.-Martins-Hof (1730), das Totenkopf-Hospital (1675) und das St.-Johannis-(Leprosen-)Hospital (1233), weit außerhalb der Stadtmauer. Das Gelände des 1257 in der nördlichen Altstadt eingerichteten Franziskanerklosters wurde wiederholt für überregionale Schlichtungs- und Sühneverhandlungen genutzt. Aufgrund späterer städtischer Umbauten (ab 1540 Lateinschule und Vorratsbauten) verschwand die St.-Franziskus-Kirche vollständig. 1295 wurde in der nördlichen Neustadt ein Tochterkloster des Augustinerklosters Himmelpforten errichtet. Nach Auszug und Rückkehr der Mönche 1523 wurde das Kloster für die Stadt zum Ausgangspunkt lutherischer Lehren. Das Zisterzienserkloster Michaelstein unterhielt von 1294 bis 1460 einen Stadthof (»Grauen Hof«) in der Altstadt. Ähnliche Höfe betrieben das St.-Wiperti-Kloster, die Halberstädter Predigerbrüder, das Halberstädter Bonifatiusstift und das Kloster Ballenstedt. Ein 1310 in der Altstadt erwähnter Beginenkonvent übersiedelte 1536 in die Neustadt und wurde 1634 aufgelöst. Zwischen 1495 und 1531 unterhielt die Bruderschaft Corpus Christi einen Hof in der Altstadt und einen Altar in der St.-Nikolai-Kirche. Weiterhin gab es die Kalandsbruderschaft, die Bruderschaft St. Annae, die Stellmacherbruderschaft in der Marktkirche, die Bruderschaft St. Blasii, die Gildschaftsbrüder in der St.-Ägidii-Kirche und die Bruderschaft Johannis der Fischer und Ackerleute in der St.-Nikolai-Kirche. Ein Pesthof wurde 1681 eingerichtet. Drei bedeutende Bibliotheken gab es im Spätmittelalter: Von der großen Bibliothek der Augustiner, die sogar Luther geschätzt haben soll, sind nur zwei Handschriften überliefert. Die Bibliothek des St.-Wiperti-Klosters ist mit ca. 15 Pulten und je Pult ca. 10–15 Bänden (max. 30) rekonstruiert worden; 28 Handschriften sind erhalten. Vom Stift gibt es noch 48 mittelalterliche Handschriften. Den Verlust belegen Rechnungen von 1616/20 über den Verkauf von 128 Bögen Pergament an Buchbinder. 1686 gründete Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar nach dem Vorbild anderer Landesfürsten eine Stiftsbibliothek, deren Bestand 1833 ca. 7000 Bände umfasste.

Seit 1523 gingen vom Augustinerkloster, in dem Thomas Müntzer gelebt hatte, reformatorische Lehren aus, die von Äbtissin Anna II. zu Stolberg im Auftrag Herzog Georgs des Bärtigen von Sachsen unterdrückt wurden. Nach dessen Tod 1539 wechselten Äbtissin und Stift sowie die Stadt zum evangelischen Glauben. Im Schmalkaldischen Krieg geriet Qu. 1547 zwischen Kaiser Karl V. und die evangelischen Reichsstände.

(4) Die Fläche der Stadt betrug 77,1 ha. Der Burg- bzw. Schlossbezirk (zwölf Hektar) war von der Altstadt (27,6 ha) seit Mitte des 12. Jahrhunderts durch ein Mauer-Graben-System getrennt. Die Burg selbst war bis zur Eroberung und Schleifung durch Graf Hoyer von Falkenstein 1224 von einer Mauer umgeben. Als Ergebnis der Niederlage musste Äbtissin Sophie von Brena der Stadt eine weitere Befestigung erlauben. Alt- und Neustadt hatten ihre je eigene Ummauerung. Drei Stadttore gewährten Zugang in die Altstadt: Hohes Tor, Gröperntor und Bockstraßentor. Letzteres bildete zugleich den westlichen Zugang zur Neustadt. Diese besaß drei Tore: Oeringertor, Pölkentor und Kaisertor (1570 vermauert). Die Vorstadt besaß drei Tore: Wassertor, Viehtor und ein Tor gegenüber dem Hohen Tor. Die Stadtbefestigungen wurden nach einem Visitationsbericht von 1540 zwar instand gesetzt, aber nicht der neuentwickelten Waffentechnik angepasst, auch nicht im Dreißigjährigen Krieg.

Der Markt wurde auf einer freien Fläche zwischen zwei Bachläufen (Fleiten) nach 950 angelegt. Eine 103 Meter lange Steinbrücke über die mäandrierenden Altarme der Bode wurde im 13. Jahrhundert im Süden des Marktplatzes errichtet. Zeichen der städtischen Autonomie war der steinerne »Roland«, der mitten auf dem Markt vor dem Innungshaus der Gewandschneider (Markt 5) stand. Laut der Baubefunde wurde das Altstädter Rathaus Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet, das Dachgebälk nach dendrochronologischer Datierung 1290 aufgesetzt, urkundlich erst 1310 erwähnt. Die trapezförmige Gestalt des Neustädter Marktes mit dem Rathausbau entstand, als ab 1550 die Grenzflächen zum Neustädter Kirchhof bebaut wurden. Repräsentativste Straße der Neustadt war der Steinweg (den die Äbtissinnen bei der Huldigung zum Einritt in die Stadt nutzten), an dessen nördlicher Hälfte fast alle Neustädter Ratsmitglieder wohnten.

Als herrschaftliche Bauten zur Versorgung des Hofs dienten in der Stadt ein Hof der Pröbstin und ein Hof des Stiftes sowie zahlreiche weitere Nutzgebäude und (Wein-)Gärten. Südlich des Schlosses wurde im 17. Jahrhundert eine große regelmäßige Parkanlage für die Äbtissin angelegt und der nahe Brühl-Wald durch sternförmig ausgerichtete Alleen erschlossen. Auch der Pröbstinnen- und der Dechaneigarten wurden in Lustgärten umgestaltet. In Alt- und Neustadt gab es zusammen über 36 adlige (Frei-)Häuser, in der Vorstadt Westendorf über 14. Als stadtbildprägend sind der »Fleischhof«, der »Kaiserhof« und das »Hagensche Freihaus« zu nennen. Sowohl bei den Freihäusern als auch bei den Stiftsbauten waren die gleichen Bauhandwerker beteiligt. Das im Jahr 1737 erbaute Steinhaus des Bürgers Eckard Salfeld beherbergte von 1786 bis 1803 den Sitz des Stiftshauptmann, nach 1815 das königliche Amtsgericht.

(5) Als Pfalz, an der die Ottonen das Osterfest feierten, blieb der Ort auch für spätere Herrscher wichtig. Das Stift wurde vom sächsischen Kg.shaus sowie von späteren Herrschern mit weitreichenden Besitzungen beschenkt. Ab dem 14. Jahrhundert waren die Äbtissinnen mehrfach gezwungen, Orte zu verkaufen bzw. zu tauschen. Um den Ramberg, einen großen Forst im nahen Harz, entbrannte mehrfach Streit zwischen Stadt und Stift. Die Stadt verfolgte nach außen lange Zeit eine erfolgreiche Bündnispolitik, die auf einem dauerhaft guten Einvernehmen mit den Bf.en von Halberstadt beruhte. Seit 1326 schloss der Rat einen 100 Jahre lang wiederholt erneuerten Bund mit Halberstadt und Aschersleben sowie eine Vielzahl von Bündnissen mit Goslar, Braunschweig, Hildesheim u. a., seit 1384 mit dem sächsischen Städtebund, seit 1426 mit der Hanse. Das hohe Maß an städtischer Selbständigkeit zeigte sich in der Pfandnahme der Stadtvogtei durch den Rat 1396. Eingeschränkt wurde die Autonomie durch die Verfassungsänderung 1477 und durch die Politik der Kurfürsten von Sachsen, die – eigentlich Lehnsnehmer des Stiftes – versuchten, das Stift zu einem Teil Sachsens zu machen. 1697 verkaufte Kurfürst Friedrich August die Erbvogteigerechtigkeit an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., welcher Qu. 1698 eroberte. Bezeichnend ist, dass Qu. auf den Reichstagen mit zwei Stimmen – einer reichsfürstlichen und einer städtischen – vertreten war, weswegen Stift und Stadt sich oft die Gesandten teilten. Verschuldungen der Stadt gingen nie auf die Stadtherrin, sondern meistens auf militärische Aktionen benachbarter Fürsten zurück.

(6) Wegen der engen und vielfältigen Verbindungen zwischen Stift und der institutionell erst seit 1330 zu einer Stadt zusammengeschlossenen Siedlung lässt sich Qu. als Residenzstadt bezeichnen. Sowohl die Äbtissin als auch ihr kleiner, aus ca. 40–50 höheren Amtsträgerinnen bestehender Hof sowie der Stiftsadel, der seit 1477 Freihäuser in der Stadt hatte, bildeten neben der Geistlichkeit ein gewichtiges Element in der städtischen Gesellschaft. Bereits im 12. Jahrhundert wurden die Gewandschneider von den Äbtissinnen gefördert. Im 14. Jahrhundert konnte sich die Stadt zunehmend von ihrer Stadtherrin unabhängiger machen. Die Vereinigung von Alt- und Neustadt (1330) und insbesondere die Pfandnahme der Stadtvogtei 1396, daneben die zahlreichen Bündnisse mit den Nachbarstädten wurden von den Äbtissinnen akzeptiert. Dies wandelte sich nach etwa zwei Generationen: Durch die Verfassungsänderung der Äbtissin Hedwig von Sachsen wurden die vor allem von den Gewandschneidern betriebenen Selbständigkeitsbestrebungen 1477 gewaltsam unterbunden. Da dieses nur mit Hilfe ihrer Brüder, den regierenden Hzg.en von Sachsen, zu erreichen gewesen war, bestand der Preis darin, dass auch nach ihrem Tod 1511 die sächsischen Kurfürsten über 200 Jahre hinweg versuchten, das Stift Qu. zu einem Teil Sachsens zu machen, was nur in Ansätzen gelang. Die Würde eines Reichsfürstentums stand dem gegenüber. Durch Verkauf fiel das Stift 1698 an Brandenburg-Preußen, zwar nicht formal, aber faktisch wurde Qu. wie eine Landstadt behandelt (Einführung der Akzise gegen Widerstand der Äbtissin). Personelle Verflechtungen zwischen städtischer und stiftischer Administration sind wiederholt zu finden. Die Ordnungsmaßnahmen der Äbtissinnen zeigten eine vom eigenen Überleben gegen mächtigere Reichsstände geprägte Haltung, die wiederholt ihre untreuen Untertanen maßregeln musste wie sie diese gleichermaßen ökonomisch förderte, da sie personell, ökonomisch und finanziell in größeren Teilen von ihnen abhing.

(7) Städtische Archivalien befinden sich im Stadtarchiv Quedlinburg: Urkunden (13.–19. Jahrhundert), Schoßregister (1520/25–1812), Ratsrechnungen (1454–1825), Ratsprotokolle (1590–1840), Bürgermalsbücher (1658–1850), Kopialbücher (1400–1830), Ratsrechnungsbelege (1554–1814), Schoßansatzregister, Häuserverzeichnisse, Einwohner- und Volkszähllisten (1480 bis 1850), Stiftshauptmannei- und Vogteiakten (16.–18. Jahrhundert, 2700 Bände); Hospitalrechnungen, Bau-, Holz- und Kellerrechnungen, sowie Strafregister und Kornregister, zahlreiche Kirchenbücher im Evangelischen Gemeindearchiv Quedlinburg (Wiperti, Nikolai, Blasii, Ägidii, Servatii, Johannis, Ditfurt, Hl.-Geist-Hospital); die Akten des Stiftes im Landeshauptarchiv Magdeburg: Rep. U 9: Urkunden des Freiweltlichen Stiftes (922–1815); Rep. A 20: Kaiserliches Freiweltliches Stift Quedlinburg (1328–1829); Rep. A 21: Stiftspropstei und Stiftsdechanei zu Quedlinburg (1430–1828); Rep. A 22: Stiftshauptmann zu Quedlinburg (1427–1815); Rep. Da: Fürstliches Amt Quedlinburg, Äbtissinnen (1667–1808); Rep. Db: Stadt- und Vogteigericht Quedlinburg (1601–1814). – Erath, Anton Ulrich: Codex Diplomaticus Quedlinburgensis, Frankfurt a. M. 1764.

Zöllner, Walter: Die jüngeren Papsturkunden des Staatsarchivs Magdeburg: Bestände Halberstadt, Quedlinburg und übrige Gebiete, Leipzig 1982. – Über 500 Inschriften an den 2119 erhaltenen Fachwerkbauten, davon 1753 straßenbegleitend. – 70 Stadtpläne und -ansichten ab 1581.

Janicke, Karl: Urkundenbuch der Stadt Quedlinburg, 2 Bde., Halle a. d. Saale 1873/1882. – Rosenfeld, Felix: Regesten, den St. Johanneshof vor Quedlinburg betreffend, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 27 (1894) S. 633–640. – Lorenz, Hermann: Die urkundlichen Eintragungen in die Ratsrechnungen der Stadt Quedlinburg von 1454 bis 1509, in: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 39 (1906) S. 194–255. – Hobohm, Walter: Der städtische Haushalt Quedlinburgs in den Jahren 1459 bis 1509, Halle a. d. Saale 1912 (Forschungen zur Thüringisch-Sächsischen Geschichte, 3). – Lorenz, Hermann: Quellen zur städtischen Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte von Quedlinburg vom 15. Jahrhundert bis zur Zeit Friedrichs des Grossen, 1. Tl.: Baurdinge nebst sonstigen obrigkeitlichen Verordnungen und Abmachungen, Halle a. d. Saale 1916 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 24). – Militzer, Klaus, Przybilla, Peter: Stadtentstehung, Bürgertum und Rat. Halberstadt und Quedlinburg bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, Göttingen 1980 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 67). – Fliege, Jutta: Die Handschriften der ehemaligen Stifts- und Gymnasialbibliothek Quedlinburg in Halle, Halle a. d. Saale 1982 (Arbeiten aus der Univ.- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle a. d. Saale, 25). – Mehl, Manfred: Die Münzen des Stiftes Quedlinburg, Hamburg 2006.

Fritsch, Johann Heinrich: Geschichte des vormaligen Reichsstiftes und der Stadt Quedlinburg, Bd. 1: Quedlinburg vor der Reformation, Bd. 2: Quedlinburg nach der Reformation bis auf die Zeit, da das Stift an Preußen fiel und aufhörte, Quedlinburg 1828. – Lorenz, Hermann, Kleemann, Selmar: Quedlinburgische Geschichte zur Tausendjahrfeier der Stadt Quedlinburg vom Magistrate der Bürgerschaft gewidmet, Bd. 1: Werdegang von Stadt und Stift Quedlinburg, Bd. 2: Kulturgeschichtliche Bilder aus Quedlinburgs Vergangenheit, Quedlinburg 1922. – Brinkmann, Adolf: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Stadt Quedlinburg, 2 Bde., Berlin/Magdeburg 1922/1923 (Beschreibende Darstellung der älteren Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, 33). – Zwinger, Hans: Wirtschaftsgeschichtliche Studie über das Wirtschaftsleben der Stadt Quedlinburg unter brandenburgisch-preußischer Schutzherrschaft von 1698–1803, Gelnhausen 1930. – Mitgau, Johann Hermann: Alt-Quedlinburger Honoratiorentum. Genealogisch-soziologische Studie über einen Gesellschaftsaufbau des 17./18. Jahrhunderts, Leipzig 1934 (Sonderveröffentlichungen der Ostfälischen Familienkundlichen Kommission, 11). – Reuling, Ulrich: Quedlinburg: Königspfalz-Reichsstift-Markt, in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. 4, hg. von Lutz Fenske, Göttingen 1996, S. 184–247. – Brecht, Eberhard, Kummer, Manfred: Juden in Quedlinburg, Halberstadt 1996 (Geschichte, Ende und Spuren einer ausgelieferten Minderheit, 7). – Reuling, Ulrich, Stracke, Daniel: Deutscher Historischer Städteatlas, Bd. 1: Quedlinburg, hg. von Wilfried Ehbrecht, Peter Johanek und Jürgen Lafrenz, Kartographie von Thomas Kaling und Dieter Overhageböck, Münster 2006. – Bley, Clemens: Herrschaft und symbolisches Handeln im Kaiserlichen freien weltlichen Stift Quedlinburg im 16. und 17. Jahrhundert. Eine verfassungsgeschichtliche Studie, Potsdam 2008. – Kayserlich-frey-weltlich. Das Reichsstift Quedlinburg im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. von Clemens Bley unter der Mitarbeit von Werner Freitag, Halle a. d. Saale 2009 (Studien zur Landesgeschichte, 21). – Wozniak, Thomas: Quedlinburg im 14. und 16. Jahrhundert – Ein sozialtopographischer Vergleich, Berlin 2013 (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, 11). – Wozniak, Thomas, Kanus-Sieber, Katrin: Zur Demographie der Stadt Quedlinburg vom 9. bis 21. Jahrhundert, in: Quedlinburger Annalen. Heimatk. Jahrbuch für Stadt und Region Quedlinburg 15 (2012/13) S. 101–115. – Kasper, Peter: Das Reichsstift Quedlinburg (936–1810): Konzept-Zeitbezug-Systemwechsel, Göttingen 2014. – Wauer, Karlheinz: Häuserbuch der Stadt Quedlinburg von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1950, 3 Bde. Marburg/Lahn 2014 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye, 57–59). – Wozniak, Thomas: Quedlinburg. Kleine Stadtgeschichte, Regensburg 2014.

Thomas Wozniak