Das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit bilden eine Epoche der deutschen Geschichte, die der Neuzeit nicht nur im rein zeitlichen Sinne vorausgeht, sondern in der auch historische, soziale, ökonomische und geistige Grundlagen der neuzeitlichen bis hin zur gegenwärtigen Kultur gelegt wurden.

Wir bauen unser Bild von der Gesellschaft und der Geschichte, indem wir aus Texten "Wirklichkeiten" (re)konstruieren. Da es schlechterdings nichts gibt, weder Reales noch Gedachtes, auf das man nicht mittels Wörtern (in Texten) Bezug genommen oder das man nicht gar durch den Wortgebrauch konstituiert hätte, bilden sprachliche Zeugnisse vergangener Zeit die Basis jedweder historischer Forschung und jedweden historischen Wissens. Die Bedeutung von Wörterbüchern, die die vergangenen Sprachstufen erschließen helfen, ist angesichts dieses Hintergrundes schwerlich zu überschätzen. Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch versteht sich daher als Grundlagenwerk für all diejenigen, die sich mit der Sprache und Kultur der frühen Neuzeit auseinandersetzen, die an der Epoche zwischen der späten Scholastik und der frühen Aufklärung, an der Zeit der Erfindung des Buchdrucks, der Entdeckung Amerikas oder an der Reformation (usw.) interessiert sind.

Gegenstand des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches, das als historisches Sprachstadienwörterbuch die Lücke zwischen den Wörterbüchern des Mittelhochdeutschen (Benecke/Müller/Zarncke; Lexer; Mittelhochdeutsches Wörterbuch) und dem Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm füllt, ist das Hochdeutsche (im sprachgeographischen und -soziologischen Sinne) der Zeitspanne von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Dabei erfolgt keine Beschränkung auf literarische Texte; es werden vielmehr vollgewichtig auch rechts- und wirtschaftsgeschichtliche, chronikalische und berichtende, didaktische, theologische und erbauliche Texte sowie Realientexte berücksichtigt. Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch erfasst nicht nur den allgemeinen Teil des Wortschatzes des Frühneuhochdeutschen, sondern weitgehend auch denjenigen seiner wichtigsten Varietäten, ohne dass es allerdings zu einem Spezialwörterbuch z. B. für bestimmte Dialekte, Fachsprachen, Soziolekte, Textsorten, wichtige Einzeltexte oder Autoren würde.