Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Ratzeburg

Ratzeburg

(1) Die heutige Stadt R. besteht aus zwei Inseln im R.er See (Schlossinsel und Stadtinsel), die durch Dämme miteinander und mit den Ufern im Westen und Osten verbunden sind. Auf der westlichen Schlossinsel entstand im 10. Jahrhundert eine Burg, die zum Zentrum des slawischen Stammes der Polaben wurde. Der Name R. geht auf einen slawischen Fürsten Ratibor zurück. Eine Burg R. ist 1062 urkundlich belegt, wenig später ein Benediktinerkoster St. Georg auf dem Berg. Vom 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts war das Gebiet zwischen Slawen und Sachsen umstritten. Erst Heinrich der Löwe (1129–1195) schuf aus den Territorien Boitin (im Norden), Gadebusch (im Osten), Wittenburg (im Südosten), Sadelbande (im Südwesten) und Ratzeburg (in der Mitte und im Nordosten) 1143 die Grafschaft R, mit der er Heinrich von Badwide belehnte. Das Bistum R. entstand in zwei Anläufen 1060 und 1154 auf der östlich gelegenen, größeren Stadtinsel.

Auf der Schlossinsel entwickelte sich aus der slawischen Burg der Gf.ensitz, während auf dem nördlichen Sporn der Stadtinsel der Dom sowie ein Bf.ssitz mit dazugehörigem Domkapitel entstand. Daraus wurden bis 1648 eigene Reichsterritorien, die gegeneinander rivalisierten: Die Grafschaft R. gehörte zum Herzogtum Sachsen-Lauenburg, dem das Bistum R., nach der Reformation das Hochstift, ab 1648 das Fürstentum R. als Teil Mecklenburgs gegenüberstand. Das Bistum R. wurde 1554 lutherisch und gemäß einer Verfügung des letzten Bf.s, Christoph von der Schulenburg (reg. 1550–1580), den Mecklenburger Hzg.en übereignet. Das Bistum R. wurde deshalb zu einem Teil Mecklenburgs (ab 1701 Mecklenburg-Strelitz). Der R.er Dombezirk blieb bis 1937 mecklenburgisch, erst das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 führte dazu, dass ehemals lauenburgisches Gebiet sowie der Dombezirk zum Kreis Herzogtum Lauenburg kamen. Letzte Grenzfragen wurden erst 1945 verbindlich festgelegt, womit die über Jahrhunderte hinweg zwischen dem Herzogtum Sachsen-Lauenburg und dem Bistum Ratzeburg bestehenden Konflikte einen Abschluss fanden. Residenzstadt war R. für den Bischof von Ratzeburg.

Immer wieder fungierten Burg und Stadt R. daneben als Witwensitz für die Hzg.innen, die die Vogtei R. als Leibgeding erhielten. In R. ließ sich auch Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg (1547–1619) nieder, ab 1588 diente das Schloss als Gefängnis für seinen Bruder Magnus II. bis zu dessen Tod 1603. 1619 verlegte Herzog August von Sachsen-Lauenburg (reg. 1619–1656) seine Residenz in das baufällige Schloss in R. Bis 1689 blieb die sächsisch-lauenburgische Hauptresidenz bzw. der Regierungssitz hier bestehen. Sein ihm folgender Halbbruder Julius Franz hatte als ksl.er Marschall 1623 das böhmische Schlackenwerth erhalten, wo er sich aufhielt. Nach seinem Tod fiel 1689 Sachsen-Lauenburg und damit auch R. an den Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Celle. Seit 1701 befand sich auf der Domhalbinsel eine Nebenresidenz der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz

(2) Bereits zur ersten Erwähnung R.s in einer Urkunde 1062 dürfte die östlich gelegene (spätere) Stadtinsel besiedelt gewesen sein. Ob und inwieweit es durch den Aufstand der slawischen Abodriten 1066 zu einer Siedlungsunterbrechung kam, muss offen bleiben, der Prozess der Christianisierung wurde für Jahrzehnte unterbrochen. Erst unter dem Grafen Heinrich von Badwide, den Heinrich der Löwe 1143 mit der Grafschaft R. belehnt hatte, wurde die Christianisierung des Landes wiederaufgenommen. Nach der Vertreibung der Dänen, die 1203–1227 die Herrschaft innehatten, konnte Herzog Albrecht I. von Sachsen-Wittenberg die sächsische Herrschaft in R. konsolidieren. Damit einher ging die Ausdehnung der städtischen Siedlung. Seit Ende des 13. Jahrhunderts gab es eine städtische Selbstverwaltung, die durch einen landesherrlichen Vogt kontrolliert wurde. Stadtrechte dürfte R. um 1250 erhalten haben (eine Urkunde gibt es nicht). Im Spätmittelalter ging die Gerichtsbarkeit vom Burgvogt auf den Rat der Stadt über, der aus zwei Bürgermeistern und sechs Ratmannen bestand.

Die Insellage R.s kam über Jahrhunderte der Sicherheit seiner Bewohner zugute, eine Stadtbefestigung gab es nicht; der wirtschaftlichen Entwicklung war sie hinderlich. Über die Einwohnerzahl im Spätmittelalter liegen keine Angaben vor. Aus einer Türkensteuerliste von 1545 konnte eine Einwohnerzahl von 900 errechnet werden. Die Stadt wurde durch Herzog Franz II. von Sachsen-Lauenburg (1547–1619) wirtschaftlich gefördert und erlebte um 1600 einen Aufschwung, wodurch die Einwohnerschaft auf etwa 1300 anstieg. Der Dreißigjährige Krieg (Besetzungen 1630/31 und 1638/39) sowie zwei Epidemien führten zu Einbrüchen, erst 1690 wurden wieder 1000 Einwohner erreicht. Die wichtigsten Wirtschaftszweige waren Transportwesen (vor allem von Salz und Holz) auf dem Wasserweg nach Lübeck, Fischerei und Bierbrauerei. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es 70 Braustellen, die das »Rommeldeus« genannte R.er Bier herstellten.

Zur Katastrophe für die Stadt wurde die Belagerung und Beschießung durch dänische Truppen in der Schlussphase des Lauenburgischen Erbfolgekriegs 1693, bei der nur fünf Häuser erhalten blieben. In den Folgejahren wurde R. als barocke Planstadt neu errichtet. 1774 hatte sie (einschließlich der Garnison) 2000 Einwohner. R. entwickelte sich zu einem Verwaltungszentrum für das Herzogtum Lauenburg.

(3) Kirchengeschichtlich ist R. bedeutsam, da hier der später heiliggesprochene Ansverus als Abt des Benediktinerklosters auf dem St. Georgsberg 1066 mit seinen Brüdern während eines Slawenaufstands den Märtyrertod fand und eine Pilgerstätte entstand. Die Gründung des Bm.s R. 1154 geht auf Heinrich den Löwen zurück. Das Bistum gehörte zu den kleineren Diözesen in Norddeutschland, bestand aber bis zur Reformation 1551/54 fort. In R. stellten Bischof und Domkapitel einen Machtfaktor dar. Aus dem mit dem Dom verbundenen Prämonstratenserkloster, das Papst Julius II. 1504 aufgehoben hatte, entstand ein weltliches Chorherrenstift. Weil der Territorialbesitz, zu dem auch der Domhof gehörte, im 16. Jahrhundert an das Herzogtum Mecklenburg fiel, entwickelte sich aus der einstigen Bf.sresidenz ein bescheidener Verwaltungssitz. Das Domkapitel hatte bis 1648 Bestand. Als dieses im Friedensvertrag von Münster und Osnabrück aufgehoben wurde, fiel dessen Grundbesitz an Mecklenburg.

In der Stadt entstand nach dem Wiederaufbau nach der Zerstörung von 1693 die spätbarocke Stadtkirche (1787–1791). Die Kirche auf dem St. Georgsberg, deren Ursprünge ins 12. Jahrhundert zurückgehen, gehört zu den frühesten christlichen Zeugnissen im Land.

(4) Die namensgebende Burg ist slawischen Ursprungs und wurde bei Übernahme durch die Askanier neben Lauenburg zu einem Herrschaftszentrum. Die Burg wurde stets den militärischen Anforderungen angepasst, aber nicht so ausgebaut wie die Lauenburg. Bis ins 16. Jahrhundert hinein war die militärische und repräsentative Bedeutung der Burg und des sich aus ihr entwickelnden Schlosses gering. Dies änderte sich während der Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Brüdern Magnus II. (1543–1603) und Franz II. (1547–1619), an deren Ende ein Wechsel in der Erbfolge und mit der »Ewigen Union der Ritter- und Landschaft« von 1585 eine Art Verfassung standen.

Die Welfen ließen nach der Einnahme R.s 1689 das Schloss abreißen und eine Festung nach französischem Muster errichten, die auf militärischen Druck des dänischen Königs (vollständige Zerstörung R.s durch Beschuss 21.–23. August 1693) abgetragen werden musste. 1698 bis 1705 wurde sie jedoch wiederhergestellt, die Stadt hingegen lag für lange Zeit darnieder. Unter den Welfen wurde R. zu einer Verwaltungs- und Garnisonsstadt und blieb als solche im 19. Jahrhundert bestehen. R. erhielt durch den Wiederaufbau einen neuen Grundriss als barocke Planstadt mit großem Marktplatz und schachbrettartigen Straßenverläufen.

Seit 1701 existierte auf der Domhalbinsel eine Nebenresidenz der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz, an die das ehemalige Bistum und spätere Fürstentum Ratzeburg gefallen war. Hier entstand 1764–1766 mit der Domprobstei eine schlossartige Anlage, die neben der Kaserne (Wache) den mecklenburgischen Herrschaftsanspruch zum Ausdruck brachte.

(5) R. lag – anders als Mölln oder Lauenburg – abseits der wichtigen Handelswege. Die Insellage war in der Neuzeit nicht mehr von Vorteil, im Gegenteil: sie behinderte das Entstehen eines wirtschaftlichen Mittelpunkts. Erst die politische Entwicklung im 18. Jahrhundert führte dazu, dass R. zu einer Amts- bzw. Hauptstadt des Hzm.s in welfischer und nach 1816 dänischer Zeit wurde. Mit der Etablierung der Verwaltung für das kleine Herzogtum (den späteren Landkreis) entwickelte sich der Ort zu einem kulturellen Zentrum. R. wurde zu einer Hauptstadt im Kleinen, in der die Ideen der Aufklärung zur Entfaltung kamen.

(6) R. hat im Mittelalter wegen seiner Lage eine Bedeutung als Burg gehabt, von der aus Macht entfaltet werden konnte. Danach wurde die Insellage zum Nachteil. Die Stadt musste sich auf ihre Rolle als Verwaltungszentrum konzentrieren und ihre wirtschaftliche Position daraus entwickeln. Nach 1689 waren die Herrscher des Landes nur selten anwesend; eine nennenswerte Hofhaltung gab es auch trotz der mecklenburgisch-strelitzschen Nebenresidenz im 18. Jahrhundert nicht. Den kulturellen Glanz einer Residenzstadt hatte R. damit nicht mehr zu bieten, die Stadt entwickelte sich zu einem Kleinzentrum.

(7) Die wichtigsten Quellen zur Geschichte Ratzeburgs im Mittelalter und in der frühen Neuzeit befinden sich im Landesarchiv Schleswig, Abt. 210, 217, 218 und 232. Gedruckte Findbücher liegen vor. Das Kreisarchiv Ratzeburg verfügt nur über wenige Dokumente zur älteren Geschichte. Im Stadtarchiv Ratzeburg sind vereinzelt Quellen zur älteren Stadtgeschichte zu finden.

(8) Ratzeburg – 900 Jahre. 1062–1962, hg. von Kurt Langenheim und Wilhelm Prillwitz, Ratzeburg 1962. – Kaack, Hans-Georg: Ratzeburg. Geschichte einer Inselstadt. Regierungssitz – Geistliches Zentrum – Bürgerliches Gemeinwesen, Neumünster 1987. – Herrscherwechsel im Herzogtum Lauenburg, hg. von Eckardt Opitz, Mölln 1998 (Kolloquium. Lauenburgische Akademie für Wissenschaft und Kultur, 10). – Stelter, Brigitte: Art. „Ratzeburg“, in: Herzogtum Lauenburg. Das Land und seine Geschichte. Ein Handbuch, hg. von Eckardt Opitz, Neumünster 2003, S. 617–622. – Biografisches Lexikon Herzogtum Lauenburg, hg. von Eckardt Opitz, Husum 2015.

Eckardt Opitz