Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Riga

Riga

(1) R. war bischöfliche, seit 1253 erzbischöfliche Residenz sowie Sitz des Meisters des Schwertbrüderordens und des livländischen Meisters des Deutschen Ordens. Die Stadt an der Mündung des namengebenden Rigebaches in die Düna gründete Bischof Albert von Buxhöveden mit Hilfe deutscher Fernkaufleute 1201 auf dem Boden eines saisonalen Handelsplatzes hinter der letzten Stromschnelle der Düna, rund 15 km vor ihrer Mündung in die Ostsee. R. war Ausgangspunkt mehrerer Verkehrswege, die sich nordöstlich der Stadt in einen nördlichen, nordöstlichen und östlichen Strang verzweigten. An dem R. gegenüberliegenden Dünaufer endeten bei der späteren Unteren Mühle Landverbindungen aus südlichen und westlichen Richtungen. Mit der Übersiedlung des Domkapitels von Uexküll im Jahre 1201 und seiner Ansiedlung an der Stelle des nachmaligen Franziskanerklosters am 1215 abgebrannten ersten Dom sowie der Errichtung des St. Jürgenshofes zum Schutz der gleichnamigen Kapelle durch den 1202 gestifteten Schwertbrüderorden, der 1237 im Deutschen Orden aufging, waren wesentliche Grundlagen der Stadtherrschaft bis zum Ende des livländischen Mittelalters 1561 gelegt.

(2) Siedlungen livischer Fischer und eine besonders von gotländischen Kaufleuten genutzte Anlegestelle dünaabwärts, unweit der Mündung des Rigebaches, waren präurban. Bereits 1202 wurden der Dom, die älteste Bf.spfalz, die Bischof Nikolaus mit der Johanniskapelle 1234 den Dominikanern schenkte, der sich unmittelbar anschließende Jürgenshof sowie das am Dom gelegene Quartier der Kaufleute mit dem Markt und der Marktkirche St. Peter mit Mauern umgeben. Die Stadtbürger erhielten 1211 gotländisches, 1294/97 Hamburger und 1350 rigisches Recht mit Ratsverfassung und Gilden der Kaufleute und Handwerker. Die seit 1225 in bürgerlicher Hand befindliche Stadtvogtei und die stürmische demographische Entwicklung – nach dem rigischen Schuldbuch (1286–1352) waren von den 1397 Bewohnern 1175 Deutsche, 100 Russen, 107 Nichtdeutsche, drei Romanen und drei von unbestimmter Herkunft – ermöglichten zwischen 1210 und 1234 zwei Stadterweiterungen und den Erwerb einer umfangreichen Stadtmark zwischen der kurländischen Grenze im Südwesten, dem Unterlauf der Kurländischen Aa, der Grenze des Klosterlandes von Dünamünde, der Mitte des Stint- und des Jägelsees, der Westseite des Dünawerders Dohlen und der Nordgrenze von Semgallen. Der erstmals zu 1226 belegte Stadtrat, hervorgegangen aus der 1221 gegen dänische Herrschaftsansprüche gebildeten Schwureinung von Treiden, sicherte durch seine Familienmitglieder im Domkapitel und im Schwertbrüderorden seinen Einfluss auf die R.er Geistlichkeit. Die ratsfähigen Familien besaßen den größten Teil des Baugrundes, beeinflussten die Namengebung von Straßen und Gebäuden und galten zudem als lehnsfähig. Während die erste Stadterweiterung 1210–1215 zwischen dem Rigebogen und der Düna mit der Anlage des neuen Marktes und neuer Wohnviertel für Handel- und Gewerbetreibende wirtschaftlichen Erfordernissen nachkam, prägte die Geistlichkeit die zweite Erweiterung auf dem Gebiet des Suburbiums in nördlicher Richtung mit dem Bau des zweiten Domes, des neuen Bf.shofes und der Häuser der Domkapitularien, dem von Bischof Albert 1220 gestifteten Hl.-Geist-Hospital und dem Maria-Magdalenen-Kloster der Zisterzienserinnen. Mit den beiden Erweiterungen einher ging die der von 27 Türmen verstärkten Stadtbefestigung.

(3) Die Stadtentwicklung war nicht zuletzt Ergebnis der Dreiteilung der Macht, die der Bischof, der Rat und der Schwertbrüderorden 1226 untereinander ausgehandelt hatten. Nach 1237 erwuchsen Spannungen insbesondere aus dem Veräußerungsverbot von bürgerlichem Grundbesitz an die Geistlichkeit, das der Deutsche Orden im Gegensatz zu den Schwertbrüdern und dem Erzbischof nicht anerkannte. Die Spannungen entluden sich 1297 u. a. mit der Erstürmung des Jürgenshofes und der Vertreibung des Ordens aus der Stadt. Den Krieg zwischen dem Orden und R. entschied eine sechsmonatige Belagerung, in deren Folge der Orden 1330 die Stadt und den Erzbischof zwang, das heutige Schloss auf dem Grundstück des Hl.-Geist-Hospitals, des Stadtmarstalls und der Pferdemühle neu zu errichten. Die anhaltenden Spannungen milderte zwar der Vertrag von Kirchholm von 1452 zwischen dem Erzbischof und dem Orden. Die darin ausgehandelte Zweiteilung der Stadtherrschaft ließ sich aber nur schwer umsetzen, was der Stadtrat für die Erweiterung eigener Machtspielräume geschickt zu nutzen verstand. Sichtbares Zeichen für das gegenseitige Misstrauen war der Bau der Mauer zwischen dem Schloss und der Stadt von 1454, die dem Schloss die Grundzüge einer Zitadelle verlieh. Gleichwohl gab der Ordensmeister R. 1470 zu Gunsten von Fellin und 1484 zu Gunsten von Wenden als Residenz auf. Während der polnischen (1581–1621) und der schwedischen Stadtherrschaft (1621–1710) erfuhr das Schloss als Residenz der jeweiligen Statthalter eine Wiederbelebung.

Bereits 1397 verlegte der Erzbischof seinen Sitz im Bezirk des Mariendoms nach Kokenhusen, dessen Schloss bis zur endgültigen Durchsetzung der Reformation im Jahre 1562 seine Residenz blieb. Ausschlaggebend für den Rückzug des Metropoliten aus R. war wohl der 1397 zu Danzig besiegelte Frieden zwischen dem livländischen Zweig des Deutschen Ordens und dem kurz zuvor mit seinem Domkapitel in den Deutschen Orden aufgenommenen Erzbischof Johann von Wallenrode, der den seit der Zeit des Schwertbrüderordens schwelenden Streit zwischen den beiden Mächten um die Vormachtstellung in Livland beenden sollte. Dies brachte erst der nach der Niederlage der Stadt R. gegen den Orden zuletzt 1491 erneuerte Kirchholmer Vertrag zustande. Diesen wusste freilich die evangelisch werdende Stadt Ende 1524 durch die Aneignung des Domes und der Kirchengüter aufgrund ihrer Aberkennung der bisherigen geistlichen Jurisdiktion faktisch auszuhebeln. Dennoch vermochte der letzte Erzbischof von R., Wilhelm von Brandenburg, sich den Besitz des Bf.shofes und der Häuser der Domherren bis zur Aufhebung der Ordensherrschaft 1561 zu sichern.

Das zu 1255 erstmals belegte Maria-Magdalenen-Kloster der Zisterzienserinnen stand in der bis 1330 in den Mauerring einbezogenen Vorstadt, südlich der Stadtpfarrkirche St. Jakob. Das Franziskanerkloster auf dem Baugrund des ersten Doms ist seit 1258 nachweisbar. Die Ersterwähnung der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Stein aufgeführten Klosterkirche St. Katharinen, von der sich noch Reste der Wandmalerei erhalten haben, datiert von 1312. Im 13. Jahrhundert bestand ein Beginenhaus auf dem Kirchhof von St. Petri. Außerdem unterhielten die Zisterzienser von Dünamünde einen Stadthof in unbekannter Lage, der 1305 in den Besitz des Deutschen Ordens und noch vor 1312 in den der Stadt gelangt ist.

(4) Die ältesten Bauteile des Doms, der Petri- und Jakobikirche waren noch romanisch. Die schlanken und hohen gotischen Turmhelme des Doms und der beiden Stadtpfarrkirchen prägen die älteste Stadtansicht aus der Kosmographie von Sebastian Münster von 1540, auf dem das Schloss und das durch seine Beschriftung kenntlich gemachte Rathaus in den Hintergrund rücken.

(5) R.s Aufstieg als Handels- und Residenzstadt ist zuvorderst dem von der Stadt beherrschten Handel mit den russischen Fsm.ern im Einzugsbereich der Düna zu verdanken. Die Stadt vermittelte insbesondere Waren von und nach Niederdeutschland und Westeuropa, während die litauischen und noch weiter südlich gelegenen preußischen Gebiete im Schatten des rigischen Warenaustausches blieben. Zeugnisse davon sind das um 1222 erstmalig belegte russische Dorf mit eigenem Gotteshaus in der damaligen R.er Vorstadt sowie die R.er Niederlassungen in Polozk und Smolensk. Bereits aus der Gründungszeit datieren Belege, dass R.er Kaufleute zudem die Landverbindungen nach Pleskau und Nowgorod nutzten.

(7) Die wesentlichen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Archivalien der städtischen Überlieferung hat erfasst Mahling, Madlena: Ad rem publicam et ad ignem. Die mittelalterlichen Bestände des Rigaer Stadtarchivs und ihr Fortbestand in der Neuzeit, Marburg 2015 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung, 33).

Die meisten Urkunden liegen gedruckt vor im Liv-, Est- und Kurländisches Urkundenbuch, I, Bde. 1–12 (1853–1910); II, Bde. 1–3 (1900–1914) (ND Aalen 1967). – Liv-, est- und kurländische Urkundenregesten bis zum Jahre 1300 von hg. von Friedrich G. von Bunge mit Ergänzungen von Leonid jun. Arbusow, neu hg. von, Friedrich Benninghoven, Hamburg 1959. Eine weitere große Quellengruppe erfasst den in Form von Vollregesten vorliegenden Schriftwechsel zwischen dem preußischen Herzog Albrecht und seinem Bruder Wilhelm, dem Erzbischof von Riga, und anderen livländischen Mächten. Dazu siehe Herzog Albrecht von Preußen und Livland, Bd. 1 (1996). – Herzog Albrecht von Preußen und Livland, Bde. 2–7 (2002–2008).

(8)Benninghoven, Friedrich: Rigas Entstehung und der frühhansische Kaufmann, Hamburg 1961 (Nord- und osteuropäische Geschichtsstudien, 3). – Heckmann, Dieter: Art. „Riga“ [als Residenz des livländischen Ordensmeisters], in: Höfe und Residenzen I,1 (2003), S. 488 f. – Baltisches historisches Ortslexikon, Bd. 2: Lettland (1990), S. 504–510.

Dieter Heckmann