Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

Zurück zur Liste

Rotenburg an der Wümme

Rotenburg an der Wümme

(1, 2) R. liegt, geschützt vor Hochwasser, am Mittellauf der Wümme an der Einmündung der Bäche Rodau und Wiedau. Wahrscheinlich gab es an der Stelle einen Übergang über die Wümme, der die Entwicklung R.s gefördert haben dürfte. Von 1195 bis 1645 war R. Residenz der Bischöfe von Verden und somit Vorort des Hochstifts Verden; die Bischöfe hielten sich relativ häufig in R. auf. Ausgangspunkt der Siedlung dürfte der Bau der bfl.en Burg Ende des 12. Jahrhunderts gewesen sein. Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind auch Vögte urkundlich belegt. Die östlich der Burg bzw. des an ihrer Stelle im späten 16. Jahrhundert errichteten Schlosses gelegene Siedlung erhielt eine 1403 sicher belegte Weichbildverfassung. Zeitgleich werden Tore erwähnt, die auf eine Befestigung schließen lassen. 1427 werden in einer Urkunde Bürgermeister und Ratsherren genannt; von einer Selbstverwaltung des Fleckens R. ist auszugehen. Das älteste Siegel stammt zwar erst von 1695, dürfte aber bereits Ende des 15. Jahrhunderts verwendet worden sein.

Grundlegende herrschaftliche Umgestaltungen bedeutete der Dreißigjährige Krieg, in dessen Verlauf R., ab 1632 zur Festung ausgebaut, zeitweise von ksl.en bzw. dänischen Truppen besetzt war, bevor es 1645 unter die Herrschaft Schwedens geriet, womit R. die Funktion als Residenz verlustig ging, bevor das Hochstift Verden im Westfälischen Frieden zum Herzogtum umgewandelt wurde. Das Amt R. (somit auch der Flecken R.) zählte zusammen mit dem Amt Neuhaus zum Donationsbesitz des schwedischen Feldherrn Hans Christoph von Königsmarck, der bis zu seinem Tod 1663 Gouverneur des an Schweden gefallenen Erzstiftes Bremen und des Hochstiftes Verden – nunmehr die gemeinsam verwalteten Herzogtümer Bremen und Verden – war. Die Herrschaft über R. ging anschließend an dessen zweitgeborenen Sohn Otto Wilhelm († 1688) über, der sich jedoch nur selten im Elbe-Weser-Raum aufhielt und die Besitztitel, darunter auch R., 1666 an den Königsmarck-Vertrauten und Beamten Dr. Eberhardt Graffe, geadelt Graffenthal, verpfändete. Der Sitz der Zentralbehörden der schwedischen Regierung des Elbe-Weser-Raums befand sich in Stade, R. wurde weiter zu einer Landesfestung ausgebaut. Nach kurzzeitiger Herrschaft der Dänen (1712–1715) fiel R. 1715 an das Kurfürstentum Hannover. Während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) wurde der Ort erneut befestigt, allerdings in geringerem Ausmaß. Schloss und Festung wurden danach dem Verfall preisgegeben, 1845 wurden sie eingeebnet.

Für das Spätmittelalter sind wenige hundert Bewohner anzunehmen. Mitte des 17. Jahrhunderts gab es rund 900 Einwohner, davon 130 Vollbürger. Mitte des 18. Jahrhunderts war die Bevölkerung auf ca. 700 Personen gesunken. Die soziale Zusammensetzung der Bewohnerschaft ist kaum erforscht. Neben den landwirtschaftlichen Berufsfeldern und Handwerksberufen dürfte es Dienstleister und weiteres Personal für den Unterhalt des Hofs und der höheren Geistlichkeit gegeben haben. 1481 sind die Gilde der Schuster, der Schmiede und der Handwerker überliefert. Für das späte 15. Jahrhundert ist auch ein Lehrer und somit eine Schule belegt. 1616 wurde eine Station auf der ksl.en Poststrecke Hamburg-Köln errichtet, was die infrastrukturelle Entwicklung des Ortes weiter befördert haben dürfte.

Bis in das 17. Jahrhundert waren die Bischöfe von Verden Stadtherren von R. Ihnen zur Seite standen Vögte, die juristische Aufgaben innehatten und die Besitztitel des Bf.s und des Domkapitels verwalteten. Erst unter der schwedischen Herrschaft wurde das Amt R., das zuvor kein geschlossenes Territorium gebildet hatte, neu strukturiert. Auch nach der Übernahme der Herzogtümer Bremen und Verden durch das Kurfürstentum Hannover 1715 blieb das Amt R. mit wenigen Unterbrechungen bis 1885 bestehen.

(3) Bereits vor Erwähnung des Weichbildrechts 1403 dürfte es eine Kirche in R. gegeben haben; eventuell wurde sie bereits um 1200 von Bischof Rudolf I. gestiftet und möglicherweise unter das Patronat der Hl. Margaretha gestellt. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Pfarrkirche mehrmals abgebrochen und an anderer Stelle wieder errichtet. 1465 ist eine Marienbruderschaft überliefert, zu deren Mitgliedern auch Vertreter verschiedener Handwerksberufe und Frauen zählten.

Für die Burg ist seit ihren Anfängen eine bischöfliche Eigenkirche anzunehmen, deren Patrozinium jedoch nicht bekannt ist. Bischof Johann III. ließ 1450 eine zusätzliche Burgkapelle errichten; auch im später erbauten Schloss lässt sich eine Kapelle nachweisen.

Über die frühe Rezeption Luthers in R. ist nichts bekannt, offiziell eingeführt wurde die Reformation im Bistum Verden und damit in R. erst 1567 durch Bischof Eberhard von Holle. In R. wurde eine Superintendentur eingerichtet, die bis 1658 existierte. Im Zuge der Neugliederung kirchlicher Verwaltungsstrukturen wurde 1659 eine Propstei geschaffen, die der Verdener Superintendentur untergeordnet war und bis 1826 bestand.

(4) Mit dem Bau der Burg R. wurde unter Bischof Rudolf I. von Verden († 1205) 1193/95 begonnen, mehrfache Aus- und Umbauten schlossen sich an. Nach einem Brand 1590 wurde sie unter Bischof Philipp Sigismund durch ein Schloss im Renaissancestil ersetzt. Unter seinem Pontifikat erlangte R. seine Blütephase als Residenzort, u. a. wurde ein Schlossgarten angelegt. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts dominierte die Burg bzw. das Schloss das Erscheinungsbild des Fleckens. Anschließend wurde es zu einer schwedischen Landesfestung ausgebaut, was grundlegende Einschnitte in die bestehende Topografie nach sich zog. Dabei wurde der Flecken, der bis dahin über zwei Brücken mit dem befestigten Schlossgelände verbunden war, in die Festungsanlage einbezogen. Große Teile des Fleckens wurden abgebrochen, auch die Pfarrkirche wurde verlegt, die sich seitdem an ihrem heutigen Standort befindet.

(5) In wirtschaftlicher Hinsicht hatte R. in Spätmittelalter und früher Neuzeit keine erkennbare überregionale Bedeutung gehabt, auch wenn der Ort Mittelpunkt der aus mehreren Vogteien bestehenden Herrschaft bzw. ab 1715 des Amts R. war. Den Weichbildrechten R.s wurde jedoch Mitte des 15. Jahrhunderts ein gewisser Vorbildcharakter zugeschrieben, 1450 wurden sie in angepasster Form auf den Flecken Visselhövede übertragen.

(6) Der Flecken R. zog im Spätmittelalter seine Bedeutung aus der Funktion als Residenz der Verdener Bischöfe Neben Verden, wo das Domkapitel residierte, bildete R. einen wesentlichen Teil der bfl.en Verwaltung und Repräsentation, auch wenn die Sakraltopographie ausgesprochen gering ausgeprägt war. Eine Blütephase stellte dabei die Anlage des Renaissanceschlosses unter Bischof Philipp Sigismund im späten 16. Jahrhundert dar. In politischer und rechtlicher Hinsicht blieb der Flecken stets unter dem Zugriff der Bischöfe Die Funktion als Residenz endete 1648 mit der Umwandlung des Bm.s Verden zum Herzogtum, das gemeinsam mit dem ebenfalls neuen Herzogtum Bremen durch die Schweden regiert wurde. Diese hatten bereits ab 1645 mit dem Umbau des fortifikatorisch nutzlosen Schlosses zur Festung begonnen, in die auch der Flecken einbezogen wurde.

(7) Die überlieferten Quellen finden sich im Niedersächsischen Landesarchiv – Standort Stade, hier die Bestände Rep. 2 (Hochstift Verden), Rep. 5a (Schwedisches Regierungsarchiv), Rep. 8 (Hochstift Verden, Akten), Rep. 94 (Domstrukturfonds Verden) und Rep 301/9 (Gräflich Königsmarck’sche Akten); ebenfalls Rep. 74 (Amt Rotenburg); daneben sind Quellen im Stadtarchiv Rotenburg (Wümme) ab dem 14. Jahrhundert, wenn auch fragmentarisch, überliefert. – Pratje, Johann Hinrich: Nachricht von dem Amte Rothenburg und den Kirchen daselbst, in: Altes und Neues aus den Herzogthuemern Bremen und Verden 6 (1773) S. 161–224.

Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, 5: Regierungsbezirk Stade, 1: Die Kreise Verden, Rotenburg und Zeven, bearb. von Heinrich Siebern, Georg Meyer und Christian Wallmann, Hannover 1908 (Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, 5,1), S. 154–163. – Register der Rotenburger Marienbruderschaft 1403–1567, nebst einem Anhang von Urkunden des genannten Zeitraumes, bearb. von Marie Tielemann, Rotenburg/Wümme 1964. – Urkundenbuch der Bischöfe und des Domkapitels von Verden, Bde. 1–3, bearb. von Arend Mindermann, Stade 2001–2012 (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden, 13, 21 und 39 / Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 205, 220 und 260).

(8)Heyken, Enno: Rotenburg. Kirche, Burg und Bürger, Rotenburg/Wümme 1966 (Rotenburger Schriften, Sonderheft 7). – Kohlrausch, Dietmar: 800 Jahre Rotenburg (Wümme). Von der bischöflichen Residenz zur modernen Kreisstadt, Rotenburg/Wümme 1994. – Tscherpel, Gudrun: Art. „Rotenburg an der Wümme“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 496–498. – Kammann, Christian: Renaissancegärten in Bremen-Verden, Stade 2012 (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden, 38), S. 276–315. – Fiedler, Beate-Christine: Art. „Rotenburg (Wümme)“, in: Historische Stadtansichten aus Niedersachsen und Bremen 1450–1850, hg. von Klaus Niehr, Göttingen 2014 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 268), S. 272 f. – Fiedler, Beate-Christine: Die Königsmarcks in Rotenburg, in: Rotenburger Schriften 94 (2014) S. 9–41. – Jarecki, Walter: Bischof Philipp Sigismund und sein Hof in Rotenburg, in: Rotenburger Schriften 94 (2014) S. 105–127. – Vogtherr, Thomas: Bremervörde und Rotenburg – zwei mittelalterliche geistliche Residenzen im Vergleich, in: Stader Jahrbuch 105 (2015) S. 217–233.

Jörg Voigt