Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Pilten (Piltene)

Pilten (Piltene)

(1) Im westlichen Teil Lettlands, auf halbem Weg zwischen Goldingen (lett. Kuldīga) und Windau (Ventspils), befand sich am rechten Ufer des Flusses Venta (dt. Windau), welcher ca. 20 km flussaufwärts in die Ostsee mündet, die Burg P. (Piltene).

Die Burg P. war die Hauptresidenz des Bf.s von Kurland und somit auch das wichtigste Verwaltungszentrum des zweitkleinsten Bm.s Livlands. Das Bistum entstand zwar in den 1230er Jahren, doch der Bischof verließ aufgrund militärischer Auseinandersetzungen in der Region kurz nach seiner Einsetzung sein Bistum Erst mit der Einsetzung eines neuen Bf.s 1290 etablierte sich das Bistum Kurland. Die Burg P. wird urkundlich erst 1309 genannt, als der Bischof die gesamte Burg gegen ein Entgelt und Militärschutz gegen die Litauer für die nächsten 30 Jahre dem livländischen Zweig des Deutschen Ordens überließ. Faktisch war das militärisch schwache und machtpolitisch gespaltene Bistum Kurland während seiner gesamten Existenz vom Ordensmeister abhängig, der sogar die Einsetzung des Bf.s und die Zusammensetzung des Domkapitels bestimmte. Residenzfunktion ist P. erst ab dem Ende der 1330er Jahre zuzusprechen. Seit dieser Zeit vollzog der kurländische Bischof zu Pilten rechtliche bzw. herrschaftliche Handlungen. 1431 wird die P.er Burg als majorum castrum des Bf.s ewähnt, was die Funktion als Hauptresidenz nahelegt. Das Archiv und die Bibliothek der Bischöfe sollen sich hier befunden haben. Auch hielt das Domkapitel hier seine Sitzungen ab, obwohl dessen Sitz in der Bf.sburg in Hasenpoth (lett. Aizpute) lag, 70 km nördlich von P. Zudem wurden in P. die Manntage der bfl.en Vasallität abgehalten. 1560, während des Livländischen Krieges, wurde das Bistum Kurland an Dänemark verkauft, dessen König Friedrich II. es seinem Bruder, dem holsteinischen Titular-Hzg. Magnus (1540–1583), zur Verwaltung überließ. Mit dessen Tod 1583 verlor P. seine Residenzfunktion. 1617 hörte das mittlerweile säkularisierte Bistum Kurland zu existieren auf, indem es als ein autonomes Gebiet (Kreis P.) in dem Unionsstaat Polen-Litauen einging.

Die Lage der Stadt P., welche sowohl stadt, fleck als auch wieckbilde genannt wurde und von der Burg durch einem Graben getrennt war, ist nicht mehr genau bestimmbar. Heute finden sich an dem vermuteten Ort ein Feld, auf die Burg weisen lediglich einige Ruinenfragmente hin.

(2) Die um die Bf.sburg entstandene Siedlung bildete offenbar in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts urbane Strukturen aus. 1349 wird P. erstmals als Stadt bezeichnet, ob der Ort auch wirklich zu dieser Zeit Stadtrecht hatte, ist nicht geklärt. Sie hatte eine Fläche von etwa zwei Hektar und befand sich südlich der Burg. Ob es eine gemeinsame, Burg und Stadt umfassende Mauer gab wie in anderen livländischen Orten, ist nicht belegt, wie überhaupt der Verlauf der Mauer und der Straßenzüge nicht mehr nachzuzeichnen ist. Für 1587 werden in P. und Hasenpoth zusammen ungefähr 80 burger an Deutzschen und Halbdeutzschen erwähnt.

Ratsherren und Bürgermeister sind in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachweisbar. Die Zusammensetzung des Rates, seine Funktionen und die Aufgabenverteilung auf die einzelnen Ratsmitglieder verbleiben unklar. Für das 16. Jahrhundert sind weitere Amtsträger nachweisbar. 1557 bestätigte Bischof Johannes IV. von Kurland das rigische Recht und ordnete die jährliche Rechenschaftsablegung durch die Vorsteher der Pfarrkirche vor dem Richtvogt an, dem Vertreter des Bf.s, der für die Rechtsprechung im ganzen Bistum zuständig war; die Vorsteher der Pfarrkirche sollten durch den Richtvogt im Konsens mit dem Pastor eingesetzt werden. Der Richtvogt, dessen Amt wohl im 16. Jahrhundert entstand, wurde für drei Jahre eingesetzt. Brüche und Gerichtsgefälle wurden zur Hälfte an die Gemeinde, zu einem Viertel an den Kämmerer, der als Vertreter des Bf.s zu Gericht saß, und zum letzten Viertel an den Stadtvogt als Vertreter des Stadtherrn verteilt. Der Bischof behielt die höchste Gerichtsbarkeit und geistliche Jurisdiktion.

Die städtischen Grundstücke, welche mit Gärten, Feldern, Wiesen und in der Stadtmark befindlichen Wäldern verbunden werden konnten, wurden nicht nur Bürgern, sondern auch verschiedenen weltlichen bfl.en Amtsträgern verliehen, u. a. dem Stadtvogt, aber auch dem bfl.en Marschall, dem Verwalter der Burg Neuhausen (auch Walteten, lett. Valtaik¸i), Vasallen und Handwerkern (Steinmetze) – zu denken der Burg P. – übertragen. Auch einer Gilde war 1561 ein Haus verliehen worden, doch lässt sich über diese nichts weiter aussagen. Über die Aktivitäten P.er Kaufleute schweigen die Quellen.

(3) Anscheinend hat es bis zum 16. Jahrhundert keine Kirche gegeben, die Bürger waren auf die Nutzung der Burgkirche angewiesen, wie es eine Urkunde des Jahres 1468 nahelegt. Die Bf.skirche soll dem Hl. Silvester gewidmet gewesen sein und sich im Ostflügel der Burg befunden haben; die Ausstattung ist durch ein Inventar von 1585 belegt. Die Kirche diente den kurländischen Bf.en als Begräbnisstätte.

In der Burg war (wie in anderen 24 bisher nachgewiesenen livländischen Amtssitzen) ab dem 15. Jahrhundert die Bruderschaft der Schwarzhäupter ansässig. Sie wurden in den Quellen mitunter als stalbrodernn unnd diendernn thor P. bezeichnet. Es handelte sich um eine Genossenschaft der landesherrlichen deutschen Dienstleute auf der Burg, sowohl der hoch- als auch der niederrangigen. Die Schwarzhäupter unterschieden sich streng von den nichtdeutschen Dienern des Landesherrn, ebenso aber auch von den Vasallen und den städtischen Gesellschaften oder Gilden. Die Quellenlage erlaubt keine Aussage zur inneren Gliederung der Bruderschaft. Wie bei den anderen livländischen Schwarzhäuptern dürfte die Marienverehrung und karitative Tätigkeiten im Mittelpunkt gestanden haben. Der Hl. Mauritius war Schutzpatron der Gilde, er erscheint auch im Wappen (Mohrenkopf mit weißer Binde). Ob den Schwarzhäuptern die ab 1561 nachweisbare gildestuben gehörte und ob deren Vikarien von den 1500 in der Burgkirche fungierenden zwei Vikaren verwaltet wurden, muss offen bleiben.

Die Kirche, welche heutzutage neben der Burgruine steht, ist Ende des 16. Jahrhunderts außerhalb des Stadtgebiets und des Burggeländes als lutherische Kirche gebaut worden. Vermutlich handelt es sich um die erst ab 1557 in den schriftlichen Quellen belegte Stadtpfarrkirche. Reformatorische Tendenzen machten sich seit den 1560er Jahren, nach dem Zerfall der livländischen Konföderation, in der Gemeinde bemerkbar. Der erste lutherische Pastor ist ab 1562 nachweisbar. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist eine Schule belegt.

(4) Der Ort dürfte baulich von der Burg beherrscht worden sein; Hinweise über die bauliche Gestaltung und oder eine Abbildung der Stadt sind nicht zu finden. Bei der Burg dürfte es sich um eine Anlage des Konventstyps gehandelt haben. Sie hatte nach Ausweis von Fundamenten eine Größe von etwa 40 × 50 m und besaß im ausgebauten Zustand drei Flügel um einen Innenhof. Von der Südseite, d. h. von der Stadt, gelangte man durch eine Pforte in das Schloss. Südlich und östlich des Schlosses befand sich eine Vorburg, die von einer Mauer mit drei Türmen geschützt wurde. Westlich des Schlosses floss als natürliches Hindernis der Fluss Venta, während auf den anderen Seiten künstliche Gräben angelegt worden waren. Südlich der Burg bzw. des Schlosses lag die Stadt, die von einem in die Venta mündenden Bach, der Molenbeke, begrenzt war. Die Ausstattung der Burg (Wappen, Portraits, Glasfenster, Öfen u. a.) geben eine Urkunde von 1431 und ein Inventar von 1585 wieder.

(5) Ein 1582/83 angelegtes Verzeichnis der bäuerlichen Abgaben aus den zehn Ämtern des Stifts legt die Vermutung nahe, dass P. für die nähere Umgebung eine Marktfunktion erfüllte. Das Amt P. zählte zu dieser Zeit 118 Hauswirte und 302 Haken, d. h. steuerlich relevante (Klein-)Haushalte, hinzu kamen sog. Einfüßlinge, d. h. Bauern, die keinen Vollbauernhof nutzten, jedoch Abgaben und Frondiensten (wohl zu Fuß) zu leisten hatten.

Der Bischof von Kurland besaß um die Mitte des 16. Jahrhunderts Steinbrüche auf Ösel (zum Bistum Ösel-Wiek gehörend), von wo Baustoffe zum Ausbau des P.er Schlosses gewonnen. Hiervon profitierte wahrscheinlich auch die Stadt, der in P. wohnende Steinmetz war sicherlich auch auf der Burg tätig. 1448 hielt sich der Bischof von Ösel-Wiek in P. auf.

Enge Beziehungen unterhielten die kurländischen Bischöfe zu dem dem Deutschen Orden unterstellten Bistum Ermland in Preußen. Dagegen waren die Beziehungen zum Erzbischof von Riga und dem dortigen Domkapitel angespannt. Ob und inwieweit die Stadt von den politischen Beziehungen des Bf.s profitierte oder unter ihnen litt, muss offen bleiben.

(6) Als Stadt war P. nur von geringer Bedeutung und stand hinter anderen Städten Livlands zurück. Erst durch die Errichtung der Burg und die Einrichtung der Hauptresidenz des Bf.s gewann P. an Bedeutung für das Bistum Kurland. In wirtschaftlicher Hinsicht wirkte sich dieses nicht aus, die überregionale Bedeutung blieb klein. Formal zwar Stadt, blieb P. politisch und wirtschaftlich auf die Burg ausgerichtet. Die Ratsherren und der Bürgermeister besaßen keine große Macht und waren politisch völlig vom Bischof und dem Domkapitel abhängig. P. war von seiner Gründung in der ersten Hälfe des 14. Jahrhunderts bis zur Auflösung des Bm.s der Burg unterstellt und besaß eine nur theoretisch ausgeprägte Autonomie.

(7) Ungedruckte Quellen zur Geschichte Piltens liegen ganz überwiegend im Staatlichen Historischen Archiv Lettlands. Hinzuweisen ist dort unter anderem auf die Bestände 644 (Piltenes Landrātu kolēģija [Das Kollegium der Piltener Landräte]) und 652 (Piltenes pilsētas maģistrāts [Der Magistrat der Stadt Pilten]), wobei die genannten Bestände erst Urkunden aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert haben. Einige verstreute Urkunden sollen sich heutzutage auch in den Reichsarchiven in Stockholm, Kopenhagen, Berlin und Marburg befinden. – Schwartz, Johann Christoph: Vollständige Bibliothek kurländischer und piltenscher Staatsschriften, Mitau 1799.

Index corporis historico-diplomatici Livoniae, Esthoniae, Curoniae oder Kurzer Auszug aus derjenigen Urkunden-Sammlung, welche für die Geschichte und das alte Staatsrecht Liv-, Esth- und Kurlands … aus dem geheimen ehemaligen Deutsch-Ordens-Archiv zu Königsberg … zusammengebracht worden ist (Vol.1–2), hg. von Carl Eduard Napiersky, Riga/Dorpat 1833–1835. – Liv-, Est- und Kurländisches Urkundenbuch, I, Bde. 1–12 (1853–1910); II, Bde. 1–3 (1900–1914). – Livländische Güterurkunden, Bd. 1 (1908). – Ein Verzeichnis der bauerlichen Abgaben im Stift Kurland 1582/83, bearb. von Leonid Arbusow, Riga 1924 (Latvijas Universitātes Raksti, 10), S. 163–286. – Herzog Albrecht von Preußen und Livland, Bd. 3 (2002). – Kurländische Güterurkunden (1230–1561), Datenbank des Herder-Instituts in Marburg, zugänglich über http://www.herder-institut.de/bestaende-digitale-angebote/datenbanken/kurlaendische-gueterurkunden.html.

(8)Manteuffel, Gustav: Piltyń i archiwum Piltyńskie, Warszawa 1884. – Schmid, Bernhard: Die Burgen des deutschen Ritterordens in Kurland, in: Zeitschrift für Bauwesen 71 (1921) S. 199–238. – Mugurēvičs, Ēvalds: Bīskapa Piltenes pils un tās arheoloģiskā izpēte, in: Materiāli par arheologu un etnogrāfu 1976. gada ekspedīciju darba rezultātiem, Rīga 1977, S. 51–55. – Mugurēvičs, Ēvalds: Slīteres- Piltenes ekspedīcija 1977. gadā, in: Materiāli par arheologu un etnogrāfu 1977. gada ekspedīciju darba rezultātiem, Rīga 1978, S. 57–59. – Lūsēns, Mārtin‚š: Arheloģiskie izrakumi Piltenes pilsdrupās, Ventspilī un Aizputē, in: Zinātniskās atskaites sesijas materiāli par arheologu 1990. un 1991. gada pētījumu rezultātiem, Rīga 1992, S. 66–72. – Dopkewitsch, Helen: Die Burgsuchung in Kurland und Livland vom 13.–16. Jahrhundert, Rīga 1933 (Mitteilungen aus der livländischen Geschichte, 25), S. 1–108. – Mugurēvičs, Ēvalds: Burg Pilten (Kurland) im 14.–16. Jahrhundert, in: Archäologie des Mittelalters und Bauforschung im Hanseraum. Eine Festschrift für Günter P. Fehring, hg. von Manfred Gläser, Rostock 1993 (Schriften des Kulturhistorischen Museums in Rostock, 1), S. 149–154. – Mugurēvičs, Ēvalds: Piltenes pils 14.–16. gs. un arheoloģiskās liecības par tās tiltu (Burg Pilten im 14.–16. Jahrhundert und archäologische Zeugnisse von ihrer Brücke), in: Pētījumi par Kurzemes un Zemgales pilīm, hg. von Ieva Ose, Rīga 2005, S. 164–184. – Ose, Ieva: Piltenes pils 16. gadsimta pirmās puses dekoratīvie akmenskalumi (Dekorative Steinmetzarbeiten der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus der Burg Pilten), in: Pētījumi par Kurzemes un Zemgales pilīm, hg. von Ieva Ose, Rīga 2005, S. 387–403.

Edgars Plētiens