Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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GIFHORN C.7.

I.

Gefhorne (1196-97); Gifhorne (1213); Ghyhorne (1394); Ghiffhorn (1485); Giffhorn (1675); G. (1791) - (es liegt keine brauchbare Deutung vor) - Burg/Schloß und Stadt - Hzm. Braunschweig-Lüneburg - Res. 1539. - D, Niedersachsen, Reg.bez. Braunschweig, Landkr. G.

II.

G., erstmals 1196/97 gen., 1269 als Pfarrort bezeugt und 1275 mit dem Marktrecht begabt, war eine Furtsiedlung (später Brückenort) im Mündungswinkel von Ise und Aller. Unter Hzg. Otto dem Strengen (1282-1330) kam es zum Neubau einer Steinburg am Cardenap und zur Befestigung des Fleckens, der 1332 oppidum, 1364 wicbelde gen. wurde. Letzterer Bezeichnung, die letzte Stufe vor der eigentl. Stadtbildung benennend, entspricht es, wenn G. 1370 und 1371 als Stadt gen. wird, aber im frühneuzeitl. Sprachgebrauch durchwegsals Städtlein erscheint. Das Amt G. wurde nach längerer Verpfändung ausgelöst und 1406 als Leibzucht der Hzg.in ausgegeben. Altarstiftungen des Fürstenhauses 1418 und 1427 in der Pfarrkirche, deren Patronat den Welfen gehörte, belegen die Herzogsnähe G.s.

Nachdem Franz, der jüngste, 1508 geborene Bruder Hzg. Ernsts des Bekenners 1536 nach → Celle zurückgekehrt war, erzwang er nach langwierigen Verhandlungen schließl. eine Abfindung mit dem Amt G., einem der wenigen nicht mit Schulden belasteten Ämter des Fsm.s. Zuvor mußte Hzg.in Sophie dieses Amt, das ihr 1528 bei ihrer Heirat mit Ernst als Leibzucht überschrieben worden war, auflassen. 1539 fand keine Landesteilung statt. Franz ließ sich von den Amtsuntertanen nicht huldigen, das cell. Hofgericht in Uelzen blieb auch für G. zuständig: »Residenzkultur« unter den Bedingungen einerAbteilung. Im Vergleich zu → Harburg erweist sich der Stilwandel innerhalb nur einer Generation. Hatte Otto I. an der Niederelbe v. a. aus spätma. Traditionen die domaniale Eigenwirtschaft weiterentwickelt und den Bürgern eine Schützenkette gestiftet, so wird sein Neffe ganz im Banne des neuen protestant. Fürstenenethos seine G.er Untertanen 1544 mit einer obrigkeitl. Satzung, mit einer Reformatio und Ordnung, beglücken.

III.

Eine hzgl. Burg, die durch eine bereits 1265 und 1269 erwähnte Vogtei G. erschlossen werden kann, ist erstmals 1296 bezeugt. Sie hatte die sehr alte hzgl. Cardenap-Mühle ebenso zu schützen wie die im 14. Jh. häufig bezeugte Zollstätte, die an der Handelsstraße von → Braunschweig nach → Lüneburg lag. Lehnregister des 14. Jh.s führen von diesem Schloß abhängige Burglehen auf. Heinrich der Mittlere soll 30 000 fl. für Ausbau und Neubefestigung des Schlosses ausgegeben haben, wie aus einer Schadensrechnung hervorgeht, welche die LüneburgerHzg.e nach der Hildesheimer Stiftsfehde aufmachten; denn in diesem Krieg war die Burganlage völlig zerstört worden. Der neue Schloßbau in G. - den Grdr. des Schlosses bildet ein unregelmäßiges Viereck - wurde 1526, der damals desolaten Finanzlage ungeachtet, von Hzg. Ernst dem Bekenner in Angriff genommen und war 1529 soweit gediehen, daß damals der Celler Hof auf der Flucht vor der Fieberseuche des Englischen Schweißes hierhin ausweichen konnte. Das Torhaus mit seiner ungewöhnl. halbkreisförmigen Dachkonstruktion muß aufgrund dendrochronolog. Untersuchungen 1526 bereits fertiggestellt wordensein. Der Ostflügel und Torhaus verbindende Treppenturm vermerkt über dem Eingangsportal die Jahreszahl 1568. Die Nachricht Merians, der Schloßbau wäre an anderer Stelle als der Vorgängerbau errichtet worden, eine Nachricht, die in der lokalgeschichtl. Forschung für erhebl. Irritationen gesorgt hat, ist, obwohl Merian Berichte der lüneburg. Ämter vorgelegen haben, zu verwerfen. Unter Berücksischtigung der anthropogenen Eingriffe in die Wasserläufe liegt das Schloß ideal für die Anlage einer ma. Amtsburg, wie sie der Vorgängerbau darstellte.

Angesichts der Finanznöte Ernsts des Bekenners in dem ersten Dezennium seiner Regierung ist bei dem von ihm angefangenen Schloß nur mit einem Provisorium zu rechnen. Erst nach der Abfindung Hzg. Franz' wurde 1539 durch den Celler Baumeister Michael Clare mit der Fertigstellung des Schlosses begonnen. Hans Clare und sein Sohn waren anerkannte Baumeister, deren Dienste auch von den Verwandten der Lüneburger Hzg.e, den Hzg.en von → Mecklenburg, gesucht wurden. Die als Grabstätte für Fs. und Fs.in vorgesehene Schloßkapelle (die in zwei Fensternischen des Chores die Holzstatuendes Herzogspaares aufwies) war 1547 vollendet. Von der Innenausstattung des Schlosses hat sich außer einigen Ofenkacheln (eine zeigt möglicherw. den Kopf Martin Luthers) kaum etwas erhalten. Die Schloßkapelle, über einer Kasematte aufgeführt und die anderen Gebäude überragend, gehörte zu den ersten für den evangel. Gottesdienst geschaffenen Sakralbauten, aber sie diente zugl. der höf. Ordnung, wie die zweigeschossige Emporenanlage mit ihrer Hierarchisierung von Fürstenfamilie und Hofstaat und ihrer Abgrenzung vom Gesinde und dem gemeinen Volk bezeugt. Die Befestigungsanlagen, für welche die1519 zerstörte Stadtpfarrkirche gänzl. abgebrochen werden mußte, waren inzw. soweit gediehen, daß im Schmalkaldischen Krieg der ksl. Oberst Christoph von Wrisberg eine Eroberung als unmögl. ansah. Hier erwies sich, daß Michael Clare auch Festungsbaumeister gewesen war (bis in das 18. Jh. hinein wurden die Festungsanlagen laufend verbessert). Zusätzl. zu dem bis zu 50 m breiten Wassergraben konnte die sumpfige Umgebung durch künstl. Überschwemmungen dem Schloß zusätzl. Sicherung geben; Hintergrund des oft zitierten Spruches, mit dem der schwed. General Banér 1639 auf eine Belagerungverzichtete: »Laßt die Ente schwimmen«.

Zwar weist das sog. »Kavalierhaus«, ein 1540 von Michael Clare errichtetes repräsentatives Gebäude, auf die Bedürfnisse der Hofhaltung hin, aber ein nennenswerter Ausbau der fsl. Hofhaltung und Verwaltung fand schon deswg. nicht statt, weil Hzg. Franz sich vielfach außer Landes aufhielt, zum Beispiel am Türkenfeldzug des Jahres 1542 teilnahm. Nur vom Winter 1542/43 bis Anfang 1546 und (nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes) seit dem Sommer 1547 bis zu seinem Tod am 23. Nov. 1549 weilte er in G. An der Spitze der Hofhaltung stand ein »Hauptmann« oder »Marschall«. EinKanzler wird erst 1547 gen. Ein 1550 angelegtes Inventar weist auf eine eher bescheidene Hofhaltung mit allerdings wohlbestellten Jagd- und Waffenkammern. Das Inventar wurde angelegt, weil im gleichen Jahr, nach dem Abfindungsvertrag mit Hzg.in Klara, der Wwe. Hzg. Franz, G. wieder an das Hzm. → Lüneburg fiel. 1575/76 kam es zu einem weiteren Ausbau durch Hzg. Wilhelm (sog. Kommandantenhaus).