Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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NEU-KYBURG

A. Neu-Kyburg

I.

Die Gf.en von (Neu-)K. gehen auf die Gf.en von K. zurück, die bis zu ihrem Aussterben 1264 zu den bedeutendsten Adelsfamilien des schweiz. Mittellands zählten. Hartmann IV. (d.Ä.) und Hartmann V. (d.J.) dehnten als Miterben der Zähringer ihre Herrschaft vom Rhein bis an die Saane, nach Freiburg im Üechtland, aus. Während Hartmann IV. 1264 kinderlos starb, hinterließ Hartmann V. bei seinem Tod 1263 eine Tochter, Anna. Das Erbe gelangte zu einem Großteil an Rudolf von Habsburg, dessen Mutter Heilwig die Schwester von Hartmann IV. war. Auf den Einfluß Rudolfs geht wohl die Heirat der Erbtochter Anna mit seinem Vetter Gf. Eberhard von Habsburg (→ Habsburg-Laufenburg) zurück, der damit einem Seitenzweig der Habsburger das K.ische Erbe in der Region Bern sicherte. Erst der Sohn Eberhards, Hartmann I., griff die mütterliche Herkunft auf und nannte sich ab dem ausgehenden 13. Jh. »Gf. von K.«, eine Bezeichnung, die von seinen Nachkommen beibehalten wurde. Gleichzeitig blieb das Wissen um die enge Verknüpfung mit dem Geschlecht der Habsburger bestehen. Die Bezeichnungen Neu-K. oder K.-Burgdorf sind neuzeitlich und dienen der Unterscheidung von der »alten« Gf.enfamilie.

II.

Die Geschichte der Gf.en von K. wird weitgehend vom Erbe der »alten« Gf.en von K. geprägt. Hartmann IV. und sein Neffe Hartmann V. scheinen sich die Verwaltung ihrer beträchtlichen Herrschaft um 1250 aufgeteilt zu haben. Trotz des Widerstands der Gf.en von Savoyen – die Frau Hartmanns IV. war Margarethe von Savoyen – gelangte der östliche Teil nach dem Aussterben der beiden Gf.en 1263/1264 an Rudolf von Habsburg, der westliche hingegen blieb mit den beiden Städten Thun und Burgdorf bei Anna und bildete so den Grundstock der neuen K.ischen Herrschaft, wobei Freiburg bereits 1273 an Rudolf von Habsburg kam. Dieser Grundstock stand allerdings von Anfang an in finanzieller wie struktureller Hinsicht auf schwachen Füßen, gleichzeitig bewegte sich die Dynastie im Umfeld des habsburgisch-savoyischen Gegensatzes, der zunehmend vom Konflikt zwischen Habsburg und der aufstrebenden Reichsstadt Bern abgelöst wurde. Dank Heiratsbeziehungen konnte zwar der Kernbesitz im Berner Oberland und im Emmental in Richtung Solothurn und Oberaargau erweitert werden, Burgdorf blieb jedoch das Zentrum einer weiterhin eher lockeren Herrschaft, die traditionelle Züge trug und im Laufe des 14. Jh.s immer stärker überschuldet war. Mit der habsburgischen Verleihung der Lgf.enwürde in »Burgund«, dem Gebiet rechts der Aare, erhielt Gf. Hartmann II. von K. 1313/14 einen prestigeträchtigen Titel, vermochte in diesem Raum aber seine Macht weder abzurunden noch zu verdichten. Hinweise auf eine Intensivierung oder Territorialisierung der Herrschaft fehlen, vielmehr häuften sich in der zweiten Hälfte des 14. Jh.s Verkäufe und Verpfändungen – innerhalb weniger Jahre mußten die Gf.en von K. ab 1380 ihre Herrschaft liquidieren, um 1400 waren sie praktisch Adlige ohne Land geworden. 1406 wurden die Gf.en Bürger von Bern und traten die Lgf.enwürde an die Reichsstadt ab, die damit in die Fußstapfen des Hochadels trat.

Die Hintergründe dieser dramatischen Entwicklung sind mit der schlechten Ausgangslage der gfl. Herrschaft, v.a. aber mit dem bernisch-habsburgischen Gegensatz in Verbindung zu bringen. Den eher sprunghaften, von Finanzierungsschwierigkeiten begleiteten Bemühungen Habsburgs um Einflußnahme im Aaregebiet stand ab 1300 die kontinuierliche, höchst erfolgreiche Politik Berns um den Aufbau eines städtischen Territoriums gegenüber. Als Verwandte der Habsburger und als direkte Nachbarn der Stadt standen die Gf.en von K. praktisch zwischen den Fronten. Sie verfolgten deshalb eine – kurzfristig durchaus glückliche – Haltung des Sowohl-als-auch und lehnten sich je nach Umständen einmal stärker an Bern, dann wieder an Habsburg an. Für beide Mächte standen mehr strategische als wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, lag doch das Gebiet der Gf.en von K. am Zugang zum Berner Oberland und im Oberaargau. Der finanziellen wie auch milit. Macht Berns hatte das ferne Habsburg langfristig wenig entgegenzusetzen; dazu paßt, daß die Gf.en von K. innerhalb der habsburgischen Landesverwaltung praktisch nie einflußreiche Ämter ausüben konnten. Mit ihrer von Naturalwirtschaft geprägten und immer stärker überschuldeten Herrschaft, die von den vielen Kleinkriegen in der Region Bern wiederholt in Mitleidenschaft gezogen wurde, mit den beiden Städten Thun und Burgdorf, die sich Schritt für Schritt dem gfl. Zugriff entzogen, und mit einer ritteradligen Gefolgschaft, die in wirtschaftlicher Hinsicht die Gf.en bald überholten, konnten sich die Gf.en von K. immer weniger dem Einfluß Berns entziehen. Bereits um 1300 im Burgrecht der Aarestadt, waren die Gf.en wie andere Hochadlige zunehmend vom städtischen Kredit abhängig; mit zahlr. Darlehen sicherte sich so Bern schließlich die Macht über Thun und Burgdorf, während der Oberaargau vorläufig an Habsburg kam. Den entscheidenden Endpunkt für die lavierende Politik bildete der Burgdorfer Krieg von 1382/83, als Gf. Rudolf von K. die Stadt Solothurn im Rahmen einer Fehde zu überfallen suchte. Eine Koalition städtischer, innerschweizerischer und savoyischer Truppen belagerte darauf Burgdorf und rang den Gf.en von K. einen Friedensvertrag ab, der die gfl. Macht entscheidend einschränkte. Der letzte Gf., Berchtold, lebte nach der Liquidation der Herrschaft in Bern; seine Spuren verlieren sich nach 1417.

III.

Mit der Übernahme des K.ischen Namens verwendeten die Gf.en von (Neu-)K. auch das Wappen der alten Gf.en, ein von einem goldenen Schrägbalken geteilter Schild mit zwei goldenen Löwen.

Zentrum und Res. der Herrschaft war Burgdorf, eine zähringische Gründung, die um 1200 als zentralen Ort von Bertold V. von Zähringen im Zuge des Ausgreifens in die Westschweiz errichtet wurde. Unter den älteren Gf.en von K. spielte Burgdorf eine wichtige Rolle, auch wenn das Schwergewicht weiterhin in der Ostschweiz lag. Ab den 1270er-Jahren diente die zähringische Burganlage den Gf.en von (Neu-)K. als Res. und bildete Burgdorf als Zentrum der K.ischen Herrschaft; in Thun, der anderen Burgstadt, waren die Gf.en hingegen nur selten anzutreffen. Die mächtige, pfalzähnliche Burganlage blieb über die Jh.e weitgehend erhalten und wurde von den jüngeren Gf.en von K. kaum tiefgreifender umgestaltet – mit ein Indiz für die beschränkten finanziellen Mittel des Geschlechts. Neben einzelnen gotischen Modernisierungen läßt sich der Res.charakter am ehesten in der St. Johanneskapelle im turmähnlichen Burgpalas fassen, die im frühen 14. Jh. eine qualitätsvolle Ausmalung im höfischen Stil erhielt. Die Grablege hingegen befand sich nicht in Burgdorf, sondern vermutlich in der Zisterzienserabtei Fraubrunnen, einer Gründung des älteren Gf.engeschlechtes.

Die Beziehungen zwischen Stadt und Stadtherr entwickelten sich unter den Gf.en von (Neu-)K. durchaus kontrovers. Auf der einen Seite nahm Burgdorf als Mittelpunkt der Herrschaft, als hochadlige Res. und als Sitz verschiedener ritteradliger Gefolgsleute der K.er innerhalb des gfl. Territoriums eine bes. Stellung ein, die durch die gezielte Anlegung der Gewerbesiedlung Holzbrunnen am Fuß des Burgfelsens unterstrichen wurde. Auf der anderen Seite emanzipierte sich die Stadt mit ihren höchstens 2000 Bewohnerinnen und Bewohner rasch von den Gf.en. Ab 1300 gewährten die Stadtherren Burgdorf immer großzügigere Privilegien wie Selbstverwaltungsrechte, mußten von einzelnen Bewohnern immer häufiger Kredite aufnehmen und traten im Laufe des 14. Jh.s dem städtischen Rat gegen Geld zunehmend Rechte und Einkünfte ab. Obwohl Res., entzog sich Burgdorf damit Schritt für Schritt der gfl. Herrschaft. Hier lebten zwar die Gf.en und ihre Gefolge, auch Kaufleute, spezielle Handwerker oder gar einzelne Juden, in fiskalischer Hinsicht profitierte der Stadtherr aber immer weniger von »seiner« Stadt, die ihre Freiheiten übrigens auch nach dem Verkauf 1383 an Bern weitgehend wahren konnte und als bernische Landschaft eine Sonderstellung einnahm, verbunden mit dem Aufbau eines eigenen kleinen Untertanengebietes.

IV.

Die Genealogie des fünf Generationen umfassenden Geschlechts ist recht gut dokumentiert; Geschichte und Verwandtschaftsbeziehungen lassen die Gf.enfamilie als Teil einer hochadligen Welt erscheinen, wie sie für diese Region des schweiz. Mittellandes charakteristisch ist. Im Vordergrund steht dabei die (verwandtschaftliche) Nähe zu Habsburg, die aber den Gf.en politisch keine Vorteile brachte, gleichzeitig fällt die Beschränkung der Herrschaft auf jeweils einen Sohn auf – die anderen männlichen Nachkommen hatten kirchliche Ämter zu übernehmen. Die Familiengeschichte gliedert sich in zwei Perioden, mit dem Jahr 1322 als Schnittstelle. Im Herbst 1322 soll Lgf. Hartmann von K. von seinem Bruder Eberhard, Propst von Amsoldingen, ermordet worden sein – ein allerdings nur chronikalisch überliefertes Ereignis. Der Großvater der beiden Gf.en, Eberhart von → Habsburg-Laufenburg, hatte mit der Heirat mit Anna von K. 1273 das Haus K. neu begründet, starb allerdings schon früh, wie auch sein einziger Sohn Hartmann I., der mit der Gf.in Elisabeth von Freiburg verh. war. Seine beiden Söhne Hartmann II. und Eberhart II. lehnten sich 1313 einerseits bei Habsburg an, suchten aber gleichzeitig Rückendeckung bei Bern. Obwohl Propst, nahm Eberhard durchaus weltliche Rechte der Familie wahr. Im Vordergrund stand jedoch sein Bruder Hartmann II., der mit der Übernahme von Verwaltungsaufgaben innerhalb der habsburgischen Landesherrschaft und der Ehe mit Margarethe von → Neuenburg einer vielversprechenden Zukunft entgegenblickte, ehe seine Ermordung die Familiengeschichte in neue Bahnen lenkte.

Propst Eberhard trat sofort in die Fußstapfen des Bruders, näherte sich Bern und dem antihabsburgischen Kg. Ludwig an und verheiratete sich mit der Frfr. Anastasia von Signau. Von den elf belegten Kindern schlugen acht eine kirchliche Laufbahn ein, während Hartmann III. das zunehmend überschuldete Erbe seines Vaters übernahm. Verh. mit der Gf.in Anna von → Neuenburg- → Nidau, gelang ihm zwar die standesgemäße Verehelichung eines Teils seiner acht Kinder – Egon heiratete Johanna von → Rappoltstein, Verena den Gf.en Friedrich von Zollern, Margareta den Frh. Thüring von → Brandis –, seine lange Regierungszeit war jedoch überschattet von immer häufigeren Verkäufen und Verpfändungen, die das Ende der K.ischen Herrschaft einläuteten. Rudolf, Sohn von Hartmann und letzter Lgf., erhielt dank des Erbes der 1375 ausgestorbenen Gf.en von → Nidau eine Atempause; der von ihm verursachte Burgdorferkrieg führte aber ab 1383 zur endgültigen Liquidation der K.ischen Herrschaft. Mit seinem Onkel Berchtold verschwand die Familie 1417 aus den Quellen.

Quellen

Fontes Rerum Bernensium. Berns Geschichtsquellen bis 1390, 10 Bde., Bern 1883-1956. – Historisches Lexikon der Schweiz, Basel 2002-2009. – Dubler, Anne-Marie: Die Rechtsquellen der Stadt Burgdorf und ihrer Herrschaften und des Schultheißenamts Burgdorf, Aarau 1995 (Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, Abt. 2: Die Rechtsquellen des Kantons Bern, Tl. 2: Rechte der Landschaft, 9). – Thommen, Rudolf: Urkunden zur Schweizer Geschichte aus österreichischen Archiven, 5 Bde., Basel 1899-1935.

Baeriswyl, Armand: Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung im Mittelalter. Archäologische und historische Studien zum Wachstum der drei Zähringerstädte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau, Basel 2003 (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, 30). – Bichsel, Adolf: Graf Eberhard II. von Kyburg (1299-1357), Bern 1899. – Brun, Carl: Geschichte der Grafen von Kyburg bis 1264, Zürich 1913. – Dürr-Baumgartner, Marie H.: Der Ausgang der Herrschaft Kyburg, Zürich 1921. – Keller, Hans Gustav: Der Brudermord im Hause Kiburg, Bern 1939. – Merz, Walther: Grafen von Kiburg aus dem Hause Habsburg-Laufenburg, in: Genealogisches Handbuch zur Schweizer Geschichte, Bd. 1, Zürich 1900, S. 22-25. – Meyer, Bruno: Der Bruderstreit auf dem Schloß Thun, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 29 (1949) S. 449-493. – Niederhäuser, Peter: Im Schatten von Bern: die Grafen von Neu-Kiburg, in: Berns mutige Zeit. Das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt, hg. von Rainer C. Schwinges, Bern 2003, S. 122-132. – Türler, Heinrich: Das Ende der Grafen von Kiburg, in: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde 1 (1909) S. 272-287.