Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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BENTHEIM

C. Bentheim

I.

Das Gründungsjahr der auf einem den Res.ort B. sichtbar überragenden Sandsteinsokkel befindlichen Burg ist aufgrund fehlender Urk.n unbekannt. Als Ersterwähnung findet sich im Annalista Saxo die Bezeichnung Binitheim (1116). Das castrum Bintheim (1165) wird anläßlich einer Streitschlichtung zwischen dem Bf. von Utrecht und Gf. Florenz von B. erwähnt, die in einer Urk. Ks. Friedrichs I. beschrieben wird.

Die urkundliche Ersterwähnung der Anlage ist zugl. Zeugnis ihrer ersten Zerstörung infolge der Eroberung durch Lothar von Süpplingenburg. Offenbar erfolgte relativ rasch der Wiederaufbau der Anlage, die in der Folgezeit von Lothars Schwager Otto von → Salm-Rhieneck bzw. von seiner Wwe. Gertrud genutzt wurde. Nach einer für das Haus → Salm-Rhieneck verlustreichen Fehde zwischen deren Sohn Otto d.J. und dem Bf. von Utrecht (1146) wurde Burg B. bis 1190 dem Bm. Utrecht als Lehen aufgetragen. → Salm-Rhieneck erhielt die Burg zwar als Lehen zurück, einen Teil der Anlage nahm der Bf. jedoch für sich selber in Anspruch. Nach Aussterben der Gf.en von → Salm-Rhieneck im Mannesstamm 1148/49 (Ermordung Ottos d.J.) gelangte Burg B. über Gf.in Sophia von → Salm-Rhieneck in den Besitz der Gf.en von Holland, deren Nebenlinie sich fortan nach der Anlage benannte und diese in den Folgejahren als mächtige Höhenburg ausbaute.

Im Zuge des Achtzigjährigen Krieges (1566-1648) und des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) wurde die Burg in weiten Teilen zerstört. Trotz des Wiederaufbaus erlangte sie als Wehranlage keine Bedeutung mehr. Zu Verteidigungszwecken dienten fortan die Burgen Altena und → Nordhorn sowie die festen Häuser der Burgmänner. Burg B. wurde fortan nur noch als Verwaltungssitz, Gerichtsort und Gefängnis der Obergft. B. genutzt, während dies. Aufgaben von Burg Neuenhaus für die Niedergft. B. wahrgenommen wurden. Nach Belagerung und Teilzerstörung der Anlage während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) und Auflassung infolge Verwahrlosung blieb die ehem. Hauptres. bis zur Mitte des 19. Jh.s unbewohnbar. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s erfolgte der Wiederaufbau der Anlage, die von 1190 bis 1919 Res. der Gf.en von B. und der späteren Fs.en von B.- Steinfurt war.

II.

In der norddt. Tiefebene, kurz vor der ndl. Grenze, erhebt sich nordwestlich vom Teutoburger Wald ein langgestreckter Sandsteinrücken. B., 1929 zur Stadt erhoben, befindet sich am Südhang dieses Höhenrückens unterhalb der mächtigen Burganlage. Dem Res.ort wird in der Regionalliteratur eine Bedeutung als strategischer Knotenpunkt bereits seit der Antike zugewiesen. Mehrere Heereswege sollen sich der Überlieferung nach hier gekreuzt haben, so daß auch die Einrichtung eines römischen Heerlagers auf dem so gen. Bentener Kamp angenommen wird. Eine hiervon abzuleitende etymologische Herkunft B.s ist allerdings ebenso wenig nachzuweisen, wie eine mögliche Herleitung des Namens von dem germanischen Stamm der Tubanten, die u. a. in den Regionen Twente und B. siedelten. Auf eine Anwesenheit römischer Truppen verweist evt. der freistehende »Drususfelsen« nordwestlich der Hauptburg, der aufgrund seiner markanten Ausprägung im Volksmund auch »Teufelsohr« gen. wird. An der Stelle der Burganlage B. soll sich in vorchristlicher Zeit ein der heidnischen Göttin Tanfana gewidmetes Heiligtum befunden haben. Erste Missionierungen sollen in der Umgegend bereits von irischen Mönchen, die Christianisierung ein Jh. später unter Karl dem Großen durchgeführt worden sein. Mit einem in der Literatur gen., wohl im 11. Jh. am Heerwegekreuz am Pool aufgestellten Sandsteinkreuz ist vermutlich der auf der Burg B. befindliche »Herrgott von Bentheim« gemeint.

Der stark landwirtschaftlich geprägte Marktflecken und Res.ort B. wurde seit dem 13. bis Mitte des 18. Jh.s durch das wichtigste Exportgut der Gft. B., der als »Bentheimer Gold« bezeichnete Sandstein aus den Steinbrüchen von B. und Gildehaus, geprägt. Das Bergregal der Gf.en von B. implizierte auch das Abbaurecht von Sandstein; die Einkünfte aus dem Verkauf stellten die wichtigste Einnahmequelle des Hauses dar.

Auf Burg B. befindet sich der aus Sandstein gefertigte »Herrgott von Bentheim«, ein frühromanisches Steinkruzifix, das zugl. als eines der ältesten christlichen Zeugnisse der Region angesprochen werden kann. Abnehmer des Sandsteins, der bis heute als Baumaterial beliebt ist, waren hauptsächlich die Niederlande, Flandern, Ostfriesland und das Münsterland, vereinzelt wurde aber auch nach Skandinavien exportiert. Aus dem wichtigen Rohstoff wurde nicht nur die Burg B. erbaut, sondern auch lokale, regionale und überregionale Sakral- und Profanbauten wie z. B. das Kgl. Palais in Amsterdam, die Waage in Bremen oder das Rathaus in Emden. Zudem waren Architekten, Baumeister und Steinmetze als Fachleute für die Bearbeitung des Sandsteins über die Grenzen der Gft. B. hinaus gefragt.

An bedeutenden Handelsverbindungen zu Wasser und zu Lande gelegen, profitierte das Territorium von den damit zusammenhängenden Handelsbeziehungen, was sich z. B. in der Verwendung ndl. und ostfriesischer Verbrauchsgüter innerhalb der Gft. zeigt. Im MA unterhielt die Stadt → Schüttorf u. a. mit westfälischen und ndl. Städten Handelsbeziehungen.

Eine aus wirtschaftlichen Erwägungen der Gf.en von B. im 17. und 18. Jh. erfolgte Ansiedlung von Juden wurde von den Städten der Gft. mit Gegenwehr bedacht.

Aus den 1711 im B.er Wald entdeckten Schwefelquellen entwickelte sich der Kurbadebetrieb des späteren Bad. B.

III.

Die das heutige Bad B. überragende Befestigung liegt etwa 1,5 km nördlich vom Stadtzentrum entfernt auf einem Höhenrücken aus Sandstein. Die auffällig geformte Umgebung bietet noch heute zusammen mit der Anlage ein romantisches Landschaftsbild, das auch als beliebtes Bildmotiv diente. Seit dem 18. Jh. erfolgte der Ausbau der Burg B. als Schloßanlange, die jedoch im Siebenjährigen Krieg durch die mehrfache Belagerung und Einnahme durch frz. und englisches Militär starke Beschädigungen erlitt. Die weitgehend zerstörte und unbewohnbare Anlage konnte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s, diesmal größtenteils im zeittypisch historistischen Stil, wiederaufgebaut werden.

In früheren Jh.en war der Zugang zur Burg durch drei Torhäuser gesichert, von denen heute noch das untere und das obere Torhaus existieren. Von einem Vorplatz ausgehend führt der Weg durch die untere porte aus dem 13. Jh. und durch das Obertor hinauf zum oberen Burgareal. Auf der rechten Seite nach Durchgang des Obertors, dessen Fassade von dem bekannten ndl. Architekten Philipp Vingboons im 17. Jh. gestaltet wurde, befindet sich die aus dem 12. Jh. stammende Katharinenkirche (Burgkapelle). Ihre urkdl. Ersterwähnung erfolgte anläßlich der Altarstiftung Gf. Bernhards von B. (eyn Altar belegen up der Borch to Benthem in unser Capellen) i.J. 1415. Unter Gf. Arnold I. von B. wurde die Katharinenkirche 1544 für lutherische Gottesdienste umgestaltet bzw. in den nachfolgenden Jahrzehnten auch von der reformierten Schloßgemeinde genutzt. Ihre Säkularisierung erfolgte 1767.

Der Innenhof der Anlage wird durch die Bauwerke der Kronenburg, dem Marstall und dem viereckigen Pulverturm (Bergfried) geprägt. Der noch zum ältesten Baubestand der Anlage zählende, offenbar im 15. Jh. beschädigte Pulverturm wurde unter Gf. Everwin II. von B. (geb. 1461, gest. 1530) zu Beginn des 16. Jh.s renoviert. Für das MA wird dem markanten Turm eine Funktion als Verlies zugesprochen, später diente er als Pulvermagazin. Im sog. »Scharffen Höwel« des Haupthofes steht das aus Sandstein gefertigte frühromanische Steinkruzifx, das unter der Bezeichnung »Herrgott von Bentheim« auch über die Grenzen der Gft. B. hinaus Bekanntheit erlangte. Der im Südwesten gelegene zweigeschossige, aus dem 15. Jh. stammende Batterieturm, auch Rund- oder Flankierungsturm gen., besaß eine milit.-defensorische Funktion. Im Nordwesten der Hauptburg befindet sich das Brunnenhäuschen mit einem durch den Schloßberg bzw. durch den gesamten Felsen gehenden Brunnen. Ein nicht mehr vorhandenes Gebäude auf der Südseite der Hauptburg diente als Kanzlei.

Bei dem ursprgl. gotischen Palas, der Kronenburg, die nach ihren aus Sandstein gehauenen kronenartigen Schornsteinaufsätzen benannt wurde, handelt es sich nach ihrem Wiederaufbau im 19. Jh. um ein im Stile des Historismus gestaltetes prägnantes Gebäude mit Funktionsräumen (Küche, Speisesaal, Bierkeller, Archiv, Bibliothek) sowie anliegendenVersorgungsbauten (Brau-, Back- und Milchhaus). Im Mittelbau der Kronenburg befanden sich die Frauengemächer sowie der Rittersaal im Erdgeschoß, der bis 1868 als Kapelle genutzt und im frühen 20. Jh. zu einem Bankettsaal ausgebaut wurde. Verschiedene Räumlichkeiten, die im 19. und beginnenden 20. Jh. im Stile der Neugotik umgestaltet worden sind, befinden sich ebenfalls in der Kronenburg. In der ältesten Beschreibung von Schloß B., 1728 verfaßt von dem reformierten Prediger Heinrich A. Rump, werden u. a. auch ein Küchengarten und ein Lustgarten im unteren Schloßbereich erwähnt.

Grabdenkmäler von Angehörigen des Hauses B. befinden sich in Wietmarschen (Stiftskirche), Frenswegen (Stiftskirche), → Schüttorf (Stadtkirche) und im Res.ort B. (Pfarrkirche). Vom 12. bis zum Ende des 14. Jh. war Wietmarschen die traditionelle Grablege der Gf.en von B.-Holland. Ausnahmen stellten die Bestattungen des letzten Regenten aus dem Hause B.-Holland, Bernhard (gest. 1421), seines designierten Nachfolgers Arnold von Götterswick (gest. 1403), Everwins III. von B. (gest. 1530), dem letzten Regenten aus dem Hause Götterswick, sowie des zum Katholizismus konvertierten Ernst Wilhelm von B.-B. (gest. 1693) dar, die alle in Frenswegen beigesetzt wurden. Nach der Erbvereinigung B.s und Steinfurts 1420 wählten die Gf.en von B. das Erbbegräbnis der Edelherren von → Steinfurt als Grablege. Mit dem Wechsel zur protestantischen Konfession (1544) wurde bis zum Beginn des 17. Jh.s die evangelische Pfarrkirche in B. zum Bestattungsort. Nach der Erbteilung von 1606/09 wählten auch die drei neugegründeten Zweige des Hauses ihre Grablegen im jeweiligen Herrschaftsbereich (Gft. → Limburg: Stiftskirche Elsey im Res.ort → Limburg, Gft. → Steinfurt: Pfarrkirche Steinfurt, Gft. → Tecklenburg: Pfarrkirchen → Rheda und Tecklenburg).

Für den gesamten Bereich der Gft. B. sind vier weitere Burgen bezeugt (Altena bei → Schüttorf, → Grasdorf, → Dinkelrode und → Nordhorn), die für die Gf.en von B. unterschiedliche Funktionen einnahmen.

Bad Bentheim. Aspekte einer Stadtgeschichte, hg. von der VHS des Ldkr. Grafschaft Bentheim, Bad Bentheim 1996 (Das Bentheimer Land, 138). – Bentheim-Steinfurt, Oskar Prinz zu: Burg Bentheim. Seine Geschichte und seine Architektur, hg. von Fürst zu Bentheimischen Rentamt, 2. Aufl., Bad Bentheim o. J. – Köckeritz, Wolfgang: Burg Bentheim, München/Berlin 1978 (Grosse Baudenkmäler, 314). – Die Kunstdenkmale des Kreises Lingen und der Grafschaft Bentheim, bearb. von Arnold Nöldeke, Hannover 1919, ND Osnabrück 1978 (Kunstdenkmälerinventare Niedersachsens, 41). – Maschmeyer, Dietrich: Steingewordene Geschichte. Das gebaute Schüttorf. Eine Geschichte des Schüttorfer Stadtbildes in Einzelbildern, in: 700 Jahre Stadtrechte Schüttorf 1295-1995, hg. von der Stadt Schüttorf, Bad Bentheim 1995 (Das Bentheimer Land, 134). S. 89-165. – Piechorowski, Arno: Zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, in: Beiträge zur Geschichte der Juden in der Grafschaft Bentheim, hg. von Arno Piechorowski, Bad Bentheim 1982 (Das Bentheimer Land, 101), S. 9-53. – Veddeler, Peter: Die territoriale Entwicklung der Grafschaft Bentheim bis zum Ende des Mittelalters, Göttingen 1970 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsen, 25). – Visch, Wessel Friedrich: Geschichte der Grafschaft Bentheim, 2. Aufl., Bad Bentheim 1986 [ND der Ausg. Zwolle 1820] (Das Bentheimer Land, 103). – Voort, Heinrich: Transportwege im deutsch-niederländischen Grenzgebiet dargestellt am Beispiel des Absatzes von Bentheimer Sandstein, in: Kaufmann, Kram und Karrenspur. Handel zwischen IJssel und Berkel, hg. von Jenny Sarrazin, Coesfeld 2001, S. 57-73. – Voort, Heinrich: 700 Jahre Stadtverfassung in Schüttorf, in: 700 Jahre Stadtrechte Schüttorf 1295-1995, hg. von der Stadt Schüttorf, Bad Bentheim 1995 (Das Bentheimer Land, 134), S. 9-87.