Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Totengedenken, Begräbnis und Begängnis

Trauerzüge

Bei einem fsl. Begängnis waren die Anwesenheit der einzelnen Stände der Herrschaft sowie verwandter und verbündeter Fs.en bzw. deren Fürstenbotschaften unerläßl. Der Stand des Verstorbenen wurde durch eine entspr. Symbolik und Zeremonien vermittelt, wenn z. B. die Wappen, Pferde, Turnierwaffen und Amtszeichen des Verstorbenen im Trauerzug mitgeführt wurden.

Dieser Trauerzug hatte allerdings wenig von einer geistl. Prozession – vielmehr standen Herrschaft, Herkunft und Gefolgschaft im Mittelpunkt dieses Aufzuges, wenn auch bei dieser Gelegenheit das sog. Heergewäte an die Kirche übergeben wurde. Dies bestand in der Regel aus einem wertvollen Pferd in voller Rüstung, dem Harnisch und den Waffen des verstorbenen Fs.en. Die Übergabe dieses im SpätMA als fsl. Herrschafts- und Standeszeichen zu verstehende Mortuarium an die Kirche spielte beim Begehen des Dreißigsten eine zentrale Rolle. Pferde und Herrschaftszeichen wurden um den Altar geführt und damit zumindest symbol. der Kirche geopfert, um diese anschl. mit Geld wieder freizukaufen.

Die Übergabe dieses Erbteils an die Kirche, der mit Ablauf der Frist von dreißig Tagen fällig war, fand auf diese Weise seine symbol. Ausgestaltung. Hierdurch wurde der Dreißigste mehr noch als die Bestattung der Gebeine zur eigentl. Trauerfeier für einen verstorbenen Fs.en. Da es sich um das ursprgl. Heergewäte handelte, wurde diese Art von Trauerzug und meist rein symbol. Übergabe von Pferden an die Kirche vermutl. nur für verstorbene Fs.en, nicht aber für Fs.innen veranstaltet. Das Pendant zum Heergewäte als Erbteil eines Mannes, über das er frei verfügen konnte, war bei der Frau die Gerade. Daß auch Bestandteile der Gerade auf eine entspr. Weise bei dem Begängnis für eine Fs.in mitgeführt und am Altar geopfert wurden und daß es dementsprechende Begängnisbeschreibungen gibt, ist der Verf.in nicht bekannt.

Auf dem Begängnis für Gf. Ulrich von Württemberg i. J. 1480 wurde der gesellschaftl. Stand, den der Verstorbene innehatte, durch sieben Abordnungen von Pferden und Reitern repräsentiert, die wie zu einem Turnier gerüstet waren, und nicht zuletzt durch die mitgeführten Waffen, welche an die Kirche geopfert wurden. Bei diesem Trauerzug kam die Bedeutung des Turniers in der ma. adeligen Welt zum Ausdruck. Das Turnier war ein geeignetes Mittel, die ritterl. und christl. Ethik der adeligen Gesellschaft zur Selbstvergewisserung und Selbstdarstellung »aufzuführen«. Das Mitführen und Verwenden von Turnierrequisiten auf Begängnisfeiern belegt die überaus große Signifikanz, die das Turnier für das Selbstverständnis des Adels hatte. Das von Gf. Ulrich von Württemberg i. J. 1436 veranlaßte Turnier gehörte zu den »Hauptturnieren« in Dtl. So nahmen die mitgeführten Turnierpferde und ein Zelter bezug auf seine höf., ritterl. Lebensweise und auf das von ihm selbst zu seinen Lebzeiten gepflegte Selbstverständnis. Repräsentiert wurde also v. a. der gesellschaftl. Stand des Verstorbenen, nicht aber Herrschaftsrechte und -ansprüche, wie dies bei einem späteren Begängnis, dem für Hzg. Albrecht von Sachsen, der Fall war:

Bei diesem 1501 abgehaltenen Begängnis repräsentierten zwölf jeweils gleich aufgebaute Abordnungen die einzelnen Herrschaftsgebiete des Verstorbenen und damit die Machttfülle, die er als einer der bedeutendsten Reichsfs.en seiner Zeit inne gehabt hatte: Zwei Edelleute trugen Kerzen, an denen Schild und Wappen des jeweiligen Territoriums hingen, darauf folgte ein graues Pferd, welches das Schild des Territoriums trug und von zwei Edelleuten geführt wurde, am Schluß schritt ein namentl. genannter Gf. oder Herr mit der Fahne des Landes. Neben diesem gingen wiederum zwei Edelleute, die jeder eine Kerze trugen, an der Schild und Helm des Landes hingen. Eine dreizehnte Abordnung repräsentierte die Regalien durch eine rote Fahne und ein rotes Schild. Die rote Blutfahne, welche die kgl. Rechte der Reichsfs.en symbolisierte, ist bereits für das Begängnis für den verstorbenen Hzg. Wilhelm von Thüringen i. J. 1483 bezeugt. Am Schluß direkt vor der Bahre wurden Hauptfahne und Hauptschild, die die Wappen aller Lande präsentierten, getragen. Turnierwaffen wie bei dem Begängnis für Gf. Ulrich von Württemberg wurden nicht mitgeführt. In diesem Fall stand folgl. die Herrschaftsrepräsentation, weniger die Standeszugehörigkeit im Vordergrund.

Nicht jeder Fs. erhielt ein Begängnis mit großem weltl. Prunk, was nicht zuletzt an den testamentar. Bestimmungen des Betreffenden liegen konnte, denen zufolge ganz ausdrückl. »hoffärtige« Unternehmen und »Gepränge« zu unterbleiben hatte. Dies bezog sich nicht nur auf den reich ausstaffierten Leichenzug und das Mitführen von Pferden; auch die Anwesenheit hoher weltl. Würdenträger und weibl. Gäste wurde von einem Fs.en zuweilen als überflüssig, ja möglicherweise sogar schädl. für sein Seelenheil gesehen. So bestimmte Kfs. Friedrich der Weise in seinem Testament von 1493, daß bei seinem Begängnis, welches im übrigen loblich und erlich, wie eynem churfursten gezimpt gehalten werden sollte, zwar viele reformierte Mönche und fromme Priester, die die Messe hielten, anwesend sein sollten. Auch die Anwesenheit von Armen war ausdrückl. erwünscht, damit diese mit Almosen begabt würden und dafür als Gegenleistung für die Seele bitten sollten. Die in vielen Fällen üblichen Fürstenbotschaften – d. h. Vertreter vom Hofe eingeladener Fs.en, die selbst nicht persönl. erschienen – lehnte der Kurfürst jedoch ausdrücklich ab; auch das pferd ziehen und anderes geprenge hatte zu unterbleiben (Th HStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv, Urk. Nr. 674). Derselben Ansicht war Gf. Eberhard im Bart von Württemberg in seinem Testament von 1492: Bei seinem Begängnis, das in dem von ihm fundierten Stift St. Peter stattfinden sollte, durfte nichts vorgenommen werden, das zu hoffart diene (HStA Stuttgart, A 602, Nr. 363). Dies entsprach den strengen Statuten und Klausurvorschriften des Stifts, denen zufolge der Zutritt sehr begrenzt war.

Eine mögl. Erklärung für diese unterschiedl. Auffassungen über das sog. Pferdeziehen könnte m. E. darin liegen, daß die Übergabe des Heergewätes an die Kirche einen sehr frommen Ursprung hatte, dem zufolge sich der verstorbene Schenkgeber als »miles christianus« sah. Kfs. Friedrich scheint hierin allerdings nur noch ein verweltlichtes Ritual gesehen zu haben, bei dem weniger christl. Demut des Fs.en gegenüber der Kirche als vielmehr die Demonstration der eigenen Herrschaftsmacht und des fsl. Ranges im Vordergrund stand. Daß eben dies tatsächl. häufiger der Fall war, bezeugen die oben besprochenen Trauerzüge für den Gf.en Ulrich von Württemberg und für den Hzg. Albrecht von Sachsen.

Der Stand einer Fs.in wurde ebenfalls durch Wappen als Herkunftszeichen und teuren Stoffen über der Bahre sowie einer gewissen Anzahl von Kerzen vor Augen geführt. So sollte die Scheinbahre beim Begängnis für die verstorbene Hzg.in Barbara von Sachsen († 15.02.1534) mit einem weißen Tuch und einem schwarzen lundisch Tuch belegt sein, darüber sollte schwarzer Samt mit ein kreutz von guldennem stuck kommen. An den drei Pfund schweren Kerzen bei der Bahre waren wy gewonlich die Familienwappen zu befestigen (HStA Dresden, Loc. 4381/12, Bl. 59a, 61a). Die Praxis des Befestigens von Wappen an den Kerzen wurde u. a. schon beim Begängnis für Hzg. Albrecht von Sachsen geübt (siehe oben), so daß es sich hierbei um ein in diesem Fürstenhaus übliche Vorgehen handeln mußte.

Bei den fsl. Begängnisfeiern müssen die in der Mitte der Kirche aufgestellten Scheinbahren oder Trauergerüste bes. ins Auge gesprungen sein. Ursprgl. hatten sie eine rein liturg. Funktion und erhielten durch die Absolution als neues Element der Totenliturgie im 12. Jh. eine bes. Bedeutung: An ihnen wurde die Absolution erteilt, wenn der Leichnam des Verstorbenen bei der Trauerfeier nicht anwesend war (absente corpore). Die Scheinbahre stand also stellvertretend für den Toten, um die erforderl. liturg. Handlungen vollziehen zu können. In diesem Zusammenhang ist die Konservierung des Leichnams zu sehen: Die Scheinbahre ersetzte mit ihrer repräsentativen Funktion den Leichnam und verringerte damit die Notwendigkeit, diesen mit konservator. Methoden zu erhalten.

Ariès erklärt die Einführung von prachtvollen, mit kostbaren Tuchen bedeckten Scheinbahren und von Effigies bei Trauerfeiern damit, daß man Abscheu vor dem Toten empfand und diese schließl. auch auf den Sarg übertrug. Berücksichtigt man jedoch, daß diese aufwendigen Scheinbahren zumindest im dt. Reich erst beim Begängnis Verwendung fanden, so kann dies kaum der Grund gewesen sein, war doch der Leichnam bereits unter der Erde. Die wesentliche, profane Funktion der Scheinbahre bestand (neben der schon genannten liturg. Funktion) in der Auszeichnung des Toten und der Repräsentation seines gesellschaftl. Standes, den er zu Lebzeiten inne gehabt hatte, und nicht darin, einen bereits abwesenden Leichnam, der folgl. nicht mehr abstoßend sein konnte, zu »bemänteln«.

Der hohe Rang des Verstorbenen offenbarte sich bei der Scheinbahre v. a. in einer hohen Anzahl von Kerzen, kostbaren Bahrtüchern und -gewändern und nicht zuletzt durch das Anbringen von Wappen (d. h. Schild, Helm mit Helmzier und Helmdecken) und anderen Herrschafts- und Würdezeichen.

Quellen

Carl Friedrich von Moser, Kleine Schriften des Staats- und Völcker-Rechts, wie auch des Hof- und Canzley-Ceremoniels, Bd. 11, Frankfurt a. M. 1764. – Johann Ulrich Steinhofer, Neue Wirtembergische Chronik, Stuttgart u. a. 1744-1755. – Loose, Wilhelm: Das Begängnis des Herzogs Albrecht im Dom zu Meißen, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Meißen 5 (1895/96) S. 38-45.

Ariès, Philippe: Geschichte des Todes, 9. Aufl., München 1999. – Braun, Edmund W.: Art. »Castrum doloris«, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte III, 1954, Sp. 372-379. – Brix 1973. – Brückner, Wolfgang: Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies, Berlin 1966. – Brückner 1964/65. – Popelka, Liselotte: Trauergerüste. Bemerkungen zu einer ephemeren Architekturgattung, in: Römische Historische Mitteilungen 10 (1966/67) S. 184-199.