Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Herr allen Wissens: Künstler und Fachleute

Hofgelehrte

Wenn man die Vorstellung vom Hofgelehrten, von Alkuin am Hofe Karls des Großen und Michael Scotus am Hofe Friedrichs II. ausgehend, verallgemeinern wollte, käme man – bereits beim jetzigen Kenntnisstand – nicht sehr weit, denn die Präsenz am Hof ist bei Michael Scotus schon sehr fragl. geworden. Die Gelehrten, die in der Winterszeit am Hofe Karls in Aachen die berühmte Akademie bildeten, waren sämtl. Kleriker und lebten fraglos in klerikalen Gemeinschaften. Bei den Gelehrten um Friedrich war dies schon eher die Ausnahme. Diese Tendenz verstärkte sich, und in der frühen Neuzeit waren die Gelehrten an Höfen nur ausnahmsweise Kleriker. Der Mathematiker und Astronom Kopernikus, der am Hof des Bf.s von Ermland lebte, war eine solche Ausnahme. Der Bf. Watzenrode, der den früh verwaisten förderte und ihm in jungen Jahren die materielle Versorgung durch eine Domherrenpfründe verschaffte, war ein Bruder seiner Mutter. Die Schaffensfreiheit, die Kopernikus - neben Verwaltungsämtern im Bm. – genoß, war zwar durchaus typ. für den Hofgelehrten aber eigentl. würde man ihn nicht unter diese Kategorie zählen, weil er näml. der einzige in der Umgebung von Bf. Watzenrode war.

»Hofgelehrter« war kein Hofamt. Daher gab es weder festgelegte Pflichten noch bestimmte Erwartungen. Es ist schwer vorstellbar, wie die gewünschte Kreativität mit den Erfordernissen höf. Geselligkeit zu verbinden wäre, aber selbst wenn wir unser modernes Vorstellungsvermögen außer Acht lassen, müssen wir feststellen, daß es für Hofgelehrte weder Vorbilder noch Modelle gab. Ein Hofgelehrter wurde, wenn er überhaupt einen Titel erhielt, direkt vom Herrscher erwählt, er mußte dessen Vorstellungen entsprechen und ihn mit seinem Können und Wissen unterhalten. Relativ häufig waren diese Gelehrten Mathematiker und Astronomen – mit der Fähigkeit, die Sterne auch zu deuten -, seit der frühen Neuzeit in zunehmender Zahl auch Alchemisten, auch sie nicht selten als Sterndeuter erfahren. Auch die medizin. Verwendungen in der Astromedizin und der Jatrochemie waren für Fürstenhöfe von großem Interesse. Geolog., mineralog. oder biolog. Gelehrsamkeit stand nicht im Vordergrund. Auch die Fächer der höheren Fakultäten in den Universitäten qualifizierten nicht eigentl. zum Hofgelehrten, obwohl sie durchaus an den Höfen vertreten waren, denn selbstverständl. hatte man einen Hofgeistlichen, einen Leibarzt und jurist. Räte. Aber diese waren auf andere Weise in das Hofleben integriert. Der Hinweis auf die Verweildauer eines Gelehrten am Hofe hilft nicht wirkl. weiter, obwohl man durchaus unterscheiden muß zw. kurzfristigen Besuchern rsp. Einladungen, längeren Aufenthalten und langfristigen briefl. Kontakten. Aber seit im 16. Jh. Ehrentitel wie »Hofmathematiker«, »Hofkosmograph«, »Hofgeograph« und »Hofastronom« vergeben wurden, wird auch deutlich, daß die Begünstigten meistens nicht länger am Hof lebten. Der Titel war eine hohe Auszeichnung, die bspw. in Büchern und auf Landkarten dem Verfassernamen zugefügt wurde und vermutl. vertrauensbildend und verkaufsfördernd wirkte. Damit erhielt die Leistung des Geehrten Vorbildlichkeit.

Ein anderes Problem unserer Kenntnis von Hofgelehrten ist ein historiograph. Problem, das dadurch entstanden ist, daß die Geschichte der Naturwissenschaften überwiegend als Ideengeschichte betrieben worden ist, in der naturgemäß diejenigen die Hauptrolle gespielt haben, deren Werke zum Fortschritt der Wissenschaften beigetragen haben. Gelehrte wie Mercator, Kopernikus und Kepler spielten zwar in der Geschichte der Naturwissenschaften eine bedeutende Rolle, sie standen auch in mehr oder weniger engem Kontakt zu bedeutenden Höfen ihrer Zeit, aber einen gelehrten Kreis stellt man sich umfangr. vor. Die »multitudo« wurde nicht erforscht. Die Rolle der herausragenden Gelehrten und ihre Schicksale sind individuell so verschieden wie ihre Persönlichkeiten.

Wie oft Mercator seinen Jülicher Landesherrn getroffen hat, weiß man gar nicht, gewohnt und gearbeitet hat er jedenfalls, zusammen mit seiner großen Familie, seit 1552 in Duisburg. Bekannt ist dagegen, daß er Ks. Karl V. persönl. Instrumente überbracht hat. Ebenso seßhaft war Peter Apian seit seiner Ernennung 1526 zum Professor für Mathematik an der Universität Ingolstadt und Verheiratung mit der Tochter Katharina des Landshuter Ratsherrn Mosner. In Leisnig in Sachsen geboren, hat er in Leipzig und Wien studiert und in Landshut eine Druckerei eingerichtet, die er in Ingolstadt zusammen mit seinen Brüdern weiterführen durfte. 1532 bereiste er Sachsen, lehnte aber eine Berufung durch Hzg. Georg von Sachsen ab. Wie sich der Kontakt mit dem Hof Hzg. Wilhelms IV. gestaltete, ist im einzelnen nicht bekannt – sowenig wie bei seinem Sohn Philipp mit Hzg. Albrecht V. – aber nach der Überlieferung wurde Albrecht als Knabe zu Peter Apian geschickt, um dort zusammen mit dem etwas jüngeren Philipp in Mathematik und Astronomie unterrichtet zu werden. Die ungewöhnl. Situation, daß der Prinzenerzieher den Prinzen bei sich zu Hause empfängt, könnte dadurch bedingt sein, daß der Unterricht so, inmitten der einschlägigen astronom. Instrumente und Schriften, eindrucksvoller war. Die in dieser Zeit entstandene Freundschaft zw. Albrecht und Philipp war nicht ohne Folgen. Albrecht muß eine deutl. Disposition für die Naturwissenschaften mitgebracht haben. Er hat nicht nur Philipp persönl. lebenslang die Freundschaft bewahrt, auch als Philipp aus religiösen Gründen Bayern verlassen mußte. Er hat auch Jakob Sandner gefördert, der Stadtmodelle (jetzt im Bayer. Nationalmuseum) von den bayer. Verwaltungszentren (Rentämtern) anfertigte, die, nach bescheideneren Vorläufern in Augsburg und Nürnberg, zu den frühesten überhaupt bekannten Stadtmodellen gehören. Auch über die Art von Apians persönl. Kontakten zu Ks. Karl V. ist wenig bekannt – allerdings weiß man, daß Vater und Sohn im Heerlager des Ks.s vor Ingolstadt (1546) während des Schmalkaldischen Krieges willkommene Gesprächspartner waren. Nach der Dedikation des »Astronomicum Caesareum« (1540) hat Peter Apian sich mehrmals während eines Reichstages nach Regensburg begeben.

Die enge Verbindung Tilemann Stellas (1525-89) mit den Höfen in Schwerin (dort erhielt er den Titel »Grenzrat und Mathematicus«) und Zweibrücken, für die er sowohl als Kartograph als auch als Ingenieur im Wasserbau tätig war, hat eine den Höfen angemessene Arbeitstechnik bedingt: Stellas Karten sind als große Ölgemälde ausgeführt worden. Leider hatte er nicht – wie Philipp Apian – die Idee, die »Karten« auch als Drucke zu publizieren, so daß sie Unikate blieben und zwar nicht allesamt verloren aber in schlechtem Zustand und prakt. unbekannt sind.

Anders sah es am Hof Ks. Rudolphs II. aus, der seit 1583 seinen Regierungssitz ständig in Prag hatte. Dort hat er ein alchemist. Labor einrichten lassen und außer Künstlern auch Alchemisten, Mathematiker und Astronomen mit Sold (oder jedenfalls Versprechungen) fest an den Hof gebunden, wobei allerdings die Gelehrtengehälter nur einen Bruchteil der Vergütungen der Künstler erreichten. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Kreis der universell gebildete ksl. Leibarzt Taddeus Hajek (1525-1600) (Priesner/Figala), der den dän. Astronomen Tycho Brahe bereits 1576 bei Rudolphs Krönung in Regensburg kennengelernt hatte. Beide verband, daß sie 1572 die Supernova im Sternbild der Cassiopeia beobachtet und anschl. beschrieben hatten. Bei dieser Begegnung hatte Hajek Tycho die einzige bekannte Abschrift des Commentariolus von Kopernikus, von der die wenigen weiteren Exemplare abgeschrieben wurden, überreicht. Tycho kam nun allerdings eher aus Not an den Kaiserhof denn er hatte die dän. Unterstützung für seine Sternwarte Uraniborg verloren und danach längere Aufenthalte bei Heinrich Rantzau und am Kasseler Hof hinter sich, ehe die ksl. Einladung kam. Tycho war es, der die mathemat. Begabung des erst 29jährigen Kepler erkannte, der aus religiösen Gründen Graz verlassen mußte und eine Anstellung suchte. Tycho empfahl dem Ks., Kepler als seinen Gehilfen einzustellen. Tycho gab Kepler seine Beobachtungsdaten des Planeten Mars, aus denen Kepler die ellipt. Bahn berechnete, der erste Schritt zu den nach ihm benannten Planetengesetzen. Kepler wurde Tychos Nachfolger, allerdings nach erbittertem Widerstand von Tychos langjährigem Mitarbeiter Longomontanus und von Tychos Erben, die die übrigen Beobachtungsdaten nicht herausrücken wollten. Schicksal oder Zufall? Jedenfalls wenig zielstrebige Berufungspolitik. Sicher ist nur, daß hier herausragende Begabungen erkannt und aus einer Notlage gerettet wurden. Kepler war zeitweilig Professor für Mathematik an der damals nur eine Fakultät umfassenden Universität Prag. Diese Versorgungsmöglichkeit als Professor hatte der Ks. auch für den Mathematiker und Astronomen Nikolas Reimers Ursus gewählt, den er 1591 zum Hofmathematiker ernannt hatte.

Die Konstellation, daß näml. ein für den Hof interessanter Gelehrter durch eine Professur materiell abgesichert wurde, hatten wir bei Peter Apian auch, während der Historiker und Kartograph Johannes Aventinus (1477-1534) vergebl. eine feste Besoldung durch den Hof erhofft hatte. Im Hzm. Württemberg wurde Johannes Stöffler auf persönl. Wunsch von Hzg. Christoph i. J. 1511 zum Professor für Mathematik an der Universität Tübingen, also zu Füßen der hzgl. Burg, ernannt. Stöffler war nach dem Studium in Ingolstadt Pfarrer in seinem Heimatort Jungingen geworden und hatte sich mit Mathematik und Astronomie befaßt. Muß man ihn auch unter die Hofgelehrten zählen? Die fehlende Lebensgrundlage war andererseits ein großes Problem für den bedeutendsten dt. Mathematiker und Astronomen jener Zeit, Johannes Müller aus Königsberg (damals Sachsen, jetzt Unterfranken), gen. Regiomontan. Nach dem Studium in der sächs. Landesuniversität Leipzig und in Wien, begleitete er Kard. Bessarion nach Italien und lebte eine zeitlang an dessen Hof, ging dann an den Hof des ungar. Kg.s Matthias Corvinus. Warum er nicht wieder nach Wien zurückkehrte, könnte polit. Gründe gehabt haben, denn in den zahlreichen krieger. Auseinandersetzungen zw. Kg. Matthias und Ks. Friedrich III. war Matthias der Erfolgreichere. Regiomontan gründete in Nürnberg eine Druckerei, von der er aber offenbar nicht leben konnte, denn nach seinem frühen Tod in Rom (1476) erbte sein Geschäftspartner, der Drahtziehermeister Konrad Scherp, bei dem er Schulden hatte, die gesamte Hinterlassenschaft. Regiomontan hatte, anders als Stöffler, nicht die Möglichkeit gehabt, als Geistlicher ein Auskommen zu finden.

→ vgl. auch Abb.4

Csaky, Moric: Humanistische Gelehrte am Hofe des Königs Matthias Corvinus, in: Regiomontan-Studien, hg. von Günther Hamann, Wien 1980, S. 255-266. – Heupel, Wilhelm E.: Der sizilianische Großhof unter Kaiser Friedrich II, Stuttgart 1952. – Horsky, Zdenek: Die Wissenschaft am Hofe Rudolfs II. in Prag, in: Prag um 1600, 1988. – Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich II, Berlin 1927-1931. – Lindgren, Uta: Regiomontans Wahl. Nürnberg als Standort angewandter respektive praktischer Mathematik im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert, in: Symposionsbericht »Quasi Centrum Europae«, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseum 2002, S. 49-56. – Launert, Dieter: Nicolaus Reimers (Raimarus Ursus). Günstling Rantzaus – Brahes Feind. Leben und Werk, München 1999. – Oestmann, Günther: Heinrich Rantzau und die Astrologie, Braunschweig 2004. – Papay, Gyula: Ein berühmter Kartograph des 16. Jahrhunderts in Mecklenburg: Leben und Werk Tilemann Stellas (1525-1589), in: Rostocker Wissenschaftshistorische Manuskripte 12 (1985) S. 17-24. – Watelet, Marcel: De Rupelmonde à Louvain, in: Gérard Mercator Cosmographe – le temps et l'espace, hg. von Marcel Watelet, Antwerpen 1994, S. 73-91. – Watelet, Marcel: Réseaux de connaissances, in: Gérard Mercator Cosmographe – le temps et l'espace, hg. von Marcel Watelet, Antwerpen 1994, S. 107-117.