Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Architektonische Verzahnung von Stadt und Residenz

1200-1450

Auf Blatt 138v. berichtet die 1492 in Mainz erschienene Chronik der Sachsen zum Jahr 1172, daß Hzg. Heinrich der Löwe in Braunschweig die Stiftskirche St. Blasius und die Pfalz Dankwarderode mit dem Löwendenkmal neu errichtet, die neu gegründete Hagenstadt befestigt und dort die Katharinenkirche erbaut habe. Die bes. Konzentration des Itinerars des Welfenhzg. auf Burg und Stadt Braunschweig hebt sich selbst bei Berücksichtigung der unsicheren Grundlagen der Reisewegrekonstruktion deutl. von der Herrschaftspraxis der Fs.en seiner Zeit ab. Braunschweig repräsentiert einen eher untyp., weil verhältnismäßig frühen Sonderfall landesherrl. Residenzbildung.

Bemerkenswerte Entwicklungstendenzen hinsichtl. der Ausbildung von Herrschaftsmittelpunkten im urbanen Umfeld bieten sowohl landesherrl. Städte als auch Bischofsstädte. In dem 1255 durch die wittelsb. Erbteilung entstandenen Hzm. Niederbayern erlangte unter den im 14. und 15. Jh. bevorzugten Residenzorten Straubing, Burghausen und Landshut v. a. letztere, 1204 von Hzg. Ludwig I. gegründete Stadt eine herausragende Position. 1279 heißt es von Landshut, es sei das precipuum domicilium des Hzg. Den Abschluß der Gründungsphase bildeten die Errichtung einer Grablege in dem unmittelbar vor den Toren der Stadt gelegenen Zisterzienserinnenkl. Seligenthal 1232, sowie die Fertigstellung der Kapelle auf der Burg Traunsitz um 1230/35. Spätestens 1270 unterhielten die Hzg.e in Landshut eine Kanzlei. Teile der Hof- und Zentralverwaltung wurden im Spätma. von der Burg Trausnitz in die 1338 auf Initiative von Hzg. Heinrich XIV. um die Neustadt erweiterte Stadt verlegt. Die Topographie Landshuts wird bis heute im wesentl. durch landesherrl. Bauten geprägt (u. a. hzgl. Kornspeicher großer Kasten 1480; Kanzlei 1485). Als zeitweilige Absteigequartiere innerhalb der Stadt dienten den Hzg.en das 1409 erworbene, unter Hzg. Ludwig X. 1536-1543 zur Stadtres. ausgebaute Zollhaus sowie das spätma. Harnischhaus in der Ländgasse.

In München etablierte sich die Stadtherrschaft der wittelsbach. Hzg.e spätestens 1240/41. Stadterweiterungen zw. 1270 und 1330 vergrößerten die ummauerte Siedlungsfläche etwa um das Fünffache von 17 ha auf 90 ha. Um 1324 ließ Ks. Ludwig der Bayer in unmittelbarer Nachbarschaft der im späten 13. Jh. entstandenen Burg (Alter Hof) die neue Hofkirche St. Laurentius errichten, die von ihm zum Aufbewahrungsort der Reichskleinodien bestimmt wurde. Die zweite Pfarrkirche U.L. Frau in der Münchner Altstadt diente vom 14. bis zum 16. Jh. dem Hause Wittelsbach als Grablege. Bereits 1315 hatte Ludwig der Bayer im Rahmen einer ersten Stadtbauordung ein Bebauungsverbot für den Marienplatz erlassen, der u. a. repräsentativen Festveranstaltungen des Hofes und als städt. Turnierplatz diente. Die nach einer Erhebung der Bürgerschaft 1383 außerhalb der Stadtbefestigung gelegene Neu-Veste, die erst 1476 mit den städt. Befestigungsanlagen verbunden wurde, löste im 15. Jh. den Alten Hof als Repräsentationszentrum ab und bildete die Keimzelle der umfangr. frühneuzeitl. Residenzbauten.

In Köln scheiterten die im 12. und 13. Jh. deutl. erkennbaren Bemühungen der bfl. Stadtherrn um eine residenzartige Ausgestaltung des Dombezirks am Widerstand der städt. Bürgerschaft. Die Stadt Köln entzog sich nach der vernichtenden Niederlage des Ebf. Siegfried von Westerburg in der Schlacht bei Worringen 1288 fakt. vollständig dem Zugriff des Ebf.s und konnte ihren 1475 erlangten Status einer freien Reichsstadt bis 1794 wahren. Den Bedeutungsverlust der im wesentl. 1163 an der Südseite des Kölner Domhofs gelegenen ebfl. Pfalz im Spätma. dokumentieren die vor 1315 errichteten Speicherbauten und Wohnungen vor dem Sockelgeschoß der Hauptfassade. Nach 1333 diente die Pfalz als Sitz des Offizialgerichts. Der hinter einer zwölfbogigen Arkadenreihe befindl. Saal wurde 1383 dem ebfl. Siegler Hermann von Goch überlassen. Als Herrschaftsmittelpunkte erlangten im 14. Jh. die unweit der Kathedralstadt Köln gelegenen Landesburgen Lechenich, Brühl und Zons, die ihrerseits Mittelpunkte spätma. Stadtgründungen bildeten, herausragende Bedeutung. Die kurköln. Residenzburgen Godesburg und Poppelsdorf lagen in unmittelbarer Nähe der Stadt Bonn.

1450-1550

Im Reich entstehen in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s immer mehr ortsfeste Res.en in Städten. Mgf. Albrecht Achilles von Hohenzollern, seit 1470 Kfs. verfügte 1456 die Verlegung der Hofhaltung und der Verwaltung von der westl. von Nürnberg über dem gleichnamigen Marktflecken gelegenen Cadolzburg in das im 12. Jh. in Anlehnung an ein Kollegiatstift entstandene Ansbach. In der Stadt verfügten die Mgf.en über das um 1400 als Niederungsburg angelegte und 1522 erweiterte Schloß am östl. Stadtrand. Ende des 15. / Anf. des 16. Jh. erfolgten die Anlage der Neustadt und die Neubefestigung von Ansbach.

In Mainz konnte Ebf. Adolf II. von Nassau 1462 die seit dem HochMA greifbaren Auseinandersetzungen zw. den bfl. Stadtherren und der nach polit. Unabhängigkeit und Freiheit strebenden Bürgerschaft (1077 und 1159 Einnahme und 1273 endgültige Zerstörung der Mainzer Bischofspfalz) durch die gewaltsame Eroberung der Kathdralstadt für sich entscheiden. In zahlreichen konfiszierten Patrizierhöfen richteten sich der Ebf. und die mit ihm verbundenen Adelsgeschlechter ein. Adolfs Amtsnachfolger, Dieter von Isenburg, stattete die von ihm 1477 gegründete Universität ebenfalls mit enteigneten Stadthöfen der bürgerl. Mainzer Oberschicht aus. Am NW-Rand der Stadt entstand 1476-81 als Res. des bfl. Stadtherrn die mit einer eigenen Befestigungsanlage versehene Martinsburg.

In der Doppelstadt Berlin-Cölln manifestierte sich die landesherrl. Stadtherrschaft des Kfs.en Friedrich II. von Hohenzollern in dem Mitte des 15. Jh.s errichteten Neubau des Residenzschlosses an der Spree in städt. Randlage von Cölln gegenüber der Stadt Berlin. 1442 hatte der Kfs. die ihm in einer Auseinandersetzung unterlegene Stadt Cölln, gezwungen ihm den Bauplatz zu überlassen. Ungeachtet von Störmanövern der Bürgerschaft (»Berliner Unwille« 1448: Sturm auf die landesherrl. Kanzlei, das Hohe Haus und Flutung des Baugeländes) wurde der Bau des Residenzschlosses zügig vorangetrieben und gelangte 1451 zum Abschluß. Im Kfsm. Brandenburg wurde die in anderen Territorien noch anzutreffende Reiseherrschaft mit dem Wechsel von Haupt- und Nebenres. in der Folgezeit fast ganz aufgegeben. Die Schloßkirche wurde zum Kollegiat- und Domstift erhoben, 1454 bzw. 1465 mit päpstl. Privilegien ausgestattet und schließl. 1536 zur Grabstätte des kfs.en Hauses bestimmt. Auf der Freifläche zw. Kirche und Schloß entstand 1538 der Turnierplatz (Stechbahn). Ein der Stiftskirche benachbarter Befestigungsturm der ma. cölln. Stadtmauer diente 1516 der Unterbringung des kfsl. Kammergerichts, Glockenturm und beherbergte in seinen unteren Räumen Teile der fsl. Verwaltung.

Die architekton. Verzahnung von landesherrl. Res. und Stadt bildet den Gegenstand zahlreicher architekturtheoret. Schriften. So ist auch das 1527 als erstes deutschsprachiges Architekturbuch erschienene Werk Albrecht Dürers, Etlich vnderricht / zu befestigung der Stett / Schlosz / vnd flecken, weniger von einem spätma. bürgerl. als von einem frühabsolutist.-fsl. Verständnis von der Stadt geprägt. Im Zentrum der über quadrat. Grdr. errichteten, mit mächtigen Festungswerken umgebenen Idealstadt liegt das von den bürgerl. Wohnquartieren durch doppelte Mauer, Zwinger und Graben geschiedene Schloß. Funktional ist die Stadt auf den Hof des Fs.en ausgerichtet. Sie dient primär der Versorgung und Verteidigung der Res.

1550-1650

Kennzeichnend für die Entwicklung in nachma. Zeit sind das weitere Ausgreifen der fsl. Höfe und der mit ihnen verbundenen Verwaltungsinstitutionen auf den städt. Raum sowie dessen städtebaul. Orientierung auf das Residenzschloß als Zentrum einer der fsl. Repräsentation unterworfenen Gesamtanlage. Ein signifikantes Beispiel bietet die Stadt München, der nach nach der Wiedervereinigung von Nieder- und Oberbayern 1501 die Rolle der Haupt- und Residenzstadt des ganzen Hzm.s Bayern zufiel. Zentrum der umfangr. baul. Erweiterung der Res. der wittelbach. Hzg.e in der zweiten Hälfte des. 16. Jh.s ist die Neu-Veste, die von Albrecht V. um den 1568-71 errichteten Antiquariumstrakt stadteinwärts erweitert wird. An der Stelle von drei Bürgerhäusern entstand 1563-67 der Marstall mit einer Kunstkammer im zweiten Obergeschoß. Die Vierflügelanlage wird durch gedeckte Gänge mit dem Alten Hof und der Neu-Veste verbunden. Während der Bau des Antiquariums noch ohne Zerstörung von Bürgerhäusern auf dem freien Gelände des Burggrabens der Neu-Veste durchgeführt wurde, erforderte der großzügige Ausbau der Res. unter Hzg. Wilhelm V. und Kfs. Maximilian I. 1580-1612 den Ankauf zahlreicher Bürgerhäuser im NO der Stadt. Der Residenzerweiterung sowie anderen Großbauprojekten wie der Herzog-Max-Burg (1590 als Wohn- und Alterssitz Hzg. Wilhelms V. begonnen), der Michaelskirche mit Jesuitenkolleg fielen weit mehr als 100 Bürgerhäuser zum Opfer. Zählte die Stadt noch gegen Ende des 16. Jh.s ca. 1 200 Bürgerhäuser, so verminderte sich die Anzahl innerhalb des Mauerrings bis zu Beginn des 18. Jh.s auf 1 000 Anwesen.

Zahlreiche ehrgeizige Residenzbauprojekte des 16. Jh.s wurden infolge der desolaten Finanzlage der Territorien, dynast. Wechselfälle oder einer Schwerpunktverlagerung der Herrschaftsinteressen nur teilw. realisiert. Anschaul. Beispiele bieten Jülich und Düsseldorf. In den 1230er Jahren zur Stadt erhoben, übernahm Jülich im Laufe des 15. Jh.s einige zentrale Aufgaben im Hzm. Jülich (Sitz des Landdrosten, Tagungsort der Landstände). Der Ausbau zu einer modernen Festung wurde bereits 1538 durch einen Landtagsbeschluß gedeckt. Das 1547 nach einem vernichtenden Stadtbrand im Auftrag des Hzg. Wilhelm V. des Reichen von Jülich-Kleve-Berg durch den ital. Architekten Alessandro Pasqualini begonnene Großbauprojekt umfaßte die von einem bastionierten Festungsgürtel umgebene einheitl. innerstädt. Bebauung deren Kopf das inmitten einer Zitadelle gelegene vierflügelige Residenzschloß (palazzo in fortezza) bildete. Der Idealplan Pasqualinis wurde ab 1549 ledigl. in reduzierter Form verwirklicht. Im S des Stadtgebietes blieben Mauer und Graben der ma. Stadtbefestigung erhalten. Die Aufsiedlung der Freiflächen erfolgte ungeachtet einer Bauordnung von 1561 nur zögernd. Mit Ausnahme der Familie von Reuschenberg, die mit Unterstützung des Hzg. den sog. Settericher Hof errichtete, entstanden in der Stadt keine neuen Adelshöfe. Ab den 1570er Jahren weilte der Hzg. nur noch selten in Jülich, das neben Hambach, Düsseldorf und Bensberg zu den vier fsl. Hoflagern des 1521 durch die Vereinigung der Hzm.er Jülich-Berg und Kleve-Mark entstandenen Territorienkomplex im NW des Reiches zählte. Im letzten Viertel des 16. Jh.s avancierte schließl. das verkehrsgünstig am Rhein gelegene Düsseldorf (Stadterhebung 1288) zur Haupt- und Residenzstadt der vereinigten Hzm.er. Während der Regentschaft Hzg. Wilhelms V. war insbes. das Stadtquartier südl. der Stiftskirche St. Lambertus, in der der Hzg. seine letzte Ruhestätte fand, zu einer regelmäßigen Renaissanceanlage mit rechteckigem Marktplatz und geradlinigen Straßen umgestaltet worden. Zur Randbebauung des Marktes zählten das Kanzleigebäude (1558) sowie das benachbarte Rathaus (1567-73). Das Vorhaben in der 1540 begonnenen Zitadelle am südl. Stadtrand ein neues Schloß zu platzieren, wurde nicht realisiert. Stattdessen wurde die um 1380 entstandene Landesburg nach Plänen der Architekten Alessandro und Maximilian Pasqualini 1548-1559 zu einem Renaissanceschloß ausgebaut. Um 1570 geriet der Festungs- und Zitadellenbau ins Stocken und 1641 wurde schließl. das Areal der Zitadelle zur Bebauung durch die Bürgerschaft freigegeben.

→ vgl. auch Farbtafel 6, 7; Abb. 5

Quellen

Q. Hermann Bote, Chronecken der Sassen, Mainz 1492. – Albrecht Dürer, Etliche vnderricht / zu befestigung der Stett / Schlosz / vnd flecken, Nürnberg 1527. – Landshuter Urkundenbuch, bearb. von Theodor Herzog, 2 Bde., Landshut 1963.

L. Corsten, Severin: Die Residenzen des Herzogtums Jülich, in: Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. von Klaus Flink und Wilhelm Janssen, Kleve 1993 (Klever Archiv, 14), S. 97-117. – Friedhoff, Jens: Burg Lechenich im Kontext der spätmittelalterlichen Residenzentwicklung im Erzstift Köln, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 204 (2001) S. 125-155. – Kruft, Hanno-Walter: Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, München 1989. – Looz-Corswarem, Clemens von: Wo residierte der Fürst? Überlegungen zu den Aufenthaltsorten der Herzöge von Jülich-Berg bzw. Jülich-Kleve-Berg und ihres Hofes im 15. und 16. Jh., in: Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. von Klaus Flink und Wilhelm Janssen, Kleve 1993 (Klever Archiv, 14), S. 189-209. – Müller-Mertens, Eckhard: Zur Städtepolitik der ersten märkischen Hohenzollern und zum »Berliner Unwillen«, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 4 (1956) S. 525-546. – Schubert, Ernst: Der Hof Heinrichs des Löwen, in: Herzog Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235, Bd. 2, hg. von Jochen Luckhardt u. a., München 1995, S. 190-198. – Schütte 1994. – Schulz, Knut: Residenzstadt und Gesellschaft vom Hoch- zum Spätmittelalter, in: Territorium und Residenz am Niederrhein, hg. von Klaus Flink u. Wilhelm Janssen, Kleve 1993 (Klever Archiv, 14) S. 211-229. – Schumann, Günther: Residenzen der fränkischen Hohenzollern, in: BDLG 123 (1987) S. 67-82. – Störmer, Wilhelm: Die oberbayerischen Residenzen der Herzöge von Bayern unter besonderer Berücksichtigung von München, in: BDLG 123 (1987) S. 1-24. – Ziegler, Walter: Die niederbayerischen Residenzen im Spätmittelalter, in: BDLG 123 (1987) S. 25-50.