Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Medien

Spruch, Lied, Dichtung

Welche Rolle didakt. und polit. Lieder und Sprüche an den Höfen des 13. bis mittleren 17. Jh.s und für diese im Kreise der dort gebrauchten Medien spielten, ist heute allenfalls ansatzweise zu erkennen. Noch schwieriger ist die Frage zu beantworten, inwieweit die Höfe Lieder und Sprüche bewußt zur Erreichung bestimmter, v. a. polit. Ziele einsetzten. Von den literar. Genera her ist zunächst zw. dem seit dem späten 12. Jh. faßbaren, hinsichtl. seiner themat. Aussage einstrophigen (aber unter einem »Oberthema« zu Spruchketten zusammenschließbaren) Sangspruch, der Reimrede (paargereimt, gesprochen, seit dem 13. Jh.) und den früher als »Historisches Volkslied« bezeichneten Polit. Liedern und (Sprech-) Sprüchen zu unterscheiden. Auch wenn Belege dafür weitestgehend fehlen, so ist doch bis in die Neuzeit hinein mit dem regelmäßigen Vortrag didakt. und polit. Spruch- und Lieddichtung an den Höfen zu rechnen, und zwar im Verein mit dem hier nicht zu behandelnden Minnesang (zu letzterem siehe B. Herr allen Wissens. Künstler und Fachleute; Dichter, Literatur). Die Autoren sind in aller Regel als Fahrende anzusprechen, die sich nur zeitweilig am jeweiligen Hof aufhalten und die Aussagen ihrer Texte auf die Bedürfnisse des Hofes ausrichten (siehe dazu Müller, 1974, S. 311-324), was seitens des Autors bei polit. Texten zu jähen Umschwüngen führen kann; eine Ausnahme bilden hier die seit dem 14. Jh. auftretenden Sprecher (Herolde), von denen etl. am Hof »angestellt« gewesen sein dürften. Die themat. Spannweite der Lieder und Sprüche ist groß, sie umfaßt »allgemein christliche Ethik und höfisch-ritterliche Tugendlehre, lebenspraktische Verhaltensnormen, christliche Glaubensvorstellungen, laientheologische und naturwissenschaftliche Gelehrsamkeit, politische Ereignisse, die Lebensbedingungen fahrender Dichter und den Wert ihrer Kunst« (Schulze 1995, Sp. 2144), dazu treten Totenklage, Herrscherlob und Kritik, später dann (in den Liedern und Sprüchen des 15.-17. Jh.s) v. a. der (in der Regel parteiische) Bericht über Tagesereignisse (bes. Schlachten, sog. Zeitungslieder). Sie werden »dargeboten im Redegestus von Belehrung, Lob und Schelte […], Gebet und Bitte […], Klage, Kritik, Propaganda und Streit« (Schulze 1995, Sp. 2144). Sehr intensiv werden von den Dichtern Wesen und Verhalten des Fs.en und der Hof thematisiert, siehe hierzu die die Inhalte genau ausdifferenzierenden Nachweise im RSM.

1200-1450

Zu Beginn unseres Zeitraums erlangt v. a. die polit. Sangspruchdichtung durch Walther von der Vogelweide eine bes. Stellung, weil er sie auf verschiedenste Weise zum Instrument der Meinungsbildung und der Propaganda, daneben auch zur Waffe im polit. Kampf zu machen versteht. Das auf Walther gemünzte Urteil des Thomasîn von Zerklaere, dieser habe mit seinem (politischen) Sang tûsent man betoeret (Der waelsche gast, Vv. 11091ff.) zeigt die Wirkung seiner politischen, zweifelsohne an den Höfen seines Lebenskreises (den kgl./ksl., dem Thüringer, Meißner, Passauer und Kärntner Hof, vgl. Hahn) vorgetragenen polit. Dichtung. Im weiteren Verlauf des 13. Jh.s zeigt sich Sangspruchdichtung z. B. mit Reinmar von Zweter am Prager Hof Kg. Wenzels I., mit Bruder Wernher, der an einer Vielzahl von Höfen tätig gewesen zu sein scheint, mit dem sowohl dt. wie lat. dichtenden Marner (wohl an den Höfen von Olmütz und Henneberg), wobei insgesamt eine »thematische Verschiebung« weg von der Politik und hin zur Didaxe« (Schulze 1995, Sp. 2146) zu beobachten ist. Für das 14. Jh. sind als Sangspruchdichter Regenbogen (in Verbindung mit Hg. Ludwig II. von Kärnten), v. a. aber der – nicht zuletzt seiner Formkunst (»Geblümter Stil«) wg. – berühmteste Spruchdichter seiner Zeit, der seit ca. 1270 tätige Heinrich von Meißen gen. Frauenlob († 1318) zu nennen, der mit sehr vielen Fs.en und Herren seiner Zeit sowohl in S- wie Nordddtl. in Verbindung stand. Die zweite Hälfte des Jh.s wird bestimmt durch den mit dem österr. und dem ungar. Hof verbundenen Heinrich von Mügeln, der das zweite Buch seiner Sprüche der Thematik der herrschafft der erden widmet. Bereits im 14 Jh. geht die Bedeutung der Sangspruchdichtung zurück. Neben sie tritt jedoch die (Sprech-)Spruchdichtung der Herolde (Sprecher), deren bedeutendste Vertreter Gelre (im Dienst der Hzg.e von Geldern) und Suchenwirt (Wiener Hof) mit ihren Ehrenreden, Wappendichtungen und Totenklagen sind. Für das 15. Jh. sind als Sangspruchdichter v. a. Muskatblüt (der keinerlei Gönner nennt und Ereignisse wie das Konstanzer Konzil und verschiedene Reichstage besingt) und Michel Beheim (nachweisbar z. B. bei verschiedenen Wittelsbachern und Habsburgern) zu nennen; wie andere Autoren dient er auch den seit dem 14. Jh. auf diesem Felde aktiven Städten. Ob Heinrich der Teichner, der bedeutendste Reimsprecher der Zeit, mit einem Hof in Verbindung zu bringen ist, ist unklar.

1450-1650

Im Werk des Hans Schneider (Sprecher [Herold] u. a. im Dienste Ks. Friedrichs III. und Maximilians) wird beispielhaft deutlich, daß nun Polit. Lied und Spruch die beherrschende Position einnehmen. Nahezu alle bedeutenden Vorgänge und Ereignisse (z. B. die Reformation, der Dreißigjährige Krieg) werden, wie viele Beispiele der Sammlungen Liliencrons, Soltaus, Wolffs, Körners, Müllers, Cramers und anderer sowie die diesbezügl. Forschungen Schanzes, Kerths, Kellermanns und Honemanns zeigen, auch publizist., d. h. durch (oft aufeinander Bezug nehmende) Lieder und Sprüche ausgetragen. Deren Autoren bleiben oft anonym und ihr Verhältnis zu dem Hof, dessen Sache sie vertreten, ist meist unklar; Vortrag der Texte bei Hofe ist selten nachweisbar, doch ist ebenso mit städt. Publikum zu rechnen. V. a. das Lied bleibt in der gleichen Funktion bis in das 19. Jh. hinein lebendig.

→ vgl. auch Abb.6

Quellen

Für Textausgaben der genannten Autoren siehe das »Verfasserlexikon« und das »RSM«, s.u. – Sammlung historischer Volkslieder und Gedichte der Deutschen, hg. von Oskar Ludwig Bernhard Wolff, Stuttgart u. a. 1830. – Historische Volkslieder aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Nach den in der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München vorhandenen fliegenden Blätter, hg. von Phlipp Max Körner, Stuttgart 1840. – Ein Hundert Deutsche Historische Volkslieder. Gesammelt und in urkundlichen Texten chronologisch geordnet, hg. von Friedrich Leonhard von Soltau, Leipzig 1845. – Friedrich Leonhard von Soltaus Deutsche Historische Volkslieder, Zweites Hundert, hg. von Rudolf Hildebrand, Leipzig 1856. – Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13.-16. Jh., hg. von Rochus von Liliencron, 5 Bde., Leipzig 1865-69. – Politische Lyrik des deutschen Mittelalters, Texte, hg. von Ulrich Müller, 2 Bde., Göppingen 1972 und 1974 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 68 und 84). – Die kleineren Liederdichter des 14. und 15. Jahrhunderts, hg. von Thomas Cramer, 4 Bde., München 1977-85.

Den Forschungsstand zu allen genannten Autoren bieten: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl., hg. von Kurt Ruh und Burghart Wachinger, 11 Bde., Berlin 1978-2004 (bis 1500). – Für die Sangsprüche: RSM = Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12.-18. Jahrhunderts, hg. von Horst Brunner und Burghart Wachinger, 16 Bde., Tübingen 1986-2003. Das Stichwortregister (Bd. 15, 2002) bringt sub »Fürst«, »Höfling«, »Hof«, »Herrscher«, »Kaiser(-in)«, »König(-in)« (jeweils samt Komposita) sehr reiches Material zu Hof und Residenz. – Allg. Forschungsliteratur: Hahn, Gerhard: Walther von der Vogelweide, in: Verfasserlexikon X, 1999, Sp. 665-697, bes. 669-672 und 681-689. – Honemann, Volker: Politische Lieder und Sprüche im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Die Musikforschung 50 (1997) S. 399-421. – Honemann, Volker: Herzog Casimir von Pommern und Busse von Erxleben. Zwei politische Lieder des deutschen Spätmittelalters im Vergleich, in: Gattungen und Formen des europäischen Liedes vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, hg. von Michael Zywietz u. a., Münster 2005 (im Druck). – Janota, Johannes: Orientierung durch volkssprachige Schriftlichkeit (1280/90-1380/90), Tübingen 2004 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, 3,1), S. 145-190 und 344-355. – Kellermann, Karina: Abschied vom »historischen Volkslied«, Tübingen 2000 (Hermaea. NF, 90). – Kerth, Sonja: »Der landsfrid ist zerbrochen«. Das Bild des Krieges in den politischen Ereignisdichtungen des 13.-16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1997 (Imagines medii aevi, 1). – Müller, Ulrich: Untersuchungen zur politischen Lyrik des deutschen Mittelalters, Göppingen 1974 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 55/56). – Politik und Dichtung vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hg. von Wolfgang Haubrichs, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 10,3 (1980). – Schanze, Frieder: Überlieferungsformen politischer Dichtungen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Schriftlichkeit und Lebenspraxis im Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern hg. von Hagen Keller, München 1999 (Münstersche Mittelalter-Schriften, 76), S. 299-331. – Schulze, Ursula: Art. »Spruchdichtung A. deutsche Literatur«, in: LexMA VII, 1995, Sp. 2143-2147. – Tervooren, Helmut: Sangspruchdichtung, Stuttgart u. a. 1995 (Sammlung Metzler, 293).