Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Appartement

Als Appartement wird eine Gruppe von zusammenhängenden Räumen bezeichnet, die die Wohnung einer (oft) sozial höhergestellten Persönlichkeit bilden. Der Begriff Appartement kommt vor dem 17. Jh. im dt. Sprachgebrauch nicht vor; er wird jedoch heute aufgrund seiner Eindeutigkeit unter Entlehnung aus den roman. Sprachen (fr. appartement, ital. appartamento) als wissenschaftl. Terminus auch für entspr. ältere Phänomene verwendet. In der Tendenz synonym verwendete dt. Ausdrücke wie »Stube und Kammer« oder »Gemach« kommen im 16. Jh. nur vereinzelt vor, entsprechen zudem nicht völlig dem heutigen Begriff Appartement und sind in ihrer konkreten Interpretation und Eindeutigkeit nicht gesichert (Hoppe 1996). Die einzelnen Räume eines Appartements besitzen unterschiedl. Funktionen und oft einen unterschiedl. Status bezügl. Zugänglichkeit, Repräsentativität und Ausschmückung. Im Kern bilden sie eine sequentielle Abfolge, die vom Hauptzugang her zu von der Außenwelt gesteigerter Distanz fortschreitet. Auf diesem Gradienten der Introversion liegen an verschiedenen Positionen Raumgattungen wie Vorzimmer, Schlafraum oder Kabinett.

1200-1450

Appartements in der europ. Residenzarchitektur entstanden, als dem im hohen MA multifunktionalen, v. a. auch mit der Bettstelle ausgestatteten Hauptwohnraum einer hochgestellten Persönlichkeit zusätzl. Räume direkt zugeordnet wurden. Dies konnte grundsätzl. in Richtung des Haupteingangs in Gestalt von Vorzimmern geschehen oder in der entgegengesetzten Richtung zunehmender Abschließung durch Schreibstuben, Kabinette oder Garderoben. Wann ein solcher Prozeß der funktionalen wie architekton. Binnendifferenzierung im dt. Schloßbau einsetzte, ist nach heutigem Forschungsstand noch nicht befriedigend zu klären. Es scheint so, daß den komplexen Appartementstrukturen etwa des frz. Schloßbaus des 14. Jh.s (Papstpalast in Avignon, Louvreumbau) im mitteleurop. Gebiet des Reiches selbst auf landesherrl. Ebene noch das Prinzip des Einraumes gegenüberstand (Ramstein 1300/1317, Eltville 1338/45) (Herrmann 1995).

Eine Zeugin des Wandels hin zu einer neuartigen funktionalen Binnendifferenzierung einer fsl. Wohnung könnte die Baugeschichte der Kurtrierer Deuernburg (Burg Maus) am Rhein darstellen (Herrmann 1995, Hoppe 1996). Hier wurde ein um 1356/62 errichteter Wohnturm vor dem Jahr 1388 in einer zweiten Bauphase durch je einen Raum pro Geschoß so erweitert, daß der mutmaßl. kfsl. Wohnung nun zwei fast gleich große Räume zur Verfügung standen. Auf ein weiteres Beispiel deuten wahrscheinl. die Spuren der hölzernen Binnenwände und die Verteilung der Kamine im ersten Obergeschoß des um 1390/1400 errichteten Bernhardbaus der bad. Res. Hohen-Baden hin. Hier könnte auf einen Vorbereich am Haupteingang des Baublocks ein mit zwei Kaminen beheizter Saal, danach eine ofenbeheizte Stube und im Anschluß daran eine kleinere, wahrscheinl. unbeheizte Schlafkammer gefolgt sein.

Es gibt jedoch gleichzeitig Hinweise, daß zumindest in kleineren Anlagen eine Mehrräumigkeit einzelner Wohnung erst um 1500 angestrebt wurde. Beispiele für die nachträgl. Binnendifferenzierung könnten das lgfl. hess. Schloß zu Biedenkopf sein, wo ein 1455 errichteter Wohnbau mit Einzelräumen nachträgl. 1480/83 einen mehrräumigen Einbau aus Stube und Kammer erhielt (Langenbrinck 1996), oder das Schloß des Deutschen Ordens in Dallau (Baden-Württemberg), wo der Palas von 1438/51 nachträgl. in den Jahren 1529/30 ein Appartement aus Stube und Kammer erhielt (Crowell 1995).

Dies alles sind jedoch nur Indizien, die den Schluß nahe legen, daß das Appartement im dt. Schloßbau vor 1450 nicht allg. verbreitet war.

1450-1550

Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s ist die Situation im mitteleurop. Schloßbau genauer zu rekonstruieren. In den Niederlanden war der frz. Einfluß aus naheliegenden Gründen am stärksten und führte bereits früh umfangr. Raumfolgen. So wurde bspw. 1468 im Coudenberg zu Brüssel für Karl den Kühnen eine Sequenz eingerichtet, die aus dem Zimmer des Hzg.s, der Retraite, dem Eßzimmer, dem Ratszimmer, der große Pale (Stube), der kleine Pale, und dem neuen Eßzimmer bestand (De Jonge 1991, 1994, 1999).

Ab dieser Zeit trat das Appartement im dt. Sprachraum als quasi standardisierte Raumfolge auf, die sich in mehreren Aspekten signifikant von den westl. Pendants (zu denen auch das Brüsseler Beispiel gehört) unterschied.

Raumsequenzen bestanden als Kerneinheit nun stets aus einem Wohnraum und einem nachgeordneten Schlafraum (als Kammer bezeichnet). Der Wohnraum wurde in der Regel durch einen Hinterladerofen beheizt und deshalb in den zeitgenöss. Quellen als Stube bezeichnet. Im Laufe des 16. Jh. wurde, vermutl. aus repräsentativen Gründen, manchmal zusätzl. zu dem Ofen ein Kamin installiert, der jedoch die rauchfreie Heizung niemals verdrängte. Die Ofenheizung des Vorderwohnraumes eines Appartements stellte eine Besonderheit des mitteleurop. Kulturkreises dar (Hähnel 1975); bereits an dessen Randgebieten, am Niederrhein und in Dänemark läßt sich zwar im 16. Jh. die Zweiteilung der Appartements in Wohnraum und Schlafraum beobachten, dem Wohnraum fehlte hier jedoch der Ofen (Jülich 1549, Hesselagergaard (Fünen) 1545/50). Um das verbreitete mitteleurop. bzw. dt. Appartement von anderen Typen zu unterscheiden, wird bezugnehmend auf die Ofenausstattung heute oft der neugebildete Begriff Stuben-Appartement verwendet (Hoppe 1996). Der Schlafraum besaß anders als der Vorderwohnraum niemals einen Ofen und wurde zur Unterscheidung zeitgenöss. als Kammer bezeichnet. Sie konnte entweder unbeheizt sein oder aber einen Kamin besitzen.

Mehr oder weniger erhaltene frühe Beispiele für den Typ des dt. Stubenappartements finden sich in der Albrechtsburg über Meißen 1471, im Ingolstädter Neuen Schloß um 1470/1480, in Schloß Hartenfels in Torgau 1482, der Feste Hohensalzburg um 1500, im Prager Ludwigsbau auf dem Hradschin 1501, in Neuburg a. d. Donau 1530 und 1537, in dem benachbarten Jagdschloß Grünau 1530 sowie in der Stadtres. Landshut 1536; weitere Objekte sind rekonstruierbar.

Die Quellen geben über eine weitreichende funktionale Differenzierung der einzelnen Räume Auskunft (Hoppe 1996). Stube und Kammer waren nicht nur in einen Tages- und Nachtraum geschieden, sondern anders als z. B. in Frankreich stellte die dt. Schlafkammer nach dem Auszug der Wohn- und Repräsentationsfunktionen in die hinzugefügte Stube einen intimeren Bereich mit beschränkten Zugang für außenstehende dar. Wenn bspw. in seltenen Fällen in der Kammer eine Mahlzeit mit Gästen eingenommen wurde, so stellte dies einen bes. Vertrauensbeweis dar. Auf die Kammer als den eigentl. Kern des Appartements deutet die Tatsache hin, daß weiterhin Begriffe wie »Kämmerer«, »Kammerherr« oder »in die Kammer geschworen« (Berliner Hofordnung von 1537, Kern 1907) verwendet wurden, um eine bes. Vertrauensbeziehung zum Regenten auszudrücken. Da die Schlafkammer also in gewissem Sinn einen Nachtrückzugsraum innerhalb des Appartements darstellte, der aufgrund der Abwesenheit eines Ofens jedoch nur mit Einschränkungen für einen separierten Tagesaufenthalt in der kalten Jahreszeit zu gebrauchen war, wurden manche Appartements mit einer zweiten, kleineren Stube (erhalten in Meißen 1471 (Abb. 207), Salzburg um 1500, Grünau 1530, Heidelberg Ottheinrichsbau 1556) oder auch nur Abt. in der Hauptstube (in keinem Fall erhalten) als Rückzugsraum während des Tages ausgestattet. In den Quellen tauchen diese Nebenstuben oft als Schreibstube auf, sie erfüllten also Funktionen, wie sie in den frz. estudes oder den ital. studioli angesiedelt waren. In manchen Fällen waren hinter der Hauptkammer noch weitere Kammern angeordnet, wo Personen des Gefolges schlafen konnten.

Auf die funktionale Differenz zw. den einzelnen Räumen eines Appartements wurde baul. in vielfältiger Weise reagiert (Hoppe 1996). Die Hauptstube war in der Regel durch ihre Grundfläche wie auch die Anordnung der Fenster gegenüber der Schlafkammer bevorzugt. So nahm die Wohnstube des mutmaßl. kfsl. Appartements der Albrechtsburg über Meißen (1471) ohne die Fensternischen ca. 10×12 m, d. h. etwa 120 qm ein und besaß zwei Fensterwände sowohl zum Schloßhof als auch auf das Elbtal hin; die zugehörige Schlafkammer war hier nur wenig kleiner, aber nur mit einer Fensterwand versehen. Im Wittenberger Schloß (1489) waren die beiden Wohnstuben am Kopfende des Südflügels jeweils etwa 13×9,5 m groß, ihre Grundfläche betrug also jeweils über 123 qm. Im Torgauer Neuen Saalflügel (1533) umfaßte das mutmaßl. kfsl. Appartement zwei Räume von je ungefähr 10×11 m Grundfläche. Es gab in diesem Schloß aber auch eine größere Anzahl von wenig kleineren Wohnräumen, so im Alten Saalflügel, wo die Wohnstube am östl. Kopfende etwa 9×10 m groß war und eine 8×7 m, also 56 qm große Schlafkammer besaß. Der baul. Aufwand in der architekton. Differenzierung konnte so weit gehen, daß den im vorderen Bereich einer Raumsequenz angeordneten Stuben ein weitgehend funktionsloser Gang vorgeschaltet wurde, um diesen Tageswohnräumen eine Position in den Baukörpern zu geben, die eine großzügige und mehrseitige Befensterung zuließ. Schon früh spielte dabei das Würdemotiv eines fächerartig (polyfokal) sich ausbreitenden Ausblickes in die Umgebung des Schlosses, und damit in das zugehörige Territorium, eine bedeutende Rolle als Herrschaftsgeste (Albrechtsburg 1471, Wittenberg 1489). Zu diesem Zweck erhielten die Wohnstuben seit den frühen Jahrzehnten des 16. Jh. immer häufiger Erkeranbauten, die ebenfalls Ausblicke in verschiedene Richtungen erlaubten.

Seit dem HochMA war es üblich, daß hochrangigen Wohnräume über eigene Toiletten verfügten. Nun im Kontext der räuml. Binnendifferenzierung wurden die Aborte entweder in der Schlafkammer oder einer dahinter gelegenen weiteren Kammer angeordnet, niemals jedoch in der Stube.

1550-1650

In den meisten Residenzschlössern änderte sich bis zum 30jährigen Krieg nur wenig im Grundaufbau der herrschaftl. Wohnappartements aus Stube und Schlafkammer, so daß weiterhin relativ kompakte Einheiten dominierten. Erhaltene Beispiele finden sich im Erdgeschoß des Heidelberger Ottheinrichsbaus 1556, in Güstrow 1558, in der Augustusburg bei Chemnitz 1568 (Abb. 208), in der Wilhelmsburg zu Schmalkalden 1585, im Heidelberger Friedrichsbau 1601. Noch 1643 erhielt das neu erbaute Residenzschloß Friedenstein über Gotha die traditionellen, räuml. wenig ausgreifenden Stuben-Appartements für die Herrschaft (durch Umbau heute verändert).

Eine Besonderheit stellte der Kaiserhof in Wien und Prag dar, wo wahrscheinl. schon früh unter dem Einfluß der erwähnten burgund. Architekturtradition ein vielräumiges Programm übl. wurde. In Prag erstreckten sich die ab den 1570er Jahren für Rudolf II. eingerichteten (nicht erhaltenen) Wohnräume im Südflügel des Hradschin im Bereich des heutigen zweiten und teilw. des dritten Burghofes, wo in den beiden Obergeschossen jeweils zehn bis dreizehn Räume hintereinander lagen, die auf der Hofseite durch einen Längskorridor begleitet wurden (Muchka 1988). Ein frz. Gesandtenbericht aus dem Jahr 1600 schildert in dem von Ks. bewohnten zweiten Obergeschoß nach Treppe und Trabantensaal eine Abfolge von zwei Vorzimmern und dem Audienzsaal. In verschiedenen Quellen werden außerdem Speisesaal, Ratszimmer, Schreibstube, Schlafzimmer und drei Sommerzimmer gen., die sich wohl der Audienzraumfolge anschlossen. Das am Kaiserhof praktizierte sog. Span. Hofzeremoniell beschränkte im Gegensatz zu bspw. den frz. Gepflogenheiten die Zugänglichkeit der ksl. Lebenssphäre erhebl. stärker und erforderte deshalb in Anschluß an die öffentl. Teiles eines ksl. Appartements ausgedehnte Räumlichkeiten für das tägl. Leben in zurückgezogener Form. Wahrscheinl. dieses Vorbild wurde um 1600 am Münchener Hof rezepiert und führte dort zu ungewöhnl. ausdifferenzierten Raumsequenzen für den Hzg. und die Hzg.in (Klingensmith 1993, Gf. 2002, Erichsen 2002). So stand dem Hzg. in einem Bereich um den Grottenhof eine Sequenz von Ritterstube (1, siehe Farbtafel 115) (ofenbeheizte Tafelstube), Vorzimmer (2) (Ofenheizung), Audienzzimmer (3) (Ofen- und Kaminheizung), Zwischenraum (4), Schlafkammer (5) (Kaminheizung), Galerie (6) (unbeheizt) und zwei unbeheizten Kabinetten (7,8) zur Verfügung. Der öffentl. Repräsentationsbereich reichte bis zum Audienzzimmer; die anschließenden Räume waren nur ausnahmsweise Besuchern zugänglich. Die Hzg.in bewohnte eine Raumfolge, bestehend aus Stube (9) (wahrscheinl. Tafelstube, Ofenheizung), Kammer (10) (wahrscheinl. Vorzimmer, Kaminheizung), Stube (11) (wahrscheinl. Audienzraum, Ofen- und Kaminheizung), Stube (12) (Ofenheizung, Zwischenraum (13) (ohne Heizung), Schlafkammer (14) (Kaminheizung). Mit ihren hintersten, also intimsten Räumen berührten sich die beiden Appartements der Eheleute (Frauen- und Männerwohnräume). Im frühen 17. Jh. wurde das dt. Stuben-Appartement auch in Architekturtraktaten dargestellt (Abb. 209).

→ vgl. auch Farbtafel 18, 120; Abb. 66

Crowell, Robert u. a.: Schloß Dallau – Der Schlußbericht, in: Denkmale in Baden-Württemberg 25,4 (1995) S. 147-158. – De Jonge, Krista: Het paleis op de Coudenberg te Brussel in de vijftiende eeuw. De verdwenen hertogelijke residenties in de Zuidelijke Nederlanden in een nieuw licht geplaatst, in: Belgisch Tijdschrift voor Oudheidkunde en Kunstgeschiedenis / Revue belge d'archéologie et d'histoire de l'art 61 (1991) S. 5-38. – De Jonge, Krista: Le palais de Charles-Quint à Bruxelles. Ses dispositions intérieures aux XVe et XVIe siècles et le céremonial de Bourgogne, in: Architecture et vie sociale. L'organisation intérieure des grandes demeures à la fin du moyen âge et la renaissance. Actes du colloque tenu à Tours du 6 au 10 juin 1988, hg. von Jean Guillaume, Paris 1994, S. 107-125. – De Jonge 1999. – Erichsen 2002. – Graf, Henriette: Die Residenz in München. Hofzeremoniell, Innenräume und Möblierung von Kurfürst Maximilian I. bis Kaiser Karl VII., München 2002. - Hähnel 1975. – Herrmann 1995. – Hoppe 1996. - Hoppe 2000a. – Hoppe 2001, S. 202-212. – Kiesler, Claudia-Ros: Schloß Hessen – Raumstruktur, Ausstattung und Nutzung nach den Inventaren des 16. und 17. Jahrhunderts, in: »… zur zierde und schmuck angelegt...« Beiträge zur frühneuzeitlichen Garten- und Schloßbaukunst, hg. von Thomas Scheliga, Marburg 1996, S. 53-108. – Klingensmith 1993. – Langenbrinck, Max: Schloß Biedenkopf, in: Burgenbau im späten Mittelalter, hg. von Hartmut Hofrichter, München u. a. 1996 (Forschungen zu Burgen und Schlössern, 2), S. 143-157. – May, Walter: Die Albrechtsburg zu Meißen. Herkunft und Bedeutung, in: Sächsische Heimatblätter 17 (1971) S. 103-110. – Muchka, Ivan: Die Architektur unter Rudolf II., gezeigt am Beispiel der Prager Burg, in: Prag um 1600, 1988, S. 85-93. – Purbs-Hensel, Barbara: Verschwundene Renaissance-Schlösser in Nassau-Saarbrücken, Saarbrücken 1975. – Streetz, Michael: Das Renaissance/schloß Hannoversch-Münden in den Inventaren des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Eine Fallstudie zur Auswertung schriftlicher Quellen und ihre Verbindung mit Ergebnissen der Bauforschung, 2 Bde., Pieterlen 2004. – Uhl, Stefan: Schloß Warthausen: Baugeschichte und Stellung im Schloßbau der Renaissance in Schwaben. Bad Buchau 1992.