Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

Zurück zur Liste

Neustadt am Rübenberge

Neustadt am Rübenberge

(1) Um das Jahr 1200 schufen die Grafen von Wölpe mit Nova Civitate (seit den 1320 Jahren als Nigenstat oder Nyenstat bekannt) eine landesherrliche Gründungsstadt. Der Rübenberg als Namenszusatz erschien erstmals 1493 als Rovenberg. N. liegt auf einer leichten Anhöhe über der Talaue der östlich verlaufenden Leine. Im Norden und Süden grenzt der Ort an eine weite Feldmark, im Westen an das Tote Moor. Im Lauf der Leine befanden sich Stromschnellen, die den Schiffsverkehr von Hannover nach Bremen behinderten, weswegen die Stadt eine Schleuse einrichtete. Durch den Ort verlief zudem die Handelsstraße von Bremen nach Erfurt, da hier der Leineübergang erleichtert wurde.

Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen 1180 konnten die Grafen von Wölpe ihre Machtposition deutlich ausbauen. Ende des 12. Jahrhunderts hatten sie eine Burg errichtet, die von 1221 bis 1232 als Residenz diente. 1301 traten die Grafen ihre Herrschaft an Graf Otto von Oldenburg ab, der sie 1302 an Herzog Otto von Braunschweig-Lüneburg für 6500 Mark Bremer Silber weiterverkaufte. Im Lüneburger Erbfolgekrieg hielt Herzog Magnus II. von Braunschweig-Wolfenbüttel das von ihm beanspruchte Fürstentum Lüneburg besetzt, während des Krieges befand sich N. in der Hand wechselnder Pfandinhaber. Nachdem der Krieg 1388 zugunsten der Welfen entschieden war, traten die Herzöge Bernhard und Heinrich ihre Herrschaft im Fürstentum Lüneburg an und verlangten von der Stadt Lüneburg eine Beteiligung an der Einlösung der verpfändeten Burgen wie etwa der N.s. Aufgrund der Teilung des Hzm.s Braunschweig-Lüneburg 1409 wurde N. dem Fürstentum Braunschweig zugeschlagen. 1432 teilten die Brüder Wilhelm und Heinrich das Territorium, so dass mit Calenberg ein neues Fürstentum unter Wilhelms Herrschaft entstand, dem N. zugeordnet wurde.

1501 erhob Erich I. (reg. 1495–1540) N. zur Residenzstadt neben [Hann.] Münden, worin sich die Teilung des erweiterten Fsm.s Calenberg-Göttingen in ein Nieder- und Oberfsm. ausdrückt. Die Stadt wurde Sitz der Calenberger Kanzlei und Verwaltung. Unter Erich II. (reg. 1546–1584) wurde N. Verwaltungsmittelpunkt für das Gesamtfsm., er verlegte die Residenz 1555 jedoch nach Münden. Nach seinem erbenlosen Tod 1584 fiel Calenberg-Göttingen an Braunschweig-Wolfenbüttel, N. verblieb Amtsstadt. Ein weiterer Erbgang nach dem Tod Herzog Friedrich Ulrichs führte zum Übergang Calenberg-Göttingens und damit N.s an die Celler Herzöge Unter Herzog Georg wurde Calenberg-Göttingen 1636 erneut ein eigenständiges Fürstentum Kurzzeitig gelangte bei der Einigung der Celler Brüder das Amt N. auf Lebenszeit unter die Regentschaft Herzog Augusts des Älteren, der allerdings im selben Jahr starb. Residenzstadt wurde N. nicht mehr, da die neuen Fürsten Hannover erwählten, welches namengebend für das spätere Kurfürstentum wurde.

(2) N. wurde von den Wölper Grafen planmäßig als neue Stadt angelegt und ist somit nicht aus dörflichen Strukturen entstanden. Im Schutz der Gf.enburg gelegen und durch die Landesherren gefördert, entwickelte sich N. zu einer Kleinstadt. 1214 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt, anlässlich der Schenkung einer in N. gelegenen Mühle an das Kloster Mariensee. Der Ort bzw. die Kleinstadt dürften agrarisch geprägt gewesen sein, als Gewerbe ist noch der Torfabbau im nahe gelegenen Moor zu erwähnen. Die Leine bot sich für den Fischfang an, doch waren vor allem die Zölle auf Schiffsgüter eine wichtige städtische Einnahme. Neben der Funktion als Ladeplatz der Leineschifffahrt diente N. auch als Rastort für den Fernverkehr. Letzterer dürfte förderlich für Gast- und Braugewerbe gewesen sein. Der Umfang der Brauwirtschaft zeigte sich nach dem Stadtbrand von 1727, als das Brauhaus als erstes Gebäude wiederaufgebaut wurde. Nur für kurze Zeit (1280–1295) ließ sich in N. der Ahldener Konvent nieder, was auf das Wirken Ottos von Wölpe als Propst des Bm.s Minden zurückzuführen ist. N. wurde hierdurch gefördert, doch ließ der Bischof den Konvent 1295 nach Lübbecke verlegen.

Unter den Grafen von Wölpe wurden in N. Lehens- und Gerichtstage abgehalten, bei denen nicht geklärt ist, ob es sich um gräfliche Gerichte oder bereits städtische handelte. Für 1308 ist der Rat der Stadt nachgewiesen. Die Ratsherren treten in den Urkunden des 14. Jahrhunderts hauptsächlich im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf, vorwiegend in Verbindung mit Grundstücksübertragungen.

Ein gfl.er Vogt wurde erstmalig 1216 erwähnt. Die Grafen von Wölpe übten in ihrer Stadt die Herrschaft aus. Unter den Welfen wurde die Burg zum Sitz der Verwaltung und des Gerichts des Burgsprengels. Dies wird deutlich durch die Anwesenheit lüneburgischer Vögte bzw. Amtmänner im 14. Jahrhundert, die die landes-, gerichts- und grundherrlichen Rechte des Hzg.s durchsetzten. Da N. zu den häufiger aufgesuchten Orten zählte, war ein ausgedehntes Einzugsgebiet vonnöten, aus dem heraus die Verpflegung des anwesenden Hofs (unter Erich II. um die Mitte des 16. Jahrhunderts ca. 150 Personen) garantiert werden konnte. Dies erfüllte der Burgsprengel, der aus den Goen Basse, Mandelsloh, Stöcken und der Vogtei Rodewald bestand, und aus dem im 15./16. Jahrhundert das Amt N. entstand, das 1525 um Frielingen und Bordenau erweitert wurde. Im 16. Jahrhundert, in dem die hzl.e Verpfändungspraxis immense Ausmaße annahm, wurde das Amt N. nicht verpfändet.

Erstmals erfolgte 1585 bei der Huldigung Herzog Julius’ eine Musterung, bei der 167 Haushaltsvorstände erfasst wurden, was auf ca. 750 Einwohner schließen lässt (1664 ca. 415 Einwohner, 1689 ca. 552).

(3) 1250 ließen die Grafen von Wölpe, die auch Patronatsherren waren, eine spätromanische Kirche errichten, ein Priester wird allerdings schon zum Jahr 1226 erwähnt. Die Welfen erkauften sich 1302 mit der Grafschaft auch das Patronatsrecht. Die Kirchenaufsicht lag beim Bischof von Minden, mit dessen Erlaubnis die Pfarrkirche 1280 durch die Verlegung des Ahldener Konvents kurzfristig zur Stiftskirche wurde. N. lag damit nicht mehr im Archidiakonat Mandelsloh, sondern Ahlden. Neben dem der Maria geweihten Hauptaltar der Pfarrkirche wurden zwischen 1431 und 1543 mindestens sieben Nebenaltäre gestiftet. Der Rat der Stadt nahm frühzeitig Einfluss auf diese, um den Übergang der Patronatsrechte beim Tod des Stifters auf die Stadt zu sichern. Zwischen 1399 und 1493 sind 14 Memorienstiftungen nachgewiesen.

Außer der Pfarrkirche gab es vor der Stadt seit 1474 bis zu deren Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg eine Kapelle im Hospital St. Nicolai. Die Landesherren unterhielten auf der Burg bzw. im Schloss eine Kapelle als Personalpfarrei. Am Marienaltar der Pfarrkirche hatte die Bruderschaft Unser Lieben Frau ihren Sitz, 1473 erstmals erwähnt. 1464 fand auch die Bruderschaft der Elenden Erwähnung, die im Ort möglicherweise karitativ tätig war. Für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts ist eine Terminei eines nicht näher bezeichneten Bettelordensklosters nachgewiesen.

1543 fand in der Stadt eine Kirchenvisitation statt, bei der der Ortspfarrer und der Rektor der seit 1399 bestehenden Lateinschule bestätigt wurden. Hzg.witwe Elisabeth (vormundschaftlich reg. 1540–1546) hatte durch die Einrichtung einer zweiten Pfarrstelle automatisch deren Patronat inne. Dennoch kam es bei Vakanzen regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen dem Rat der Stadt und dem Konsistorium bezüglich der Neubesetzung. Nach der Generalkirchenvisitation 1588 wurde die Wolfenbütteler Kirchenordnung eingeführt, 1589 entstand in N. eine Spezialsuperintendentur.

(4) Die Welfen ließen Mitte des 14. Jahrhunderts eine neue Burg, die die ältere der Grafen von Wölpe ersetzte, im Bereich des späteren Schlosses errichten, welche 1563 in Flammen aufging. Ein Nordtor und ein südliches Steintor in den städtischen Verteidigungsanlagen wurden bereits 1316 und 1331 erwähnt, 1392 erhielt N. das Privileg, eine Landwehr anzulegen, was die Stadt umsetzte. 1573 begann der Ausbau N.s zur Festungsstadt: Die Bauarbeiten der umfangreichen Befestigungsanlagen und des neuen Renaissanceschlosses »Landestrost« dauerten bis 1584. Seit 1675 sind die Befestigungswerke abgetragen worden, deren Steine wurden 1689 bei der Leinebrücke verbaut. Im sog. »Moorvergleich« erhielt die Stadt 1753 das Wall- und Grabengelände, ohne Schlossgraben und die Bastion Erichsberg, und konnte in der Folge mit der Einebnung des Walls beginnen.

Nach dem Brand von 1727, bei dem 110 Hausstellen zerstört wurden, begann mit dem Bau von fünf Wohnhäusern vor dem Lauentor im Westen die Erweiterung des Stadtgebietes. 1729 erfolgte der Wiederaufbau des Rathauses. Die Kirche, die 1500 umgebaut worden war und 1664 einen neuen Turm erhalten hatte, hatte den Brand überstanden. 1714 wurde das erste Schützenreglement erlassen, welches zeigt, dass der Rat die Verantwortung für die Schützenfeste getragen hatte. Kartenmaterial zum Aussehen der Festung befindet sich im Hauptstaatsarchiv Hannover (siehe Abschnitt 7), das Schloss wird hervorgehoben in der Darstellung N.s in Merians Topographie aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.

(5) 1555 verlegte Herzog Erich II. die Hofhaltung nach Münden. N. verlor damit den Status als Residenzstadt, blieb aber noch bis 1567 Sitz der Kanzlei und bis 1574 der Calenberger Verwaltung. Nach 1584 diente das Schloss als Sitz der Amtsverwaltung. Da Erich II. zum Katholizismus konvertierte, gab es 1556–1584 keine Landessuperintendentur. Examina und Ordinationen nahmen die Pfarrer vor, der N.er Pfarrer 13mal, so dass er für diese Zeit als eine Art Superintendent gelten kann.

(6) N. war durchweg ein Gebilde landesherrlicher Macht und genoss als solches eine besondere Förderung, hatte jedoch auch weitreichende Eingriffe hinzunehmen. Residenzfunktion erfüllte N. unter den Grafen von Wölpe im 12./13. Jahrhundert und sodann im 16. Jahrhundert unter der Calenberger Linie der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg. Ab 1558 erfolgte der Ausbau von Burg und Stadt zur Festung. Die Stadt verlor die Aufsicht über ihre Wehranlagen; den Abriss von Häusern, die den Befestigungsbauten im Wege waren, mussten die Bürger hinnehmen. In dieser Zeit wurde N. zum Schauplatz von Hexenprozessen und -verbrennungen, die letztlich auf einen Streit in der hzl.en Familie zurückzuführen sind, und die angesichts der Beschuldigung adliger Damen reichsweite Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Hzg. Julius (reg. 1568–1589, in Calenberg ab 1586) baute die fürstliche Position gegenüber der Stadt weiter aus, indem er sie 1585 mit seiner Festungsordnung militärischem Recht unterstellte, die tief in den Alltag der Einwohner eingriff und die Wirtschaftskraft der weithin landwirtschaftlich tätigen Bürger abschöpfte. Im 18. Jahrhundert griff der Kurfürst erneut ordnend in das städtische Leben ein, indem er die Schützenfeste verbot. Die Gewinngelder, die den Schützenkönigen zugestanden hätten, wurden sozialen Zwecken zugeführt.

(7) Bestände zur Geschichte Neustadts befinden sich am Standort Hannover des Niedersächsischen Landesarchivs: Akten des Amts (Hann. 74 Neustadt am Rübenberge), Urkunden der Kirchengemeinde (Dep. 23), Pfarrbestallungen (Hann. 83 III Nr. 542–544), Stadtpläne (Kartensammlung Nr. 12 f Neustadt). Des Weiteren finden sich Archivalien in den Ämtersachen (Cal. Br. 2) und Städtesachen (Cal. Br. 8) des Fürstentums Calenberg-Göttingen. Die Festungsordnung von 1585 hat die Signatur Cal. Br. 16 Nr. 795. Auch im Archiv der Region Hannover liegen städtische Urkunden (Dep. NRÜ URK) und Akten (Dep. NRÜ I), bei denen der Plan zum Wiederaufbau nach dem Brand 1727 unter NRÜ I Nr. 23 hervorzuheben ist.

Burchard, Max: Die Bevölkerung des Fürstentums Calenberg-Göttingen gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Die Calenbergische Musterungsrolle von 1585 und andere einschlägige Quellen, Leipzig 1935 (Sonderveröffentlichungen der Ostfälischen Familienkundlichen Kommission, 12). – Burchard, Max, Mundhenke, Herbert: Die Ämter Langenhagen, Neustadt und Wölpe, die Stadt Neustadt a. Rbge. und das Kloster Mariensee, Hildesheim 1959 (Die Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen von 1689, 3). – Ehlich, Hans: Das Erbregister des Amtes Neustadt von 1620. Ergänzt aus dem Erbregister von 1584 und 1621, Hildesheim 1984 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 98). – Fesche, Klaus, Boetticher, Annette von: Die Urkunden des Neustädter Landes. 889–1302, Bielefeld 2002 (Quellen zur Regionalgeschichte, 8). – Palm, Heike: Die Register des alten Amts Neustadt am Rübenberge. Mittelalterliche Vogteiregister und bevölkerungsgeschichtliche Quellen des 16.–18. Jahrhunderts, Hannover 2003 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 115). – Fesche, Klaus, Boetticher, Annette von: Die Urkunden des Neustädter Landes. 1303–1388, Bielefeld 2008 (Quellen zur Regionalgeschichte, 13).

(8)Dörries, Hans: Entstehung und Formenbildung der niedersächsischen Stadt. Eine vergleichende Städtegeographie, Stuttgart 1929 (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, 27,2). – Reese, Hildegard: Neustadt am Rübenberge, Hannover 1947. – Nöldeke, Arnold, Kiecker, Oskar, Karpa, Oskar, Clasen, Carl-Wilhelm, Kiesow, Gottfried: Die Kunstdenkmale des Kreises Neustadt am Rübenberge, München/Berlin 1958. – Rühling, Burkhard: Der »Erichsberg« in Neustadt am Rübenberge. Von der mittelalterlichen Landwehr zur frühneuzeitlichen Bastionärbefestigung, in: Der Erichsberg, hg. von Stadt Neustadt am Rübenberge, Hannover 1990, S. 49–73. – Kunze, Wolfgang: Leben und Bauten Herzog Erichs II. von Braunschweig-Lüneburg, Hannover 1993. – Naujoks, Hans-Joachim: Chronik der Schützenfeste in der Stadt Neustadt am Rübenberge, Hannover 1993. – Doll, Eberhard: Liebfrauenkirche in Neustadt a. Rbge. Der Klerus vor der Reformation und die ev.-luth. Pastoren bis 1679. Eine personengeschichtliche Studie, Bramsche 2003.

Markus Vollrath