Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Hoya

Hoya

(1) Die Anfänge der Grafschaft H. liegen in der Zeit der Etablierung neuer Herrschaften nach dem Sturz Heinrichs des Löwen 1180, sie entstand durch eine Umbildung der älteren Grafschaft Stumpenhusen. Hauptsitz der neuen Grafschaft wurde der strategisch günstige Ort H., wo es den einzigen Weserübergang der Region gab (ab dem 14. Jahrhundert als Brücke), und wo auf einer erhöhten Uferterrasse eine Burg angelegt werden konnte. Im weiteren Verlauf des Spätmittelalters wurde das Siedlungsgebiet auf einem Werder in der Flussmarsch erweitert.

Alsbald setzte eine Expansionspolitik ein, um 1215 konnte die Gf.enfamilie die Freigft. Nienburg erwerben und sich in deren namengebender Stadt eine zweite Residenz errichten. Die Ausdehnung gen Süden endete im 14. Jahrhundert im Bereich von Stolzenau, wo die Grafen ein weiteres Schloss bauen ließen, das im 16. Jahrhundert als Residenz für nichtregierende Familienmitglieder diente. Im Westen kauften die H.er Grafen 1338 die Herrschaft Altbruchhausen, wonach sie fortan den Titel »Gf. von H. und Bruchhausen« führten.

Um 1345 nahmen die Brüder Gerhard III. und Johann von H. eine Teilung der Grafschaft vor, H. wurde zum Sitz der sog. Niedergft., Nienburg zu demjenigen der Obergft. Die Niedergft. wurde 1384 durch den Kauf der Grafschaft Neubruchhausen erweitert, womit die territoriale Ausdehnung der Grafschaft weitgehend abgeschlossen war. Mit Tod des letzten Grafen der Niedergft. 1503 wurden beide Teile miteinander verbunden, Hauptresidenz wurde hinfort Nienburg, H. Nebenresidenz. Das Ende der Niedergft. deklarierten die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg als Lehnsherren zum Mannfall, woraus eine mehrjährige kriegerische Auseinandersetzung entstand, die 1512 zur zeitweisen Besetzung der ganzen Grafschaft und Vertreibung der H.er Grafen führte. 1519 und 1526 konnte der Streit beigelegt werden, Schloss und Amt H. erhielt Graf Jobst II. jedoch erst 1527 wieder zurück. 1539 wurde das Amt H. von den Grafen an die eigenen Landstände verpachtet, die im Gegenzug ein Großteil der Schulden der Dynastie übernahmen. Mit dem Tod des letzten Grafen, Otto, 1582 auf Schloss H. fiel die Grafschaft an die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, die sich in H. durch einen Amtmann vertreten ließen, H. wurde Amtsflecken. Im Dreißig- und im Siebenjährigen Krieg erlitten Schloss und Stadt schwere Schäden.

(2) Die Siedlung H. wurde 1233 als »urbs« bezeichnet, 1249 als »civitas«. Erste städtische Rechte sind jedoch erst im 14. Jahrhundert nachweisbar. Graf Gerhard III. von H. verlieh dem Ort vor 1368 Weichbildrechte, womit das Recht zur Abhaltung von Märkten verbunden war. Seither wurde der Ort als »opidum« bezeichnet. Für 1370 sind 110 Hausbesitzer belegt. Graf Otto III. (reg. 1383-1428) bestätigte und erweiterte die Weichbildrechte H.s und gestand daneben mehreren anderen Siedlungen in seinem Territorium städtische Rechte zu. Bestätigt wurden die Fleckensrechte von Graf Friedrich II. (reg. 1497-1503) und von Graf Otto VIII. (reg. allein 1575-1582) 1576 sowie von den nachfolgenden Hzg.en von Braunschweig-Lüneburg. 1699 erfolgte vor der Weserbrücke die Einrichtung von Brot- und Fleischscharren, d.h. von Verkaufsständen in marktähnlicher Anordnung. Der Flecken war durchgehend von der Landwirtschaft geprägt. Daneben siedelten sich verschiedene Gewerbetreibende an, die erst ab dem 17. Jahrhundert ihr rechtliche Anerkennung als Zunft erhielten, so die Färber (1649), die Hutmacher (1652), die Schuster (1703), die Maurer (1708), die Schneider (1711), sowie die Tischler und Glaser (1722). Nach dem Siebenjährigen Krieg blühte H. erneut auf und es kam zu neuerlichen Unternehmensgründungen (Tapetenfabrik) und Einrichtung von Zünften bzw. Gilden (Bäcker als Zunft 1766, Schlachter 1767, Schmiede und Schlosser 1771, Zimmerleute 1772 und Weißgerber 1791). Der Flecken vergrößerte sich auf der östlichen Weserseite kaum, während sich auf der westlichen Weserseite mehr Bürger ansiedelten. Erst im 20. Jahrhundert kam es hier zu einer deutlichen Ausweitung des Fleckens (Stadterhebung 1929).

(3) Kurze Zeit nach dem 1295 begonnenen Ausbau der Burg beauftragte Graf Gerhard II. von H. (1290-1312) seinen Vogt Albertus Zabel mit dem Neubau einer kleinen Kirche, u.a. als Grablege für die gräfliche Familie. Sie ersetzte eine einfache romanische Steinkirche aus dem 11. Jahrhundert, die vermutlich selbst einen Vorgängerbau aus Holz hatte. Fertiggestellt wurde das dem Hl. Martin geweihte Gotteshaus erst nach Tod des Grafen Die Kirche dürfte zunächst vorrangig für die Burggemeinde gedacht gewesen sein, während sich die Fleckensgemeinde auf der linken Weserseite zur St. Marienkirche nach Wechold und nach Bücken, Sitz eines bedeutenden Kollegiatstifts, orientierte. Der Choranbau diente der Gf.enfamilie zumindest bis in die 1430er Jahre als Totenkapelle, bis die bevorzugte Begräbnisstätte nach Nienburg verlegt wurde. Noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde die Kirche zu einer Hallenkirche umgebaut. Einen Turm erhielt die Kirche möglicherweise z.Zt. des reformatorischen Predigers Adrian Buxschott (1531-1561), nachzuweisen ist ein Turm aber erst für das Jahr 1608. Nach dem Tod Ottos VIII., des letzten Grafen von H., veranlasste seine überlebende Frau Agnes von Bentheim-Steinfurt eine Innenrenovierung der Kirche.

Die Reformation wurde von Graf Jobst II. (1511-1545) sehr gefördert, da sie ihm erlaubte, Zugriff auf das Vermögen der Klöster und Hochstifte zu erhalten. Nach einer 1525 erfolgten Bitte des Grafen entsandte Martin Luther seinen Schüler Adrian Buxschot nach H., der mit dem Reformator Johann Timann eine neue Kirchenordnung für die Grafschaft ausarbeitete.

Die Bevölkerung H.s war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stark angewachsen, zudem hatte der Flecken ab 1747 eine eigene Superintendentenstelle erhalten, so dass ein repräsentativerer Kirchenbau erforderlich war. 1748 wurde mit dem Neubau im barocken Stil begonnen.

(4) Geprägt wurde H. von der Lage an der Weser. Burg bzw. Schloss befanden sich auf dem rechten Ufer, die Siedlung entstand auf dem linken Ufer. Nördlich der Burg- bzw. Schlossanlage siedelten sich im Laufe der Zeit mehrere Burgmannenfamilien an, die dort repräsentative Höfe anlegten, zu denen ein größerer Landbesitz gehörte; dieser Ortsteil unterscheidet sich deutlich von der Gewerbesiedlung des linken Weserufers. Eine Brücke zwischen den beiden Ortsteilen wird im 14. Jahrhundert erwähnt, der Verkehr führt direkt am Schlossareal vorbei. Das Schloss behielt durch seine Randlange eine abgesonderte Stellung. Nach dem Ende der Grafschaft H. wurde das Schloss als Amtshaus bezeichnet, es verfügte neben den Wohn- und Arbeitsräumen des Amtmannes über eine Gerichtsstube und Gefängniszellen. Im Dreißigjährigen und auch im Siebenjährigen Krieg kam es zu erheblichen Beschädigungen des Schlosses, der Schlossturm wurde nicht wieder aufgebaut.

1613 stimmte der Rat dem Bau eines Rathauses zu, wobei die Ausführung sehr bescheiden gewesen sein dürfte. Da es im ausgehenden 17. Jahrhundert baufällig war, wurde ein neues Haus gekauft und 1708 zum Rathaus umgebaut. Während des Siebenjährigen Krieges gerieten 1758 zahlreiche Gebäude, so auch das Rathaus (mit Archiv), in Brand. Danach wurde mit dem Neubau begonnen (1760 fertiggestellt), in dem neben der Fleckensverwaltung und der H.schen Landschaft auch eine Herberge für Besucher vorgesehen waren. Die H.sche Landschaft hielt bis 1859 in diesem Haus ihre Landtage ab.

(5) H. war zwar der Ausgangsort für die Entwicklung der Grafschaft Hoya, verlor seinen Rang als Hauptort der Grafschaft aber an die Stadt Nienburg. Die wirtschaftliche Entwicklung des Fleckens blieb trotz der Bedeutung des Weserübergangs verhalten. Viele H.er Handwerker arbeiteten mit ihren Berufsgenossen im drei Kilometer südlich gelegenen Flecken Bücken zusammen und bildeten vielfach eine gemeinsame Zunft für beide Flecken. Dies galt für die Schuster, Schneider, Bäcker, sowie Schmiede und Schlosser.

Der Flecken H. war Mitglied der Landstände, die anlässlich der dynastischen Teilung 1459 genauer zu erkennen sind. Weitreichende Mitspracherechte erhielten die Landstände im Rahmen der Versuche Graf Jobsts, die enorme Schuldenlast (entstanden trotz des 1377 vom Kaiser genehmigten Weserzolls, der nicht in H., sondern zunächst in Gadesbünden [zwischen Rethem und Nienburg, etwa 16 km südöstlich von H.] und ab 1382 bei Drakenburg erhoben wurde) in den 1530er Jahren zu senken, was bis zum Ende der Grafschaft nicht gelang. 1576 war der Flecken am neugeschaffenen Schatzkollegium beteiligt, das den Landesherrn von der Organisation des Schuldendienstes ausschloss. Eine Mitgliedschaft an Städtebündnissen ist nicht bekannt.

(6) H. besaß keine größere überregionale Bedeutung, sondern verdankte seine Entwicklung allein dem Weserübergang - der in den frühneuzeitlichen Kriegen aber Truppen anlockte und zur Zerstörung des Orts führte - und der günstigen Lage zur Errichtung eines Gf.ensitzes. Der Ort blieb auf dem Status eines Fleckens, erlebte in der frühen Neuzeit jedoch einen wirtschaftlichen Aufschwung. Mit dem Ausbau des 1384 von den Grafen erworbenen Nienburgs als Residenz verlor H. an Bedeutung, verstärkt durch das Ende der Niedergft. 1503, wodurch H. faktisch zur Nebenresidenz wurde. Mehrere Burgmannsfamilien siedelten sich direkt in der Nähe des Schlosses auf dem rechten Weserufer an, sie waren im Flecken tonangebend. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts ist eine gelegentliche Beteiligung der Fleckensbürger an Entscheidungen der Landesherrschaft zu beobachten, in der sich im 15. Jahrhundert entwickelnden Landschaft konnte der Flecken sich als Landstand zunehmend Geltung und Einfluss auf die gräfliche Politik verschaffen. Durch die enorme Verschuldung wurden die Grafen im 16. Jahrhundert abhängig vom Wohlwollen der Landstände. Nach dem Aussterben der Gf.enfamilie und den Übergang der Grafschaft an die Welfen verloren die Landstände wieder an Bedeutung. Aus ihren Kreisen rekrutierten sich fortan die Verwaltungsbeamten der neuen Landesherren. Über andere Formen der Verflechtung zwischen Ortsgemeinde und dem gfl.en Hof ist nichts Näheres bekannt.

(7) Eine wichtige Quelle zur Geschichte der Grafen von Hoya stellen die gedruckten Hoyaer Urkundenbücher von Wilhelm von Hodenberg von 1855 dar. Archivalien zur Fleckensgeschichte sind vorwiegend im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover zu finden. (NLA Hannover, Hann. 74 Hoya) Das seit 1859 im Landschaftshaus in Nienburg aufbewahrte Archiv der Hoya-Diepholz’schen Landschaft wurde 1973 in großen Teilen als Depositum an das Landesarchiv gegeben und im Magazin Pattensen eingelagert. Bis auf einen kleinen Rest wurde 2008 auch das übrige Landschaftsarchiv nach Pattensen überführt (Dep. 106).

(8)Dienwiebel, Herbert: Geschichtliches Ortsverzeichnis der Grafschaften Hoya und Diepholz, A-K, Hildesheim 1988, S. 298-313. - Gade, Heinrich: Historisch-geographisch-statistische Beschreibung der Grafschaften Hoya und Diepholz, Nienburg 1901. - Hoya. Daten, Fakten und Entwicklungen aus acht Jahrhunderten, hg. vom Heimatmuseum für die Grafschaft Hoya e.V., Hoya 2003. - Hauser, Andrea: Kulturzentrum Martinskirche Hoya. Ein kleiner Beitrag zur Geschichte der St. Martinskirche, Hoya 1995. - Hucker, Bernd Ulrich: Die Grafen von Hoya. Ihre Geschichte in Lebensbildern, Hoya 1993. - Hucker, Bernd Ulrich: Der Ursprung der Grafen von Hoya, in: Die Grafschaft Bruchhausen, Diepholz, Hoya und Wölpe. Ein Streifzug durch die Geschichte (Schriften des Museums Nienburg Nr. 18), Nienburg 2000, S. 24-42. - Neubert-Preine, Thorsten: »Da Einer des Andern bedurfte«. Die Geschichte der Hoya-Diepholz’schen Landschaft, Nienburg 2013. - Streich, Brigitte: Hoya, Grafschaft, in: Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte, Band I: 1500-1806, hg. von Brage bei der Wieden, Hannover 2004, S. 330-338. - Schloss Hoya, Bautechnische Untersuchung und bauhistorische Dokumentation (pmp Projekt GmbH Hamburg), Hamburg 2014.

Thorsten Neubert-Preine