Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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Galerien

Die Galerie als repräsentativer Raumtyp entstand in Frankreich im 15. Jh. In der Zeit Ludwigs XII. wurde sie in das verbindl. Formenrepertoire des frz. Schloßbaus aufgenommen. Die Galerie präsentiert sich als langgestreckter, geschlossener Raum, der über einem offenen Arkadengang liegt und beidseitig belichtet ist. Die sich gegenüberliegenden Fenster wurden oftmals in versetzter Abfolge positioniert wie z. B. in Fontainebleau, Nancy, Oiron, Écouen, Saint-Maur und Anet. Diese Technik führt zu einer gleichmäßigeren Raumbelichtung und fokussiert den Blick auf die vorhandenen Kunstwerke. Als charakterist. gilt zudem eine Beheizbarkeit durch Kamine, die sich an einer Langseite befinden. Die Galerie dient als Verbindungsglied zw. zwei Flügeln, zwei Pavillons oder als Zugang zur Schloßkapelle. Bei den regelmäßigen Dreiflügelanlagen des frz. Schloßbaus bildet sie oft einen zeremoniellen Verbindungsweg zw. corps de logis und Kapelle. Selten steht sie frei. Zu den grundlegenden Merkmalen gehört neben der architekton. Form eine einheitl. Konzeption der Raumausstattung, die die Galerie von Korridoren differenziert. Architektur und Wandschmuck wurden als Gesamtkunstwerk gestaltet, womit ihre Funktion als eigenständiger Raum hervorgehoben wird. Obgleich sie zwei Orte miteinander verbindet und somit einen Raum der Transition bildet, evoziert die ihr zugeeignete Dekoration einen gegenteiligen Effekt. Sowohl die künstler. Ausgestaltung als auch die von den Fenstern gebotenen Ausblicke in die Landschaft laden zum Verweilen ein – zum Lustwandeln. Einen solchen Bezug zw. Architektur und Natur haben Vitruv und Plinius für antike Wandelhallen gefordert. Auf das Promenieren als Divertissement verweisen zeitgenöss. Architekturtraktate von Serlio und Scamozzi, aber die Idee eines Wandelganges war bereits von Erasmus von Rotterdam formuliert worden. In Anlehnung an Vitruv konzipierte er einen als ambulacrum bezeichneten Raum für das Obergeschoß einer Humanistenvilla, der mit heilsgeschichtl. Bildern sowie Kaiser- und Papstportraits ausgestattet ist und der Muße gilt. Auch wenn die beschriebene Wanddekoration nicht explizit dem Personenkult des Bauherrn dient, entspricht die Raumanlage einer Galerie.

Die traditionelle Galerie definierte sich als Repräsentationsraum, der im Kontext einer Prunkarchitektur ein Ausstattungsprogramm zur Herrscherikonographie präsentiert. Der Bauherr und seine Vorfahren wurden durch – teilw. fiktive – Ahnenreihen, Inschriften etc. glorifiziert. Zur Steigerung der polit. Repräsentation wurde häufig ein Bezug zur Herkulesthematik geschaffen. Herkules bildete das Ideal eines Renaissancefs.en, denn in ihm verbanden sich Virtus, Ruhm und Unsterblichkeit. Er stellte damit die Herrscherallegorie par excellence dar. Frühe frz. Galerien waren oft mit Jagdmotiven ausgestattet, die den hohen Rang des Schloßherrn anzeigten. Aufgrund der vorhandenen Hirschgeweihe wurde dieser Typus als galerie des cerfs bezeichnet. Ein erster und zunächst singulärer Impuls zu einer Integration von Sammelobjekten ging von der Galerie Franz I. in Fontainebleau (Abb. 216) aus. Sie wurde 1528-1540 mit 64 m Länge und 6 m Breite erbaut und vereint alle Kriterien, um als klass. Beispiel sowohl für den Raumtyp als auch die Bauaufgabe zu gelten. Im rhythm. Wechsel von Fenster und Wandfeld präsentierten sich zwei Bildprogramme zur Apotheose des Kg.s, die von üppigen Stukkaturen gerahmt wurden: ein allegor. Zyklus zum Leben Franz I. auf den Langseiten sowie mytholog. Darstellungen auf den Schmalseiten und Kabinetten. Neben den staatspolit. Aspekt trat eine Kontextualisierung mit der Landschaft, denn der Blick aus den Galeriefenstern der einen Langseite erfaßte den vorgelagerten Gartenkomplex mit See und Wasserspielen. 1543 wurden die von Primaticcio nach antiken Vorbildern angefertigten Bronzeabgüsse aufgestellt, womit die Galerie Franz I. zur ersten Antikengalerie avancierte. Mit der Unterbringung der Hofbibliothek im Dachgeschoß wurde ein weiterer Bezug zum Sammlungswesen geschaffen.

Um die Mitte des 16. Jh.s war die Bauform der Galerie in Frankreich vollständig ausgebildet, während sie in Italien noch am Anfang ihrer Genese stand, wie Schriften von Serlio und Cellini belegen. Die ital. Galerien entwickelten sich zudem nicht aus Korridoren, sondern aus Loggien, die geschlossen wurden, so daß eine Langseite fensterlos blieb. Initiativ wirkten sie hinsichtl. einer neuen Funktionszuweisung. Mit Rekurs auf die Galerie Franz I. in Fontainebleau wurde für sie ein Raumkonzept zur Aufstellung von Kunstwerken entworfen. Für eine harmon. Eingliederung in die ästhet. Inszenierung einer Galerie eigneten sich nur Gemälde und Antiken, da sie den angestrebten Raumeindruck als Gesamtkunstwerk nicht negativ beeinflußten. Scamozzi definierte jedoch noch 1615 als Hauptfunktion der Galerie die Promenade für Adlige, womit sie eindeutig in die Tradition der Loggia gestellt wird. Im Verlauf des 17. Jh.s trat der Bezug zw. Galerie und Sammlung in den Vordergrund und führte zu einer synonymen Verwendung der Begriffe. Zu Beginn des 18. Jh.s war dieser Schritt auch im dt. Sprachraum vollzogen, wobei der Raumtyp von der Bauaufgabe überformt wurde, wie die Formulierung Caspar Friedrich Neickels in Museographia, 1727, zeigt: Gallerien sind eigentlich gewisse lange, schmale Gänge, so zuweilen dazu dienen, daß man nützl. Cabinette oder Schränke mit Curiositäten, it. kostbare Gemälde auf selbige zu setzen pfleget: Einige vornehmlich in Italien, werden mit reliquen Statuen etc. besetzet (zit. nach Donath 1970, S. 50) Neickel beschreibt die Galerie als Sammlungsraum für eine Kunstkammer, ihren Charakter als Prunkarchitektur hat sie verloren. Das Reichsgebiet kann für das 16. Jh. bereits eine Reihe von Galerien verzeichnen. Hierbei handelt es sich zum einen um getreue Übernahmen frz. – und später auch ital. – Vorbilder und zum anderen um spezif. dt. Ausformungen des Raumtyps.

Kard. Albrecht von Brandenburg gab 1530 den Neuen Bau in Auftrag, der als Res. in Halle dienen sollte. Die Vierflügelanlage wurde unter der Leitung von Andreas Günther bis 1539 fertiggestellt und ist in ihrer ursprgl. Form nicht mehr erhalten. Der Nordflügel beherbergte einen Bibliothekssaal und eine Kapelle. Die Kapelle war nur in Obergeschoßhöhe zugängl., und zwar sowohl von der Bibliothek als auch dem Ostflügel her. Dieser über 65 m lange Osttrakt umfaßte zwei Geschosse und setzte sich durch eine niedrigere Raum- und Traufhöhe architekton. vom West- und Nordflügel ab. Das Erdgeschoß war als flachgedeckte Halle mit mittlerem Unterzug auf Stützen konzipiert, die sich zur Hofseite öffneten. Ihre Arkaden ruhten auf glatten Balustersäulen mit hohen Sockeln. Die stadtseitige Fassade war geschlossen bis auf den Hauptzugang, der sich am Nordende neben der Kapellenapsis befand. Das gesamte Obergeschoß des Ostflügels wurde von einem ungeteilten Raum eingenommen, der von beiden Seiten belichtet war. Die gedoppelten Fenster waren so angeordnet, daß jedem Fensterpaar an der gegenüberliegenden Seite ein Wandfeld entsprach. Auch wenn die ausgeführten Dekorationen verloren sind, zeigt sich bereits in der Raumkonzeption, daß es sich um eine Galerie nach frz. Muster handelt und damit die erste auf dt. Boden. Ein Fundus für eine evtl. Ausstattung mit Kunstwerken war gegeben, da Albrecht nicht nur über eine Sammlung von Schatzkunst, sondern auch über eine Kunstkammer verfügte, die u. a. viele Gemälde enthielt. Das Residenzschloß war von vornherein als Prestigeobjekt intendiert. Zu diesem Zweck wurden Baumotive der frz. und ital. Renaissance eingeführt, die dann im Gesamtkomplex mit traditionellen dt. Stilformen verbunden wurden. Zu den adaptierten Elementen der Repräsentationsarchitektur gehörten Hofarkaden, Galerie, Welsche Hauben, Okuli und Portalschmuck. Kard. Albrechts Strategie fsl.er Selbstinszenierung zeitigte die gewünschte Wirkung, denn der Neue Bau erntete die Bewunderung der Zeitgenossen.

Hzg. Ludwig X. ließ 1536-1543 die Stadtres. in Landshut errichten. Nach einem Staatsbesuch in Mantua, bei dem der Hzg. den Palazzo Ducale und den Palazzo del Te kennenlernte, wurde ab 1537 an den bereits begonnenen Deutschen Bau der Italienische Bau angefügt. Dieser greift bewußt auf die ital. Formensprache zurück und bildet das erste Beispiel in Dtl. für die Adaption eines ital. Renaissance-Palazzo. Im Obergeschoß des Südflügels befindet sich ein langer Gang mit sechs Fensterachsen zum Hof, der Deutschen und Italienischen Bau verbindet und zugl. als Zugang zur Kapelle dient (Farbtafel 118). Dieser als Kapellengang bezeichnete Raum entspricht in mehrfacher Hinsicht einer traditionellen frz. Galerie. Er erstreckt sich über offene Untergeschoßarkaden und fungiert nicht nur als Verbindungsglied zw. zwei Flügeln, sondern auch zur Residenzkapelle. Die einseitige Fensteröffnung wird formal ausgeglichen, indem den realen Fenstern an der Hofseite Fensterimitationen an der Südwand zugeordnet werden. Das hier angewandte Verfahren einer illusionist. Öffnung des Raumes erfuhr seinen Höhepunkt in der Spiegelgalerie von Versailles (1678-1686). Die Wandmalereien wurden 1542 von Hans Bocksberger d. Ä. ausgeführt. Neben Landschaftsbildern und Tierszenen wird in den Fensterzwischenräumen eine fiktive Ahnenreihe gestaltet. Gerahmt von ion. Pilastern sind zehn Fs.en als Ganzfigur in antikisierender Kleidung dargestellt. Die westl. Stirnseite schmückt ein Medaillon mit dem Portrait Ks. Ludwigs dem Bayern. An der östl. Stirnseite befinden sich das Portraitmedaillon von Hzg. Ludwig X. und eine Inschrift, die auf ihn als Bauherrn der Res. verweist. Sowohl Bauinschrift und Allusion auf den berühmten Namensvorgänger als auch die Integration in eine fiktive Ahnenreihe bilden Repräsentationsstrategien, die die für eine Galerie typ. Verherrlichung des Bauauftraggebers vollziehen. Im Landshuter Kontext besaßen sie, ebenso wie die im Italienischen Saal angebrachten Herkulesreliefs, polit. Aktualität, da sie den verzweifelten Machtkampf Ludwigs X. gegen seinen Bruder Wilhelm IV. visualisierten.

Unter Kfs. Moritz von Sachsen wurden 1548 die Um- und Ausbauten am Dresdner Schloß begonnen. Moritz unterhielt zu dieser Zeit enge polit. Kontakte nach Frankreich und Italien, die Auswirkungen im kulturellen Bereich zeitigten und zu künstler. Transferleistungen führten. Während die Hofloggia und Fassadendekoration des Schlosses ital. Motive aufgreifen, zeigt sich in der Grundrißdisposition eine Beeinflussung durch den frz. Schloßbau. Im Südflügel, der im 16. Jh. als das »lange schmale Haus« bezeichnet wurde, befanden sich große, langgestreckte Säle, die vor dem Anbau des Kleinen Schloßhofes 1588-1594 Fenster zu beiden Seiten besaßen. Kurzzeitig bestand der Plan, in diesem Trakt die Kunstkammer einzurichten, was aber nicht zur Realisierung gelangte. Im zweiten Obergeschoß des Langen Hauses lag ein 40 m langer und 8 m breiter Raum, der als Schießsaal benutzt wurde. Die Raummaße entsprechen genau denen der beiden Galerien von Écouen, und ein Verwendungszweck für Spiele und sportl. Übungen tritt vereinzelt bei frz. Galerien auf wie z. B. bei den Schlössern Laval und Fère-en-Tardenois. Ein frühes dt. Beispiel bietet der 1530-1538 errichtete Neue Bau des Schlosses Neuburg an der Donau, in dem Ball- und Reiterspiele sowie Fußturniere abgehalten wurden. Demnach kann der Dresdner Raum zumindest aufgrund seiner Ausmaße, der ursprgl.en Belichtungssituation und seiner Zweckbestimmung als Galerie betrachtet werden. Für eine Entsprechung im klass. Sinne fehlt eine Situierung im ersten Obergeschoß über einem Arkadengang. Eine solche typ. Galerie wurde im Zuge des Neubaus des Stallhofes geschaffen, der im Auftrag Christians I. 1586-1591 von Paul Buchner ausgeführt wurde. Es handelt sich um den Langen Gang, der Georgenbau und Stallgebäude verbindet und die Hofanlage mit der Rennbahn nach N schließt. Seine Konzeption wird Giovanni Maria Nosseni zugeschrieben. Die Bauarbeiten waren 1588 abgeschlossen, so daß mit der Innenausmalung begonnen werden konnte. Der Lange Gang erreicht eine Länge von etwa 100 m, womit er zu den größten Galerien in Europa im 16. Jh. gehörte und nur von der Galerie d'Ulysse in Fontainebleau (1541-1559, 150 m), der Galleria delle Carte Geografiche im Vatikan (1580-1582, 120 m) sowie der Galleria degli Antichi in Sabbioneta (1583-1584, 120 m) übertroffen wurde. Er spannt sich über einen zur Hofseite offenen Arkadengang, der auf 22 toskan. Säulen ruht. Die Lisenen über den Säulen werden von skulptierten Wappen der kursächs. Lande geschmückt. Zw. den gedoppelten Fenstern mit Dreiecksgiebeln befanden sich 19 freskierte Darstellungen der Taten des Herkules und im Mittelfeld eine gemalte Sonnenuhr. Ab 1590 schuf Hofmaler Heinrich Göding Tafelbilder zur Dekoration der Arkaden. Als Motive dienten Turniere und Feste, die von Christian I. veranstaltet worden waren und somit auf die Funktion des Stallhofes verwiesen. Sie wurden ergänzt von lebensgroßen Bildern der wertvollsten Pferde aus den Hofstallungen. Im ersten Obergeschoß war die Ahnengalerie der Wettiner untergebracht; seit 1733 befand sich dort auch die Gewehrgalerie, wobei das Bildprogramm unv. blieb (Abb. 217). Der Galerieraum besitzt zu beiden Seiten Fenster, jedoch in versetzter Abfolge, so daß mit jeder Fensteröffnung eine Wandfläche auf der gegenüberliegenden Seite korrespondiert. Philipp Hainhofer hat 1629 die Raumausstattung detailliert beschrieben. Zunächst erwähnt er zwei ausgestopfte weiße Schweine und einen Bären am Eingang der Galerie, um sich dann der fsl. Ahnenreihe zu widmen, die bis in das Jahr 90 vor Chr. zurückreicht. Das Haus Sachsen präsentierte sich mit ursprgl. 46 ganzfigurigen Bildnissen, die teilw. fiktive Vorfahren einschließen, wie die sagenhaften Herrscher Harderich, Anserich und Wilke. Die Portraits führte Heinrich Göding aus. Ihre Anzahl erhöhte sich durch nachfolgende Kurfürstengenerationen auf 53. Die Fürstenbildnisse sind an den Wandflächen zw. den Fenstern aufgehängt und mit Rollwerkkartuschen versehen, die biograph. Daten und Motti enthalten. Außerdem ist jedem Fs.en ein Ovalschild zugeordnet mit einer – meist krieger. – Szene aus seinem Leben. Die Bildnisreihe schließt, 1588, mit Kfs. Christian I., dem Bauherrn. Seinem Portrait ist eine Ansicht des Stallhofes und Langen Ganges beigefügt, womit deren Erbauung als künstler. Leistung gewürdigt wird. Die Ahnengalerie im Langen Gang erfährt im Kontext des Herkuleszyklus polit. Brisanz, denn seit Beginn des 16. Jh.s bedienten sich die Habsburger des Herkulesthemas zur Legitimierung ihrer Machtansprüche und deren Widersacher Franz I. hatte das Motiv in der Galerie in Fontainebleau ostentativ umgesetzt. Christian I. präsentiert sich als Hercules Saxonicus – eine Heldenrolle, mit der bereits Moritz von Sachsen den Ks. herausgefordert hatte. Unter den Fenstern hingen 29 Holztafelbilder mit Darstellungen der Turniere, an denen Kfs. August teilgenommen hatte. Sie wurden ebenfalls von Heinrich Göding erstellt.

Kfs. August von Sachsen ließ anstelle der abgebrochenen Burg Schellenberg ab 1568 die Augustusburg errichten, die einen Höhepunkt sächs. Spätrenaissancearchitektur bildet. Es handelt sich um eine regelmäßige Vierflügelanlage, deren Konzeption auf zeitgenöss. vitruvian. Architekturtheorien rekurriert. Schloß Augustusburg sollte als Jagdschloß, aber auch als Herrschaftszeichen, d. h. als Baudenkmal zur Repräsentation der Kurwürde, dienen. Nach den Grumbachschen Händeln hielt der Kfs. es für erforderlich, seine Machtposition visuell zu legitimieren. Als Baumeister wurden Hieronymus Lotter und Erhard van der Meer eingesetzt. 1571 trat Rocco di Linar, dem seit 1569 die Leitung des gesamten kursächs. Bauwesens oblag, die Nachfolge des entlassenen Lotter an. Ende 1569 war der Rohbau des Schlosses weitgehend abgeschlossen, und 1572 fand die feierl. Einweihung statt. Zw. dem Sommerhaus im NW und dem Hasenhaus im SW war ein Galerietrakt eingezogen. Die ursprgl. Planung sah hier hofseitig offene Loggien im Erd- und ersten Obergeschoß sowie einen geschlossenen Gang im zweiten Obergeschoß vor. Eine Kürzung der Geldmittel 1571 führte dazu, daß im Erdgeschoß ein Arkadengang mit fünf Pfeilern und darüber ein geschlossener Gang erbaut wurden. Dieser Raum im ersten Obergeschoß wurde zunächst als Stammstube und später als Fürstensaal bezeichnet und entsprach dem Bautypus einer klass. Galerie. Die Fassaden des Galerieflügels und der ihm gegenüberliegenden Schloßkapelle sind als einzige architekton. hervorgehoben, womit ihre Bedeutung als Orte weltl. und geistl. Macht unterstrichen wird. Die Dekoration der Innenräume war eher bescheiden gestaltet. Sie bestand aus Wand- und Deckenmalereien, die ab 1570 von Heinrich Göding ausgeführt wurden, sowie Wandtäfelungen und verzierten Holzflachdecken. Ein Inventar von 1587 gibt außerdem 2 150 Gehörne an, die sich über die Schloßräume verteilten. Das Zentrum dynast. Repräsentation bildete die Stammstube, die als Galerie beidseitig belichtet war. An den Fensterlaibungen befanden sich Ritterfiguren mit den Wappen der kursächs. Lande und an der Kassettendecke Kartuschen mit den Monogrammen von Kfs. und Kfs.in. Auf den Wandtäfelungen zw. den Fenstern waren aufwendig gerahmte Brustbildnisse der Vorfahren Augusts angebracht, die eine teilw. fiktive Ahnenreihe bildeten. Als Vorlage der genealog. Folge diente die Bilderserie in der Stammstube des Wittenberger Schlosses. In Anlehnung an jene schuf Lucas Cranach d. J. 1571-1573 die Ahnenreihe auf Schloß Augustusburg und ergänzte die Fürstenportraits bis zu Kfs. August. Diese Fortführung bis zur aktuellen polit. Machtposition war zugl. ikonograph. Stilmittel, um die Übertragung der Kurwürde von der ernestin. auf die albertin. Linie der Wettiner zu manifestieren. Zunächst beabsichtigte August, die Ahnenbildnisse in der Galerie aufzustellen, analog zur Situation in Schloß Anet, wo eine Reihe von Königsportraits auf Staffeleien ausgestellt war. Lotter äußerte Einwände gegen den Wunsch des Kfs.en und schlug als Aufstellungsort einen Saal im Lindenhaus vor. August akzeptierte jedoch nicht einen beliebigen Saal zur Unterbringung seiner Ahnenreihe, sondern bestand auf der Galerie. Damit definierte er die Bauaufgabe Galerie nach frz. Vorbild, d. h. als Verherrlichung des Fs.en und Bauherrn, indem das ikonograph. Programm Abstammung, Rang und Machtansprüche visualisiert. Die Tradition dynast. Repräsentation durch fiktive Ahnenreihen war im Reichsgebiet zuvor von großen Sälen – den Fürstensälen, Ahnensälen, Tugendsälen, Stammstuben etc. – geleistet worden und wurde nun auf die Galerie übertragen.

Die Bautypen Saal und Galerie zeigten oftmals eine Überschneidung in Ikonologie und Raumform, die eine eindeutige Differenzierung verhindert. Dies gilt auch für den Spanischen Saal, der 1569-1572 von Giovanni Lucchese im Auftrag Ferdinands II. als freistehender Bau am Fuß des Ambraser Schlosses errichtet wurde (Abb. 218). Das Maßverhältnis des Saales von 43 m Länge zu 10 m Breite verweist auf frz. Galerien, wie sie in den 1540er Jahren in Écouen und Ancy-le-Franc gebaut worden sind. Der Spanische Saal besitzt nur an der Südseite Fenster, da die Nordwand an den Felsen grenzt. In der Frieszone der Süd- und Westwand befinden sich Ochsenaugen. Auf die korrespondierenden, stuckgerahmten Rundfelder der Nord- und Ostseite sind Himmels- und Wolkenausblicke gemalt, so daß ein architekton. Pendant geschaffen wird. An allen vier Wänden sind vor den Ochsenaugen Hirschgeweihe und Steinbockhörner angebracht, wie es für eine galerie des cerfs übl. ist. Zum ikonograph. Programm gehört eine vermutl. von Giovanni Battista Fontana gemalte Ahnenreihe, die 27 ganzfigurige Portraits der Tiroler Landesfs.en zeigt. Die Protagonisten stehen vor einem landschaftl. Hintergrund, womit eine illusionist. Öffnung des Raumes achsensymmetr. zu den gegenüberliegenden Fenstern erzielt wird. In der Ostecke des Raumes wird die Ahnenreihe mit Gf. Albert I. von Tirol eröffnet und führt dann chronolog. zu den Habsburgern, um mit Ehzg. Ferdinand II. in der Westecke zu enden. Das dynast. Thema ergänzen allegor. Figuren und mytholog. Szenen an den Wänden und Sockeln: Darstellungen der Tugenden, Taten des Herkules, röm. Historie und Freien Künste sowie Trophäen und Grotesken. Gleichzeitig mit dem Spanischen Saal entstand das Ball- bzw. Ballonhaus, das den Schloßgarten nach W abgrenzte. Es handelte sich um einen traditionellen Galerieraum, der über einem offenen Arkadenuntergeschoß gebaut wurde und für Ballspiele diente. Ab 1572 ließ Ehzg. Ferdinand II. auf dem Vorhof des Schlosses einen Gebäudekomplex errichten, der zur Aufnahme seiner Sammlungen konzipiert war. In den drei zusammenhängenden Flügeltrakten wurden Rüstkammer, Kunstkammer und Bibliothek untergebracht. Die Kunstkammer befand sich im mittleren Trakt in einem langgestreckten Raum mit beidseitiger Belichtung, der über Arkaden konstruiert war. Der Bauaufgabe Kunstkammer wurde bewußt der Raumtyp Galerie zugeordnet, um den repräsentativen Charakter zu betonen. Im Gegensatz zum Spanischen Saal und zum Ballhaus erscheint die Kunstkammer als Galerie ital. Prägung.

Die Entwicklung der Galerie im Reichsgebiet präsentiert sich diffus, da keine stilist. Kontinuität verzeichnet werden kann. Raumtyp und Bauaufgabe wurden bereits im frühen 16. Jh. rezipiert, aber bis Mitte des 17. Jh.s nur zögerl. realisiert. Architekton. Umsetzungen mit Rückgriff auf klass. frz. Galerien erfolgten in Landshut, Augustusburg, Ambras und Dresden. Zeitgl. traten Anverwandlungen auf, die am traditionellen dt. Saalbau festhielten. Hierzu gehört das Münchner Antiquarium (1569-1571), das institutionell als Kunst-Galerie fungierte, aber bautyp. als Saal einzuordnen ist, auch wenn durch einige architekton. Merkmale eine Annäherung an den Raumtyp Galerie stattfand. Als dritte Kategorie erscheinen Schloßbauten, die in der Grundrißdisposition auf frz. Vorbilder rekurrieren, aber bewußt auf die Errichtung einer Galerie verzichteten, wie dies auf die Schlösser Horst in Westfalen (1558-1578), Neuhaus bei Paderborn (1585-1591) und Aschaffenburg (1605-1614) zutrifft. Erst im Hoch- und Spätbarock avancierte die Galerie zum integralen Bestandteil des dt. Schloßbaus, bedingt durch einen Wandel in der Konzeption fsl.er Selbstdarstellung. Der Bau einer Galerie über einem Arkadengeschoß bedeutete nicht nur eine architekton. Öffnung zur Außenwelt, sondern auch einen bewußten Verzicht auf Fortifikationsmaßnahmen und die Einbindung des Residenzumfeldes, unter Wahrung der sozialen Distinktion, in die polit. Ikonographie. Die absolutist. Repräsentationsstrategien zur Steigerung der magnificentia principis waren nun vorzugsweise ästhet. Inszenierungen wie Kunstpatronage und Festkultur, die ein Publikum erforderten.

Quellen

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