Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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MÜNSTER, BF.E VON

I.

Das spätere münster. Hochstift wurde von → Utrecht aus missioniert, so daß die Abgrenzung dieser beiden Diöz.n eine Rückzugsgrenze des → Utrechter Einflusses darstellt. 792, mit der Übertragung der Mission durch Karl den Großen an Liudger wurde der Grundstein für zwei geogr. nicht verbundene Teile der Diöz. zw. Osning (Teutoburger Wald) und Lippe bzw. Friesland gelegt. Die Gründung der Diöz. erfolgte nach Wilhelm Kohl (Germania Sacra. NF, 17,1, 1987, S. 64) wohl 799 anläßl. des Zusammentreffens Karls des Großen mit Papst Leo in→ Paderborn. Im O treffen die Bistümer M., → Paderborn und → Osnabrück aufeinander, im S grenzt mit der Lippe das Bm. → Köln an. Diese Begrenzungen, zunächst nicht ausgefüllt, bleiben im wesentl. bis 1821 unveränd. In der größten Ausdehnung umfaßte das Fbm. in der Neuzeit mehr als 10 000 qkm.

II.

Im zehnten und elften Jh. kam der Bf. zumeist aus Familien des ostsächs. Hochadels. Diese bemühten sich mit unterschiedl. Intensität um eine vom Domkapitel unabhängige Herrschaft. Bf. Rotbert (1042-63?) war der erste münster. Bf., der nachweisl. ein eigenes, vom Domkapitel unabhängiges Siegel führte. In der Folge waren die Bf.e zumeist den Ks.n nahestehend. Die Regierungszeit Bf. Friedrichs von Are (1152-68) ist verbunden mit Ausbau und Verfestigung des münster. Territoriums. Als herausragende Persönlichkeit gilt allg. Bf. Hermann II. von Katzenelnbogen(1174-1203), zuvor Würzburger Domherr und mütterlicherseits aus der Familie der Gf.en von → Henneberg stammend. Unter ihm wurde die territoriale Herrschaft der Bf.e durch Klostergründungen, Erwerb kleinerer weltl. Herrschaften, Errichtung von Landesburgen, Verleihung von Stadtrechten u. a. intensiv vorangetrieben. Versuche kleinerer weltl. Herren, sich der münster. Herrschaft zu entziehen, schlugen fehl. Daß er zuweilen als erster Fbf. bezeichnet wird, findet hierin seine Begründung, ohne daß eine eindeutige Zäsur dat. werden könnte. Die Regierungszeit wie die Wahl Bf. Otto I.(1203-18) steht unter dem Zeichen des Thronkonfliktes zw. → Otto IV. und → Friedrich II. Andererseits beginnt mit ihm die Zeit, in der heim. Kräfte die Wahl bestimmen und die münster. Bf.e Anteil an der Reichspolitik nehmen. Bf. Gerhard von der Mark-Altena (1261-74) mußte zwar in der Folge der Kölner Fehde von 1267 den Gf.en Otto von Tecklenburg als Vogt und Tutor des Stifts M. einsetzen, doch konnte er in der Diöz. seine weltl. Herrschaft prinzipiell nahezu vollständig durchsetzen, was sich auch in dem Ausbau der Verwaltung niederschlug. In Friesland, im Emslandund in der Herrschaft Vechta war allerdings in der Folge die landesherrl. Stellung außerordentl. schwach. Durch Landfriedensbündnisse sollte im letzten Viertel des 13. Jh.s die territoriale Herrschaft gesichert werden (mit dem → Kölner Ebf., dem Gf.en von der → Mark, dem Bf. von → Osnabrück und den Städten M., → Soest und → Dortmund). Im 14. Jh. eröffneten Vakanzen und zwiespältige Bischofswahlen Domkapitel, Vasallen und Ministerialen verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten. Aus dem Jahr 1301 stammt die erste nachweisbare Wahlkapitulation einesmünster. Bf.s (Otto von Rietberg, 1301-06). Ludwig von Hessen (1310-57) suchte seine Landesherrschaft durch ein System von castra ligia statt durch Bau neuer Landesburgen zu sichern. Daneben wurden Stadt-, Markt- und sonstige Rechte übertragen. Die folgende Zeit ist durch Fehden geprägt, die die nordwestdt. großen Familien immer wieder um ihre Einflußmöglichkeiten und die Besetzung der geistl. Fsm.er führten. Bes. zu nennen ist die münster. Stiftsfehde zw. Johann von Hoya und Bf. Heinrich von Moers 1450-56. Die Auseinandersetzungen um die Reformation fanden in M. ihrenHöhepunkt im Wiedertäuferreich (1534/35). Die von Franz von Waldeck seit 1542 beabsichtigte Reformierung des Bm.s wurde durch die Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg verhindert. Eine Konsolidierung des Stiftes und seiner Institutionen setzte mit der Berufung Bf.s Johann von Hoya (1566-74, seit 1553 Bf. von → Osnabrück) ein. Konfessionelle Auseinandersetzungen prägen auch die münster. Stiftsgeschichte des 17. Jh.s.

II.

Die Möglichkeit eines eigenständigen bfl. Hofes wird mit der Auflösung der vita communis mit dem Domkapitel um das Jahr 1000 gegeben. Zu dieser Zeit machte die Trennung zw. domkapitular. und bfl. Gut unter dem durch Ks. Otto I. eingesetzten Bf. Dodo (969-93) große Fortschritte. Beeinträchtigt wurde die Entwicklung und Existenz eines münster. Hofes und seiner einzelnen Institutionen immer wieder durch Personalunionen, v. a. mit dem Ebm. → Köln. Franz von Waldeck war gleichzeitig Bf. von M., → Osnabrückund → Minden und teilte deshalb in der ersten erhaltenen münster. Hofordnung vom 30. Sept. 1536 seine Hofhaltung zw. den drei Stiften auf. Im 16. Jh. wurde durch die krieger. Auseinandersetzungen um das Täuferreich (1534-36) und im Schmalkaldischen Krieg der Fbf. und sein Hof finanziell und polit. gegenüber den Landständen extrem geschwächt. Die zweite Hofordnung aus dem Jahr 1547 ist explizit im Zusammenwirken von Landständen und Bf. verfaßt. Eine wichtige Ausnahme bildet die Regierungszeit Christoph Bernhards von Galen (1650-78), der durch seine polit. Aktivitäten die Positiondes Bf.s stärkte. Noch gegen Ende des Alten Reiches wollten die Landstände mit der in der Wahlkapitulation Bf. Maximilian Franz festgehaltenen Verpflichtung, in M. ein Schloß zu bauen, diesen zur stärkeren Präsenz bewegen.

Abgesehen vom Wechsel der für den Hof am Bischofssitz genutzten Gebäude waren auch wg. Konflikten mit Bürgerschaft und Stiftsadel auswärtige Residenzorte immer wieder wichtig wie Ahaus. Südöstl. wurde durch Bf. Ludolf von Holte (1226-48) die Burg Wolbeck als Stützpunkt erbaut und gut 130 Jahre später durch Bf. Florenz von Wevelinghoven (1364-78) in Größe und Ausstattung verbessert. Burg Wolbeck wurde wie auch andere Res.en als Jagdschloß genutzt und dauerhaft Sitz eines bfl. Amtmannes, eines seit dem 16. Jh. vererbl. Drosten (in Wolbeck die Familie von Merveldt). Zu nennen sind die BurgenHorstmar (seit 1269, genutzt bes. im 15. Jh., 1572 kurzzeitig Sitz des Hofgerichts), Sassenberg (v. a. unter Bf. Everhard von Diest, 1272-1301), Bevergern (1400 von Fbf. Otto von Hoya erobert und ausgebaut; Otto von Hoya, 4. Okt. 1424, wie auch Bf. Konrad von Rietberg, 19. Febr. 1508 starben hier). Die Bedeutung der auswärtigen Residenzorte spiegelt sich auch in den Hofordnungen wider: Die Ordnung des Jahres 1536 ist ebenso wie diejenige des Jahres 1547 auf Horstmar erlassen und sieht diese Burg als Hofhaltung vor. Die nächste bekannte Ordnung aus dem Jahr 1573 ist auf Ahaus erlassenworden.

Die Besetzung des Bischofsstuhls wechselte zw. Kg. (zuletzt Hermann II. 1174), Wahlen durch das Domkapitel (zuerst Bf. Dietrich II., 1118) und päpstl. Provision (unregelmäßig seit dem 14. Jh.). Domkapitel und Adel versuchen sich in der Besetzung der Ämter zu behaupten und die Bischofswahl zu monopolisieren. Die Bf.e wurden seit dem 13. Jh. fast ausschließl. aus Familien nordwestdt. Territorialfs.en (beginnend mit Otto. I.) besetzt. Beherrschend war im 14. Jh. die Familie von der → Mark mit Bf. Adolf (1357-63) der anschl. Ebf. von → Köln wurde. Die Reibungen zw.diesen Familien (v. a. Moers und Hoya) führten immer wieder zu Konflikten, u. a. 1450-56 zur Stiftsfehde. Mit Wilhelm Ketteler (1553-57) kam erstmals ein nichtgfl. Bewerber auf den Bischofsstuhl.

Der bfl. Hof umfaßte im 16. Jh., nimmt man die Hofordnung des Jahres 1547 zur Grundlage, ungefähr vierzig Personen. An der Spitze der höf. Verwaltungsbeamten standen seit dem 12. Jh. die Ministerialen, die die vier Ämter des Marschalls, des Truchsessen (Drosten), des Schenken und des Kämmerers innehatten. Zur Besetzung dieser Ämter betont die zweite Hofordnung (1547) ihre münster. Herkunft. Die Hofordnung von 1536 kennt einen Hofmeister zur Oberaufsicht über Hof und Kanzlei, dann den Hofmarschall und als Rangdritten den Küchenmeister. Der Dorwerder als eine ArtSchloßhauptmann, schon 1536 gen., scheint in der nächsten Ordnung des Jahres 1547 den Hofmeister ersetzt zu haben. Dieser wird allerdings 1573 wieder gen. Neben der Hierarchie, direkt dem Bf. unterstellt, gehört von Beginn an der capellanus, manchmal capellarius, zum bfl. Hof, der auch Schreiber- und Notardienste verrichtete. Zur Hofkapelle gehörten ungefähr seit Mitte des 12. Jh.s weitere Kapelläne, die polit. und Verwaltungsaufgaben erhielten. Unter Bf. Hermann II. lassen sich um die Wende vom 12. zum 13. Jh. erstmals Tätigkeiten einer Kanzleimit bfl. Notaren und Schreibern nachweisen, ohne daß bereits Unterbehörden vorhanden wären. Bf. Ludolf von Holte (1226-47) stärkte die Ministerialen gegen das Kapitel. 1246 wird die ohne Zu-stimmung des bfl. Lehnsherren vollzogene Veräußerung der als Lehen eingestuften Hofämter des Drosten, Kämmerers und Mundschenken verboten. Unter Bf. Otto II. zur Lippe (1247-59) war ein Münzmeister tätig. Zum bfl. Hof gehörten gleichfalls die geistl. Ämter eines Offizials, Siegelers und Generalvikars, beginnend um die Mitte des 13. Jh.s. Der Offizial übernahm Aufgaben bfl. Jurisdiktion. Unter Bf. Gerhard erscheint ein gelehrter Domküster, der wie der Bf. selbst aus der Gft. → Mark stammte, als bfl. Offizial. Das Domkapitelversucht in der Folge immer wieder, die Existenz des Amtes zu beenden. Zu seinem Personal gehörten der Siegeler (im 16. Jh. als Beisitzer des Gerichts), drei bis vier Notare, Schreiber und Gerichtsvollzieher. Unter Bf. Otto von Rietberg bestand das Domkapitel darauf, ein Offizial müsse aus seinen Mitgliedern gewählt werden. Der Streit eskalierte mit der Forderung des Bf.s an die Kanoniker, die Priesterweihe zu nehmen, der Vertreibung des oppositionellen Domdechanten und seines Anhangs aus ihren Ämtern und der Wahl eines neuen Bf.s. In der Folge wurde mit Ludwig von Hessen (1310-57) erstmaligein münster. Bf. vom Papst ernannt. Unter ihm wandelte sich seine Beratung von einer ständ. Vertretung des Landes zu einem Kollegium von zumeist Geistlichen als bfl. Vertrauenspersonen. Wirtschaftl. Zwänge führten zu einem Verlust des Bf.s der weltl. Gerichtsbarkeit gegenüber dem Domkapitel und der Stadt. Die Bedeutung der weltl. Gerichte wurde aber durch die konkurrierenden geistl. Gerichte eingeschränkt. Um 1570 wurden Landgerichte und Offizialat neugeordnet, ein weltl. Hofgericht (eröffnet am 2. Juni 1572) eingerichtet. Die Siegelkammer als Erweiterung des einer Einzelperson zugeordnetenAmtes arbeitete seit dem 15. Jh. Siegeler konnte bis ins 17. Jh. nur ein Geistlicher mit jurist. Ausbildung werden, er wurde vom Bf. persönl. ernannt. Jüngste geistl. Behörde ist das Generalvikariat, seit seiner ersten Erwähnung 1385 bis ins 18. Jh. in Personalunion mit dem (finanziell bedeutsameren) Siegleramt besetzt. Der von Kfs. Ernst um 1600 eingesetzte Geistliche Rat zur Katholisierung des Bm.s erlangte keine dauerhafte Bedeutung, nach seinem Tod 1612 tagte der Rat nur noch ein einziges Mal.

Unter Bf. Ludwig von Wippra (1169-73) gab es verstärkte Bestrebungen, die Vermischung von Einkünften des Domkapitels und des Bf.s zu Gunsten des letzteren zu beenden. Am Münzgewinn gestand dieser Bf. dem Kapitel einen jährl. mit 30 Schillingen abgegoltenen Anteil zu. Für die ständigen Konflikte zw. Kapitel und Bf. fanden sich immer wieder Beispiele. Im 14. Jh. berief Bf. Ludwig Verwandte ins Domkapitel, um seine Position in (Finanz-)Streitigkeiten zu stärken. Ludwig von Hessen gründete auch Kollegiatstifte, um Versorgungsstellen für Beamte zu schaffen, auf die das Domkapitel keinen Einflußhatte. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jh.s spielte die Residenzstadt als Geldgeber für den Bf. eine wichtige Rolle. Wg. Geldmangels mußte Bf. Otto von Rietberg am 19. Juni 1304 Land vor den Toren M.s an das Domkapitel verkaufen, am 22. Sept. dem Ritter Jakob von Langen das emsländ. Amt Landegge verpfänden. Bf. Ludwig von Hessen mußte in Folge seiner märk. Gefangenschaft am 17. Mai 1323 und einer Lösegeldforderung von 5500 Mark gegenüber der päpstl. Kammer seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Dem Gf.en von der → Mark mußte er die Burg Botzlar und die Gerichte Olfen und Werneüberlassen. Aus territorialen Gründen kam es dann zur Bredevoorter Fehde, die im Hochstift zu großen wirtschaftl. Schäden führte. Die finanziellen Belastungen des Hofes wurden durch seine repräsentative Ausweitung im 17. Jh. so groß, daß sie durch ein landständ. Subsidium von monatl. 2000 Rtl. aufgefangen werden mußten. Bf. Johann von Hoya gründete 1572 die Rechenkammer als Finanzbehörde, um die Steuerverwaltung effizienter zu gestalten.

Archive sind bis ins 16. Jh. unbekannt, zu vermuten ist für die Frühzeit eine Aufbewahrung von Dokumenten in einem Turm der Domkirche, später auf einer Landesburg (viell. Wolbeck). Durch den Juristen Bf. Johann von Hoya (1566-74) wurde die Entwicklung zu Spezialarchiven möglich: Landesarchiv als Archiv des fsl. Rates, daneben aus den Registraturen der jeweiligen Behörden Archive der Hofkammer, der Gerichte und der Landstände. Eine dem Hof und seinen Behörden zugerechnete Bibliothek hat es nicht gegeben, da der persönl. Besitz eines jeden Bf.s, darunter die Bücher, seinemtestamentar. eingesetzten Empfänger zufiel. Durch die Hof- und Tischordnungen des 16. Jh.s sind am Hof auch Edeljungen und Musiker nachzuweisen (Trompeter, Geiger). Ihre Zahl bleibt aber bis zur zweiten Hälfte des 17. Jh.s sehr gering, erst von Galen sorgte für den Aufbau einer Musikkapelle, die 1679 wohl 14 Musiker umfaßte.

Zur Darstellung des bfl. Hofes ist in besonderer Weise die Pflege der Domkirche zu rechnen. Hoffeste verbanden sich an geistl. Höfen zumeist mit den Patrozinien der Domkirche, für deren Besuch am Weihe- oder Patronatsfesttag Papst Innozenz IV. am 7. Nov. 1245 einen Ablaß verkündete. Bf. Ludolf von Holte führte das bis 1759/60 gefeierte Fest Victoria St. Pauli ein, das an seinen Sieg vom 27. Juni 1242 über die Stiftsministerialität erinnern sollte.

Quellen

Lüdicke, Reinhard: Vier Münsterische Hofordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kulturgeschichte 9 (1901/02) S. 137-162. - Weitere Quellen- und Literaturangaben in: Das Bistum Münster, 1999, S. 1-18.

Angenendt, Arnold: Mission bis Millenium: 313-1000, Münster 1998 (Geschichte des Bistums Münster, 1). - Holzem, Andreas: Der Konfessionsstaat: 1555-1802, Münster 1998 (Geschichte des Bistums Münster, 4). - Germania Sacra. NF, 17,1-3, 1987-89; NF, 37,1, 1999. - Schröer, Alois: Die Bischöfe von Münster. Biogramme der Weihbischöfe und Generalvikare, Münster 1993 (Das Bistum Münster, 1).