Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich

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LUPFEN

A. Lupfen

I./II./IV.

Die süddeutsche Adelsfamilie der Herren von L. taucht urkundlich erstmals um 1100 in den Quellen auf und dürfte auf die Burg L. zurückgehen (südlich von Rottweil); ihr Wappen bestand aus einem in Blau und Silber geteilten Schild. Den Gf.entitel sicherte sich die Familie in der Mitte des 13. Jh.s mit der Übernahme der Gft. Stühlingen. Die Geschichte bleibt bis ins 14. Jh. hinein lückenhaft. Erst mit Johann I. lassen sich um 1400 die Konturen von Familie und Herrschaft klarer fassen, als die Gf.en sich dank einer geschickten »Schaukelpolitik« zwischen Reich und Habsburg als einflußreiche Herren etablieren können. Dank Heiratsbeziehungen nach Tirol und v.a. in das Elsaß vernetzt, zählten die Gf.en von L. über das MA hinaus zu den maßgeblichen Adelsfamilien an Hoch- und Oberrhein und übten in habsburgischem Dienst wichtige Ämter aus. Mit Gf. Heinrich starb das Geschlecht Ende 1582 im Mannesstamm aus.

Über die frühe Zeit ist wenig bekannt. Die Burg L. wird erst später erwähnt, einzelne Angehörige der Familien sollen geistliche Karrieren gemacht haben – die bescheidene Überlieferung läßt aber keine weitergehenden Rückschlüsse zu Stellung und Beziehungsnetz zu. Erst 1251 lichtete sich der Nebel: Im Streit um das Erbe der Gf.en von Küssenberg fand in Konstanz eine gütliche Einigung statt. Der mit einer Schwester des letzten Küssenbergers verh. Gf. Heinrich von L. vermochte sich die Gft. Stühlingen (Wutach) zu sichern, mußte aber andere Teile der Hinterlassenschaft dem Bf. von Konstanz oder den Gf.en von Kyburg überlassen oder in klösterl. Stiftungen »neutralisieren« (Eugster, Territorialpolitik).

Mit der Gft. – später Lgft. – Stühlingen stiegen die Gf.en von L. zu einem der maßgeblichen Geschlechter der Region auf. Aus den beiden herrschaftlichen Schwerpunkten gingen zwei Linien hervor. Während Stühlingen mit der Burg als Res. bis zum Aussterben in Familienbesitz blieb, verkaufte die lupfische Linie ihre »Stammburg« bereits 1304 an die Habsburger, konnte aber ihre Herrschaft weniger später wieder als Pfand übernehmen und bis ihrem Verschwinden um 1440 verwalten. Zum Eindruck eines am Hochrhein solide verankerten Geschlechts trugen im 13./14. Jh. auch die Heiratsbeziehungen mit den Frh.en von → Zimmern, Regensberg, Rosenegg oder Bechburg bei.

In den Jahren vor und nach 1400 veränderte sich die Situation der Gf.en aber beinahe dramatisch, vergleichbar der Situation der Gf.en von → Sulz. Gf. Johann (oder Hans) bestimmte über Jahrzehnte das Schicksal der Familie, war ein geschickter Politiker, zog aus dem Konflikt zwischen Ks. Sigismund und Hzg. Friedrich IV. großen Gewinn und vermochte so die herrschaftlichen Strukturen auf neue Grundlagen zu stellen. Als »erfolgreiche Adlige« setzten die Gf.en von L. auf »eine überdurchschnittliche Härte und Rücksichtslosigkeit« (Köhn, Bundschuh, S. 128) und verfolgten so ihre territorialen Ambitionen in einem heiklen Umfeld. Die (erste) Ehe mit Herzlanda von → Rappoltstein brachte Johann I. Güter im Elsaß ein, die (zweite) Ehe mit Elisabeth von Rottenburg dann Güter und Ansprüche im Tirol – beide Erbgänge brachten die Gf.en von L. bald in Gegensatz zum Haus Habsburg. Im Mittelpunkt der Familienpolitik stand der Erwerb der Herrschaft → Hewen, ein habsburgisches Lehen der Frh.en von → Hewen. 1398 an Hzg. Leopold IV. von Österreich verpfändet, kam die Herrschaft 1404 als Pfand an Johann I. von L., dem damaligen österr. Landvogt, wohl zur Sicherstellung von ausstehenden habsburgischen Zahlungen. Die Versuche Hzg. Friedrichs IV., die Stellung des immer mächtigeren Gf.en von L. einzuschränken und das Pfand zurückzulösen, scheiterten. Mit der Parteinahme für Ks. Sigismund sicherte sich Johann I. vielmehr geschickt ab, wurde Hofrichter und Reichslandvogt und ließ sich die Gft. Stühlingen, 1415 auch → Hewen, als Reichslehen bestätigen. Gleichzeitig verzögerte er die Rückgabe der Herrschaft → Hewen mit allen Mitteln und suchte zu Lasten der Untertanen größtmöglichen Profit aus diesem Pfand zu ziehen – eine Politik, die seine Söhne nach seinem Tod 1436 erfolgreich weiterverfolgten.

In den ersten Jahrzehnten des 15. Jh.s hatten die Gf.en von L. ihre Herrschaft entscheidend vergrößern können. Erstmals werden jetzt auch die Strukturen besser sichtbar, als die Rittergesellschaft mit St. Jörgenschild 1438 das Erbe zwischen den vier Söhnen Johanns I. aufteilte; die Herrschaft blieb dabei eine Einheit. Der Komplex → Hewen war deutlich mehr wert als Stühlingen und Landsberg (Elsaß); das väterliche Erbe trug den Brüdern jedoch vergleichsweise nur wenig ein, vom Besitz allein konnten sie nicht leben (Oka, Erbschaftsteilung, S. 232 f.). Gleichzeitig wird deutlich, daß die beiden Städtchen Engen und Stühlingen den wirtschaftlichen Mittelpunkt bildeten; hier lebten denn auch die Gf.en und ihr Gefolge, ohne daß allerdings über die Namen einzelner – weniger adliger als bürgerlicher – »Beamter« hinaus mehr über die Verwaltung bekannt wäre. Die bescheidenen wirtschaftlichen Erträge wurden mit immer neuen Abgaben aufgebessert, was allerdings die Spannungen innerhalb der Herrschaften schürten. Der immer wieder aufflackernde Streit mit der Stadt Engen, der Bundschuh 1460 und die Bauernunruhen 1525 waren die Antwort auf hochadlige Übergriffe. Gleichzeitig suchten die Gf.en von L. mit einigem Erfolg ihre Herrschaft v.a. im Schwarzwald auszuweiten und näherten sich ab der Mitte des 15. Jh.s wieder Habsburg an, um als Landvögte, Räte und Heerführer eine einflußreiche Stellung zu gewinnen. Die Heiratsbeziehungen mit den Gf.en von → Fürstenberg, → Kirchberg, → Matsch und → Montfort dokumentieren im 15. Jh. den Rang und die breite regionale Abstützung der Familie.

Die von zahlr. Konflikten begleitete Expansion fand vor 1500 ein Ende. Engen im Hegau war fortan gfl. Res., wo Heinrich das Gemeinwesen mit neuen Rechten und die Stadtkirche als Grablege förderte; das Stadtschloß wurde im 16. Jh. standesgemäß ausgebaut. Die insgesamt bescheidenen Herrschaftsgrundlagen in Stühlingen und im Hegau, die ständigen (Grenz-)Konflikte mit dem Klettgau und Schaffhausen, die Zerstörung von Stühlingen im Schwaben- oder Schweizerkrieg 1499, die zunehmende Verschuldung der Gf.en und die verschiedenen damit zusammenhängenden Unruhen zeigten allerdings die Grenzen der gfl. Herrschaft. Die Kluft zwischen Aufwand und Ertrag scheint sich im ausgehenden MA eher vergrößert zu haben. Möglicherw. trugen diese Faktoren zu einer allmählichen Verlagerung der Herrschaft in den W ab. Gf. Sigmund (gest. 1526) war habsburgischer Vertreter im Elsaß und Vogt in Thann, sein Bruder Heinrich (gest. 1521) heiratete Helene von → Rappoltstein und scheint Thann später als Pfand verwaltet zu haben. Die Heiratsabsprachen anderer Familienangehöriger illustrieren ein Beziehungsnetz zwischen Elsaß und Tirol – die Gf.en von L. waren im 15./16. Jh. Teil der vorderösterr. Hochadelsgesellschaft. Eine bes. Stellung nimmt dabei Johann (1487-1551) ein, der als einer der letzten Vertreter des Geschlechts eine geistliche Karriere einschlug und 1532-1537 Bf. von Konstanz war, allerdings wg. allzu humanistischem Gedankengut abdankte und auf Schloß Engen den Lebensabend verbrachte.

Die Spätgeschichte der Gf.en ist kaum erforscht. Bekannt ist die bis in die Mitte des 16. Jh.s große Nachkommenschaft, bekannt ist das breit abgestützte Beziehungsnetz. Wie aber innerhalb der Familie die verschiedenen Herrschaftskomplexe verwaltet wurden und wer welche Rechte und Einkünfte besaß, bleibt offen. Die wenigen Quellen lassen eine immer schwierigere wirtschaftliche Situation erahnen; 1545/64 wurden die elsässischen Güter veräußert und zog sich die Familie in den Hegau zurück. Der mit Anna Truchseß von → Waldburg verh. Heinrich (1543-1582) vereinigte alle verbleibenden Ländereien in seiner Hand und suchte, da kinderlos, sein Erbe vor dem Tod zu regeln, allerdings mit wenig Erfolg. Die Erben des Gf.en stritten sich lange mit dem Reichserbmarschall Konrad von → Pappenheim, der sich schon 1572 eine Exspektanz gesichert hatte. Erst 1605 fanden die unklaren Verhältnisse ein Ende und gingen die beiden Herrschaften endgültig an die → Pappenheim über, ehe sie einige Jahrzehnte später an die → Fürstenberg kamen.

Quellen

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