Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Grimma

Grimma

(1) G., aus einer slawischen Siedlung am westlichen Ufer der Mulde hervorgehend, wurde 1200 erstmals urkundlich erwähnt. Im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts hatten sich die Markgrafen von Meißen den Platz gesichert. Nach der Teilung des wettinischen Besitzes gelangte G. um 1265 in Besitz des Markgrafen Dietrich von Landsberg (1265–1285), der über die neu eingerichtete Markgrafschaft Landsberg mit dem Osterland gebot. Der Ehefrau seines Sohnes Friedrich Tuta (1285–1291), Katharina von Niederbayern, wurde G. 1287 als Leibgedinge zugeteilt, 1291 zog sie mit ihrer Tochter für einige Jahre ein. G. machte die Besitzerwechsel der Mark Meißen zwischen dem Königreich Böhmen und Markgrafschaft Brandenburg in den folgenden Jahrzehnten mit und blieb ab 1319 endgültig bei den Markgrafen von Meißen. Nach der Chemnitzer Landesteilung von 1382 gelangte G. mit dazugehörigem Amt an Markgraf Wilhelm I. (1381–1407). Mit Meißen und Leisnig gehörte G. um 1400 zu den wichtigsten Residenzen Wilhelms I., der 1389 und 1391 hier Turniere veranstalten ließ. Auf dem Erbwege ging G. schließlich 1411 an Friedrich IV., der zusätzlich 1423 das Herzogtum Sachsen erhielt. Er überließ G. 1414 seiner Frau Katharina von Braunschweig-Lüneburg als Leibgedinge, wo sie nach dem Tod ihres Mannes von 1428 bis 1442 residierte.

Infolge der Altenburger Teilung von 1445 und des sich anschließenden sächsisch-wettinischen Bruderkriegs (1446–1451) wurde G. dem meißnisch-osterländischen Landesteil des Kurfürsten Friedrich II. (1428–1464) zugeschlagen, der G. (neben weiteren Gütern) seiner Frau Margaretha von Österreich als Leibgedinge übergab. Nach seinem Tod 1464 diente G. zumindest zeitweise als Witwensitz. Nach Margarethas Tod 1486 fiel ihr Wittum an die ernestinische Linie des Kurfürsten Friedrichs des Weisen (1486–1525), der sich in seiner Jugend u. a. in G. aufgehalten hatte. G. war bei Pestgefahr gelegentlich (1506, 1515, 1521) Ausweichquartier des gemeinsamen wettinischen Oberhofgerichts, das zwischen 1492 und 1528 üblicherweise alternierend in Altenburg und Leipzig tagte. Nach 1525 verlor G. als Aufenthaltsort der Kurfürsten von Sachsen zunehmend an Bedeutung. Infolge des Schmalkaldischen Krieges und der Wittenberger Kapitulation von 1547 kam G. an die albertinische Linie der Wettiner. Signatur zunehmender Bedeutungslosigkeit als Nebenresidenz sind niederadlige Hochzeitsfeierlichkeiten, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. auf dem Schloss stattgefunden haben. Nach der Verwüstung des Schlosses durch die Schweden 1644 wurde es nur noch als Rent- und Gerichtsamt genutzt. Da sich das überregionale Ansehen G.s nach 1550 immer stärker auf die Fürstenschule St. Augustin bezog, logierten hochrangige, von auswärts kommende Persönlichkeiten wie Wallenstein 1632 dort.

(2) G. entstand in der Nähe des Burgwards Nerchau am Übergang der von Merseburg nach Meißen verlaufenden Straße, die südlich der heutigen Altstadt durch eine Furt die Mulde durchquerte. Nach 1200 wurde G. unter den Markgrafen von Meißen planmäßig erweitert und umgestaltet, so dass von einer Neuanlage gesprochen werden kann. Der fast quadratische (Neu-)Markt, auf den das Rathaus gesetzt wurde, verdrängte den älteren Markt um den sogenannten Baderplan, der bei der ältesten Siedlungskirche Unser lieben Frauen lag. Hinzu kamen das markgräfliche Schloss, die Marktkirche St. Nikolai und die Muldenbrücke (1292 erstmalig erwähnt, das Stiftungsgut der Brücke wurde an der Nikolaikirche verwaltet, spätestens 1505 jedoch vom Rat der Stadt). Der Brückenbau lenkte den Verkehr durch die Stadt, was die Erhebung des landesherrlichen Geleits und des städtischen Zolls erleichterte.

Um 1220 scheinen die Markgrafen G. magdeburgisches Stadtrecht verliehen zu haben. Ende des 13. Jahrhunderts war die Stadtverfassung ausgebildet, es gab einen Rat mit einem Schultheiß, Bürgermeister, Ratsherrn und Schöffen an der Spitze. Seit dem 14. Jahrhundert sind drei Ratskollegien mit jeweils zwölf Ratsherren nachweisbar; seit 1629 waren es nur noch zwei Kollegien. Acht Ratsherrenstellen wurden kooptiert, die übrigen vier bestimmten die ältesten Innungen. Zwischen 1492 und 1629 entspann sich ein langanhaltender Streit über die Besetzung freigewordener Ratsstellen. Der Stadtrat erlangte 1391 pfandweise die Niedergerichtsbarkeit und war seit 1437/38 auch in Besitz der Obergerichtsbarkeit (erst 1515 urkundlich gesichert).

1373 erscheinen die Zünfte der Wollweber, Bäcker, Fleischer und Schuhmacher. Daneben sind Tuchmacher und Tuchscherer, Leinwandweber, Gerber und Färber nachweisbar. Die Stadt besaß das Stapelrecht für Holz (Muldenflößerei), auch der Handel mit Tuch und Salz war bedeutsam. Der älteste, 1203 indirekt zu erschließende Jahrmarkt war der (erst 1523 sicher belegte) viertägige Bartholomäus-Markt. Seit 1361 gab es einen Walpurgismarkt und seit 1472 einen Elisabethmarkt. Die drei Jahrmärkte (Marktbesucher hatten Brücken- und Marktzoll an den Rat zu entrichten) erlangten nur regionale Bedeutung, im 15. Jahrhundert wurde die Gewerbestruktur von der städtischen Landwirtschaft geprägt. Eine Druckerei ist erst seit 1666 nachweisbar, seit diesem Jahr dann durchgängig bis ins 20. Jahrhundert (u. a. wirkte hier Georg Joachim Göschen als Verleger für Klopstock und Wieland). G. zog aus dem von Leipzig kommenden Verkehr nach Böhmen, in die Lausitzen und ins Erzgebirge Gewinn. Seit 1558 hatte der Stadtrat das landesherrliche Geleit gepachtet und zog die fälligen Geleitsgelder ein.

Zuverlässige Angaben über die Einwohnerzahl stammen erst aus dem 18. Jahrhundert Die Anzahl der bewohnten Häuser schwankte zwischen 320 (1444) und 455 (1624), nach dem Dreißigjährigen Krieg lag sie bei 414 (1678), später bei 485 Häusern (1777). 1790 gab es 3008 Einwohner ohne Fürstenschüler und Militärangehörige. Drei Grundstücke waren abgaben- und steuerfrei: ein Haus des Abtes von Altzelle, seit 1554 das Palais des kfl.en Kämmerers Hans von Ponickau und seit 1618 das Grundstück des kfl.en Hofrates David Döring; in letzterem wurde 1777 eine Kattundruckerei eingerichtet.

(3) Die Kirche Unser Lieben Frauen wurde um 1240 erbaut, ihr unterstand die Nikolaikirche als Filiale. Zwischen 1243 und 1250 zogen die Torgauer Zisterzienserinnen nach G. um, vor 1291 zog der Konvent weiter ins nahegelegene Nimbschen. 1287 siedelten sich Augustiner-Eremiten an. Die Leipziger Franziskaner besaßen in der Stadt eine Terminei. 1218 wird die auf dem Schloss fertiggestellte und dem Hl. Oswald geweihte Kapelle erwähnt. Neben den Kapellen in den Hospitälern befand sich eine Annenkapelle in unmittelbarer Nähe der Nikolaikirche. In und um G. gab es vier Hospitäler. Um 1238 dotierte Markgraf Heinrich der Erlauchte ein Hospital, das der Hl. Elisabeth geweiht war. Geraume Zeit später gründeten die Templer um 1240 das Hospital zum Hl. Kreuz, welches 1311 an die Johanniter gelangte. Um 1500 erbaute die Elendsbruderschaft eine Pilgerherberge mit Hl. Jacobus-Kapelle (geweiht zwischen 1502 und 1517). Vor den Toren der Stadt, auf dem Berg östlich der Mulde gelegen, befand sich das Georgenhospital, das als Leprosorium diente (erste Erwähnung 1312). Neben der Elendsbruderschaft gab es einen Kaland (1433 erwähnt) und eine Sebastians-Bruderschaft (Schützengilde, Ersterwähnung 1451). Die Kantorei, die im weitesten Sinne seit dem Spätmittelalter als Kurrende existierte, gab sich im Jahr 1603 eigene Statuten. Eine jüdische Gemeinde ist zwischen 1391 und 1418 nachweisbar (1406 eine Judenschule bezeugt).

Luthers Lehre breitete sich seit 1521 in G. und im Umland (fast) ungehindert aus. Offiziell wurde das lutherische Bekenntnis im Spätsommer 1525 eingeführt.

Bis zur Reformation existierte in der Stadt eine Pfarreischule (Erwähnung eines Schulmeisters 1374, 1389 noch dessen Geselle). 1529 lehrten in der nunmehr lutherischen Stadtschule drei Lehrer. Im selben Jahr wurde eine Mädchenschule eröffnet. Nach der Schließung der Merseburger Fürstenschule infolge der Wittenberger Kapitulation wurde 1550 in G. die Landesschule St. Augustin eröffnet. Sie fand im säkularisierten Kloster der Augustiner-Eremiten ihre Heimstatt, vier Lehrer unterrichteten ca. 100 (Internats-)Schüler im humanistischen Sinne, zwei Plätze konnte die Stadt G. besetzen. Das Verhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft einerseits sowie Lehrpersonal und Fürstenschülern andererseits war nicht immer spannungsfrei.

(4) Das Schloss mit seinem wohl um 1400 unter Markgraf Wilhelm I. erbauten stattlichem Turm (1796 abgetragen) prägte das Stadtbild, zudem ließ er die Schlosskapelle zur Doppelkapelle erweitern. Ansonsten war die Stadt relativ arm an architektonisch-repräsentativer Gestaltung. Die mächtigen Stadttore und große Teile der Stadtmauer wurden im 19. Jahrhundert zurückgebaut. Das 1442 neu errichtete Rathaus war mit ansehnlichen Fachwerkgiebeln und einem Türmchen versehen. Die beiden Stadtkirchen und die Klosterkirche der Augustiner waren schlichte, im Stil der Gotik errichtet Gebäude. Eine gewisse Würde besaß die zweitürmige Westfassade der Frauenkirche. Die von der Landesschule genutzten Gebäude der Augustiner, insbesondere deren Klosterkirche, wurden nach 1684 saniert. Die älteste Abbildung der Stadt stammt von Matthäus Merian d. Ä. und zeigt G. um 1630. Außerdem ist sie in Schramms »Historischen Schauplatz der merkwürdigen Brücken« (um 1730) und in »Sechs lithographische Ansichten von Grimma und Umgegend« (bei C. F. Göschen-Beyer, 1827) nachgebildet.

(5) Unter den meißnisch-obersächsischen Städten nahm G. einen mittleren Platz ein. Eine markgräfliche Heerfahrtsordnung von 1329 bestimmte, dass G. mit drei Kriegswagen zu den Aufgeboten zu erscheinen habe (wie Dresden, Leipzig, Großenhain, Altenburg und Eisenach, während Freiberg, Chemnitz, Torgau, Oschatz nur zwei Wagen stellen mussten). Ein Bündnis, das sich jedoch nicht gegen die Markgrafen richtete, ging die Stadt 1344 mit Torgau und Oschatz ein. Spätestens seit dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts stand G. im Schatten der aufstrebenden Handelsstadt Leipzig. G. besaß vorrangig als Nahmarkt für das direkte Umland Bedeutung. Allein die Tatsache, dass sich die Bürger während des 15. Jahrhunderts zunehmend der Landwirtschaft zuwandten, zeigt eine gewisse Stagnation. Selbst die vermögendsten Bürger betrieben Ackerbau; aus ihrer Mitte kamen zugleich die Ratsherren der Stadt sowie die niederen landesherrlichen Amtsträger, die als Schösser oder Schreiber auf dem Schloss dienten (Vögte bzw. Amtleute kamen aus der Fremde). Nach der Säkularisation des Augustinerklosters sowie nach Umstrukturierungen im Amt G. gelangten Bürgerschaft und Stadtrat in Besitz verschiedener Gärten und Vorwerke. Seit Herausbildung der landständischen Verfassung wurde G. zu den Landtagen geladen, in G. selbst fanden drei Landtage statt (1440, 1451, 1458), hinzu kam ein landständischer Ausschusstag (1539).

(6) Seit Anbeginn lässt sich G. als eine landesherrliche Stadt verstehen, die mehrmals als Witwensitz diente und mit dem Vogt bzw. Amtmann einen landesherrlichen Amtsträger beherbergte. Hervorzuheben ist die Regierungszeit Markgraf Wilhelms I. (1382–1407), die Anwesenheit der verwitweten Kurfürstin Katharina (1428–1442) sowie die Zeit zwischen 1464 und 1525. In höfischer Hinsicht sind die Turniere 1389 und 1391 unter Wilhelm I. hervorzuheben sowie die in G. stattfindende Nachfeier einer Fürstenhochzeit 1478. Der 1463 geborene Kurfürst Friedrich der Weise hielt sich in seiner Kindheit und Jugend oft am Hofe der Großmutter Margaretha auf – so auch auf dem Schloss zu G., das er zwischen 1499 und 1522 im Renaissancestil umbauen ließ. Auch nach Ende der Funktion als Residenzstadt wurde G. für höfisch-dynastische Ereignisse genutzt wie mehrere Treffen beider wettinischer Linien (1511, 1515, 1531, 1542, 1546) oder dem Aufenthalt auswärtiger Fürsten (1513, 1514, 1520, 1523, 1601, 1607 u. ö.) belegen. Politische Konflikte zwischen den Stadtherren und der Bürgerschaft sind nicht überliefert. Teile der Bürgerschaft haben von der Anwesenheit des Fürsten und des Hofes gelegentlich und im geringen Maße partizipiert, vor allem seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert bis ins frühe 16. Jahrhundert Nicht zu verkennen ist ein Bedeutungsverlust der Nebenresidenz seit Mitte des 16. Jahrhunderts, der mit dem unangefochtenen Aufstieg Dresdens zu erklären ist und durch die Etablierung der (dennoch überregional bekannten) Fürstenschule nicht kompensiert werden konnte. Die Amtleute von G. rekrutierten sich aus dem Niederadel des ferneren Umlandes. Die Schösser hingegen stammten wie die auf dem Schloss tätige Dienerschaft aus der Stadt.

(7) Ungedruckte Quellen befinden sich in den Staatsarchiven zu Dresden und Weimar sowie im Stadtarchiv Grimma, welches jedoch infolge der Flutkatastrophe von 2002 schweren Schaden erlitten hat. Für die frühneuzeitliche Geschichte ist ferner das Staatsarchiv Leipzig relevant. – Gedruckte Quellen: Codex diplomaticus Saxoniae regiae II, Bd. 15 (1895).

(8)Lorenz, Christian Gottlob: Die Stadt Grimma im Königreich Sachsen historisch beschrieben, Tle. 1–3, Leipzig 1856–1870. – Gurlitt, Cornelius: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 19. Heft: Amtshauptmannschaft Grimma, Dresden 1897, S. 114–116. – Ermisch, Hubert: Kurfürstin Katharina und ihre Hofhaltung, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 45 (1924) S. 47–79. – Naumann, Horst: Die Orts- und Flurnamen der Kreise Grimma und Wurzen, Berlin 1962 (Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenskunde und Siedlungsgeschichte, 13), S. 88–90. – Quirin, Heinz: Art. „Grimma“, in: Handbuch der Historischen Stätten, Bd. 8: Sachsen (1965), S. 128–131. – Schirmer, Uwe: Das Amt Grimma 1485–1548. Demographische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in einem kursächsischen Amt am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, Beucha 1996 (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft, 2). – Magirius, Heinrich: Markgraf Wilhelm als Bauherr. Architektur »um 1400« in der Mark Meißen, in: Landesgeschichte als Herausforderung und Programm. Karlheinz Blaschke zum 70. Geburtstag, hg. von Uwe John und Josef Matzerath, Stuttgart 1997 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 15), S. 123–156. – Naumann, Horst: Die Straßennamen der Stadt Grimma. Ein Lexikon zur Stadtgeschichte mit Stadtplänen von 1850 und 1925, Beucha 1997. – Schirmer, Uwe: Art. „Grimma“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 233 f.

Uwe Schirmer