Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Leisnig

Leisnig

(1) Die Entstehung der Stadt geht aus von der Burg L. (heute auch Mildenstein genannt), die wahrscheinlich schon im 10. Jahrhundert über dem Tal der Freiberger Mulde auf einer Felszunge errichtet wurde. Das altsorbische Toponym »Liźnik« (dt. »Ort an der Landzunge«) wurde von den Erbauern der Burg übernommen. Die Burg lag an der Straße von Magdeburg nach Böhmen und war Mittelpunkt des gleichnamigen, 1046 erwähnten Burgwards. Sie war zunächst Allodialbesitz der Markgrafen von Meißen. 1046 kam sie an König Heinrich III., der sie mit dem Burgward seiner zweiten Gemahlin Agnes schenkte. 1084 wurden Burg und Burgward von Heinrich IV. an Wiprecht von Groitzsch (um 1050–1124) verliehen. Während des von diesem veranlassten Landesausbaus wuchs die Bedeutung der Burg. 1147 erwarb Friedrich von Schwaben, der spätere Kaiser Friedrich I. Barbarossa, L. als Hausgut. Im Rahmen eines Gütertausches zum Ausgleich von staufischen und welfischen Interessen 1158 wurden L. und dessen Burgbezirk Teil des pleißenländischen Reichsterritoriums. Im Zusammenhang mit diesem Tausch findet auch ein Burggraf als Verwalter des dem König direkt unterstellten Burgbezirks erste Erwähnung. L. wurde ein wichtiges Zentrum des Reichsterritoriums Pleißenland (Aufenthalt Friedrichs I. 1188) und wird im Tafelgüterverzeichnis des Römischen Kg.s aus der Mitte bzw. aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erwähnt. Der Zerfall der Reichsgewalt und der Landesausbau ermöglichten es den Burggrafen, eine eigene Landesherrschaft zu entwickeln, wobei sie in Konflikt mit den Wettinern gerieten. Dieses Bestreben der Burggrafen erlitt einen Rückschlag als das Pleißenland 1253 Pfandbesitz der Wettiner wurde. Es fand 1329 mit der Übertragung der Lehnsherrschaft über L. an die Wettiner und dem damit verbundenen Verlust der Reichsunmittelbarkeit ein Ende. Als 1365 das Kloster Buch während einer Fehde mit dem Burggrafen Heinrich III. von Leisnig (urkundlich 1341 bis 1394) durch diesen zerstört wurde, griffen die Wettiner, seit 1234 vom Reich mit dem Schutz des Klosters betraut, zu dessen Gunsten ein und zwangen Heinrich III., Burg und Herrschaft zu verkaufen. Zunächst wurde L. mehrmals verpfändet, 1387 durch Markgraf Wilhelm I. (1343–1407) als Teil des Wittums bestimmt (1407–1414 entsprechend genutzt). Danach wurde die ehemalige Bggft. als Amt verwaltet. Bis etwa 1460 war sie Nebenresidenz der Wettiner und Sommeraufenthaltsort ihrer Kinder.

(2) In der Nähe der Burg, rund drei Kilometer Mulde abwärts, entstand um 1100 bei einer Furt des Böhmischen Steiges durch die Freiberger Mulde eine Niederlassung von Fernhändlern mit einer dem Schutzpatron der Händler, dem Hl. Nikolaus, gewidmeten Kirche. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wuchs die Bedeutung der Kaufmannssiedlung. So konnte der im Tafelgüterverzeichnis aufgeführte Pfeffer nur durch Fernhändler bereitgestellt werden. Vermutlich um 1170 wurde der Siedlung von Kaiser Friedrich I. das Marktrecht verliehen. Man kann davon ausgehen, dass L. im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts eine königliche Stadt in der Marktrechtsphase war. Bald darauf wurde L. zur bggfl.en Zollstätte erhoben. Die Bürger bauten eine Brücke über die Mulde, die vom Vermögen der Nikolaikirche zu unterhalten war. 1215 und 1231 erscheint L. als oppidum, der Rechtsqualität eines Marktortes entsprechend. Die gleichzeitige Bezeichnung als oppidum novum diente der Unterscheidung von der Marktsiedlung vor der Burg bei der 1192 erstmals genannten Matthäikirche, die weit ins 11. Jahrhundert zurückreicht und ausschließlich in Verbindung zur Burg stand. 1259/64 und 1278 wird L. in Urkunden als civitas bezeichnet, was die Vermutung nahe legt, dass L. zu dieser Zeit volles Stadtrecht bekommen hatte. Zwischen 1278 und 1280 kam es zur vollständigen Verlegung der Stadt vom Muldenknie auf die Anhöhe vor der Burg. Vermutlich wollte der Burggraf die Stadt (1286 urkundlich als nova civitas ante castrum Liznich bezeichnet) näher an seine Residenz heranziehen. Auch Ausdehnungshindernisse am Muldenknie und oft erwähnte Muldehochwasser dürften bei der Verlegung eine Rolle gespielt haben. Die neue Stadt wurde planmäßig angelegt, die alte Siedlung um den Altmarkt bei der Matthäikirche integriert.

Um 1300 dürfte L. Schätzungen zufolge etwa 1000 Einwohner gehabt haben. 1438 wurden 136 Bürgerhäuser gezählt. Bereits 1277 wurden in einer Urkunde Burggraf Alberos III. (urkundlich 1264 bis 1308) die Innungen L.s den Schmieden, Schustern, Webern, Schneidern, Bäckern, Kürschnern, Brauern und Wirten aus Gersdorf und Kieselbach als Maßgabe vorgegeben, wenn diese ihre Waren auf dem L.er Markt verkaufen wollten. Selbst wenn Altl. gemeint gewesen sein sollte, kann davon ausgegangen werden, dass diese Innungen auch in der neuen Stadt bestanden. 1363 wird erstmals ein Bürgermeister genannt. Von einer auch nur in Ansätzen vorhandenen städtischen Autonomie existieren keine Zeugnisse. Ober- und Niedergerichtsbarkeit lagen beim Stadtherrn. Nachrichten über soziale Beziehungen zwischen Stadt und Hof liegen nicht vor. Handwerker der Stadt wurden zu Reparaturen an den Schlossgebäuden oder zu anderen Dienstleistungen herangezogen, wie es für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts häufig überliefert ist. In ähnlicher Weise mag die Burg mit Lebensmitteln versorgt worden sein. Nach 1420, als L. zum kfl.en Amt gehörte, erhielten die Burgbewohner Bier, Getreide und Textilstoffe von den Bürgern bzw. vom Markt der Stadt.

(3) Die älteste Kirche L.s ist die Matthäikirche, die auf einer Erhebung südlich der Burg errichtet wurde. Um 1200 waren ihr nicht nur die Burgkapelle, sondern auch die Pfarreien der Burgwarde L., Polkenberg und Colditz untergeordnet. Bis 1192 lag die Lehnsherrschaft über die Matthäikirche beim Kaiser In diesem Jahr übernahm das von Burggraf Heinrich I. († 1203) gestiftete Zisterzienserkloster Buch die Lehnsrechte. Wohl um 1286 wurde die Kirche neu errichtet. Anders als die Nikolaikirche in Altl., die 1280 zur Zeit der Stadtverlegung schon mehrere Altäre besaß, gab es in der Matthäikirche bis 1371 nur einen Altar. Erst in diesem Jahr wurde der vom Rat der Stadt gestiftete Heiligkreuzaltar errichtet. Nicht zu belegen, aber anzunehmen ist, dass sich beim Kirchhof auch das Pfarrhaus befand. Wahrscheinlich hielt ein Geistlicher der Stadtpfarrei regelmäßige Gottesdienste in der Burgkapelle. Im 15. Jahrhundert wird jedenfalls ein Präbendar in der Amtsküche versorgt. In L. gab es kein Kloster, sondern Termineien der Klöster Waldheim, Freiberg und Oschatz.

(4) Die erste bildliche Darstellung der Stadt befindet sich auf einer Zeichnung Wilhelm Dillichs aus dem Jahr 1629. Vom Erscheinungsbild um 1300 vermittelt sie allerdings kaum eine Vorstellung. Im Norden lag die Burg, ihr Turm ragte dominierend über die Stadt. Zwischen Burg und Stadt lag das Burglehn, vormals ein Teil der staufischen Burg, der nun mit den Häusern der Burgmannen bebaut war. Im Norden innerhalb der Stadt befand sich der Vorgängerbau der Matthäikirche, das sicherlich höchste Gebäude der Stadt. Die Stadt selbst bestand aus einem nördlichen Teil mit unregelmäßiger und einem südlichen Teil um den großen Markt mit regelmäßiger Straßenführung; die Fernstraße berührte den Markt. Die Hofstätten waren in Blöcken angelegt. Auf dem Markt stand das Rathaus (1444 abgebrannt). Die ganze Stadt war von einer geradlinig geführten Mauer, wohl bereits unter Burggraf Albero III. in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet, umschlossen, die über vier Tore verfügte, ein Tor im Osten (Kutteltor), das Obertor (auf der genannten Abbildung groß dargestellt), das Niedertor und das Schlosstor. Im Norden war sie zugleich die Burglehnmauer.

(5) Das Umland L.s gehört zum mittelsächsischen Löß- und Lößlehmgebiet und zeichnet sich durch hohe Bodenfruchtbarkeit und Wasserreichtum aus. Begünstigt durch die Lage am überregional bedeutsamen Straßenzug von Leipzig nach Böhmen, war die Stadt mit ihrem weiten, von florierender Landwirtschaft geprägten Hinterland ein bedeutender Getreideumschlagplatz. Zunächst spielte sie auch für den Fernhandel eine wichtige Rolle. Immerhin gelang es noch im 15. Jahrhundert auf dem L.er Laurentiusjahrmarkt, dem einzigen Markt der Stadt, Waren zu beschaffen, die den Ansprüchen der wettinischen Landesherrn genügten. Mit dem Bedeutungsverlust der Bggft. ging die Entwicklung zur landwirtschaftlich geprägten Stadt von regionaler Geltung einher.

(6) Trotz wahrscheinlich bggfl.en Gründungsaktes ist L. ein typisches Beispiel für die mehrstufige Entstehung einer Rechtsstadt mit der Besonderheit einer vollständigen Stadtverlegung. Unter den Burggrafen konnte die Stadt keinerlei Autonomie erlangen, gewann aber in der kurzen Zeit ihres Aufstiegs eine gewisse überregionale Bedeutung. Belastbare Aussagen über soziale, wirtschaftliche, rechtliche und politische Verhältnisse in der Stadt und über ihr Selbstverständnis sind kaum möglich. Für den Stadtherrn war L. vor allem von ökonomischer Bedeutung. Weitergehende Beziehungen zwischen Stadt und Stadtherrn sind bisher nicht bekannt.

(7) Ungedruckte Quellen (25 Urkunden) zur Geschichte Leisnigs liegen im Sächsischen Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, im Bestand 12852 Stadt Leisnig (D), sie setzen allerdings erst 1378 ein. Gedruckte Quellen finden sich im Codex diplomaticus Saxoniae regiae I, A, Bde. 1–3 (1882–1898), und bei Schöttgen, Christian, Kreysig, Georg Christoph, Buder, Christian Gottlieb: Diplomataria et scriptores historiae Germanicae medii aevi, Tom. 2, Altenburgi 1755. Weiter können als Quellen genutzt werden: Merian, Matthäus d. Ä.: Topographia Superioris Saxoniae Thuringiae/Misniae Lusatiae etc: […], Frankfurt a. M. ca. 1650. – Kamprad, Johann: Leisnigker Chronica oder Beschreibung der sehr alten Stadt Leisnigk …, Leisnig 1753. – Nachlaß Hingst im Archiv der Burg Mildenstein. – Wilhelm Dillichs Federzeichnungen kursächsischer und meißnischer Ortschaften aus den Jahren 1626–1629, 3 Bde., hg. von Paul Emil Richter und Christian Krollmann, Dresden 1907 (Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte, 13).

(8)Schellenberg, Ferdinand: Chronik der Stadt Leisnig und ihrer Umgebung, Leisnig 1842. – Kobuch, Manfred: Zur städtischen Siedlungsverlegung im Pleissenland: Der Fall Leisnig, in: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 35 (1992) S. 111–119. – Kobuch, Manfred: Leisnig im Tafelgüterverzeichnis des Römischen Königs, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte Dresden, Dresden 1993 (Sächsisches Landeshauptarchiv, 64), S. 29–52. – Kobuch, Manfred: Der Ortsname Leisnig. Älteste Überlieferung, Deutung und Lokalisierung, in: Onomastica Slavogermanica 21 (1994) S. 79–91. – Blaschke, Karlheinz: Das Städtewesen vom 12. bis zum 19. Jahrhundert. Begleitheft zur Karte B II 6 des Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, Leipzig/Dresden 2003, S. 21. – Kobuch, Manfred: Herrschaftspraxis und Verwaltung der Burggrafen von Leisnig im 15. Jahrhundert, in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum, hg. von Jörg Rogge, Stuttgart 2003 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, 23), S. 117–133. – Kunze, Jens: Das Amt Leisnig im 15. Jahrhundert. Verfassung, Wirtschaft, Alltag, Leipzig 2007 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 21).

Jens Kunze