Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

Zurück zur Liste

Osterode am Harz

Osterode am Harz

(1, 2) Der Ort ist erstmals 1136 urkundlich erwähnt, als Kaiser Lothar III. hier eine Urkunde ausstellen ließ; der Name ist als »nach Osten gelegene Rodung« zu deuten. Die Funktion als Beurkundungsort deutet darauf hin, dass der Ort vermutlich zum Allodialbesitz des Ks.s gehörte. Im Zusammenhang der Fehde zwischen Heinrich dem Löwen und Markgraf Albrecht dem Bären um das Winzenburger Erbe wurde die Siedlung – opulentissima villa Osterroth – der Erfurter Peterschronik zufolge im Jahr 1152 weitgehend zerstört und später an nahegelegener anderer Stelle neu errichtet. Um dieselbe Zeit (1153) ist erstmals eine neben dem Ort gelegene Burg bezeugt. Auf dem Regensburger Reichstag von 1152 gelangte O. (villa und sicherlich auch castrum) in den unumstrittenen Besitz Heinrichs des Löwen und damit an die Welfen. Das castrum ist letztmalig 1332 als Wohnsitz genannt. Als welfischer Besitz wurde der Ort ausgebaut und gefördert, so dass er um 1233 die Qualität einer städtischen Siedlung mit Markt, Marktkirche, Mauerring, Rat und hzl.em Vogt besaß. Herzog Otto I. von Braunschweig-Lüneburg, genannt »das Kind«, gründete vor 1234 eine Neustadt und das Zisterzienserinnenkloster St. Jakobi. Das vielleicht schon auf den Pfalzgrafen Heinrich zurückgehende Stadtrecht wurde 1239 bestätigt, außerdem erhielt die Siedlung das Braurecht übertragen. 1293 erhielt O. das Goslarer Stadtrecht und erlangte auch die wirtschaftlich wichtige Münzhoheit. In Folge der welfischen Erbteilung 1291 gelangte O. an das territorial nicht zusammenhängende Fürstentum Grubenhagen und nahm seither die Funktionen eines Residenzortes wahr, während Herzberg am Harz die zugehörige Residenzburg war. Der um 1330 erweiterte Mauerbering, durch den vier Tore führten, umschloss auch die Neustadt und das Zisterzienserinnenkloster.

Die städtische Politik bestimmte der 24köpfige Rat, der seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch das Stadtgericht vom hzl.en Vogt übernommen hatte und seither ein eigenes Siegel (Sigillum burgensium de Osterrodhe) führte. Als Ratsmitglieder erscheinen seit dem 13. Jahrhundert auch Angehörige des regionalen Adels (Pöhlde, Helle, Westerode, später auch Dorstadt, Grube, Einem, Cloten) sowie Vertreter einiger Gilden (Schuster und Bäcker) und der Gemeinheit; 1492 wurde den Kämmerern des Rates das Amt der »Viermannen« an die Seite gestellt; sie wurden von den Gilden und der Gemeinheit gewählt, und nur in ihrer Gegenwart durfte die Rechnungslegung der städtischen Ämter erfolgen, so dass die städtische Wirtschaft seither einer öffentlichen Kontrolle unterlag. Auch durfte das städtische Siegel fortan nur mit ihrer Zustimmung benutzt werden. Auf landesherrliches Geheiß wurde diese Regelung 1529 aufgehoben, die Gildevertreter waren seitdem wieder von den Ratssitzungen ausgeschlossen, und stattdessen ein hzl.er Schultheiss dem Rat beigeordnet. Die Münzhoheit wurde 1601 von O. an Zellerfeld übertragen.

Wirtschaftlich war O., wo es zwei Märkte gab (einen in der Neustadt am Sonntag nach St. Margarethe, einen auf dem Kohlmarkt am Sonntag nach St. Michaelis, 1549 folgte ein dritter auf dem Kohlmarkt nach dem Sonntag Letare), auf den Harz hin orientiert. Die Getreideversorgung für den Harz, dessen Bergbau im 15./16. Jahrhundert wieder aufblühte, lief über die Stadt, und die günstige Lage an der Söse ermöglichte die Anlage von Mühlen; Eisenhütten, die sich seit 1460 in städtischem Besitz befanden und Holzexport verhalfen der Stadt seit dem 15. Jahrhundert zu bemerkenswertem Wohlstand, der allerdings durch mehrere Stadtbrände und Pestepidemien des 16. Jahrhunderts vorübergehend unterbrochen wurde.

Entsprechend seiner regionalen wirtschaftlichen Bedeutung ist seit dem 15. Jahrhundert die Anwesenheit von Juden bezeugt, eine im Zentrum hinter dem Rathaus gelegene »Jöddenstraße« ist 1485 erstmals belegt. Obwohl die Juden zu sämtlichen städtischen Pflichten herangezogen wurden, blieb für sie der Erwerb des Bürgerrechts eine Ausnahme. Jüdischer Handel mit Tuchen, Seiden, Damast, gelegentlich Wein und Pferden ist bezeugt. Vom wirtschaftlich dominierenden Eisenhandel blieben sie grundsätzlich ausgeschlossen, darüber wachte auch das 1656 eingerichtete Eisenbergamt. Die jüdische Gemeinde war die größte im damaligen südlichen Niedersachsen. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert verfügte sie über eine Synagoge (1787 erneuert). Mit Joseph Süßel (Joseph ben Meschullam) stellte sie 1687 den ersten hannoverschen Landrabbiner, der für die Fsm.er Calenberg, Grubenhagen und Göttingen zuständig war. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wohnten in der Stadt 19 jüdische Familien.

Einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung und erhebliche Bedeutung als Zulieferungsort für die Bevölkerung und die Bergleute des Harzes erlangte O. im 17. und 18. Jahrhundert Neben das lange dominierende, auf Export angelegte Braugewerbe traten Tuchherstellung (Leinen) und Wollfabrikation in großem Stil (1793 14 Betriebe mit 263 Wollwebstühlen). Weitere Wirtschaftsanlagen waren zwei Sägemühlen, ein Kupferhammer, zwei Gipsmühlen vor der Stadt und eine Papiermühle. Damit war O. bis ins 19. Jahrhundert eines der wichtigsten Industriezentren des hannoverschen Staates. Die Versorgung des Oberharzes mit Getreide wurde durch das in den Jahren 1719–1722 vor dem Johannistor errichtete und unter der Leitung eines Berghauptmanns stehende Harz-Kornmagazin gesichert, das die Bergleute des Oberharzes mit Getreidelieferungen zu festen, niedrigen Preisen versorgen sollte. Es sicherte darüber hinaus den Getreidehandel und damit auch den Betrieb zahlreicher Brennereien und Brauereien. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte O. etwas unter 4000 Einwohner.

(3) In der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Marktkirche St. Aegidien (sicher 1376 belegt), dem topographischen Zentrum der Stadt, befindet sich die Grablege der letzten Herzöge des Fsm.s Braunschweig-Grubenhagen, Philipps I. († 1551), Ernsts († 1567), Wolfgangs († 1595) und Philipps II. († 1596); mit letzterem starben die Herzöge von Braunschweig-Grubenhagen aus. Die Größe der Kirche drückt sich darin aus, dass es vier bis fünf Altäre gab (die Identifizierung ist nicht ganz sicher). Zudem gab es einen Kaland, der eventuell einen weiteren Altar unterhielt. Stiftungen der Fürsten sind nicht bekannt, der Rat unterhielt Ende des 15. Jahrhunderts eine Priesterstelle.

Die welfischen Stadt- und Landesherrn förderten besonders in der zweiten Hälfte des 15. und bis zu Anfang des 16. Jahrhunderts das Zisterzienserinnenkloster durch Schenkungen, Übertragung von Zehnt-, Patronats- und Vogteirechten, und nicht zuletzt veranlassten sie den regionalen Adel, das Kloster ebenfalls zu fördern. Päpstliche Ablässe der Jahre 1251 und 1264 verliehen Gnadenerweise bei Förderung der Bautätigkeit des Klosters. Gegen Entfremdungen von Klosterbesitz durch den Herzog, den Rat und einzelne Einwohner ging 1437 das Konzil von Basel vor. Das Kloster wurde mit der Durchsetzung der Reformation im Jahre 1540 aufgehoben, die Grubenhagener Herzöge bauten die Klosteranlage ab 1561 zu einem ihrer Residenzschlösser aus und wandelten die Klosterkirche zur Schlosskirche um.

Die Marienvorstadt hatte mit der Marienkirche ihre eigene Pfarrkirche, deren Anfänge in die 1230er Jahre zurückreichen. 1259 wurde an der Kirche ein Marienhospital (zu einem unbekannten Zeitpunkt in Hl. Geist-Hospital umbenannt) gegründet und von der Stadt im 14. Jahrhundert als Siechenhaus genutzt. Das Hospital hatte eine eigene Kapelle, St. Theobald. Im späten 15. Jahrhundert war sie wüst gefallen, 1498 und 1499 setzten Bemühungen um den Neubau ein. Erst in den 1330er Jahren ist St. Johannis in der Johannisvorstadt, direkt zu Füßen der Burg, belegt. Um diese Kirche gab es einen Friedhof, der mit St. Bartholomäi ein eigenes Beinhaus hatte.

Eine weitere klösterliche Einrichtung soll, der Chronik des Bürgermeisters Heinrich Wendt zufolge, Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Grubenhagen 1510 in Gestalt einer Niederlassung der Franziskaner-Observanten begründet haben. Sie lag in unmittelbarer Nähe zur Johannis-Pfarrkirche, die vermutlich auch vom Kloster genutzt wurde, denn der Bau einer eigenen Klosterkirche ist nicht überliefert. Als Bußleistung für den 1510 im Verlauf innerer Ratskämpfe ermordeten Bürgermeister Hans Frigenhagen verpflichtete Herzog Philipp I. den Rat zur Lieferung von Baumaterial. 1512 zogen die Franziskanermönche ein, aber bereits rund dreißig Jahre später (1545) verwaltete der Rat die vermutlich leerstehenden Klostergebäude.

Das Kloster St. Jacobi unterhielt eine Schule, die bereits 1287 das erste Mal erwähnt wurde, zu denken ist an die Ausbildung künftiger Geistlicher. Um 1380 geriet die Schule unter städtische Regie, 1420 übertrugen die Fürsten Friedrich, Ernst und Otto die Schule ganz der Stadt. Im Zuge der Reformation erhielt sie ein altes Pfarrgebäude der St. Aegidienlirche.

(4) Nordöstlich oberhalb der Stadt befand sich die Burg O., heute Alte Burg genannt, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts aufgegeben wurde, und von der nur noch der Bergfried steht. Den Hzg.innen Agnes († 1336) und Elisabeth († 1513) diente sie als Witwensitz, während Herzogin Adelheid († 1373) ein Haus am Kirchhof in der Stadt bewohnte, das nach ihrem Tod an das Jacobikloster überging. Nach der Reformation, die in den 1530er Jahren Einzug hielt, blieben die Nonnen, nun als geistliche Personen bezeichnet, bis 1558 im Kloster. Herzog Ernst (reg. 1551–1567) ließ das Kloster, das 1542–1551 verpfändet worden war, in den Jahren 1558–1561 zum Schloss umbauen, die Kirche St. Jacobi wurde nun Schlosskirche und bildete den Nordflügel. Nach Aufhebung der Residenz wurde es im 17. Jahrhundert Amtssitz (Ost- und Westflügel wurden in den 1890er Jahren abgerissen).

Ein Rathaus könnte es bereits 1304 gegeben haben, über sein Aussehen ist nichts bekannt. Wie die Schule wird es erst wieder zu Anfang des 16. Jahrhunderts erwähnt. Den Zustand O.s zeigt ein Gemälde des Malers Philipp Böckling vom Jahr 1751 (Abb. bei Leuschner [Hg.], Osterode [unter (8)], S. 266).

(5) Fernhandel spielte für O. keine Rolle, auch wenn O.er Kaufleute die Messen in Frankfurt am Main, Leipzig oder Braunschweig besuchten. Das direkte Umland von O. war durch eine Landwehr geschützt. 1447 erhielt O. das in der Landwehr gelegene Dorf Ührde übertragen. Zu O. gehörte auch der 1473 erwähnte Ort Freiheit, der direkt unter dem Burgberg lag. Bündnisverträge (Tohopesaten) als Ausdruck selbständiger städtischer Politik ging die Stadt 1293 mit Göttingen, Duderstadt, Northeim und Münden ein und 1426 mit Göttingen, Goslar, Magdeburg, Braunschweig, Halle, Hildesheim, Halberstadt, Quedlinburg, Aschersleben, Einbeck, Hannover, Helmstedt und Northeim. Um dieselbe Zeit – 1427 – wurde O. Hansestadt, ließ sich in dieser Funktion aber zumeist vom Vorort des sächsischen Quartiers, Braunschweig, vertreten; seit 1557 wurde ihre Hansezugehörigkeit in den Quellen nicht mehr erwähnt. In dem kleinen Fürstentum Grubenhagen war O. zusammen mit Einbeck auf den Ständeversammlungen vertreten, beide waren an den dynastischen Teilungen 1402 und 1481 sowie an innerfamiliären Streitschlichtungen beteiligt. 1405 nahm O. an einer Tagfahrt in Göttingen zwischen Herzog Ernst, dem Ldgf.en von Hessen und der Stadt Goslar teil. Immer wieder musste der O.er Rat den Hzg.en finanziell beispringen, auch einzelne Bürger liehen Geld.

(6) Vom 14. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts fungierte, wenn auch mit Unterbrechungen, O. als Residenzstadt. Mit dem Tod des letzten Grubenhagener Fürsten Philipp II. 1596 gab es keinen Hof mehr in O., doch existierte die Kanzlei für das vormalige Fürstentum bis 1689 fort. Über die Verflechtung des Hofs mit der Einwohnerschaft der wirtschaftlich phasenweise prosperierenden Stadt weiß man so gut wie nichts, doch dürften sie eng gewesen sein. Von Aufständen gegen den Stadtherrn verlautet nichts.

(7) An erster Stelle steht die Überlieferung des Stadtarchivs Osterode. Teile der Urkunden und Akten der geistlichen Einrichtungen finden sich im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel (z. B. Bestand 32 Slg. 104: St. Jacobi), desgleichen auch im Landesarchiv Hannover (Cal. Or. 100: Osterode St Jacobi). Als erzählende Quelle ist die Chronik des Stadtsekretärs und 1647–1683 amtierenden Bürgermeisters Heinrich Wendt (1608–1685) zu nennen: Wendt, Heinrich: Geschichte des Welfenfürstentums Grubenhagen, des Amtes und der Stadt Osterode, bearb. von Jörg Leuschner, Hildesheim 1988.

(8)Pischke, Gudrun: Osterode im Mittelalter. Werden und Wachsen einer alten Stadt, in: Osterode – Welfensitz und Bürgerstadt im Wandel der Jahrhunderte, hg. von Jörg Leuschner, Hildesheim 1993. – Pischke, Gudrun: Osterode, von den Anfängen bis zur Übertragung des Goslarer Stadtrechts, in: Südniedersachsen. Zeitschrift für Regionale Forschung und Heimatpflege 22 (1994) S. 65–73. – Ohainski, Uwe, Udolph, Jürgen: Die Ortsnamen des Landkreises Osterode, Bielefeld 2000 (Niedersächsisches Ortsnamenbuch II = Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 40). – Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 3, hg. von Josef Dolle, Bielefeld 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 56,3).

Peter Aufgebauer