Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Einbeck

Einbeck

(1, 2) E. liegt ungefähr auf der halben Wegstrecke zwischen Göttingen im Süden und Hildesheim im Norden und damit an einer wichtigen Nord-Süd-Verkehrsachse. Die Stadt entstand am Südufer des Krummen Wassers, eines Zuflusses der Ilme, die südlich der Kernstadt floss. Von diesem Bach (niederdeutsch beeke) hat die Stadt ihren Namen.

Die Siedlung geht wohl auf einen Herrenhof der Grafen von Katlenburg zurück, der sich im 11. Jahrhundert hier befand. Sichtbar wird die Bedeutung des Ortes für die Katlenburger durch die Gründung des Kanonikerstifts St. Alexandri 1075. Nach dem kinderlosen Tod Graf Dietrichs III. fiel die Grafschaft 1106 an die braunschweigischen Welfen, unter denen Markt und Stift merklichen Aufschwung nahmen. Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen erhoben kurzzeitig, aber wenig erfolgreich die Grafen von Dassel Anspruch auf den Ort, der aber spätestens seit 1274 wieder unumstritten zum welfischen Herzogtum zählte. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts war E. regelmäßig Ausstellungsort landesherrlicher Urkunden, die den westlichen und südlichen Teil des Hzm.s betrafen. 1252 traten Rat und Gemeinde der Stadt E. erstmals als Urkundenaussteller auf, 1264 wird eine Stadtmauer erwähnt, die den Marktbereich um die Stadtkirche St. Jacobi und das Alexanderstift umschloss. Mit dem Bau der Stadtmauer wurde wohl das Krumme Wasser, an dessen Südufer die Siedlung entstanden war, südlich um die Stadt umgeleitet, um Platz für den Ausbau des Stadtgebiets zu schaffen. Um diese Zeit dürfte die Stadt zwischen 2000 und 2500 Einwohnern gehabt haben.

1279 verlieh Herzog Heinrich I. »Mirabilis« von Braunschweig (1267–1322) der Stadt ein verbessertes Stadtrecht nach dem Vorbild der Braunschweiger Neustadt. Nach der 1291 endgültig vertraglich geregelten welfischen Landesteilung wurde E. Hauptort des später sogenannten Fsm.s Grubenhagen. Neben der nahe gelegenen Residenzburg Salzderhelden (heute ein Ortsteil von E.) fungierte E. als Residenzstadt. Erstmals 1320 wird E. als Wohnsitz Herzog Heinrichs genannt. Vor allem in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jahrhundert kann E. als Hauptresidenz der Herzöge der Grubenhagener Linie angesehen werden. Bereits unter Herzog Heinrich lassen sich Ansätze einer gezielten Residenzbildung in E. erkennen: Neben dem erwähnten verbesserten Stadtrecht von 1279 ist die Förderung der bestehenden und die Ansiedlung neuer geistlicher Institutionen zu nennen (siehe unter [3]).

Mit dem Tod Herzog Philipps II. erlosch die Grubenhagener Linie, das Fürstentum ging nach einer kurzen Besetzung durch die Wolfenbütteler Linie 1617 auf Beschluss des Reichskammergerichts an Christian d. Ä. aus der Lüneburger Linie der Welfen über. Damit endete E.s Rolle als Residenzstadt. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Ratsrechte sukzessive eingeschränkt und der landesherrliche Zugriff stärker (Stadtschulzen-Ordnung 1634, Aufhebung der Kirchenrechte des Rates 1644). 1705 ging das Fürstentum Grubenhagen und damit auch E. im Erbgang an das Haus Hannover über und entwickelte sich in der Folge zur Garnisonsstadt, wodurch die Wirtschaft der im Dreißigjährigen Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Stadt wieder gestärkt wurde.

(3) Mit der Gründung des St. Alexandri-Stiftes 1075 war der Grundstein für eine landesherrlichen Repräsentationsbedürfnissen angemessene Kirchenanlage gelegt, deren Kanoniker dem Landesherrn bei politischen Missionen und als Notare dienlich sein konnten. Wahrscheinlich schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts kam eine Hl.-Blut-Reliquie nach St. Alexandri, zu der sich eine rege Wallfahrt entwickelte. Unter Herzog Heinrich Mirabilis wurde St. Alexandri erheblich erweitert (mit einer Länge von 74 m ist St. Alexandri nach der früheren Klosterkirche von Walkenried [83 m] der zweitgrößte Sakralbau Südniedersachsens). 1288 erhielt die Kirche von ihm ein aufwendig geschnitztes, heute noch erhaltenes Chorgestühl. Neben den Landesherrn traten die Adligen des Umlandes regelmäßig als Zustifter in Erscheinung. Um 1300 wurden diese Förderbemühungen durch die Ausgliederung des Stiftes aus dem Archidiakonat Nörten und die Einrichtung eines eigenen Archidiakonats E. gekrönt, dem auch die Kirchen der umliegenden Orte unterstellt wurden. Beginnend mit Heinrich Mirabilis wurde St. Alexandri die Hauptgrablege für die Mitglieder des Fs.hauses Braunschweig-Grubenhagen bis ins ausgehende 15. Jahrhundert (heute nicht mehr zu erkennen). Das Stift wurde 1545 zwangsweise reformiert, als E. bereits fast zwei Jahrzehnte lutherisch war. Die berühmte Stiftsschule bestand weiter bis 1847, die nennenswerte Stiftsbibliothek gelangte 1831 zum größten Teil an die Königliche Bibliothek in Göttingen.

Die zweite große kirchliche Einrichtung war das Hospital Beatae Mariae Virginis, das zu Beginn des 13. Jahrhunderts außerhalb der Stadt, aber auf landesherrlichem Grund für den Betrieb durch eine Kalandsbruderschaft gestiftet worden war und ähnlich wie St. Alexandri von Landesherren ebenso wie den lokalen Adligen erhebliche Zustiftungen erfahren hatte. 1297 reformierte Herzog Heinrich das Hospital, indem er es in ein Kollegiatstift umwandelte. Auch die Bettelorden erfuhren unter Heinrich Mirabilis eine Förderung: 1314 erteilte er den Augustiner-Eremiten – gegen den Widerstand des Stadtrates – das Privileg, sich in E. niederlassen zu dürfen, vier Jahre später veranlasste er die Verlegung des ursprünglich außerhalb der Stadt gegründeten Maria-Magdalena-Klosters, eines ebenfalls an der Augustinusregel ausgerichteten Frauenklosters, in die Stadt hinein.

Die am Markt lokalisierte Stadtkirche St. Jacobi geht wohl auf das frühe 13. Jahrhundert zurück. Eindeutig als Marktkirche benannt wird sie aber erst rund einhundert Jahre später.

(4) 1334 wird erstmals ein Rathaus urkundlich erwähnt, das aber beim Stadtbrand von 1540 zerstört wurde. Der noch heute erhaltene Neubau am Marktplatz wurde seit 1562 wieder für Ratssitzungen verwendet, aber erst in den 1590er Jahren gänzlich fertiggestellt. 1565 wurde die ebenfalls noch bestehende Ratswaage als Nachbargebäude errichtet. Eine Reihe repräsentativer Privathäuser aus dem 16. Jahrhundert (etwa das sog. Eickesche Haus, Brodhaus, Ratsapotheke, Stadtmuseum) im Altstadtbereich zeugen von der ökonomischen Potenz E.s. Etwas weniger repräsentativ, aber fast vollständig aus dem 16. Jahrhundert überkommen ist der Straßenzug Tiedexer Straße, der vom Marktplatz abgeht. Historische Stadtansichten liegen aus den Jahren 1595, 1654 und 1721 vor (Abb. bei Hülse/Spörer 1991).

(5) Spätestens seit dem 13. Jahrhundert scheint E. als zentraler, mit dem Umland stark verbundener Marktort. Über reine Wirtschaftsbeziehungen hinausgehende Verbindungen deuteten sich früh zum Zisterzienserkloster Amelungsborn an. 1153 starb hier der exilierte Mainzer Erzbischof Heinrich I. und wurde in der E.er Stiftskirche begraben. Später finden sich E.er auch unter den Zustiftern des Klosters Amelungsborn.

Im 14. Jahrhundert entwickelte sich E. wegen seiner verkehrsgünstigen Lage zu einer der wichtigsten Handelsstädte der Region mit Anbindung an den Fernhandel. Zu den wichtigen Handelsgütern zählte das Bier, dessen Export seit 1351 belegt ist und weit bis ins 17. Jahrhundert hinein überregional blühte. Das produzierende Handwerk war entsprechend stark im Rat vertreten, während sich ein Patriziat im engeren Sinne offenbar nicht herausgebildet hat (vgl. Plümer 1987). Seit 1368 war E. auf Hansetagen vertreten, ohne dass sich daraus resultierende Konflikte mit den Landesherren zeigen ließen. Entsprechend dieser wirtschaftlichen Prosperität expandierte die Stadt im 14. und 15. Jahrhundert räumlich stark, auch wenn die mitunter kolportierte Aussage, sie habe im ausgehenden Mittelalter zu den größten Städten Niedersachsens gezählt, sicherlich übertrieben ist. Durch einen Brand wurde die Stadt 1540 fast vollständig zerstört, wodurch auch ein Großteil der städtischen Überlieferung verloren gegangen ist.

(6) E. entfaltete seine Residenzfunktion in enger Verbindung mit der nahe gelegenen Burg Salzderhelden. Durch die gezielte Förderung der städtischen Autonomie (Stadtrechtsrenovation 1279) und der geistlichen Infrastruktur, vor allem des St. Alexandri Stiftes, bauten die Herzöge von Braunschweig-Grubenhagen seit der welfischen Landesteilung von 1291 E. gezielt zu ihrem Herrschaftsschwerpunkt aus, ohne deswegen andere, zeitweilige Residenzorte (z. B. Grubenhagen, Osterode, Herzberg) gänzlich aufzugeben. Mit dem Aussterben der Grubenhagener 1596 endete auch die Residenzfunktion E.s und der Burg Salzderhelden.

(7) Die städtischen Quellen sind bei einem Stadtbrand im Jahre 1540 stark dezimiert worden. So ist man auf verstreute Überlieferungen angewiesen. Ein wichtiges Hilfsmittel ist dafür die Regestensammlung von Feise, Wilhelm: Urkundenauszüge zur Geschichte der Stadt Einbeck bis zum Jahre 1500, Einbeck 1959. Die im Stadtarchiv erhaltenen Stadtrechnungen können erst für spätere Zeit Auskünfte über das Verhältnis zum Landesherrn geben.

(8)Bruns, Alfred: Mittelalterliche Bibliotheken in Einbeck, in: Einbecker Jahrbuch 25 (1961/62) S. 24–56. – Geschichte der Stadt Einbeck, Bd. 1, hg. von Horst Hülse und Clemens Spörer, Einbeck 1990. – Aufgebauer, Peter: Die Burg Salzderhelden, in: Einbecker Jahrbuch 38 (1987) S. 19–41. – Plümer, Erich: Zur Sozialtopographie der Stadt Einbeck im späten Mittelalter, in: Hansische Geschichtsblätter 105 (1987) S. 17–32. – Streich, Brigitte: Einbecker Handwerker und Gewerbetreibende als Hoflieferanten der südwelfischen Fürstenhöfe, in: Einbecker Jahrbuch 41 (1991) S. 151–157. – Aufgebauer, Peter: Herzog Heinrich der Wunderliche, die Stadt Einbeck und die Residenz des Fürstentums Grubenhagen, in: Einbecker Jahrbuch 42 (1993) S. 95–118. – Aufgebauer, Peter: Die Stadt Einbeck und der regionale Adel, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 98 (2000) S. 131–141. – Aufgebauer, Peter Art. „Einbeck“, in: Höfe und Residenzen I,1 (2003),S. 163–164.

Hiram Kümper