Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Herzberg am Harz

Herzberg am Harz

(1) H. liegt am südlichen Harzrand, wo die Sieber, nördlich am Schloss vorbeifließend, und ihr Nebenfluss Lonau aus dem Gebirge austreten. Errichtet wurde die Burg am regional wichtigen Handelsweg von Seesen über Osterode nach Nordhausen und Duderstadt auf einem Berg. Besondere Bedeutung kam ihr zur Sicherung der Furt der Sieber zu. Die Siedlung H. entwickelte sich unterhalb der Burg.

Der Name soll von einem 1029 errichteten, 1057 zur Burg umgebauten Jagdhaus stammen, dessen Errichtung dem späteren Kaiser Lothar von Süpplingenburg († 1137) zugeschrieben wird. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. hatten die Grafen von Lauterberg die Burg inne. 1157 tauschte Kaiser Friedrich I. Barbarossa († 1190) mit Herzog Heinrich dem Löwen († 1195) die Burg gegen Güter in Schwaben ein. Für nahezu 708 Jahre blieb H. in welfischem Besitz. Der erste Aufenthalt eines Mitglieds der welfischen Familien ist 1218 belegt. 1290 wurde die Burg Sitz der Linie Braunschweig-Grubenhagen, seit 1315 war H. Sitz eines Amts. Von 1486 bis 1596 war H. Residenz der Fürsten von Grubenhagen. Nach deren Aussterben ging H. in braunschweig-lüneburgischen Besitz über. Der erste Kurfürst von Hannover, Herzog Ernst August von Braunschweig-Wolfenbüttel († 1698), wurde 1629 auf Schloss H. geboren. 1714 wurde es endgültig als welfische Residenz aufgegeben.

Das niederadelige Geschlecht von H. war nie im Besitz des Schlosses, jedoch könnten diese als Burgmannen der Welfen und mit der Verteidigung der Burganlage betraut gewesen sein.

Im Spätmittelalter gehörte H. zum Archidiakonat Nörten der Erzdiözese Mainz. 1795 wurde H. Sitz einer Superintendantur.

(2) Das Dorf H. wird erstmals 1337 urkundlich als landesherrliches Gut erwähnt, nach 1668 als Marktflecken bezeichnet; Stadtrecht erhielt H. erst 1929. An der Spitze der örtlichen Verwaltung stand ein Schultheiß, 1598 erstmals erwähnt. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts sind Bürgermeister und Feldgeschworene überliefert.

H. profierte in besonderem Maße von der Hofhaltung der Herzöge Mit der Verlegung des Hofes nach Hannover 1668 verlor der Ort an Bedeutung, doch konnten neue Gewerbezweige den Niedergang verhindern. Durch die im 16. Jahrhundert aufblühende Eisenindustrie wurde um Clausthal-Zellerfeld der Bergbau neu ausgerichtet, wodurch H. eine größere Geltung im Fürstentum Braunschweig-Grubenhagen gewann. 1569 erhielt der Ort das Brauprivileg. 1581 wurde ein größeres Brauhaus errichtet. In dieselbe Zeit fällt die Genehmigung des Weinausschanks. 1538 wurde erstmals ein Schützenfest genehmigt, 1698 eine Schützenordnung erlassen. Die H.er Papierfabrik geht auf Vorläufer im 16. Jahrhundert zurück. Gewerbe wurde durch die Nutzung der Wasserkraft (Säge-, Papier-, Getreide- und Ölmühlen) ermöglicht. Hierfür wurde eigens der Mühlgraben angelegt, von dem durch eine Wasserkunst auch das Schloss versorgt wurde.

Nach endgültigem Weggang des Hofs 1714 wurde 1732 im Vorort Lonau eine Gewehrfabrik eingerichtet, um das Kurfürstentum Hannover von Waffenimporten unabhängig werden zu lassen. Die Produktion nicht nur von Gewehren, sondern auch von Blankwaffen entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zu dem bedeutendsten Wirtschaftsfaktor im Ort. 1740 wurde die Fabrik, die sich zur größten Waffenschmiede im Kurfürstentum Hannover entwickelte, nach H. hinein verlegt. Als Rohstoff diente Harzer Eisenerz.

1614 zählte H. ca. 180 Hofstellen, 1766 etwa 300, was auf eine Einwohnerzahl von ca. 800–1350 schließen lässt. Zeugnis der Prosperität im 16. und 17. Jahrhundert sind zahlreiche heute noch erhaltene stattliche Bürger- und Hüttenherrenhäuser, die vor allem aus der Zeit nach dem Brand von 1647 stammen.

Ab etwa 1550 entstand eine Schule, 1579 ist deren Existenz gesichert. Vermutlich gab es bereits Vorläufer zur Beschulung der Kinder von Hofangehörigen. Daneben bestand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Hofschule, nahe gelegen der Bartholomäikirche. Um 1600 wurden beide Schulen zusammengefasst, 1658 um eine Mädchenklasse erweitert. Bis 1750 bestand die Schule fort.

(3) Neben der Burg-/Schlosskapelle gab es zwei Kirchen, die ältere Nicolaikirche, die wohl schon im 13. Jahrhundert bestanden haben dürfte, und die Bartholomäikirche, die von Herzog Wolfgang von Braunschweig-Grubenhagen († 1595) neben dem Vorwerk errichtet wurde. Beide wurden in den 1830/40er Jahren abgerissen. Eine Kapelle auf der Burg wird erstmals 1422 erwähnt, auch das spätere Schloss verfügte über eine Kapelle, die noch nach Abzug des Hofes für dynastische Ereignisse genutzt wurde. So soll König Georg II. von England († 1760) hier getauft worden sein. Bis ins 17. Jahrhundert waren die H.er Pastoren zugleich Hofprediger der Herzöge von Grubenhagen und Generalsuperintendenten des Fsm.s.

Die Nicolaikirche wurde im 17. Jahrhundert mehrmals in Teilen renoviert (Turm 1616) und erweitert (1654). Das Taufbecken der Schlosskapelle soll nach Aufhebung des Hofes in ihr aufgestellt worden sein. Im 17. Jahrhundert diente sie der Repräsentation der vermögenden und führenden Familien des Orts, die ihre Kirchenstühle (Prieche) mit Historienbildern und ihren Namen versehen ließen. Die Bartholomäikirche wurde erst 1687 vollendet, ihre Inneneinrichtung geht teilweise auf Stiftungen der Herzöge zurück (Orgel von Herzog Philipp II. [† 1596]). Eine Kirchenerneuerung fand 1741 statt.

(4) Über das Aussehen der mittelalterlichen Burg ist nichts bekannt. Für das Jahr 1420 ist belegt, dass sie Turm, Brunnen und Tor, Kapelle sowie Zeug- und Vorratshaus besaß. 1510 kam es zu einem großen Brand, der die Burg nahezu vollständig zerstörte. Der Wiederaufbau bzw. Neubau eines vierflügeligen Gebäudes wurde 1528 abgeschlossen. Umbauten ließen die Herzöge Christian Ludwig († 1655) und Johann Friedrich († 1679) durchführen. Zu ihren Ehren finden sich im Grauen Flügel, d. h. im Ostflügel, der Wappenspruch Christian Ludwigs sowie beider Erinnerungsinschriften wieder. Auf dem Burghals befanden sich ursprünglich der Schloss- und Lustgarten sowie ein Tiergarten. Die ältere Bebauung der Siedlung ist durch den Brand von 1647 fast völlig vernichtet worden, von kommunalen Bauten ist so gut wie nichts bekannt.

(6) H. lässt sich eher als eine größere Burgsiedlung denn eine Stadt bezeichnen. Für eine Gewerbestruktur, die über eine rein landwirtschaftliche und landwirtschaftsnahe Wirtschaft hinausging, sprechen die zahlreichen, durch Wasserkraft angetriebenen Mühlen. Im 16. Jahrhundert entstand eine Schule, und es wurde eine zweite Kirche gegründet, Schützengilde und Brauhaus lassen auf eine weit über dörfliche Größenordnungen hinausgehende Bedeutung schließen. Ein Niedergang des Ortes nach Abzug des Hofes wurde durch die auf Geheiß des Landesherrn erfolgte Ansiedlung der Gewehrfabrik und durch den Ausbau von Textilbetrieben verhindert. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte H. immerhin ca. 2300 Einwohner (1815). Die Funktion des Hofs lässt sich dabei noch nicht genau abschätzen, Waren des höheren Bedarfs wurden wohl aus der Ferne bezogen, das Hofgesinde dürfte jedoch aus den Erzeugnissen vor Ort versorgt worden sein.

(7) Archivalien befinden sich im Niedersächsischen Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv Hannover (NLA, HStA Hannover). Darunter befindet sich die Hofhaltung der Herzogin Anna Eleonore von Braunschweig-Lüneburg († 1659) (SF Hofhaltung Schloss Herzberg). Daneben lassen sich diverse Unterlagen zu Schlossbauten (Hann. 74 Herzberg) des 17. und 18. Jahrhunderts finden. Weiterhin von Bedeutung sind die regionalen Urkundenbücher.

(8)Reuther, Hans: Das Schloß Herzberg am Harz und seine Wiederherstellung, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 23 (1965) S. 37–44. – Kopfsteuerbeschreibung Calenberg-Göttingen und Grubenhagen (1969). – Kiene, Ernst Ludwig, Matwijow, Klaus: Herzberg am Harz in alten Ansichten, 4 Bde., Zaltbommel/Niederlande 1984–1991. – Dehio, Kunstdenkmäler: Bremen, Niedersachsen (21992). – Grüneberg, Hans: Schloß Herzberg und seine Welfen, Herzberg 1993. – Ohainski, Uwe, Udolph, Jürgen: Die Ortsnamen des Landkreises Osterode, Bielefeld 2000 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 30; Niedersächsisches Ortsnamenbuch, 2). – Aufgebauer, Peter: Art. „Herzberg (am Harz)“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 270–272.

Simon Sosnitza