Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Boizenburg

Boizenburg

(1, 2) B., am Einfluss der Boize in die Elbe gelegen, war bereits in slawischer Zeit Sitz einer Burg zur Sicherung des Elbübergangs. Auch in der Zeit Heinrichs des Löwen (1129–1195) ist B. als Burgensitz überliefert. 1170 soll auf dem Schlossberg vor der Stadt eine neue Burg errichtet worden sein. Eindeutige archäologische Spuren sind allerdings bisher nicht erbracht worden. Auch für eine auf der Anhöhe des Ortes Gothmann gelegene Burg gibt es nur vage Spuren.

Der Ortsname setzt sich aus dem slawischen Flussnamen Boize und dem aus der deutschen Zeit stammenden Hinweis auf eine Burg zusammen. Urkundlich wird der Ort erstmals 1158 erwähnt. Um 1166 erscheint der Ritter Gunzelin von Hagen als Graf von Schwerin; er war auch mit B. belehnt. In dieser Zeit muss es einen Herrensitz in B. gegeben haben, auf dem ein Geschlecht »von B.« möglicherweise in Kastellanfunktion ansässig war.

B. findet während der Auseinandersetzungen der Schauenburger als Grafen von Holstein mit Dänemark zu Beginn des 13. Jahrhunderts bis zur Schlacht bei Bornhöved 1227 gelegentlich Erwähnung. 1208 soll B. völlig zerstört worden sein. Der Aufstieg zur Stadt erfolgte nach 1227; eine Urkunde für die Erhebung zur Stadt liegt nicht vor. Der Ort dürfte zu dieser Zeit in den Besitz der Grafen von Schwerin, zu dieser Zeit Graf Gunzelin (Günzel) III. (reg. 1228–1274) übergegangen sein; ihm folgte sein Bruder Helmold II., der bis 1276 allein regierte. In B. residierte der 1276 in einem Teil der Grafschaft Schwerin, der Grafschaft B., nachfolgende Sohn Günzels III., Günzel IV.; der formale Stand der Grafschaft B. hinsichtlich der Grafschaft Schwerin bedarf noch der genaueren Erklärung. 1267 wurde B. das lübische Recht verliehen. Am Ende des 13. Jahrhunderts werden als Stadtobrigkeit Consules civitatis Boytzenborch genannt. Zu dieser Zeit spielte der Ort eine Rolle im Salzhandel zwischen Lüneburg und dem Ostseeraum.

Nach einem Intermezzo unter Helmold II. († 1299) folgte dessen Sohn Nikolas II. († 1315), sodann Nikolas IV., der u. a. 1326 eine Eventualhuldigung B.s für Graf Heinrich III. von Schwerin ausstellte für den Fall, dass er, Nikolaus, versterben sollte. 1333 bestätigte Nikolas IV. der Stadt B. zahlreiche Privilegien, und 1345 überließ er in einer zu Sternberg unterzeichneten Urkunde den Herren von Mecklenburg für den Fall seines Todes ohne männliche Erben die Nachfolge in seinen Landen B., Wittenberg und Crivitz. Die mecklenburgischen Grafen nahmen 1347 die Eventualhuldigung in B. entgegen, der Erbfall trat 1349 mit dem erbenlosen Tod Nikolas’ IV. ein. Die anschließenden Erbstreitigkeiten führten zu einem Verzicht Graf Ottos I. von Sachsen-Wittenberg 1358, was zur Folge hatte, dass B. hinfort bei Mecklenburg blieb.

Als Burg- bzw. Residenzort eines eigenständigen Herrschaftsgebildes war B. von 1274 bis 1349 bedeutsam, der Ort formte sich in dieser Zeit zur Stadt. In zahlreichen Urkunden ist von »Schloss B.« die Rede, das des Öfteren, zusammen mit der Stadt, verpfändet wurde. Es war – so scheint es – durchgehend einer der Sitze der Herzöge von Mecklenburg. Darauf deutet auch hin, dass B. als Ort von dynastischen Ereignissen erwähnt wird, so z. B. 1549 der Verlobung der Nichte Herzog Ulrichs, Elisabeth von Kurland, mit Herzog Adam Wenzel von Teschen. Nach 1648 erscheint B. nicht mehr aus Aufenthaltsort der mecklenburgischen Herzöge, auch wenn es in B. hzl.e Behörden gab. Bei den Landesteilungen kam B. 1621 zu Mecklenburg-Güstrow und 1701 zu Mecklenburg-Schwerin.

Der Ort war dank seiner Lage an der Elbe Handels- und Handwerkerstadt, ohne allerdings eine bedeutendere Größe zu erlangen. Ende des 15. Jahrhunderts gab es etwa 700 Einwohner. Für 1570 sind 140 Haussteuerzahler und für 1741 165 Häuser belegt, was auf Einwohnerzahlen in ähnlicher Größenordnung schließen lässt.

Die Stadt war mehrmals Opfer von Belagerungen, gegen welche die Befestigungsanlagen wenig ausrichteten. Im Dreißigjährigen Krieg wurde B. u. a. von den Schweden besetzt. Nachdem es dem ksl.en General Matthias Gallas 1644 gelungen war, die Schweden zu vertreiben, ließ er das Schloss sprengen. Ein Wiederaufbau ist vermutlich nicht erwogen worden, heute sind nicht einmal mehr Spuren des einstigen Schlosses zu finden.

(3) Ende des 13. Jahrhunderts wurde die Pfarrkirche gegründet, als deren Patrozinium Maria und der Hl. Jakob erscheinen. Sie wurde im großen Stadtbrand von 1709 zerstört und 1717–1727 neu errichtet. Über die Reformation hinaus, die in B. 1531 eingeführt wurde, bestanden bis zum Brand von 1709 mehrere Kapellen. Als einzige religiöse Minderheit treten seit 1267 Juden in Erscheinung, zugleich Indiz der Einbindung B.s in ein überregionales Handelsnetz.

(4) Baulich ist B. vom Wiederaufbau nach dem Stadtbrand von 1709 geprägt, Die Stadt erhielt ein vom Brandschutzgedanken bestimmtes schachbrettartiges Grundmuster mit breiteren Hauptstraßen und schmaleren Querstraßen (Twieten). Das Rathaus wurde 1711/12 in Fachwerkbauweise errichtet.

(5) Über eine Einbindung in Städtebünde, in das überregionale Handelsnetzwerk der Hanse (trotz der Lage an der Elbe) oder eine Vertretung auf mecklenburgischen Landtagen in der frühen Neuzeit ist nichts bekannt. Größere Bedeutung hatte B. als Durchgangs- und Hafenplatz für den Export Lüneburger Salzes in den Ostseeraum bis Ende des 14. Jahrhunderts. Bezeichnend ist, dass die Stadt Wismar auf eigene Kosten B. 1380 mit einer Stadtmauer versehen ließ, um den für seinen Handel wichtigen Ort zu schützen. Durch den Bau des Stecknitzkanals 1392–1398 verlor die Salzroute über B. und Wismar an Bedeutung. Im Umkehrschluss dürfte dies bedeuten, dass B. vorher wichtiger war, was die Wahl als Sitz einer Nebenlinie der Grafen von Schwerin ab 1276 erklären könnte. Für die Herzöge von Mecklenburg, die B. 1349, definitiv 1358, übernommen hatten, wurde B. durch die Verlegung des Salzhandelswegs ab 1398 weniger bedeutsam, 1427 wurde die Stadt an Rostock, Wismar und Lüneburg verpfändet.

(6) Die urkundlich wenig gesicherte und geschichtswissenschaftlich kaum erschlossene Rolle B.s als Residenz kann auf die Zeit von 1274 bis 1349 begrenzt werden. Weder davor noch danach hat der Ort eine Rolle gespielt, die ihn als Residenz hätten in Erscheinung treten lassen können. B. ist seit der Mitte des 14. Jahrhunderts als eine mecklenburgische Landstadt zu charakterisieren, die im 19. Jahrhundert vor allem durch die Werften den Aufstieg zu einer Industriestadt erfahren hat. Spuren einstiger Funktion als gfl.er Residenz haben sich nicht erhalten und wurden bisher auch nicht durch archäologische Forschung aufgedeckt.

(7) Die stadtgeschichtlich relevanten Archivalien befinden sich im Kreisarchiv Ludwigslust und im Mecklenburgischen Landeshauptarchiv, dort über viele Abteilungen verteilt. In Boizenburg selbst gibt es ein Stadtmuseum, aber kein Stadtarchiv. Jugler, Johann Heinrich: Versuch einer Beschreibung der Stadt Boizenburg, in: Magazin für Geographie, Staatenkunde und Geschichte, Bd. 1, hg. von Johann Ernst Fabri, Nürnberg 1797 (ND 1924). – Mecklenburgisches Urkundenbuch (1863–1977).

(8)Masch, Gottlieb Matthias Carl: Geschichte des Bistums Ratzeburg, Lübeck 1835. – Rische, Alfred: Geschichte der Grafschaft Schwerin bis zum Jahre 1358, Ludwigslust 1893. – Deutsches Städtebuch, Bd. 1: Norddeutschland (1939), S. 277 f. – Boizenburg. Beiträge zur Geschichte der Stadt, hg. vom Rat der Stadt Boizenburg anläßlich der 725-Jahrfeier, Boizenburg 1980. – Wülfing, Inge-Maren: Die Amtsrechnungen von Boizenburg und Wittenburg aus den Jahren 1456–60 als Quelle zur territorialen Finanzverwaltung auf lokaler Ebene, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 8 (1987) S. 21–50. – Grassmann, Antjekathrin: Art. „Boizenburg“, in: Handbuch der Historischen Stätten, Bd. 12: Mecklenburg-Vorpommern (1996), S. 5–7. – Spantig, Siegfried: Boizenburg 1158–1267, in: Ders.: Im Rad der Geschichte. Heimatkunde von der Boize bis zum Sudebogen, Hagenow 2003, S. 5–63. – Boizenburg. Stadt und Land im Wandel der Zeiten. Beiträge zur Stadtgeschichte Südwestmecklenburgs, Bd. 3, hg. von Hans-Jürgen Baier, Boizenburg 2011.

Eckardt Opitz