Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Wolmirstedt

Wolmirstedt

(1) Burg und Ort W. liegen auf dem nördlichen Hochufer der Ohre etwa 15 km nördlich von Magdeburg. Unmittelbar östlich befand sich bis ins 13. Jahrhundert die Mündung der Ohre in den damaligen Hauptstrom der Elbe. Bei W. überquerte die von Magdeburg nach Stendal verlaufende Handelsstraße die sumpfige Ohreniederung. Ein Übergang über die Elbe in Richtung Burg kann vermutet werden.

In der Forschung wurde mitunter ein fränkisches Kastell in W. für möglich gehalten, zumal die fränkischen Reichsannalen für das Jahr 780 einen Aufenthalt Karls des Großen an der Mündung der Ohre in die Elbe überliefern. Ausdrücklich wird die Burg W. (slawisch Ustiure) erstmals von Thietmar von Merseburg als Besitz der Grafen von Walbeck erwähnt, der um 1000 zerstört wurde. Ihr weiteres Schicksal bleibt ungewiss. 1159 nannte sich ein Ministeriale Albrechts des Bären nach W. Ob im 12. Jahrhundert eine Burg bestand, ist umstritten. Möglicherweise wurde sie erst um 1208 wieder durch Markgraf Albrecht II. von Brandenburg errichtet. W. wurde der Sitz eines Vogtes und von Burgmannen. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts begegnet die Burg mehrfach als Aufenthaltsort der Mkgf.en.

1319 kam W. zunächst pfandweise, 1336 endgültig unter die Herrschaft der Erzbischöfe von Magdeburg. Bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts war die Burg mehrfach verpfändet, u. a. an Mitglieder der Adelsfamilien Alvensleben, Bismarck, Veltheim und Schulenburg. Erst seit der Regierung des Ebf.s Johann von der Pfalz (1464–1475) blieben Burg und Amt W. im direkten Besitz des Landesherrn und wurden von einem Hauptmann verwaltet. 1680 fielen Stadt und Amt zusammen mit dem gesamten bisherigen Erzstift Magdeburg an den Kurfürsten von Brandenburg.

Im 14. und 15. Jahrhundert wurde W. von den Ebf.en nur gelegentlich aufgesucht. Erst unter Ernst von Sachsen (1476–1513) diente es zeitweilig als Aufenthaltsort des Ebf.s in Konkurrenz zur Stadt Magdeburg. Während in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wiederum kaum Aufenthalte der Erzbischöfe in W. nachweisbar sind, gelangte der Ort unter Joachim Friedrich von Brandenburg (1566–1598) zu neuer Bedeutung. Zwar verblieben Rat und Kanzlei in Halle, doch hielt sich Joachim Friedrich insbesondere in den Sommer- und Herbstmonaten bevorzugt in W. auf und besuchte von dort aus seine Jagdreviere in der Colbitzer Heide. Auch unter seinem Nachfolger Christian Wilhelm von Brandenburg (1598/1608–1628) blieb W. ein beliebter Aufenthaltsort; Administrator August von Sachsen (1628/35–1680) bevorzugte hingegen Halle.

(2) Die früheste dörfliche Siedlung, die wohl mit der Burg um 1000 zerstört wurde, ist im Bereich der heutigen Unterburg zu suchen. Kern des Ortes war auch später das Gelände entlang der sich im Norden bogenförmig um den Burgberg ziehenden Straße. Hierzu kam ein zweiter Siedlungskern, der sich nördlich an der Straße nach Stendal anschloss. 1240 wurde der Ort als Dorf (villa) bezeichnet. Erst 1363 erscheint er erstmals unter den Städten des Erzstiftes. In den Lehnbüchern der Erzbischöfe Albrecht III. (1368–1371) und Peter (1371–1381) ist vom opidum oder stedeken W. die Rede. Eine Ummauerung des Städtchens ist nicht nachweisbar, doch werden drei Tore genannt.

1564 werden 100 Hauswirte genannt. Unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg, 1649, zählte man lediglich einen Hof und 37 Bürgerhäuser, jedoch zehn wüste Höfe und 63 wüste Hausstätten. Im Erbbuch von 1679 waren es bereits wieder 146 Bürger, neun Höfe und der sogenannte Kurfürstenhof. Aus den Burglehen waren mehrere adlige Güter hervorgegangen, die im 17. Jahrhundert der Familie Angern gehörten.

Ob der im Lehnbuch Albrechts IV. (1382–1403) genannte Tile Schulte als Schulze an der Spitze des Städtchens stand, ist ungewiss. 1564 bestand jedenfalls ein Rat. Aus dem Jahr 1590 stammt die erste überlieferte Willkür der Stadt. 1650 existierten zwei Ratsmittel, jeweils bestehend aus Bürgermeister, Kämmerer und einem Ratmann.

Eine größere wirtschaftliche Bedeutung blieb der Bürgerschaft verwehrt. An Gilden bestanden offenbar lediglich diejenigen der Schneider und Schmiede, die erst im 17. Jahrhundert erwähnt werden. Zu einer Ansiedlung von Hofamtsträgern oder von auf dem Hof ausgerichtetem Handwerk in der Stadt kam es nicht.

(3) Nordöstlich der Burg befand sich im nordöstlichen Bereich der Stadt an der Straße nach Stendal spätestens seit 1228 ein Zisterzienserinnenkloster. Das der Hl. Katharina geweihte Kloster benutzte wahrscheinlich von Beginn an die Pfarrkirche St. Pankratius, die vermutlich schon von den Grafen von Walbeck errichtet worden war. 1270 inkorporierte Bischof Volrad von Halberstadt als zuständiger Ortsbischof die Pfarrkirche dem Kloster, nachdem sie von Markgraf Johann dem Konvent geschenkt worden war. Als Inhaber der Pfarre galt im Spätmittelalter der Propst des Klosters, der seit 1418 vom Inhaber der Altarpfründe Stt. Georgii, Dorothee, Marie Magdalene und der Hl. Drei Könige unterstützt wurde. Neben letzterem fanden sich in der Kirche drei weitere Nebenaltäre sowie einer in einer Andreaskapelle.

Durch Schenkungen und Käufe erwarb das Kloster bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts eine Reihe von Besitzungen und Kirchenpatronaten in der Nähe des Ortes und in der Altmark. 1564 erscheinen Samswegen, Kröchern und Zielitz als Klosterdörfer, die bis zum Ende des Konvents 1810 in dessen Besitz blieben. Aus der im 19. Jahrhundert abgebrochenen Klosterkirche erhalten haben sich zwei Grabdenkmäler für Angehörige der Adelsfamilie Irxleben von der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert

In W. existierten im Spätmittelalter ein Kaland, dessen Güter 1564 teils entfremdet waren, teils zur Unterhaltung des Pfarrers und der Schule verwendet wurden, sowie eine Elendenbruderschaft, die 1420 erscheint und in der Mitte des 16. Jahrhunderts offenbar bereits eingegangen war. Ein Hospital mit sechs, im 17. Jahrhundert zehn Plätzen befand sich vor dem Ort.

Nachdem offenbar bereits zuvor die Reformation eingeführt worden war, wurde der erste evangelische Pfarrer 1551 durch Herzog Georg von Mecklenburg berufen, der W. im Gefolge Kurfürst Moritz’ von Sachsen kurzzeitig besetzt hatte. Bei der Visitation des zunächst beim alten Glauben verbliebenen Klosters im November 1561 fand man 16 Chorjungfrauen, eine Novizin, acht Laienschwestern sowie 34 Bedienstete vor. 1577 bekannten sich die Klosterfrauen sämtlich zur Augsburgischen Konfession und nahmen das Abendmahl unter beiderlei Gestalt ein. Als evangelisches Damenstift bestand das Kloster weiter bis zur Aufhebung 1810.

(4) Ein Rathaus wurde im 16. oder frühen 17. Jahrhundert errichtet. Eine Abbildung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt es als Renaissancebau mit Zwerchgiebeln. Eine zeremonielle Nutzung des Stadtraums durch den Erzbischof ist nicht nachweisbar. Grund hierfür war neben der eher sporadischen Nutzung des Schlosses möglicherweise die Nutzung W.s vor allem für Jagden. Nach 1570 erwarb die Ehefrau des Administrators Joachim Friedrich, Katharina von Brandenburg, zwei Häuser und zwei Ackerhöfe und fasste sie zu einem Anwesen zusammen, das später als »Kurfürstenhof« bezeichnet wurde. Ab 1598 kam der Hof in die Hände verschiedener Besitzer und wurde zum Gasthof. Die Kloster- und Pfarrkirche spielte für den Hof allem Anschein nach keine Rolle.

(5) In der Landfriedensurkunde Erzbischof Dietrichs (1361–1367) von 1363 erscheint W. als eine der unbedeutenden Städte. Mit einem Aufgebot von fünf Bewaffneten stand es weit hinter Landstädten wie Calbe, Staßfurt oder Groß Salze. Obwohl an einer Fernhandelsstraße gelegen, partizipierte die Stadt offenbar nicht am Handel und blieb auf den Amtssitz und die ländlichen Bedürfnisse ausgerichtet. Zoll und Geleit zu W., die häufig in den spätmittelalterlichen Quellen auftauchen und von einiger Bedeutung waren, blieben in der Hand des Landesherrn. Erst 1558 wurde ein Jahrmarkt in die Stadt verlegt. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts erscheint W. unter den 28 landtagsfähigen Städten des Erzstifts Magdeburg und auch vereinzelt als Versammlungsort des Landtages.

(6) Unterhalb des ebfl.en Schlosses konnte sich allenfalls ein Ort entwickeln, der als Kleinform städtischer Siedlungen gelten kann und einem Amtsflecken weitaus ähnlicher als einer Residenzstadt war. Zwischen dem Amt und dem Zisterzienserinnenkloster, die große Teile des Ortes prägten, blieb kaum Raum für eine eigenständige wirtschaftliche Entfaltung; die Nähe zur Stadt Magdeburg tat ein Übriges. Eine Förderung W.s als Stadt durch die Erzbischöfe ist nicht erkennbar. Selbst das Handwerk blieb auf die ländlichen Bedürfnisse ausgerichtet. Die besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht seltenen Aufenthalte der Landesherren führten nicht zu einer Aufwertung W.s, da das Schloss eher als Jagdschloss angesehen wurde und man vielleicht sogar bewusst auf ein städtisches Umfeld verzichtete.

(7) Die Überlieferung im Stadtarchiv Womirstedt setzt im Wesentlichen erst mit dem Jahr 1721 ein. Im Landesarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg befinden sich Urkunden und Akten des Klosters W. vom 16. bis ins 19. Jahrhundert (U 4 a, 16; A 4 h). Die mittelalterlichen Urkunden sind zum allergrößten Teil verloren, doch sind unter den Akten ältere Verzeichnisse vorhanden. Einzelne Unterlagen zur Geschichte Wolmirstedts finden sich auch im Bestanden Innere Verwaltung des Erzstifts Magdeburg (A 2). Die Überlieferung des Amts Wolmirstedt (Da 74) beginnt im Jahr 1569; die Akten zum Amt in der Ämterregistratur der Kriegs- und Domänenkammer zu Magdeburg (A 9 c XXVIII) setzen 1642 ein.

Die älteste Abbildung von Stadt und Amt in der Topographie des Erzstifts Magdeburg von Gebhard von Alvensleben (1655) ist im Original seit 1945 verschollen (Abb. u. a. bei Bergner, S. 111).

(8)Danneil, Friedrich: Der Kreis Wolmirstedt. Geschichtliche Nachrichten über die 57 jetzigen und die etwa 100 früheren Orte des Kreises, Halle 1896 (Beitrag zur Geschichte des Magdeburgischen Bauernstandes, 1). – Bergner, Heinrich: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Wolmirstedt, Halle 1911 (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, 30). – Korn, Otto: Art. „Wolmirstedt, Kr. Wolmirstedt“, in: Deutsches Städtebuch, Bd. 2: Mitteldeutschland (1941), S. 740–742. – Schneider, Johannes: Die Ausgrabungen auf dem Schloßberg Wolmirstedt. Übersicht, in: Wolmirstedter Beiträge 15 (1990/91) S. 59–90. – Scholz, Michael: Amtssitze als Nebenresidenzen. Wanzleben, Wolmirstedt, Calbe und Kloster Zinna als Aufenthaltsorte der Erzbischöfe von Magdeburg, in: Sachsen und Anhalt 21 (1998) S. 151–181. – Scholz, Michael: Art. „Wolmirstedt“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 644 f.

Michael Scholz