Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Calbe

Calbe

(1) C. an der Saale, etwa 30 km südlich von Magdeburg, lag an der Handelsstraße von Magdeburg nach Leipzig, die hier in einer Furt den Fluss überquerte. 936 schenkte König Otto I. dem Stift Quedlinburg u. a. 15 slawische Familien in Calvo. Dem Magdeburger Moritzkloster übereignete er 961 neben anderem den Zehnten der Deutschen und Slawen, die zur Burg C. gehörten, 965 schließlich zwei Königshöfe in C. und Rosenburg. Mit den Besitzungen des Moritzklosters gelangte der Ort 968 an das neu errichtete Erzbistum Magdeburg. Im weltlichen Herrschaftsbereich des Ebf.s verblieb C., bis das Erzbistum gemäß dem Westfälischen Frieden an den Kurfürsten von Brandenburg fiel.

Bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts ist C. mehrfach als Aufenthaltsort der Erzbischöfe belegt. Die Bedeutung der Burg scheint in der Folgezeit stark gesunken zu sein, bis unter Erzbischof Dietrich Portitz (1361–1367) ein Wiederaufbau oder Neubau erfolgte. Zwischen dem Ende des 14. und der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam es allerdings zu mehrfachen Verpfändungen. Unter Erzbischof Friedrich von Beichlingen (1448–1464) wurde das Schloss erneuert und diente in der Folge häufig als Reisestation der Erzbischöfe auf dem Weg zwischen Magdeburg und Giebichenstein. Daneben fungierte es gelegentlich als Zuflucht in Krisenzeiten, etwa für Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1513–1545) in der Zeit des Bauernkrieges.

(2) Die ursprüngliche Königsburg wird meist südlich der späteren Stadt in der Nähe des Bernburger Tores gesucht. Eine Siedlung neben der Burg belegt bereits die Schenkung von 936. Die erste Kaufmannssiedlung wird am sogenannten Alten Markt ca. 150 m nördlich des heutigen Marktes vermutet. Die Entwicklung zur Stadt erfolgte im 12. Jahrhundert In der zwischen 1160 und 1166 ausgestellten Besitzbestätigung für das benachbarte Prämonstratenserstift Gottesgnaden erscheint ein neuer Markt. Gleichzeitig wurden die Bewohner C.s als forenses bezeichnet. Als Erzbischof Wichmann (1152–1192) den Bürgern von Jüterbog 1174 das Magdeburger Stadtrecht verlieh, wurden die Einwohner von C. ebenso wie diejenigen von Magdeburg, Halle, Burg und Tucheim für ihren Handel vom dortigen Zoll befreit.

Der spätmittelalterliche Mauerring umschloss eine nahezu rechtwinklige Siedung mit drei regelmäßigen, in der Mitte leicht nach Westen geknickten Nord-Süd-Verbindungen von ca. 650 m Länge. Den Mittelpunkt bildete die Pfarrkirche St. Stephani. Das erzbischöfliche Schloss, das möglicherweise erst im 14. Jahrhundert entstand, befand sich an der nordöstlichen Ecke der Stadt zur Saale hin. C. besaß zwei Vorstädte vor dem Schlosstor und dem Bernburger Tor, die als Dörfer des Amtes C. galten. 1564 wurde die Zahl der Hauswirte der Stadt auf etwa 180 geschätzt, was auf über 800 Einwohner schließen lässt; mit Schwankungen dürfte diese Größenordnung für die gesamte frühe Neuzeit gelten.

An der Spitze der Stadt erscheint erstmals 1168 ein ebfl.er Schultheiß. 1286 werden Schöffen genannt. In späterer Zeit existierten drei Ratsmittel, die jeweils aus Bürgermeister, Kämmerer und zwei Ratsherren bestanden. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts traten die sogenannten Sechsmänner als Vertretung der Bürgerschaft dazu. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte die Stadt die Gerichtsbarkeit vollständig verloren. Erst 1676 verlieh der Administrator August dem Rat die Erbgerichte in der Stadt und auf dem Feld.

Wirtschaftliche Grundlage C.s blieben bis in die Neuzeit in erster Linie Ackerbau und Handwerk. Im Spätmittelalter scheinen auch Tuchhandel und Fuhrwesen von einiger Bedeutung gewesen zu sein. 1377 erscheint ein Kaufhaus. Die ältesten Innungsbriefe sind für die Schuster 1350 und für die Knochenhauer 1392 überliefert. Zu den Haupterwerbszweigen zählte auch das Brauwesen, das vor allem die unmittelbare Umgebung versorgte.

(3) Das Patrozinium der Hauptkirche St. Stephani weist auf eine Gründung des Bf.s von Halberstadt, zu dessen Diözese C. bis zur Errichtung des Ebm.s Magdeburg 968 gehörte. Ein hohes Alter wird auch für die späteren Kapellen St. Johannis Baptistae (am großen Hof) im Süden, möglicherweise eine frühere Burgkapelle, und Heilig Geist/St. Nicolai im Norden der Stadt, vielleicht die Kirche der Kaufmannssiedlung, vermutet. Die Stephanikirche diente als Sitz eines der Archidiakonate der Erzdiözese Magdeburg. 1268 schenkte Erzbischof Konrad (1266–1277) dem Kloster Gottesgnaden die Kirche in C. mit allen Rechten.

1305 erstmals erwähnt wird die Kirche zum Heiligen Geist in der Nähe des Schlosses, die bis ins 17. Jahrhundert auch als Nicolaikirche erscheint. Daneben befanden sich die Hospitalstiftungen (»Stiftshäuser«) St. Georgii, St. Annen und St. Nicolai (1564 Hospitäler der Elenden, des armen und des reichen Heiligen Geists). In den Stiftshäusern werden 1382 Beginen genannt. Mit dem Hospital der Elenden stand möglicherweise die 1393 erwähnte Elendenbruderschaft in Verbindung. Eine Terminei der Magdeburger Franziskaner wurde 1467 aufgegeben.

Unklar ist der Status der St. Laurentii-Kirche in der Bernburger Vorstadt im Mittelalter. Möglicherweise ist sie identisch mit der Kapelle, die zwischen 1260 und 1383 im Besitz des Domkapitels erscheint. 1439 ist ein Pfarrer an St. Laurentii erwähnt. Zur Zeit der Reformation scheint sie von St. Stephani mitversorgt worden zu sein. Seit 1588 wurde seitens des Amtes ein eigener Pfarrer für die Vorstädte berufen.

Im Zuge der Reformation sind zwar schon für 1524 Unruhen in C. überliefert, doch kam es zur Einführung der neuen Lehre erst nach dem Rückzug Erzbischof Albrechts aus dem Erzstift Magdeburg 1541. 1542 fand der erste reformatorische Gottesdienst in St. Stephani statt. Der im selben Jahr bestellte evangelische Pfarrer wurde vom Rat berufen und besoldet. Neben dem Pfarrer amtierte als zweiter Geistlicher an der Stadtkirche ein Kaplan, der später als Diakon bezeichnet und ebenfalls von Rat bezahlt wurde.

Im 14. Jahrhundert werden mehrere Juden erwähnt. Die Gemeinde besaß eine Synagoge, die nach der Vertreibung der Juden aus dem Erzstift 1493 vom Rat in Besitz genommen und 1512 an einen Bürger verlehnt wurde.

(4) C. war noch in der frühen Neuzeit von einem starken Mauerring samt Wall und Graben umgeben. Neben drei mit Türmen versehenen Toren auf den Landseiten (Bernburger, Brumbyer und Schlosstor) besaß die Stadt fünf Ausgänge zur Saale hin.

Bereits 1286 wird eine Ratslaube genannt. Ein »neues« Rathaus wurde nach Ausweis der Stadtrechnungen 1376 beim Wassertor errichtet. Der 1653 veröffentlichte Stich von Matthäus Merian zeigt ein Gebäude mit mächtigem Staffelgiebel. Das Rathaus wurde auch vom Erzbischof für Festlichkeiten genutzt, denn 1382 kam Erzbischof Ludwig von Meißen (1381–1382) beim Einsturz einer Treppe während eines Fastnachtsfestes ums Leben. Zusammen mit dem Ratshausneubau von 1376 ist wohl die Niederlegung des Rolands Anfang 1382 zu sehen. Das hölzerne Standbild stand in der Folge vor dem neuen Rathaus und wurde 1658 vom Rat durch ein anderes, ebenfalls hölzernes ersetzt.

Vermutlich im 10. Jahrhundert wurde das erste Gebäude der Stephanikirche errichtet. Ein Neubau erfolgte seit dem 13. Jahrhundert Aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt der noch erhaltene Chor, während das hochgotische Langhaus wohl in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch eine spätgotische Hallenkirche ersetzt wurde. Im Inneren der Kirche sind acht Altäre nachweisbar. Eine südlich angebaute Kapelle wurde von Simon Hake, dem späteren ebfl.en Hauptmann des Schlosses C., gestiftet. Über ihrem Portal befindet sich das Wappen Erzbischof Ernsts von Sachsen (1476–1513) mit der Jahreszahl 1494. Im Unterschied zu St. Stephani blieb in St. Laurentii der ursprüngliche spätromanische einschiffige Bau mit halbrunder Apsis erhalten.

(5) Die Erwähnung in der Jüterboger Stadtrechtsverleihung von 1174 weist auf regionale Handelsbeziehungen der C.er Bürger hin. Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit richteten sich die Wirtschaftsbeziehungen der Stadt vor allem auf das unmittelbare Umland. Zwei Jahrmärkte wurden durch Erzbischof Sigismund (1552–1566) bestätigt.

In der Landfriedensurkunde Erzbischof Dietrichs von 1363 erscheint C. unter den größeren Landstädten des Erzstifts. Mit einem Aufgebot von 20 Bewaffneten stand es vor Groß Salze (15), Staßfurt (12) oder Haldensleben (10). 1379 gehörte C. zu den acht Städten des Erzstifts, die sich mit dem Grafen von Barby, dem Stiftshauptmann und der Mannschaft des Erzstifts sowie vier altmärkischen Städten zu einer Landfriedensvereinigung zusammenfanden. In den Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts stand C. mehrfach an der Seite von Magdeburg und Halle gegen den Landesherrn, blieb aber von untergeordneter Bedeutung.

Seit Mitte des 16. Jahrhunderts erscheint C. unter den 28 landtagsfähigen Städten des Erzstifts Magdeburg. Seit 1652 gehörte die Stadt dem Großen Ausschuss der Landschaft an. Gleichzeitig war sie bereits im 16. Jahrhundert häufig Tagungsort landständischer Versammlungen.

(6) Zwar konnte sich C. während des Spätmittelalters zeitweilig zur drittwichtigsten Stadt des Erzstifts Magdeburg entwickeln, doch blieb der Einfluss des ebfl.en Hofs auf die Stadtentwicklung beschränkt. C. war eine Landstadt, die vor allem durch Landwirtschaft und Handwerk geprägt war. Wie der Vorfall von 1382 verdeutlicht, nutzte der Erzbischof durchaus die Potentiale der Stadt für seine Hofhaltung. Auch zeigen die Stadtrechnungen mancherlei Verbindungen zwischen Stadt und Hof (Geschenke des Rates). Die Landesherren hielten sich im 16. Jahrhundert nur sporadisch in C. auf. Bedingt durch seine zentrale Lage blieb C. ein bevorzugter Landtagsort.

(7) Die städtische Überlieferung im Stadtarchiv Calbe setzt zu Mitte des 15. Jahrhunderts ein. Einzelne Unterlagen finden sich auch im Bestand Innere Verwaltung des Erzstifts Magdeburg des Landesarchivs Sachsen-Anhalt in Magdeburg (A 2). Die Überlieferung des Amts Calbe (Da 11) beginnt allerdings erst im Jahr 1657, diejenige zum Amt Calbe in der Ämterregistratur der Kriegs- und Domänenkammer zu Magdeburg (A 9 c X) 1650.

Hävecker, Johann Heinrich: Chronica und Beschreibung der Städte Calbe, Aken und Wantzleben Wie auch des Closters Gottes-Gnade […], Halberstadt 1720. – Willkür der Stadt Calbe an der Saale von Jahre 1525, in: Neue Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen 5, 1 (1841) S. 137–142. – Einnahmen und Ausgaben der Stadt Calbe a. S. 1478, bearb. von Gustav Hertel, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 17 (1882) S. 128–149. – Das Wetebuch der Schöffen von Calbe a. S., bearb. von Gustav Hertel, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 21 (1886) S. 72–102. – Hertel, Gustav: Die ältesten Stadtrechnungen der Stadt Calbe, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 37 (1902) S. 1–67. – Reccius, Adolf: Eine Willkür der Stadt Calbe a. d. Saale aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 66/67 (1931/32) S. 57–67.

(8)Hertel, Gustav, Sommer, Gustav: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Calbe, Halle 1885 (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 10). – Hertel, Gustav: Geschichte der Stadt Calbe an der Saale, Berlin/Leipzig 1904. – Reccius, Adolf: Art. „Calbe an der Saale, Kr. Calbe“, in: Deutsches Städtebuch, Bd. 2: Mitteldeutschland (1941), S. 449 f. – Papke, Eva: Wetebuch und Stadtrechnungen – zwei Quellen zur Geschichte der Stadt Calbe im 14./15. Jahrhundert, in: Magdeburger Beiträge zur Stadtgeschichte 2 (1978) S. 15–21. – Scholz, Michael: Amtssitze als Nebenresidenzen. Wanzleben, Wolmirstedt, Calbe und Kloster Zinna als Aufenthaltsorte der Erzbischöfe von Magdeburg, in: Sachsen und Anhalt 21 (1998) S. 151–181. – Scholz, Michael: Art. „Calbe“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 102 f. – Stahl, Andreas: Calbe an der Saale. Auf den Spuren einer verschwundenen Nebenresidenz der Erzbischöfe und Administratoren des Erzstifts Magdeburg, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 14 (2005) S. 154–185.

Michael Scholz