Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Lichtenstein

Lichtenstein

(1) Südwestlich der auf einem Bergsporn über dem Rödlitzbach unweit der Zwickauer Mulde thronenden Burg wurde nach 1170 ein Siedelplatz erschlossen, der zusammen mit dem Herrensitz das Zentrum der Herrschaft L. und den Ausgangspunkt ihrer weiteren Kolonisation bildete. Mehr noch als die geschützte Tallage trug die von Nürnberg/Hof über Zwickau durch L. weiter nach Chemnitz und Dresden führende Frankenstraße zur Entwicklung des Ortes bei. Die Frankenstraße kreuzte im Rödlitztal eine aus Glauchau nach dem Erzgebirge verlaufende Verbindung.

Die Herrschaft L. zählte zu den Stammbesitzungen der Herren von Schönburg (seit 1700 Grafen; seit 1790 eine fürstliche Linie), die im Reichsland Pleißen im Spätmittelalter eine Landesherrschaft aufbauten. 1740 wurde die Herrschaft zusammen mit weiteren schönburgischen Besitzungen unter Beibehaltung zahlreicher landeshoheitlicher Befugnisse nach Kursachsen eingegliedert. Die letzten Sonderrechte gingen 1878 verloren.

Inwieweit L. im Spätmittelalter als dauerhafte Residenz diente, muss aufgrund lückenhafter Überlieferung offen bleiben. Die frühesten Belege der Residenzfunktion fallen in die Jahre 1286 und 1297. Im 14. und 15. Jahrhundert besaß die Burg untergeordnete Bedeutung, da ihre Besitzer sich häufiger in Glauchau oder ihren böhmischen Herrschaften aufhielten. Als Hauptresidenz diente das nunmehrige Schloss dem Familienzweig Schönburg-L. 1582 bis 1632, 1651 bis 1664 und 1702 bis 1750. Unter Fürst Otto Carl Friedrich (1758–1800) und seiner Gemahlin Henriette (1755–1829) fiel L. in den Rang einer nur in den Wintermonaten besuchten Nebenresidenz (seit 1800 Witwensitz) zurück. Gleichwohl erlebte die Hofkultur in jenen Jahren ihren Höhepunkt.

L. beherbergte den Sitz eines herrschaftlichen Amtmanns und einer Kircheninspektion.

(2) L. wurde als Versorgungssiedlung für die Burg gegründet und ist 1261 erstmals sicher belegt. Die bis heute rudimentär erkennbare Waldhufenflur deutet auf bäuerliche Vorbesiedlung des späteren Stadtareals hin. Die vermutlich um 1250 durch die Herren von Schönburg vollzogene Stadtgründung wird anhand der planmäßigen Anlage eines trapezförmigen Marktes mit drei abgehenden Straßen und einer Gasse nach der Laurentiuskirche fassbar. Urkundlich taucht L. aber erst 1446 als Stadt auf. Der Ort erhielt keine Stadtmauer, wohl aber wird 1493 eine Vorstadt am Rödlitzufer genannt. Die Zerstörung der Burg in einer Fehde gegen die Markgrafen von Meißen 1357 überstand die Stadt offenbar ebenso unbeschadet wie einen Brand der Residenz 1538. Parallel zu deren Wiederaufbau als Frührenaissance-Schloss wuchs das städtische Gemeinwesen stark an. Neuerliche Plünderungen und Zerstörungen von Stadt und Schloss 1632 und 1647 sowie ein Stadtbrand 1771, dem 95 Gebäude zum Opfer fielen, konnten die Aufwärtsentwicklung L.s nur zeitweise stoppen.

Während L. um 1400 kaum 300 Einwohner gezählt haben dürfte, muss man für 1550 mindestens 1000 Einwohner annehmen. 1750 wurden 329 Häuser gezählt (das entspricht etwa 2000 Einwohnern). Die erste offizielle Statistik weist 1834 2960 Einwohner aus.

Primär aus wirtschaftlichem Interesse, hintergründig aber auch als Demonstration seiner von Kursachsen angefochtenen Souveränität ließ Graf Otto Wilhelm (1678–1747) seit 1708 auf dem Rennfeld (Rainfeld) links der Rödlitz eine Neustadt anlegen, die zu Ehren seiner Gemahlin Henriette Eleonore geborene Gf.in von Callenberg (bei Bad Muskau) den Namen Call(e)nberg erhielt.

Die starke Abhängigkeit L.s von den Stadtherren blieb bis ins 19. Jahrhundert bestehen. Ein Bürgermeister wird 1599 erstmals genannt. Ihm standen ein Stadtschreiber und vier Ratspersonen zur Seite. 1631 ist die Tätigkeit von Viertelsmeistern belegt. Die Besetzung der städtischen Ämter nahmen die Stadtherren vor, der Rat besaß lediglich ein Präsentationsrecht. Die städtischen Gerichtsbefugnisse blieben auf die niedere Gerichtsbarkeit beschränkt. In Callnberg, das 1725 Stadtrecht erhielt, setzten die Grafen von Schönburg einen Stadtrichter und Schöppen ein. Alle übergeordneten Befugnisse lagen in den Händen des herrschaftlichen Amtmanns.

Eine grundlegende Normierung des städtischen Lebens nahm Veit III. (1563–1622) mit seiner Stadtordnung (»Statuten«) 1610 vor. Andere herrschaftliche Reglementierungen (Feuer-, Fleischer-, Bäcker-, Brauordnung) sind aus dem 17. und 18. Jahrhundert bekannt.

Ökonomisch profitierte L. von großzügigen Fördermaßnahmen. Das geltende Steuer- und Abgabensystem bevorzugte Handwerk und Gewerbe, Callnberg blieb sogar gänzlich von Steuern auf Immobilien befreit. Die freizügige Vergabe von Privilegien und Konzessionen schuf eine wirtschaftliche Vielfalt, wie sie in der Existenz von 14 Innungen nach 1750 zum Ausdruck kommt. Anhaltspunkte für eine Schmiedeinnung gibt es bereits 1364, Innungsbriefe der Herren von Schönburg sind seit dem 16. Jahrhundert (z. B. Schuster 1536, Schmiede/Schlosser 1561, Tuchmacher 1587) überliefert. 136 Häuser der Altstadt besaßen das Braurecht. Den Warenaustausch förderten drei Jahrmärkte und ein im 17. Jahrhundert privilegierter Wochenmarkt.

Als Verbraucher städtischer Produkte trat der kleine Hof nur begrenzt in Erscheinung. Das Wirtschaftsprofil konzentrierte sich mit zunehmender Dominanz des Textilsektors auf das Exportgewerbe. Die dünne städtische Oberschicht rangierte hinsichtlich ihrer Finanzkraft und Repräsentation deutlich hinter den Eliten größerer Städte, auch solcher ohne Residenzcharakter. Die Rekrutierung städtischer Funktionsträger zu Hofämtern wird exemplarisch am Aufstieg des Bürgermeisters Johann Andreas Lüdemann zum Amtmann (um 1740) deutlich.

(3) In vorreformatorischer Zeit gehörte L. zum Bistum Naumburg. Die 1261 bestehende Pfarrkirche St. Laurentius beherbergte neben dem Altar des Namenspatrons noch einen Barbara-Altar. Mit dem 1440 von dem Schlosshauptmann Rudolf von Meckau gegründeten Hospital erhielt L. einen zweiten sakralen Ort mit einem Kaplan und dem Altar Zum Heiligen Kreuz.

Die Einführung der Reformation geschah 1542 durch die Herren von Schönburg, die als Kirchenpatrone das geistliche Leben nachhaltig förderten, z. B. als Geldgeber für Erweiterungsbauten an der Stadtkirche (Turm 1603, Innenraum 1678) und Stifter von Kirchenornat (1596, 1639). Das 1631 eingeäscherte Hospital errichtete Georg Ernst (1601–1664) komplett neu, 1658 erließ er eine Hospitalordnung. Außerdem stiftete er eine teils öffentliche Kirchenbibliothek mit bibliophilen Kostbarkeiten aus dem 16. und 17. Jahrhundert Wichtige Elemente des geistlichen Lebens, etwa die beliebten Christmetten, setzte die Bürgerschaft gegen den Willen der Stadtherren durch. Ein Knabenchor wurde durch gemeinsame Stiftung des Bürgermeisters Scheffler und der Stadtherrin Benigna von Schönburg (1599–1648) unterhalten. Im 18. Jahrhundert fungierte der Stadtpfarrer zugleich als Hofprediger und Kircheninspektor der Herrschaft L. Callnberg erhielt nach 20jähriger Bauzeit 1790 eine Kirche.

(4) Das nur 300 m vom Stadtkern entfernte, hoch aufragende Schloss führte den Machtanspruch der Stadtherren allgegenwärtig vor Augen. Alle wichtigen städtischen Bauten (Schulen, Rathaus 1627, Posthaus, später Apotheke 1603) gruppierten sich um Markt und Kirche und fielen mehrfachen Zerstörungen anheim. In Ermangelung einer Stadtbefestigung wurden die Ausfallstraßen durch Holztore verschlossen. Die herrschaftliche Repräsentation konzentrierte sich auf die Stadtkirche, in der Veit III. 1593 eine Familiengruft anlegte. Hier wurden bis 1754 acht Angehörige seines Hauses beigesetzt. 1797 erfolgte der Neubau der Familiengruft in einem Schlossgewölbe.

Der langwierige Wiederaufbau L.s nach dem Brand von 1771 ergab ein neues Stadtbild. Das aufwendig gestaltete Rathaus wirkte im Vergleich zur geringen politischen Bedeutung des Rates und den eher schlichten Bürgerhäusern überdimensioniert. Die gitterförmige Anlage von Callnberg folgte exakten herrschaftlichen Anweisungen, wobei besondere Richtlinien für die Gebäude am Markt dessen Erscheinungsbild aufwerteten. Im Wappen, das einen Torturm zeigt, führt L. die schönburgischen Farben rot/silber. Callnberg erhielt das Hauswappen des Gründers Otto Wilhelm.

(5) Als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum kam L. Bedeutung für das nähere Umland zu. Das im Schloss befindliche Amt, die Rentverwaltung und die Kircheninspektion waren für L., Callnberg und sieben Dörfer zuständig. In Abständen fanden in L. Regierungskonferenzen unter Beteiligung aller schönburgischen Familienzweige statt. Aufgrund der beziehungsreichen Stellung der Schönburger im dynastischen Gefüge Mitteldeutschlands erfreute sich der Hof in Blütezeiten häufig adliger Besucher. Ausdruck der kulturellen Anziehungskraft der Residenz um 1800 ist u. a. die Verpflichtung von Christian Leberecht Vogel zum Hofmaler. Welche Rückwirkungen sich dabei auf die Stadt selbst ergaben, bleibt zu untersuchen.

(6) Als Kleinresidenz konnten Stadt und Schloss nur begrenzt politisches Gewicht und Ausstrahlung entfalten. Die starke Dominanz der Schönburger gab der Stadt ein deutlich herrschaftliches Gepräge. Dem Gestaltungswillen der Bürgerschaft verblieben nur enge Spielräume. Ein städtisches Selbstbewusstsein konnte sich daher kaum entwickeln. Gleichwohl forderten häufige Zerstörungen Herrschaft und Bürger zu gemeinschaftlichen Anstrengungen beim Wiederaufbau der Stadt heraus. Als handlungsleitendes Motiv der Stadtherren ist über Jahrhunderte hinweg eine patriarchalische Fürsorgepflicht erkennbar, die sich ordnungspolitisch, sozial und vor allem wirtschaftlich bemerkbar machte. Indem Zuzügler die angebotenen wirtschaftlichen Freiheiten konsequent nutzten, trugen sie dazu bei, dass L. kontinuierlich wuchs und zu einem frühen Zentrum der industriellen Revolution in Sachsen wurde.

Dem historischen L. hat die Reisebeschreibung Heinrich von Kleists (1800) ein literarisches Denkmal gesetzt.

(7) Ungedruckte Quellen finden sich vor allem im Staatsarchiv Chemnitz, namentlich in den schönburgischen Urkunden (Bestände 30569, 30570, 30571) sowie in den Beständen Schönburgische Gesamtregierung (30572), Rechnungsarchiv (30573) und Herrschaft Lichtenstein (30590). Eine eigene Abteilung bilden die Gerichtsbücher von Lichtenstein und Callnberg (Bestand 12613) mit einer Überlieferung ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert.

Eine umfangreiche, wenngleich in Einzelheiten fehlerhafte Quellenedition für die Zeit bis 1610 liegt vor in: Schön, Theodor: Geschichte des Fürstlichen und Gräflichen Gesammthauses Schönburg. Urkundenbuch, 8 Bde., Nachtragsbd., Stuttgart/Waldenburg 1901–1910.

(8)Colditz, Hugo: Gründung und kurze Geschichte der Stadt Callenberg, in: Schönburgische Geschichtsblätter 2 (1895/96) S. 45–59. – Colditz, Hugo: Zur Geschichte der Gewerbe in Lichtenstein, in: Schönburgische Geschichtsblätter 4 (1897/98) S. 131–137, S. 208–224; 5 (1898/99), S. 165–172. – Colditz, Hugo: Aus der Geschichte Schönburgs, Lichtenstein 1904. – Neue Sächsische Kirchengalerie. Ephorie Glauchau, Leipzig 1910, Sp. 635–672. – Müller, Schönburg (1931). – Schliesinger, Landesherrschaft (1954). – Röber, Wolf-Dieter: Schönburgische Burgen und Schlösser im Tal der Zwickauer Mulde, Beucha 1999, S. 29–34.

Michael Wetzel