Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Weimar

Weimar

(1) W. liegt am Rand der Offenlandschaft des Thüringer Beckens auf einer Schotterterrasse am westlichen Ufer der Ilm. Der Stadtraum wird nach Norden durch den Höhenrücken des Ettersberges, nach Süden und Osten durch Ausläufer der Saale-Ilm-Platte begrenzt. Die Ilm-Niederung mit zahlreichen Quellwassern war seit der Jungsteinzeit besiedelt, der alte Ortsname »wihmare« steht für eine verehrte Wasserlokalität (»geweihtes Moor«). W. (erstmals 899 erwähnt) gehörte im hohen Mittelalter zum Herrschaftsbereich der Grafen von W.-Orlamünde aus dem Hause Askanien-Ballenstedt. Sie hielten sich häufig in der Burg W. (Hornstein genannt) auf und veranlassten in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Ausbau und Privilegierung dreier Siedlungskerne: Burgbezirk, Jakobshügel und dem drei Kilometer südlich gelegenen Oberw. Graf Herrmann III. von W.-Orlamünde nannte dies 1254 in einer Urkunde civitate nostra Wimare.

Im Streit um das Erbe der 1247 ausgestorbenen Thüringer Ldgf.en unterlagen die W.-Orlamünder in der sog. Thüringer Grafenfehde 1346 und mussten sich endgültig unter die Lehenshoheit der Wettiner begeben. Mit Graf Hermann VIII. starb das Geschlecht der in W. residierenden Linie 1372 aus. Ihr Gebiet fiel an die Wettiner, die die Stadt im 15. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Residenzen der wettinischen Ldgf.en von Thüringen ausbauten, namentlich unter Herzog Wilhelm III. (reg. 1445–1482). Nach der Leipziger Teilung der Wettiner in Albertiner und Ernestiner (1485) verlor W. vorübergehend seine Residenzfunktion, wurde aber 1513 durch Herzog Johann, der die thüringischen und fränkischen Landesteile im Auftrag seines Bruders, Kurfürst Friedrich des Weisen, verwaltete, zur Nebenresidenz erhoben. Durch die Niederlage Kurfürst Johann Friedrichs des Großmütigen im Schmalkaldischen Krieg in der Schlacht bei Mühlberg 1547 gegen Kaiser Karl V. verloren die Ernestiner mit der Kurwürde auch die Residenz Wittenberg (Kurkreis) an die Albertiner in Dresden. Nach seiner Rückkehr aus ksl.er Gefangenschaft 1553 wählte Johann Friedrich W. als Residenz für sein wesentlich verkleinertes Herzogtum, wo diese trotz einiger Landesteilungen (1572, 1603, 1640, 1662, 1672) von nun an verblieb. Damit einher ging der Aufbau der Landesverwaltung (1569/78 Konsistorium, 1573 Regierungskollegium, Kanzleiordnungen 1586 und 1625, dazu Kammer erst 1633). W. wurde überdies zum Mittelpunkt des gleichnamigen Amtes und des bereits 1531 für die Steuererhebung und -verwaltung sowie die Militärverfassung eingerichteten Kreises W. 1661 konnte das Herzogtum um das hennebergische Amt Ilmenau, 1691 endgültig um die »Jenaische Landesportion« und 1741 um das kleine Herzogtum Sachsen-Eisenach erweitert werden. Ab der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde W. Garnisonsstadt. Unter Herzog Ernst August stieg die Garnison auf über 1000 Mann an (1742), wurde danach drastisch verkleinert. 1815 wurde Sachsen-W. und Eisenach mit einigen Gebietsgewinnen zum Großhzm. erhoben mit W. als Hauptstadt bis zum Ende der Monarchie 1918.

Kirchlich gehörte W. bis zur Reformation zum thüringischen Teil des Ebm.s Mainz. Der zuständige Erzpriester befand sich in Oberw.

(2) Die zu Füßen der gfl.en Burg allmählich entstehende Stadt wuchs mit den bereits bestehenden Siedlungen um die Jakobskirche, die als Eigenkirche nicht den Grafen, sondern den reichsministerialen Herren von W. gehörte, und im späteren Oberw., wo die Grafen mit der Ansiedlung von Zisterzienserinnen um 1240 ihr Hauskloster gegründet hatten, zusammen.

Die Stadt war zunächst von geringer Ausdehnung mit der Peterskirche im Zentrum, wo der Markt abgehalten wurde, Gerichtsverhandlungen stattfanden und auch der Standort des ältesten Rathauses vermutet werden darf. Durch zwei Stadtbrände 1299 und 1424 schwer geschädigt, erfolgte der Wiederaufbau mit einer Ausdehnung nach Süden. Im 14. Jahrhundert wurde der Bereich um den heutigen Markt erschlossen. Am Ende dieses Prozesses stand die Errichtung eines neuen Rathauses (1396 erstmals erwähnt) im Westen und eines Kaufhauses ab 1432 im Osten des Marktplatzes. Die Befestigung verfügte über vier Stadttore (1387 erwähnt), von denen drei mit der seit 1435 bis Mitte des 16. Jahrhunderts errichteten Stadtmauer verlegt wurden (Frauentor im Süden, Jakobstor im Norden, Kegeltor im Osten), während im Westen das Neue oder Erfurter Tor entstand. Damit hatte W. die Größe erreicht, die bis Anfang des 18. Jahrhunderts bestehen bleiben sollte.

Mit der Verwaltung der Stadt hatten die Grafen von W.-Orlamünde zunächst Schultheißen beauftragt, die von 1289 bis 1370 belegt sind, deren Einfluss sich mit der Entwicklung einer Ratsverfassung zunehmend auf eine richterliche Funktion beschränkte. Erstes Anzeichen für eine Selbstorganisation der Bürgerschaft ist die Erwähnung eines Stadtsiegels 1262. Eine Ratsverfassung dürfte sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts herausgebildet haben. 1348 wird erstmals ein Rat genannt (Entstehung wohl früher anzusetzen). Er setzte sich aus drei Teilen mit jeweils zwei Ratsmeistern und vier Ratsmannen zusammen, die im jährlichen Wechsel die Amtsgeschäfte versahen, insgesamt sechs Ratsmeister und zwölf Ratsmannen umfassend; das amtierende Ratsdrittel wurde »sitzender Rat« genannt. Die ab 1348 überlieferten Ratslisten dokumentieren eine erhebliche Fluktuation der Ratsmitglieder, von denen einige zugleich in Diensten der Stadtherren gestanden haben. Dies beschränkte die Autonomie des Rats ebenso wie es die Ausbildung einer patrizischen Oberschicht verhindert hat. 1370 tritt eine Gemeindevertretung (»vier von der Gemeinde«) auf, die einen erheblichen Einfluss auf die Führung der Stadt gewinnen konnte.

Nachdem die Orlamünder Grafen noch kurz vor dem Ende ihrer Herrschaft der Stadt die Hoheit über die Finanzwirtschaft übertragen hatten, förderten auch die ihnen nachfolgenden Wettiner die Stadt: 1410 Übertragung des Stadtrechts von Weißensee, 1421 Verleihung eines Brau- und Schankprivilegs sowie 1432 der niederen Gerichtsbarkeit, dazu Steuerbefreiungen nach dem verheerenden Brand von 1424. 1569 erwarb der Rat die Erbgerichtsbarkeit für das Stadtgebiet und die umliegenden Dörfer. 1590 wurden die auf älteren Privilegien fußenden Ratsstatuten vom Landesherrn bestätigt, die im Kern bis zur Stadtordnung von 1810 gültig blieben. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang seit Anfang des 17. Jahrhunderts infolge des Dreißigjährigen Krieges kam es seitens der Landesherrschaft vermehrt zu Eingriffen in die ohnehin nie sonderlich ausgeprägte Autonomie der Stadt (Reduzierung der Ratsämter, Einsetzung eigener Amtsträger als Bürgermeister). Der Bürgerschaft gegenüber wirkte der Stadtrat mitunter wie eine unterste Landesbehörde. 1712 erhob Herzog Wilhelm Ernst die Stadtschule zum Gymnasium, dem er 1716 einen repräsentativen Barockbau errichtete, dazu 1713 ein neues Waisenhaus. Besonders unter seinem bauwütigen und militärliebenden Nachfolger Ernst August I. (reg. 1728–1748) gerieten die Finanzen schwer in Unordnung, wovon sich Stadt und Land erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts erholten.

Die Bevölkerung dürfte bis 1500 die Zahl von 2000 kaum überschritten haben (1495 226 Wohnhäuser, davon 179 intra muros), mit der Residenzwerdung wuchs sie bis 1557 auf ca. 3300. Infolge der Pest (1628, 1635/36) und des Dreißigjährigen Krieges sank sie 1640 auf 2863 (dazu 4103 Flüchtlinge). Mit der wirtschaftlichen Erholung im späten 17. Jahrhundert stieg die Bevölkerung über 4703 (1710) auf 6473 (1790) Einwohner an. Baulich blieb die Stadt weitgehend auf ihren spätmittelalterlichen Umfang beschränkt, die vergleichsweise frühe Entfestigung ab 1757 änderte daran nur wenig. Im neuen Frauentorviertel südlich vor der Stadt entstanden auf Initiative Herzog Wilhelm Ernst ab 1717 die sog. Jägerhäuser für seine Jagd- und Forstbedienten. Es folgten dort bis 1788 knapp 80 Bauten. Die zunehmende Bevölkerungsdichte führte um 1800 zu steigenden Häuser- und Mietpreisen und machte W. zu einem vergleichsweise teuren Wohnort.

Ein Grund für die fehlende wirtschaftliche Dynamik war, dass W. abseits größerer Handelsstraßen lag (die Hohe Straße führte im Norden, die Kupferstraße im Osten weit an der Stadt vorbei). Die Stadt blieb auf eine Nahmarktfunktion beschränkt und zählte vorwiegend Kleinhändler (Krämer) für die Lokalversorgung (1557 66, 1784 ca. 30). Die zunächst erfolgreiche Einführung der Strumpfwirkerei Ende des 17. Jahrhunderts (1724 171 »Fabrikanten« an 285 Stühlen für elf Verleger) hatte keinen Bestand, eben so wenig wie der für das 16. Jahrhundert bezeugte Fernhandel mit Waid und Tuchen. Heraus sticht Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) mit seinem 1791 gegründeten Landes-Industrie-Comptoir, das Gebrauchsgüter, Luxuswaren und Druckerzeugnisse (Reisebeschreibungen, Karten, Zeitschriften) vertrieb. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war das Handwerk die vornehmliche Erwerbsgrundlage (1557 69 Meister, 2 % der Einwohner, 1699 390 Meister [8 %], 1756 523 Meister [ca. 9 %] in 44 Innungen, danach rapide verfallend), daneben war die Landwirtschaft prägend. 1742 besaßen 752 Bürger Äcker (ca. 12 % der Einwohner), der Wert sank bis ins 19. Jahrhundert auf 8 %. Der Hof und die fsl.en Amtsträger sowie Offiziere stellten 1699 mit ihren Familien 22 % der Bevölkerung. Von den wenigen Adligen in der Stadt (im Jahr 1699 nur 15 Familien und acht Alleinstehende, 1779 40 Familien) wohnte ein Großteil bei bürgerlichen Hausbesitzern zur Miete; repräsentative Adelspalais waren unbekannt.

(3) Hauptkirche der Stadt war St. Peter, die seit 1424 mit dem Konpatron St. Paul bezeugt ist. 1284 übertrugen die Grafen von W.-Orlamünde das Patronatsrecht an den Deutschen Orden, der es bis zur Reformation innehatte. Archäologisch ist die Kirche wohl in das 12. Jahrhundert zu datieren, im 13. Jahrhundert erfolgte die Errichtungen eines Saalbaus von beträchtlicher Größe, Ausdruck der gewachsenen Bedeutung W.s. Für das späte Mittelalter sind sieben Altäre bezeugt. Nach dem Stadtbrand 1424 wurde der Turm bis 1483 neu errichtet. 1498/1500 beschloss die Gemeinde den weitgehenden Neubau der Kirche. Mit der Aufhebung des Franziskanerklosters (s.u.) im Jahr 1530 wurde die Stadtkirche zur fsl.en Begräbniskirche und diente als solche bis ins frühe 19. Jahrhundert

Die zweite Pfarrkirche war die mit drei Altären versehene Jakobskirche in der Jakobsvorstadt. Sie wurde von den Herren von W. als Eigenkirche gegründet und bereits 1168 geweiht. Das Patronatsrecht gelangte zwischen 1249 und 1294 an das Hauskloster der Orlamünder Grafen in Oberw. Nach der Reformation wurde das Gebäude zeitweilig als Kornhaus, seit 1579 als Begräbniskirche genutzt. Ihr Kirchhof wurde 1530 zum alleinigen Begräbnisplatz der Stadt bestimmt. Seit dem vom Herzog veranlassten Neubau 1712/13 war die Jakobskirche nach der Weihe 1714 ordentliche Pfarrkirche, diente ab 1728 Garnisonkirche, ab 1778 bis 1918 auch als Hofkirche.

Überdies bestand in der Frauenvorstadt eine erstmals 1336 erwähnte Kapelle, die der Jungfrau Maria geweiht war. Zunächst dem Patronat des Deutschen Ordens unterstehend, wurde sie 1457 dem Franziskanerkloster inkorporiert. Auf dem einstigen Friedhof der Stadtkirche St. Peter (heute Herderplatz), befand sich eine kleine, dem Hl. Nikolaus geweihte Kapelle, die bereits vor der Reformation in ein Wohnhaus umgewandelt worden sein soll. Als älteste Kirche der Stadt gilt die Martinskapelle in der Burg, die offensichtlich auch über Pfarrrechte verfügte (1250 erwähnt). Unter Herzog Wilhelm III. wurde die Kapelle 1464 zur Kollegiatstiftskirche erhoben. Zuvor hatte er die Ansiedlung eines Franziskanerkonvents der strengen Observanz betrieben und den Mönchen 1453 ein Areal im Westen der Stadt zugewiesen. In dessen Kirche wurden der Stifter und seine Gemahlin sowie weitere Angehörige des Herrscherhauses bestattet.

Das in Oberw. gelegene Hauskloster der Grafen von Orlamünde war vor 1244 durch Graf Hermann II. gestiftet und mit Zisterzienserinnen besetzt worden. Das Ordenshaus verfügte über eine erstmals 1330 erwähnte Marienkirche. In der Reformation säkularisiert, diente die Kirche fortan als Pfarrkirche der Ortsgemeinde.

Für 1323 ist eine Curia leprosorum überliefert, wohl eine Vorgängerin des 1514 erwähnten Spitals der sundirsichen (Aussätzigen) südlich der Stadt. Ein weiteres Spital (Lorenz-Hospital, auch »reiches Spital« genannt) bestand seit 1386 vor dem Kegeltor an der Ilm; die Bezeichnung verweist auf eine bessergestellte Klientel. Das vor der Stadt gelegene Nikolaus-Hospital (erwähnt 1384) soll hingegen vornehmlich für Arme bestimmt gewesen sein. Ein weiteres, nicht genauer lokalisierbares Hospital (1432 erwähnt) stand vor dem Erfurter Tor. Erstmals 1304 werden Beginen genannt. Die Gebetsbruderschaft des Hl. Georg wurde 1433 von einigen ldgfl.en Räten ins Leben gerufen. Die Erfurter Augustiner-Eremiten besaßen seit 1326 ein Haus am äußeren Jakobstor.

Juden sind erstmals 1393 nachweisbar, doch scheint die kleine Gemeinde kein eigenes Bethaus gehabt zu haben. Erst 1770 wurde mit Jacob Elkan ein Hofjude zugelassen, der mit Luxuswaren handelte und in dessen Haus eine kleine Synagoge bestand. Am östlichen Stadtrand ließ er einen heute bestehenden Friedhof anlegen. Sein Sohn Julius begründete als »Hofbanquier« das wichtigste W.er Bankhaus.

Als Residenz der Ernestiner, der Schutzherren Luthers, war W. ein zentraler Ort der Reformation in Thüringen. Luther, der mehrfach in der Stadt predigte, fand rasch Anhänger, u. a. den Franziskanermönch Friedrich Myconius, der in Gotha die Reformation einführte, und den Hofprediger Wolfgang Stein. Herzog Johann der Beständige und sein Sohn Johann Friedrich der Großmütige ließen Luthers Anhänger gewähren. Auf Luthers Empfehlung erfolgte 1524 die Berufung von Johannes Grau als Prediger an die Stadtkirche. 1525 wurden alle Geistlichen des Amtes W. vom Kurfürsten öffentlich auf das neue Evangelium verpflichtet, womit die erste landesherrliche Reformation vollzogen wurde. Im gleichen Jahr gingen die geistlichen Güter in die Verwaltung des Rats über. Den opponierenden Franziskanern war im März 1525 das öffentliche Predigen untersagt worden, ihr Konvent wurde 1530 aufgehoben, die Mönche ausgewiesen, die Klosterkirche zum Kornspeicher profaniert. Mit der Umbettung der Fs.engräber übernahm die Stadtpfarrkirche hinfort die Funktion einer herrschaftlichen Grablege. Die unter Aufsicht des Deutschen Ordens stehende Schule übernahm der Rat, der sie 1561 in eine Land- und Stadtschule umwandelte, 1712 erfolgte die Erhebung zum Gymnasium durch den Landesherrn.

(4) Die Erhebung W.s zur Hauptresidenz 1531, vor allem die Verlegung des hzl.en Hofes von Torgau und Wittenberg nach W. ab 1547 war mit weitreichenden Folgen für die Gestalt der Stadt verbunden. Im Vordergrund stand die Umgestaltung der Burg Hornstein, die bereits im 15. Jahrhundert zur kfl.en Nebenresidenz ausgebaut worden war (Wappenstein von 1439 am Torhaus). Im 16. Jahrhundert erfolgte schrittweise die Umwandlung zum Schloss. Nach dem nur Teile verschonenden Schlossbrand 1618 wurde eine Vierflügelanlage italienischer Art in Angriff genommen, die Fragment blieb; 1662 wurden die Bauarbeiten durch Tod des Bauherrn Herzog Wilhelm IV. eingestellt, nur zwei Flügel waren vollendet. Teile des Hornsteins (Torhaus, Hausmannsturm, Westflügel) bestimmten die Ansicht des nunmehr Wilhelmsburg bezeichneten Schlosses. Von der Stadt gab es nur einen über den Wehrgraben führenden Zugang, der repräsentative Schlosseingang lag an der stadtabgewandten Ostseite. Diese Disposition wurde auch bei dem Wiederaufbau nach erneutem Brand 1774 beibehalten. Unter der künstlerischen Regie Goethes entstanden mit dem bis 1803 vollendeten Umbau des Schlosses einige der wichtigsten Raumschöpfungen des frühen deutschen Klassizismus. Die Veränderungen im Äußeren gestalteten sich dagegen gering.

Entscheidend für das Stadtbild waren jedoch die Umgestaltungen des Schlossumfeldes, die Niederlegung der Wehrmauern und Verfüllung der Wehrgräben, die den Schlossbezirk öffneten, und der seit 1776 entstehende Park an der Ilm, der bis 1800 zu einem offenen Landschaftspark ausgebaut wurde.

Die Ansiedlung des Hofes in W. 1547 hatte eine Erweiterung des Schlossbezirkes erzwungen. Im Südosten der Kernstadt war 1562–1569 nach Niederlegung von Handwerkerhäusern das sog. Grüne Schloss entstanden, die Nebenresidenz für Johann Wilhelm, Bruder des regierenden Hzg.s Johann Friedrich II. (heute Stammhaus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek). Seine Gemahlin Dorothea Susanna ließ sich 1574/76 als Witwensitz in unmittelbarer Nachbarschaft das sog. Rote Schloss errichten, wozu 1702/04 noch das sog. Gelbe Schloss trat. Sie arrondierten den Schlossbezirk südlich des Hauptschlosses. Hiermit und durch weitere Bauten (Vorwerk/Marstall, sog. Stiedenvorwerk) war der östliche Teil der Stadt durch herrschaftliche Liegenschaften besetzt. Südlich der Stadt wurde im 17. Jahrhundert unter Herzog Wilhelm IV. ein Teil der Lust- und Obstgärten angelegt, der sog. Welsche Garten bestand bis ins späte 18. Jahrhundert und wurde dann in die neuen Parkanlagen eingebunden. Planungen zu einem großen, in Terrassen angelegten Barockgarten sind durch Stiche Matthäus Merians d. Ä. (um 1650) überliefert, aber wohl nie ausgeführt worden.

Im 16. Jahrhundert setzte eine umfangreiche Bautätigkeit in der Stadt ein. Zahlreiche Bürgerhäuser (meist von Höflingen wie dem Kanzler Christian Brück [Markt 11/12] oder dem Landesbaumeister Nickel Gromann anstelle des alten Abtshauses des Franziskanerklosters [kriegszerstört]), die bis heute das Bild der Stadt prägen, entstanden, auch das Rat- und das Stadthaus wurden grundlegend erneuert. Der einheitlich von Bauten des 16. Jahrhunderts gesäumte Markt ist das Ergebnis einer vom Hof gesteuerten städtebaulichen Korrektur. Auch im 17. und 18. Jahrhundert gingen die Impulse für das Baugeschehen von der Landesherrschaft aus: die erwähnte Stadterweiterung im Süden entlang der Marienstraße (1717/20), die Umgestaltung der Befestigungsanlage zu einer Promenade unter Herzogin Anna Amalia (ab 1757, heute Schillerstraße) und die Neugestaltung des Schweinemarkts (heute Goetheplatz) nach einem Brand 1797, für die Goethe eigenhändig einen Planungsentwurf zeichnete.

Ein Teil der W.er Residenzlandschaft sind die unter Wilhelm Ernst und Ernst August nahe W.s entstandenen Sommer- und Lustschlösser sowie Jagdforste in Belvedere (ab 1724/28–40), im Jagdwald Webicht (um 1700) und bei Ettersburg (1706/17; 1728/40), die durch Alleen mit der Residenz verbunden waren. Zusammen mit dem 1772/78 für Prinz Constantin zum Schloss umgestalteten Gutshaus Tiefurt spielten sie im Klassischen wie Nachklassischen W. als Orte der Geselligkeit eine große Rolle.

Die Umgestaltung der Stadtkirche St. Peter und Paul zur fsl.en Grablege war ein deutliches Zeichen für die permanente Anwesenheit der Herrschaft. Mit der 1553 erfolgten Beisetzung des ehemaligen Kurfürsten und Hzg.s Johann Friedrich und seiner Gemahlin Sibylle von Cleve im Chor wurde diese zu einem Zentrum herrschaftlicher Repräsentation; die Söhne Johann Friedrichs stifteten den von Lucas Cranach d. J. geschaffenen Epitaphaltar als Symbol der Ernestiner als Verteidiger des »wahren Luthertums« nach dem Verlust der Kurwürde 1547.

(5) Als Sitz der Landesregierung und -verwaltung war W. ein wichtiger Absatzmarkt für das Umland, auch des nahen Erfurts. W. selbst besaß hingegen wirtschaftlich wenig Ausstrahlung, seine ganz auf die Versorgung des Hofes zugeschnittenen Landbeziehungen beschränkten sich lange auf die Dörfer des Bannmeilenbezirks. Marktzoll war die wichtigste Einnahmequelle W.s. An zwei Tagen fand ein Wochenmarkt statt, auf dem eigene W.er Maßeinheiten galten, und von dem auswärtige Händler wiederholt ausgeschlossen wurden (z. B. Marktordnung 1676). Lange bestanden zwei Jahrmärkte, an jeweils drei Tage zu Pfingsten und im Oktober (bestätigt 1456); erst 1729 wurde ein seit 1671 gewünschter dritter Jahrmarkt erlaubt, davon zwei mit Viehmärkten verbunden. Aus dem herbstlichen Viehmarkt entstand im 18. Jahrhundert der Zwiebelmarkt (heute noch Volksfest). Die sich 1585 von der Armbrustschützengesellschaft abspaltenden Büchsenschützen veranstalteten ein alljährliches Vogelschießen.

Als Lehrstätte und Wissenschaftszentrum war die 1547/52 gegründete Landesuniversität in der Nachbarstadt Jena für W. von großer intellektueller Bedeutung, seit ihrer Gründung bestanden zahlreiche Kontakte zum W.er Hof. Um 1800 wurden W. und Jena wegen ihres engen wechselseitigen Austauschs über Literatur und Wissenschaft gern als Doppelstadt apostrophiert.

(6) W., stadttypologisch als kleine Mittelstadt zu bezeichnen, besaß unter den ernestinischen Residenzen einen besonderen Platz: Angefangen von seiner Schlüsselrolle für die Durchsetzung der Reformation im 16. Jahrhundert, als Herberge für den Palmorden im 17. Jahrhundert bis hin zur W.er Klassik um 1800. Mit den Berufungen bedeutender Dichter, Christoph Martin Wieland 1772 als Fürstenerzieher, Johann Wolfgang Goethe 1775 als Geheimer Rat und Johann Gottfried Herder 1776 als Superintendent, erhielten Hof und Residenzstadt nationale Bedeutung. Dazu traten andere, wie z. B. Friedrich Schiller, der als freier Autor 1799 von Jena herüberkam. All dem lag weniger Absicht und Planung zugrunde als die seit dem 19. Jahrhundert verbreitete »Musenhof-Legende« Glauben machen will. W. galt in idealisierender Überhöhung als »geistige Hauptstadt« der deutschen »Kulturnation«, solange die Einheit der »Staatsnation« ausstand, eine Stellvertreterrolle, die W. zunächst mehr von außen zugesprochen wurde als selbst beansprucht hatte. Sie drückte sich ab 1780 in einer wachsenden Zahl von Besuchern aus, die das »deutsche Athen« sehen wollten. Die Wanderbewegung nahm um 1800 als »Wallfahrt nach Weimar« sakrale Züge an. Dabei zeigten sich viele Reisende vom Anblick der Stadt, namentlich den engen Straßen und alten Häusern, enttäuscht, ja mitunter entsetzt; die Überraschung über die materielle Gestalt W.s fiel stark aus, weil sie in Kontrast zum geistigen Gehalt stand, der ihr vorab verliehen worden war. Die Diskrepanz zwischen dem großen Ansehen der Stadt und ihrem geringen Aussehen führte oft zu einer Überpointierung ihres dörflichen Charakters, dem z. B. eine solide Pflasterung und frühe Beleuchtung der Straßen (1732) entgegenstand. Die meisten Besucher jedoch wählten eine von den vorgefundenen Verhältnissen bewusst absehende Ästhetisierung der Perspektive, die im Verlauf des 19. Jhs. zu einer Weihe W.s als »heiliger Stätte« führte.

Der vermisste Residenzcharakter rührte nicht zuletzt daher, dass das Stadtschloss seit 1774 Ruine und bis 1803 Baustelle war, das »Klassische Weimar« also lange ohne repräsentativen Herrschersitz hat auskommen müssen. Damit waren anderseits viele Hofchargen und Fürstendiener gezwungen, sich Stadthäuser zu kaufen oder in Stadtwohnungen einzumieten. Heiratsverbindungen kamen allerdings nur zwischen Familien der Gewerbetreibenden und Vertretern unterer Verwaltungsränge zustande. Immerhin scheint die Durchmischung von Bürger- und Dienerschaft eine stände- und geschlechterübergreifende Geselligkeit befördert zu haben, die um 1800 aufblühte; die Öffnung der Privatbibliothek für die Allgemeinheit bereits 1691 und die Vereinigung von Münzkabinett, Kunst- und Naturaliensammlung zu einer Art Museum unter Herzog Wilhelm Ernst (reg. 1694–1728) dürfte das Ihre dazu beigetragen haben. In zahlreichen, auch von durchreisenden Gästen besuchten Zirkeln, Tees, Klubs und Kränzchen (formelle Vereine gab es weniger) wurde eine dezidiert »geistige Geselligkeit« (Ottilie v. Goethe) gepflegt und »gesellige Bildung« (Goethe) angestrebt, die neben der Oberschicht auch Teile der beamteten Mittelschicht erfasst haben dürfte. In der Einbindung von vor allem adligen Frauen lag wohl eine Besonderheit des »ästhetischen Weimar« (Henriette v. Egloffstein).

Neuere Forschungen zeigen, dass sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein neuer Geist bei den Bürgern regte, die Mitsprache einforderten und sich an Reformen beteiligten. Unter von der Aufklärung beeinflussten Herrschern wie Anna Amalia und ihrem Sohn Carl August hat die Stadt die traditionelle Engbeziehung zum Fürstenhaus abschütteln und manchen Nutzen für sich erzielen können.

(7) Archivalien befinden sich im Landesarchiv Thüringen-Hauptstaatsarchiv Weimar (LATH-HStAW) und im Stadtarchiv Weimar (StadtAW) und sind über das Archivportal Thüringen zu recherchieren. Die wenigen überlieferten Stadtpläne von 1570, 1782, 1786, 1811 und 1820 liegen in modernen Nachdrucken vor, die zugehörigen Originale verwahrt meist die Herzogin Anna Amalia Bibliothek der Klassik Stiftung Weimar. Dort sowie im Stadtmuseum Weimar sind historische Stadtansichten zu finden. Für Nachlässe der »Goethezeit« ist das Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar einschlägig. Das älteste Steuerregister datiert auf 1495 (ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Pp 341 Nr. 24a), ein Geschoßregister von 1507 (EGA Reg. Bb 96), gefolgt von zwei Türkensteuerregistern 1542 und 1557 (EGA Reg. Pp 341 Nr. 14a u. 15), Seelenregister 1674 und 1699 (ThHStAW, Stadtpfarrei B 2 u. B 3) sowie 1785–1791 (StadtAW, HA III–12–2); Geschoßbuch 1711 (StadtAW, HA I–15–39), ein Kataster 1785, fortgeschrieben bis ca. 1830 (ThHStWA, ohne Sign.). Ein im Jahre 1380 angelegtes Geschäftsbuch des Weimarer Rates enthält Einträge, die bis 1418 reichen und später durch weitere bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts sich erstreckende Aufzeichnungen ergänzt wurden (StadtAW, HA I–1–50). Eine im Jahre 1433 zusammengestellte Sammlung der städtischen Statuten, sog. Statutenbuch (StadtAW, HA I–1–51), enthält Rechtstexte, dessen älteste Teile ins Jahr 1348 datieren, und das bis ca. 1590 im Gebrauch war; dazu gibt es Handelbücher 1380–1445, 1520–1528 (StadtAW, HA I–50 und 50a) sowie 1528–1538, 1538–1554 (StadtAW, HA I–1–46 und 47), schließlich ein lange Reihe Ratsrechnungen 1540–1800 (StadtAW 22/1, mit Lücken) und Bürgerbücher 1542–1812, 4 Bde. (StadtAW HA I–37–1 bis 4). – Wette, Gottfried Albin: Historische Nachrichten von der berühmten Residentz-Stadt Weimar. Darinnen derselben Ursprung, Verfassung und vornehmste Kirchen […], 2 Bde. Weimar 1737/Jena 1739.

Burkhardt, Carl August Hugo: Regesten zur Geschichte der Stadt Weimar von 1307–1887, 3 Tle. Halle a. d. Saale 1883–1885. – Das Rote Buch von Weimar. Zum erstenmale [sic], hg. und erläutert von Otto Franke, Gotha 1891 (Thüringisch-sächsische Geschichtsbibliothek, 2) [Urbar des Orlamünder Besitzes beim Übergang an die Wettiner bis ca. 1382]. – Regesta Thuringiae, hg. Dobenecker (1896–1939). [Thüringer Urkundenbuch ca. 500–1288]. – Die Weimarer Stadtbücher des späten Mittelalters. Edition und Kommentar, hg. von Henning Steinführer, Köln/Weimar/Wien 2005 (Veröffentlichung der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, 11).

(8)Engst, Walter: Wohnhausbau und Bauwesen der Renaissance, besonders der Frührenaissance in Weimar, Diss. Dresden 1923. – Die Stadtkirche zu St. Peter und Paul in Weimar, hg. im Auftrag der Evang.-Luth. Kirchgemeinde Weimar von Eva Schmidt, Berlin 1955. – Flach, Willy: Grundzüge einer Verfassungsgeschichte der Stadt Weimar. Die Entwicklung einer deutschen Residenzstadt, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Zum 65. Geburtstag von Heinrich Sproemberg, hg. von Helmut Kretzschmar, Berlin 1956 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, 1), S. 144–239. – Huschke, Wolfgang: Die Neubürger der Stadt Weimar 1520–1620. Neustadt a. d. Aisch 1973; desgl. 1621–1691 (1980); desgl. 1692–1725 (1983). – Geschichte der Stadt Weimar, hg. von Gitta Günther und Lothar Wallraf, Weimar 1975 (ältere Teile empirisch noch gültig). – Jericke, Alfred, Dolgner, Dieter: Der Klassizismus in der Baugeschichte Weimars, Weimar 1977. – Müller, Ernst: Martin Luther und Weimar, Weimar 1983 (Tradition und Gegenwart. Weimarer Schriften, 6). – Eberhardt, Hans: Weimar zur Goethezeit. Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur, Weimar 1988 (Tradition und Gegenwart. Weimarer Schriften, 31). – Günther, Gitta, Huschke, Wolfram, Steiner, Walter: Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte, Weimar 21998. – Deutscher Städteatlas, Lfg. 6,1: Weimar (2000). – Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800, hg. von Klaus Ries, Weimar/Jena 2007. – Müller-Wolf, Susanne: Ein Landschaftsgarten im Ilmtal. Die Geschichte des herzoglichen Parks in Weimar, Köln u. a. 2007 (Schriftenreihe des Freundeskreises Goethe-Nationalmuseum, 3). – Stadt Weimar, bearb. von Rainer Müller und hg. vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Altenburg 2009 (Kulturdenkmale in Thüringen, 4,1 und 4,2.) [Standard zur Baugeschichte]. Riederer, Jens: Weimars Größe – statistisch. Eine quellenkritische Untersuchung zur Zahl seiner Einwohner zwischen 1640 und 1840, in: Weimar-Jena. Die große Stadt. Das kulturhistorische Archiv 3,2 (2010) S. 87–116. – Hunstock, Sebastian: Die (groß-)herzogliche Residenzstadt Weimar um 1800. Städtische Entwicklungen im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (1770–1830), Jena 2011. – Ventzke, Marcus: Art. „Weimar“, in: Handbuch der kulturellen Zentren, Bd. 3 (2012), S. 2061–2118. – Freyer, Stefanie: Der Weimarer Hof um 1800. Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos, München 2013 (Bibliothek Altes Reich, 13). – Riederer, Jens: Wallfahrt nach Weimar. Die Klassikerstadt als sakraler Mythos 1780–1919, in: Häuser der Erinnerung. Zur Geschichte der Personengedenkstätte im 19. Jahrhundert. Sammelband zur Tagung im Frankfurter Goethehaus/Freien Deutschen Hochstift Frankfurt am Main, 22. bis 24. September 2011, hg. von Anne Bohnenkamp u. a., Leipzig 2015 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 18), S. 223–285.

Rainer Müller, Jens Riederer