Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Lieberose (Luboraz)

Lieberose (Luboraz)

(1) L. – niedersorbisch Luberas (1295), Lubraz (1300 u. ö.), Luboraz, heutige Schreibweise erst seit ca. 1680 –, Hauptort der gleichnamigen Herrschaft, gehörte zum Markgrafschaft Niederlausitz. Die verkehrsgünstige Lage an der Kreuzung der alten Handelsstraßen von Leipzig über Lübben nach Warschau sowie von Frankfurt (Oder) über Cottbus nach der Oberlausitz und Dresden war für die Anlegung einer Burg bzw. Stadt vermutlich ausschlaggebend.

Soweit nachweisbar war L. bis um die Mitte des 14. Jahrhunderts in landesherrlichem Besitz, ging 1361 von Friedhelm von der Dahme an Heinrich von Kittlitz über und wurde 1371 durch Kaiser Karl IV. erworben. Spätere Eigentümer waren um 1392 Anshelm von Ronow, 1411 die Burggrafen von Dohna und seit Mitte des 15. Jahrhunderts Reinhard von Cottbus. 1477 folgte die böhmische Familie von Sternberg, die bis 1848 das Oberlehnsrecht über L. ausübte. Um 1480 wird Caspar von Kracht mit der Herrschaft belehnt, der sie 1485 an Nicolas von Köckritz verkaufte. Von seinen Söhnen ging sie 1519 an die Gebrüder Jacob und Reichard von der Schulenburg auf Lübbenau über und verblieb nunmehr bis 1945 im Besitz der Familie von der Schulenburg.

(2) Auf eine frühe Besiedelung weist der dicht bei L. gelegene ehemalige spätslawische Burgwall, das sogenannte Alte Schloss hin. Im Schutz der landesherrlichen Burg entwickelte sich allmählich der Ort L., der 1272 erstmals erwähnt, 1295 als civitas und 1301 als castrum et oppidum bezeichnet wurde. 1302 verlieh ihm Markgraf Dietrich der Jüngere das Stadtrecht mit weitreichenden Wald-, Jagd-, Weide- und Wassernutzungsrechten, weiterhin Zollfreiheit und Hufenzinserlass.

Das äußere Erscheinungsbild der Stadt blieb bis in das 19. Jahrhundert nahezu unverändert. Eine Stadterweiterung war nicht notwendig. 1589 wurden 134 Wohnstellen (etwas über 600 Einwohner ergebend) registriert, um 1800 auf 154 Wohnstellen mit 915 Einwohnern ansteigend.

Der Rat zu L. bestand neben dem Bürgermeister aus maximal vier Personen (1671 Bürgermeister, Stadtrichter und zwei Ratsverwandte). Der Stadtrichter bildete mit vier Schöppen das Stadtgericht. Die Herrschaft bestellte die städtischen Rats- und Gerichtspersonen, der Rat hatte lediglich ein Vorschlagsrecht. Die Verpflichtung erfolgte in der herrschaftlichen Kanzlei. Als Vertretung der Bürgerschaft fungierte der bürgerliche Ausschuss (Stadtdeputierte bzw. Viertelsmänner). Dieser wurde vom Rat erwählt und bestand aus insgesamt acht Personen (vier aus der Altstadt, vier aus den Vorstädten). Der Rat bzw. das Stadtgericht übte die untere Gerichtsbarkeit aus, Kriminalsachen kamen vor das Patrimonialgericht. Darüber hinaus war das Stadtgericht für die privaten Rechtsgeschäfte der Bürger im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständig.

Das Gewerbe war agrarwirtschaftlich und handwerklich geprägt, nahezu alle Einwohner betrieben Ackerbau und Viehzucht sowie die Bierbrauerei (53 brauberechtigte Häuser). Die Gewerke und Innungen waren vielfältig repräsentiert. Der Stadtherr erließ Handwerksordnungen (Bäckerordnung 1577) und Innungsprivilegien (Leineweber 1601, Kürschner 1615). Die Marktproduktion blieb auf die städtischen Bedürfnisse beschränkt und hatte keine nennenswerte überregionale Bedeutung. Speziell auf Hofhaltung ausgerichtete Gewerbe waren nicht ansässig, eventuell lassen sich die Kürschner dazu rechnen. Seit 1717 war L. Standort einer kleinen sächsischen Garnison, zuletzt 1779–1812, was zu einer leichten Belebung der Wirtschaft führte.

(3) Kirchlich gehörte L. mit der Niederlausitz zum Bistum Meißen. Die Stadtkirche (Deutsche Kirche) bzw. der Pleban wird 1350 erstmals erwähnt. Sie stand unter dem Patronat des Stadtherrn, der 1574 eine Kirchenordnung erließ. Sie war die Hauptkirche für Schlossbezirk, Stadt und die eingepfarrten zugehörigen Dörfer. Neben dem Geistlichen und wurden auch Schul- und andere Kirchenbedienstete durch die Herrschaft bestellt. Die Reformation wurde vor 1540 eingeführt. Für die protestantisch gewordene sorbische Bevölkerung in den Vorstädten und umliegenden Dörfern wurde eine eigene Wendische Kirche als Predigerkirche nur für den Gottesdient auf Sorbisch errichtet, während Abendmahl, Taufen und Trauungen hingegen in der Hauptkirche abgehalten wurden.

In der Mühlgasse lag das ursprünglich im Besitz des Klosters Dobrilugk befindliche Hospital, welches in der Reformation in herrschaftlichen Besitz gelangte und anschließend für mildtätige Zwecke genutzt wurde. Eine spätere Nutzung erfolgte durch die Innungen als Wanderherberge für Gesellen.

(4) Das Schloss grenzt im Osten an die Stadt und war von dieser ursprünglich nur durch einen Wassergraben getrennt. Es bildete mit den herrschaftlichen Gebäuden (fünf Freihäuser), die teilweise auf Stadtgebiet lagen, einen eigenen Bezirk. In direkter Sichtachse zum Schloss steht das Rathaus mitten auf dem viereckigen, von zwei Straßen eingeschlossenen Marktplatz, die im Westen zusammenlaufen. Quer zum Rathaus schließen sich westwärts beide Kirchen an. Zugang zur Stadt gewährten drei Tore – eine Stadtbefestigung mit zwei Toren ist schon im Stadtrecht von 1302 erwähnt – das Große Tor im Süden, das Mühlentor im Norden und das Gandertor im Westen. Sie mündeten in die nach ihnen benannten Vorstädte »Große Gasse«, »Mühlgasse« und »Gander«.

Die Wohn- und Amtsgebäude, darunter zwei Pfarrhäuser, Stadtschule, Rathaus (1680 erbaut), Schützenhaus und Hospital (1775 erbaut), waren zumeist Fachwerkbauten. Ihre Vorgängerbauten wurden in mehreren verheerenden Bränden (1554, 1634, 1657) vernichtet. Einer 1661 erlassenen landesherrlichen Verordnung zufolge sollten danach alle Häuser mit Ziegeln gedeckt werden.

Turm und westlicher Teil der Stadtkirche wurden um 1400, der östliche Teil um 1593 im Renaissancestil erbaut. Eindrucksvoll sind der Altar von 1593 und das 1597 beendete, in Venedig gefertigte Epitaph für Joachim von der Schulenburg (der Reiche) aus Marmor.

(5) Eine gewisse überlokale Bedeutung besaß L. im Spätmittelalter, als die Stadt im landesherrlichen Besitz war. Es gab eine Schützenbruderschaft, die 1516 in einer Urkunde des Meißener Bf.s erstmals erwähnt wird. Sie verfügte über ein beträchtliches Vermögen (Stiftung zum Altar der Hl. Anna in der Stadtkirche nebst Wohnhaus und Weinberg), besaß ein stadtherrliches Privileg (belegt 1706) und verfügte über ein Schützenhaus. Zu ihren Mitgliedern zählten auch auswärtige Personen höheren Ranges. Ihre Aufmärsche sowie das jährliche Schützenfest zählten zu den wichtigen Ereignissen in der Stadt.

Die Vermögenswerte von Stadt und Bürgerschaft im Umland beschränkten sich auf Forstbesitz- und -nutzungsrechte. Die sechs Jahrmärkte, davon drei mit Viehmärkten, hatten überwiegend örtliche und regionale Relevanz, waren jedoch gut besucht.

(6) L. war während der frühen Neuzeit Residenzstadt der Familie von der Schulenburg. Für die in ihrer Autonomie sehr eingeschränkte Stadt war die Wahrung des Stadtrechts von 1302 von elementarer Bedeutung. Die dort festgesetzten, stets aufs Neue bekräftigten Rechtsvereinbarungen bildeten die einzige Möglichkeit, dem Stadtherrn entgegenzutreten und bildeten die Richtschnur im Umgang miteinander. Beide Seiten achteten akribisch auf deren strikte Einhaltung, Einschränkungen und Verstöße führten zu Widerstand, wie 1768 zu massivem Protest gegen die Absetzung von Ratspersonen durch den Standesherrn. Als wirksames Druckmittel erwies sich die Verweigerung des Lehnseides, so geschehen 1679 und 1715. Generell führten Interessenskonflikte nicht zu tiefgreifenden Zerwürfnissen, beide Parteien strebten in der Regel den Konsens an, der in einem Vergleich endete. Eine große Rolle spielte dabei die jahrhundertelange Präsenz der Familie Schulenburg, die traditionellen Umgangsregeln, auch in Konfliktsituationen, wurden über Generationen von beiden Seiten weitergegeben. Zwischen Bürgern und Stadtherrn bestanden vielschichtige Verbindungen. Tradition hatten gemeinsame Auftritte bei offiziellen Ereignissen, wie Erbhuldigung und Inbesitznahme der Herrschaft (Protokoll 1791), aber auch bei privaten Anlässen wie Taufen (Patenschaften) und Beerdigungen. Eine Reihe von Stadtbürgern stand bei der Herrschaft in (vor allem unteren) Diensten. Der Stadtherr leistete in Krisenzeiten oftmals Unterstützung, so etwa einen Steuererlass für acht Jahre nach dem Stadtbrand von 1554.

(7) Archivalien sind im Brandenburgischen Landeshauptarchiv (BLHA) in Potsdam in den Beständen Rep. 37 Herrschaft Lieberose und Rep. 8 Stadt Lieberose überliefert, darunter (Nr. 1–5) 2 Stadtbücher, 1571–1621 und 1780–1822 sowie 3 Vorstadtbücher, 1563–1655, 1657–1779 und 1805–1822. Zur Stadttopographie ist auf den kolorierten, handgezeichneten Plan von Schloss und Stadt Lieberose von Johann Christian Solger (um 1715) zu verweisen, BLHA, AKS 1463 B, Bl. 31.

Lehmann, Rudolf: Die Urkunden des Lieberoser Stadtarchivs in Regesten, in: Niederlausitzer Mittteilungen 28 (1940) S. 31–49.

(8)Krüger, Karl: Alt-Lieberose. Mitteilungen aus der Geschichte der Stadt Lieberose und der Gegend, Lieberose 1904 [teilweise unpräzise Angaben]. – Kessler, Alexander: Stadt und Herrschaft Lieberose. Niederlausitz im 17. und 18. Jahrhundert. Alltagsleben in der Gutsherrschaft, Berlin 2003 (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 48). – Die Grafen von der Schulenburg auf Lieberose und ihr Archiv (Rep. 37 Herrschaft Lieberose), bearb. von Udo Gentzen, Kathrin Schaper, und Susanne Wittern, Frankfurt a. M. 2014 (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 29).

Kathrin Schaper