Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Celle

Celle

(1) C, hervorgegangen aus Neu-C. (mnd. Nigentzelle, mlat. Nova Tzellis), löste die 1292 oder kurz vorher abgebrannte Stadt Altenc. ab, die drei Kilometer weiter alleraufwärts lag. Erst im 18. Jahrhundert setzte sich die heutige Namensform durch (amtlich 1834). Neu-C. lag auf einer Halbinsel an der Mündung der Fuhse in die Aller, 1325 werden Brücken über beide Gewässer erwähnt. Die Handelsstraße von Braunschweig nach Bremen wechselte in C. vom Süd- auf das Nordufer der Aller, zugleich kreuzte die aus Norden von Lüneburg kommende Straße, die im Süden nach Hannover und Hildesheim führte.

Altenc. fiel wie das Umland nach dem Aussterben der Brunonen 1117 an den sächsischen Herzog Lothar von Süpplingenburg, nach dessen Tod 1137 an die Welfen. Seit 1235 gehörte Altenc. zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, seit der Teilung von 1267 zum Landesteil Lüneburg. Über (Neu-)C.s Funktion als Sitz eines Hofs nach 1292 ist wenig bekannt. Burg und Vogtei sowie die damit verbundenen Einkünfte wurden nie verpfändet, bildeten somit einen Kern der welfischen Besitztümer. C. gewann an Bedeutung im Lüneburger Erbfolgekrieg (1369–1388). Anders als die anderen Städte des Lüneburger Landes wechselte die Stadt nicht auf die Seite der Herzöge von Sachsen-Wittenberg, sondern verblieb bei den Welfen. Im Vertrag von Uelzen 1388 wurde die Erbfolge der Welfen aus der Braunschweiger Linie festgelegt. Innerfamiliäre Auseinandersetzungen führten zum mehrmaligen Gütertausch, C. diente wiederholt als Witwensitz. Erst mit Herzog Bernhard I. begann 1428 kontinuierlich das sog. Mittlere Haus der Welfen von C. aus das Fürstentum Lüneburg bis zum Jahr 1648 zu regieren. Es folgte die Nebenlinie Calenberg-Göttingen. Mit dem Tod Herzog Georg Wilhelms 1705 ging das Fürstentum durch die Vereinigung mit dem Fürstentum Calenberg im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg auf, welches von Hannover aus regiert wurde. Damit verlor C. seine Residenzfunktion. Abgefunden wurde C. 1710 mit dem Werk- und Zuchthaus, 1711 mit dem Hofgericht und der Justizkanzlei, alle mit Zuständigkeit als Oberappellationsgericht für das ganze Land, sowie 1735 mit dem Landgestüt. Von 1717 bis 1722 war C. zudem Witwensitz für die Frau Georg Wilhelms, Eleonore d’Olbreuse.

Die Herzöge ließen sich bei Abwesenheit durch einen Vogt vertreten, seit ca. 1520 als Großvogt bezeichnet. Im 16. und 17. Jahrhundert kamen mehrere Zentralbehörden hinzu wie das für Zivilsachen zuständige Hofgericht, das 1546 von Uelzen nach C. verlegt wurde.

Kirchlich gehörte C. bis zur Reformation zum Bistum Hildesheim. Kurzfristig, 1452–1457, residierte der Hildesheimer Bischof Bernhard, ein Sohn Herzog Friedrichs des Frommen, in C. 1531 wurde C. Sitz der Superintendentur, 1532 erweitert zur Generalsuperintendentur für das ganze Fürstentum Lüneburg. 1564 kam das Landeskonsistorium hinzu. Beide bestanden bis 1706.

(2) Bereits für für Altenc. sind präurbane Funktionen nachzuweisen (Wallanlage, Peterskirche 1024, 1150 Stapelplatz mit Zoll, 1249 Bezeichnung als civitas, 1288 Ratsgremium). Nach dem Brand Altenc.s verlieh Herzog Otto der Strenge 1292 Neu-C. (novum oppidum) für zehn Jahre Freiheit von Abgaben und das Lüneburger Stadtrecht. Indiz der Kontinuität mit Altenc. ist die unveränderte Siegelführung. 1301 wurde das Lüneburger durch das Braunschweiger Stadtrecht als Vorbild ersetzt. Eine Neufassung des Stadtrechts bzw. eine Stadtordnung wurde 1537 von Herzog Ernst dem Bekenner erlassen. Unter Herzog Georg Wilhelm wurden die Befugnisse des Rats angefochten und eingezogen, wenn sie nicht ausdrücklich bewiesen werden konnten.

Für die Mitte des 15. Jahrhunderts sind ungefähr 1000 Einwohner anzunehmen, für 1526 sind nach einem Steuerregister etwa 1200 Einwohner zu veranschlagen. Vor allem durch Eingemeindungen wuchs die Einwohnerzahl auf etwa 3000 zu Beginn des 17. Jahrhundert, nach dem Ende der Residenzzeit 1705 ging sie merklich zurück.

Nach dem Stadtrecht von 1292 urteilte im Auftrag des Hzg.s der Vogt über alle Gewalttaten in C., während der Rat für Gewalttaten im Ratskeller, in der Stadtkirche und den Kapellen sowie für leichtere Straftaten zuständig war. Die hzl.e Regimentsordnung von 1616 regelte das Echteding neu, das hinfort aus dem Großvogt, zwei fsl.en Räten und zwei C.er Ratsherren bestehen sollte. Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts schieden die Ratsherren aus.

1306 wurden drei Jahrmärkte von je drei Tagen Dauer verliehen, zudem war C. Stapelplatz für alle aus der Vogtei aus- oder eingeführten Waren. 1412 wurden die Jahrmarkttermine leicht verändert. 1538 wurde eine neue Jahrmarktsregelung eingeführt, bei der zwei weitere Freimärkte geschaffen wurden. Eine Sonderkonjunktur im Getreidehandel gab es während des Lüneburger Prälatenkriegs um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Für den Getreidehandel entlang der Aller galt eine Stapelpflicht, bis 1618 Bremer Kaufleute eine 25jährige Konzession erhielten, wodurch C. weitgehend aus diesem Handel verdrängt wurde.

Zünfte sind erst im 15. Jahrhundert belegt, dürften eventuell älter sein. 1467 wurden vom Herzog die städtischen Aufnahmebedingungen bestätigt. Eine Tuchproduktion ist indirekt zu erschließen, da 1514 die Franziskaner die Webergilde in ihre Gebetsgemeinschaft aufnahmen. 1677 gab es 22 Zünfte vornehmlich in der Textilienherstellung, Nahrungsmittelgewerbe, Bauhandwerken, aber auch Glaser, Kürschner, Goldschmiede und Buchbinder. Als hofnahe Gewerbe kamen Perücken-, Posamenten- und Schnurmacher hinzu.

Die planmäßige Anlage der Stadt schlug sich in einem gitterförmigen, der Halbinsellage angepassten Grundriss nieder. Sie wurde direkt östlich der Burg angelegt und verläuft noch heute in west-östlicher Richtung, der Marktplatz liegt quer dazu. Zur Zeit des Lüneburger Erbfolgekrieges gab es eine erste Erweiterung der Stadt nach Süden, zudem wurde ein Verbindungsgraben zwischen Aller und Fuhse angelegt (Magnusgraben), wodurch die Stadt-/Burganlage in ihrer Gesamtheit von Wasserläufen umgeben war. Nördlich der Stadt lag zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Hehlenvorstadt, südlich der Fuhse die [alte] Blumlage. An der Straße nach Braunschweig bildete sich eine Vorstadt, auf die ab dem 16. Jahrhundert die Bezeichnung [neue] Blumlage übertragen wurde. Im Rahmen der Stadterweiterung um 1530 wurde die [alte] Blumlage der Stadt zugeschlagen. Ab 1566 wurde der Raum vor dem Westc.r Tor zur Bebauung freigegeben. Während des Ausbaus der Befestigungswerke im frühen Dreißigjährigen Krieg wurden Altenhäusen und die westlich C.s gelegene Neustadt gegründet. Südöstlich Altenhäusens entstand 1680 als weitere Vorstadt Neuenhäusen, als Herzog Georg Wilhelm C. zu einer großangelegten Residenzstadt ausbauen wollte.

(3) Die Pfarrkirche St. Marien dürfte zusammen mit der Stadt 1292 gegründet worden sein (Weihe 1308). Das Patronat übte der Herzog mit Zustimmung des in Kloster Wienhausen sitzenden Archidiakons aus. Die Verwaltung des Kirchenvermögens lag in Händen von Geschworenen, die zum großen Teil aus dem Rat stammten. Den ersten Altar (Hl. Kreuz und Hl. Georg) stiftete 1325 Herzog Otto der Strenge. Herzog Friedrich der Fromme überwies den Altar 1452 an den Stadtpfarrer. Um 1500 gab es 14 Nebenaltäre, an denen 17 Kleriker tätig waren. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bestanden bis zu acht Kapellen. Der Hauptkirche angeschlossen war eine 1365 erstmals erwähnte Schule. Der Rat, dem seit der Reformation das Patronat über die Schule zustand, ließ 1539 das ehemalige Kalandshaus zum Schulgebäude umbauen. Ab den 1570er Jahren gab es überdies eine städtische Rechenschule an der Waage.

Die Hannoveraner Franziskaner und Braunschweiger Dominikaner unterhielten zu Beginn des 15. Jahrhunderts jeweils eine Terminei. 1401 werden Beginen, franziskanische Tertiarinnen, erwähnt; 1463 gab es ein Schwesternhaus. Ein Franziskanerkloster wurde erst 1452 von Friedrich dem Frommen gegründet (Kloster Zum Hl. Kreuz), in welches er 1459 selbst eintrat.

Einen Kaland gab es bereits vor 1292 in Altenc. Er wanderte mit der Siedlung nach (Neu-)C., doch wurde ihm die abgebrannte St. Peterskirche in Altenc. geschenkt, welche er zur Kapelle umbaute. Erst 1446 ist St. Marien als Sitz des Kalands bezeugt. Ihm gehörten neben den Klerikern anfänglich auch einige Herzöge und hzl.e Amtsträger sowie C.r Bürger an, insgesamt mehr Laien als Kleriker. 1471 wurde ein weiterer Kaland gegründet, der nur Priestern offen stand (Kleiner Kaland genannt, der ältere dementsprechend Großer Kaland). In der Reformation wurde das Vermögen beider Kalande dem Rat übereignet zur Ausstattung des Stadtgeistlichen und der nunmehr städtischen Lateinschule. Auf Initiative der Herzogin Katharina wurde 1390 die Hl.-Leichnams-Bruderschaft gegründet. Erwähnt werden als weitere Bruderschaften die des Hl. Geistes, Unserer Lieben Frau und des Hl. Nikolaus (alle um 1470).

1392 wurde auf der (alten) Blumlage ein Leprosorium St. Georg errichtet. Für die Unterstützung der Hausarmen stifteten die Herzöge 1439 einen Roggenzehnten (von der Stadt verwaltet). 1461 wurde höchstwahrscheinlich von einem C.r Bürger das Elisabeth-Hospital an der Allerbrücke gestiftet, das vor allem Pilgern eine Herberge bieten sollte. 1488 wurde dieses von der Hzg.witwe Anna von Nassau mit dem etwas jüngeren Annen-Hospital zusammengelegt und als Annenhospital weitergeführt. Ein Pesthaus wurde 1626 auf Befehl des Hzg.s weit nördlich der Stadt errichtet. 1679 (der Stiftungsbrief stammt erst von 1689) ließ Herzog Georg Wilhelm auf der (neuen) Blumlage das Wilhelms-Hospital für invalide und kranke Soldaten erbauen, das erste dieser Art in Deutschland, wohl nach Vorbild des Pariser Hôtel des Invalides von 1682. 1779 wurde es aufgelöst.

Dank der dynastischen Beziehungen des Herrscherhauses war die Führungsschicht am Hof und in der Stadt über Luthers Auftreten gut informiert. Zugunsten der neuen Lehre trat der hzl.e Leibarzt Wolf Cyklop im Frühjahr 1524 öffentlich gegen die Franziskaner auf. 1524 bis 1527 wirkte in C. und im Lüneburger Land Gottschalk Kruse, der 1520/21 bei Luther studiert hatte und von diesem an Herzog Ernst den Bekenner empfohlen worden war. 1528 ließ Herzog Ernst das Franziskanerkloster aufheben. Eine erste Visitation der Kirchen der C.r Großvogtei erfolgte 1529. Ab 1530 wirkte Urban Rhegius in C., den Ernst der Bekenner auf dem Reichstag in Augsburg 1530 kennengelernt hatte. 1531 wurde zur Kirchenaufsicht die Superindententur gegründet, im Jahr darauf die Generalsuperindentur mit der Aufsicht über alle Kirchen des Lüneburger Landes.

Zu einer Veränderung der konfessionellen Zusammensetzung C.s kam es während der Herrschaft Georg Wilhelms ab 1665. Über die Ehe mit der aus dem Poitou stammenden Eleonore d’Olbreuse wurde die Aufnahme von Hugenotten befördert. Bereits vor der Aufhebung des Ediktes von Nantes 1685 erschienen die ersten reformierten Franzosen. Zunächst heimlich bildeten sie eine Gemeinde, die sich in einem vom Herzog geschenkten Haus traf. 1684 (vor dem Toleranzedikt von Potsdam 1685) wurde ein Aufnahmeprivileg ausgestellt, das den Reformierten das öffentliche Auftreten erlaubte. 1696 wurde eine eigene Kirche errichtet, gegen deren Existenz die Landstände 1699 Beschwerde einlegten. Da Georg Wilhelm die Außenvertretung für die welfischen Lande ausübte, kamen als Gesandte auch Katholiken aus Frankreich und Italien nach C. Dem Hoflieferanten Stechinelli wurde eine eigene Kapelle in seinem Haus zugestanden. Der Hauskaplan des französischen Gesandten betrieb ab 1683 den Aufbau einer katholischen Gemeinde, zudem kam es in den 1680er Jahren zu Missionierungsversuchen seitens der Jesuiten.

(4) Burg bzw. Schloss und Stadt waren durch einen Schlossgraben getrennt, die auf der Stadtseite gelegene Vorburg gehörte formal zur Burg. 1308 werden das erste Mal Stadtmauern erwähnt. Im 15. Jahrhundert verfügte C. über drei Tore. Am Hehlentor soll Herzog Friedrich der Fromme das Psalmwort (84, 13) »Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verlässt« angebracht haben. Ab 1506 wurde die Befestigung durch Wallanlagen modernisiert, zugleich wurde das Stadtgebiet um die Hälfte erweitert. Das Westc.r Tor wurde 1508 neu erbaut, 1521 das Schloss durch eine Wallanlage mit Bastionen komplett umgeben. Nach Beendigung der Arbeiten bildeten Stadt und Schloss nach außen hin eine Einheit.

Im 16./17. Jahrhundert erlebte C. einen Bauboom, bei dem Buden älteren Typs durch höhere Fachwerkhäuser ersetzt wurden. Aus dem Beginn dieser Phase stammt das heute noch erhaltene, 1532 erbaute und in Renaissanceformen verzierte Fachwerkhaus, das vom Herzog für den Stadt- und Amtsschreiber Simon Hoppener auf dem Gelände des vormaligen Westc.r Tores erbaut wurde (Hoppenerhaus), das älteste erhaltene Haus mit bewohnbaren Obergeschossen und Vorbild für zahlreiche Bürgerhäuser des 16./17. Jahrhunderts. Die Konstruktion ähnelt Häusern in Braunschweig und Goslar aus den 1520er Jahren. 1533 errichtete Bürgermeister Lüdecke von Sehnden gegenüber ein Haus, das größer und reicher ornamentiert war (1844 abgebrannt). Mit dem Verlust der Residenzfunktion 1705 kam der Neubau von Häusern weitgehend zum Erliegen.

1561/62 wurde seitens der Stadt die Neugestaltung des vermutlich seit Ende des 13. Jahrhunderts existierenden Ratshauses begonnen. Über das Portal zum Markt wurde das hzl.e Wappen angebracht, am Nordgiebel die Devise Psalm 127,1 »Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wachet der Wächter umsonst«. Um 1610 wurde neben dem Eingang die Auslucht vorgesetzt und mit den Wappen der zu dieser Zeit amtierenden drei Bürgermeister versehen. In zwei Abschnitten wurde 1570–1579 im Süden an das Rathaus das Hochzeitshaus bzw. die Tuchhalle/Kaufhaus mit Stadtwaage errichtet. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Bau ersetzt und 1792 beide Teile mit einer einheitlichen Fassade versehen. Zur städtischen Repräsentation ist das Haus der 1579 gegründeten Schützengilde der Altstadt zu zählen, an welchem 1604 das städtische Wappen angebracht wurde. 1669 erhielt die Gilde ein neues Haus.

Kirchenschiff und kleiner Chor der Hauptkirche unterstanden dem Rat, während hoher Chor und der 1564–1566 unter Herzog Wilhelm d. J. mit Wappen versehene Fürstenstuhl dem Herzog gehörten. Um dem Fürsten einen direkten Zugang zu ermöglichen, ohne städtischen Boden betreten zu müssen, wurde 1654 der „Rote Gang“ angelegt, der direkt von der Vorburg, wo es eine Treppe gab, über den hohen Wall hinweg in die Kirche führte. Dazu musste er durch die Vogtei, die Häuser des Stadtpfarrers und die hier später errichteten Hofapotheke gelegt werden. 1774 wurde er abgebrochen. 1676–1698 erfolgte parallel zur barocken Umgestaltung des Schlosses eine Umgestaltung der Hauptkirche, die auf Beschluss des Rats vom Hofstuckateur Tornielli ein Tonnengewölbe erhielt.

Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde die Stadtbefestigung ausgebaut, die Bewachung übernahmen 1626 hzl.e Truppen. Nur in den Anfangsgründen ausgeführt wurden die unter Herzog Georg Wilhelm in den Jahren 1680/82 ausgearbeiteten Pläne zur Errichtung einer barocken Planstadt mit quadratischem Grundriss, die hinsichtlich der Fläche (75 ha) und der Einwohnerzahl Hamburg übertroffen hätte. Erkennbar sind heute noch die Straßenzüge Trift mit großen Parzellen für die Häuser der höheren Hofbeamten, in den Querstraßen kleinere Parzellen für Bürger und Gewerbetreibende. Gegen den Ausbau rührte sich Widerstand der Altstadt, die die Zunftfreiheit der neusiedelnden Handwerker nicht akzeptieren wollte. Der Ausbau unterblieb, weil bereits 1682 absehbar war, dass nach dem Tod Georg Wilhelms C. seine Residenzfunktion verlieren würde.

Neben dem Schloss gab es weitere herrschaftliche Gebäude in der Stadt. 1486 wurde für die Hzg.witwe Anna von Nassau die sog. Nienburg direkt neben dem Franziskanerkloster errichtet (ab 1527 Sitz des Großvogts). In der Stadt und den Vorstädten gab es zahlreiche Häuser und Nutzgebäude sowie (Wein-)Gärten zur Versorgung des Hofs. Im 16./17. Jahrhundert wurden mehrere Tier- und Wildgärten angelegt. Ein älterer Lust- und Wundergarten im Süden der Stadt wurde in den 1670er Jahren von französischen Gärtnern umgestaltet, daher „Französischer Garten“. Der „Italienische Garten“ erhielt seinen Namen 1678 nach seinem italienischen Gartenmeister.

(5) C. war Sitz einer Vogtei, die aus der Stadt und den umliegenden ca. zwölf Kirchspielen bestand. Dem Vogt unterstand für die Burghut der (Burg-)Schließer, der auch für das direkte Umland von C zuständig war. C.s Rang innerhalb der Städte des Lüneburger Landes verdeutlicht eine Urkunde Kaiser Karls IV. von 1371, in der die wichtigsten Orte des Fsm.s aufgezählt werden, und C. an zehnter Stelle hinter Lüneburg, Hannover, Uelzen, Lüchow, Dannenberg, Pattensen, Münder, Eldagsen und Neustadt steht. Karl IV. kam im November 1377 durch C. 1392 wurde in C. die Lüneburger Sate beschworen, ein zwischen den Hzg.en und den Städten Lüneburg, Hannover und Uelzen geschlossener Vertrag, der u. a. Steuerzahlungen vorsah; C. entrichtete wie Lüchow, Winsen a. d. Luhe und Pattensen acht Mark. Weitere Städtetage gab es 1406, 1412, 1428, 1429, 1445 sowie während des 16. Jahrhunderts. Eine Beteiligung an Städtebünden ist nicht belegt. Der Rat von Lüneburg soll 1374 in oder bei C. ein eigenes Haus gekauft haben, ansonsten stiegen Gesandte, auch Herren mit Gefolge, nicht auf der Burg, sondern in der Stadt ab. Während der Regierungszeit Heinrichs d. Mitt. (1486–1520) fand beinahe jährlich ein Turnier in C. statt. 1472 hielt die sächsische Franziskanerprovinz in C. ihren Landtag ab. Konvente der Lüneburger Landeskirche gab es 1561, 1562, 1570, 1571 und 1577.

Ein Landgut erhielt C. 1437 von den Hzg.en geschenkt, zuvor verfügte die Stadt lediglich über Rechte zur Schweinemast in den fsl.en Wäldern, weitere Holznutzungsrechte kamen später hinzu. Wenige Kilometer westlich der Stadt lag der Neustädter Forst (erst nach Aufbau der Neustadt so genannt), ein vermutlich älterer Stadtwald, der im Spätmittelalter durch Überweidung so schwer geschädigt worden war, dass es zur Bildung von die Stadt bedrohenden Wanderdünen kam. Dank mehrerer Schenkungen verfügte der Hauptpfarrer von St. Marien um 1500 über acht Höfe im direkten C.r Umland.

(6) C. gehörte zu den minderbedeutenden Städten im Fürstentum Lüneburg. Die Stadt, deren Führungsschicht nicht erforscht ist, wurde weitgehend von den Hzg.en und ihren Amtsträgern dominiert. Als Ort profitierte C. von der Anwesenheit des Hofes, die Funktion als Brückenort verlieh keine überregionale Bedeutung, Handelsbeziehungen in fernere Orte sind äußerst sporadisch überliefert. Formal zwar Stadt, blieb C. wirtschaftlich auf die Vogtei ausgerichtet. Nur während des Lüneburger Prälatenkriegs in den 1450er Jahren gab es einen kurzfristigen Aufschwung. Die Reformation wurde seitens der Fürsten eingeführt. Im 16./17. Jahrhundert diente die Pfarr- bzw. Hauptkirche St. Marien sowohl der Gemeinde als auch dem Hof. Die Stadterweiterungen wurden durchgehend auf Geheiß der Fürsten unternommen. 1618 erhielten durch Vermittlung des Großvogts Bremer Kaufleute für 25 Jahre das Privileg zum Getreidehandel auf der Aller, auf C.r Händler wurde dabei keine Rücksicht genommen. Direkten Kontakt zwischen der Gemeinde und dem Stadtherrn gab es nur bei der Huldigung, deren Zeremonie für das 16./17. Jahrhundert bekannt ist: Sie fand in der Audienzstube des Rathauses statt, wo vor dem sitzenden Herzog und in Gegenwart des fsl.en und des städtischen Rats die Eidesformel verlesen und von der Gemeinde nachgesprochen wurde. In einer weiteren Zeremonie wurde auf dem Schloss das Huldigungsgeschenk von den Bürgermeistern überreicht. 1593 war Herzog Ernst II. ausnahmsweise Gast der Stadt beim Huldigungsmahl. Zweimal wurden im 17. Jahrhundert Streitigkeiten zwischen dem Rat und der Gemeinde durch den Fürsten beigelegt: 1600 bezüglich einer vom Fürsten geforderten Umlage zum Landschatz, 1668 aus Anlass der von der Bürgerschaft nicht mehr tolerierten Vetternwirtschaft des Rats, über die sich die Gemeinde unter Umgehung des Rats direkt bei Herzog Georg Wilhelm beklagte. Die Kosten für die Befestigungswerke mussten zur Hälfte von der Stadt getragen werden. Mehrmals lieh die Stadt den Fürsten größere Summen, wofür sie im Gegenzug die Befreiung von der Besteuerung erhielt; informell erforderte Kredite und Steuerbefreiungen dürften sich in etwa die Waage gehalten haben, sicherten der Stadt jedoch eine besondere Beziehung zu den Hzg.en vor den anderen Landstädten.

(7) Archivalien befinden sich sowohl im Stadtarchiv Celle (StadtA Celle) als auch im Niedersächsischen Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv Hannover (NLA, HStA Hannover). Aus der frühen Neuzeit sind eine ganze Reihe von Bürgerbüchern (Stadtbücher 54a-f), ein Einwohnerverzeichnis von 1660 (Stadtbuch 56), Schoß-, d. h. Steuerregister 1522–1878 sowie Rechnungen der städtischen Kämmerei 1541–1927 überliefert. Für die Zünfte ist neben einem Amtsbuch der Brauer (Stadtbuch 91) und einem Kopialbuch nahezu aller frühneuzeitlichen Zunftordnungen (Stadtbuch 19) auf den Bestand NLA, HStA Hannover, Celler Or 15 zu verweisen. Testamente Celler Bürger liegen in NLA HStA Hannover, Hann. 72, Nr. 340. Für eine Stadt von der Größenordnung Celles gibt es eine ganze Reihe von Nekrologen und Memorienbücher der Kalande und Bruderschaften aus dem 14.–18. Jahrhundert in Celle, StadtA, Best. 18, A, Nr. 8 und Best. 21, XII, Nr. 1–2 sowie in NLA, HStA Hannover, MS J 24 (Kop. in Celle, StadtA). Ab 1378 gibt es Ausgaberegister des Hofes und der Burgvogtei (vorhanden 1378, 1381–1383, ab 1431 mit Unterbrechungen bis 1499 (NLA, HStA Hannover, Celler Br Nr. 857, Bde. 1–8). Rechnungen des Hofes setzen dann wieder ab 1553 ein (NLA, HStA Hannover, Hann 76 c A Nr. 127). Für den Ausbau Celles zur barocken Residenzstadt unter Georg Wilhelm 1680/82 liegen Pläne, Ausführungsbestimmungen u. ä. vor (NLA, HStA Hannover, Celle Br.Arch. 61, III, 7, Nr. 54). Für die Gebäude der Hofwirtschaft in der Stadt einschlägig sind die Bestände NLA, HStA Hannover, Celle Br. 107b und 111.

Kayser, D.: Das Memorienbuch der St. Marienkirche zu Celle, in: Zeitschrift der Gesell-schaft für niedersächsische Kirchengeschichte 6 (1901) S. 146–209. – Grieser, Rudolf: Das Schatzregister der Großvogtei Celle von 1438 und andere Quellen zur Bevölkerungsgeschichte der Kreise Celle, Fallingbostel, Soltau und Burgdorf zwischen 1428 und 1442, Hildesheim/Leipzig 1934 (ND Hildesheim 1961) (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 41). – Rohr, Alheidis von: Ein Turnierbuch Herzog Heinrichs des Mittleren zu Braunschweig-Lüneburg (um 1500), in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 55 (1983) S. 181–205. – Busch, Ralf: Der Leichenzug für die Herzöge Georg und Wilhelm Busch von Braunschweig und Lüneburg 1643. Celles älteste Stadtansichten, Hamburg-Harburg 1992 (Veröffentlichungen des Hamburger Museums für Archäologie und die Geschichte Harburgs, Helms-Museum, 65). – Dormeier, Heinrich: Verwaltung und Rechnungswesen im spätmittelalterlichen Fürstentum Braunschweig-Lüneburg, Hannover 1994 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 37; Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter, 18). – Urkundenbuch der Stadt Celle, bearb. von Dieter Brosius, Hannover 1996 (Lüneburger Urkundenbuch, 17. Abteilung) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 37; Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens, 20). [Urkunden 1292–1546].

(8)Cassel, Clemens (†): Geschichte der Stadt Celle mit besonderer Berücksichtigung des Geistes- und Kulturlebens der Bewohner, Bd. 1, hg. von der Stadt Celle, Celle 1930. [nicht ganz verlässlich]. – Stadt Celle, bearb. von Heinrich Siebern, Hannover 1937 (Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, 21). – Lange, Bernhard: D. Gottschalk Kruse in seiner Bedeutung für die Reformation in der Stadt Braunschweig und im Fürstentum Lüneburg, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 56 (1958) S. 97–149. – Busch, Siegfried: Hannover, Wolfenbüttel und Celle. Stadtgründungen und Stadterweiterungen in drei welfischen Residenzen vom 16. bis 18. Jahrhundert, Hildesheim 1969 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 75). – Pape, Fritz: Der Weinbau im ehemaligen Fürstentum Lüneburg, Celle 1989 (Celler Beiträge zur Landes- und Kultur-geschichte, 17), S. 20–35. – Streich, Brigitte: Celle als Residenz der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, in: Stadt – Land – Schloss. Celle als Residenz. Begleitband zur Ausstellung, Bielefeld 2000 (Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, 29), S. 57–86. – Steinbrink, Matthias: Art. »Celle«, in: Höfe und Residenzen I,1 (2003), S. 105 f. – Streich, Brigitte: Erscheinungsformen vorreformatorischer Frömmigkeit am Beispiel einer welfischen Residenz: Kaland, Beginen und Franziskaner in Celle, in: »… in Lieb und Leid, … in Noht und Todt, … in Pest-Zeiten«. 550 Jahre Polycarpus-Gilde zu Delmenhorst 1454/2004. Begleitveröffentlichung zur Ausstellung »Pest, Plagen und Polycarpus 1454/2004« vom 13.6.–5.9.2004 […] in Delmenhorst, hg. von Gerhard Kaldeweis, Oldenburg 2004 (Schriften der Museen der Stadt Delmenhorst. Reihe Stadtmuseum, 5), S. 41–51. – Rüggeberg, Helmut: Geschichte der Stadt Celle, im Rahmen der niedersächsischen Landesgeschichte, Celle 2007. – Hof und Medien im Spannungsfeld von dynastischer Tradition und politischer Innovation zwischen 1648 und 1714. Celle und die Residenzen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, hg. von Heiko Lass, München/Berlin o. J. [2008] (Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur, 4), S. 73–95. – Sabine Maehnert: Die Celler Stadtkirche als Bestattungsraum, in: Beiträge zum 700jährigen Jubiläum der Stadtkirche St. Marien, Celle 2008 (Celler Chronik, 15), S. 43–62. – Sabine Maehnert: Die Residenzstadt Celle vor der Reformation. Ein Einblick, in: Zeichen setzen. 500 Jahre Reformation in Celle. Ausstellung im Bomann-Museum Celle, Residenzmuseum im Celler Schloss und in der Stadtkirche St. Marien, hg. von Jochen Meiners und Andrea Hoffmann, Petersberg 2017, S. 107–123.

Harm von Seggern