Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Dannenberg

Dannenberg

(1) D. liegt im Wendland an der Jeetzel und in Nähe deren Mündung in die Elbe. Zwar gibt es seit prähistorischer Zeit Siedlungsspuren im D.er Raum, doch sind diese erst seit dem 9. Jahrhundert n. Chr. archäologisch greifbar. Eventuell gab es einen slawischen Adelssitz auf dem Gelände der späteren Burg, die auf einer zur Jeetzel steil abfallenden Anhöhe über einer überschwemmungsgefährdeten Niederung liegt. Erstmals wird D. mit der Errichtung einer Burg 1153 fassbar. Entscheidende Bedeutung für eine Niederlassung hatte Herzog Heinrich der Löwe (1144–1180), der die Grafschaft D. zu einem unbekannten Datum gründete. Der erste Graf von D., Volrad Edler von Salzwedel, wird 1157 erstmalig erwähnt. Der Ort gehörte bis 1303 zur Grafschaft D. Mit dem Aussterben des Grafengeschlechts ging D. 1303 in den Besitz der welfischen Herzöge von Lüneburg über und wurde hinfort als Amt geführt. Mehrmals verpfändeten die Lüneburger Herzöge Burg und Stadt D., welche im Lüneburger Erbfolgekrieg (1370–1388) zeitweise eine bedeutsame Rolle spielten. Kaiser Karl IV. befahl anlässlich seiner Reise in den Reichsnorden 1375 die Schleifung der Burg, vor der aus zahlreiche Fehdezüge unternommen worden waren, im Jahr darauf wurde sie bis auf den Bergfried abgetragen. 1382–1487 war die Stadt Lüneburg Pfandherr, D. zeitweise weiterverpfändend, bis die Lüneburger Herzöge D. wieder einlösten. Von 1569–1652 existierte das welfische Fürstentum D. als Apanage-Nebenlinie der Lüneburger Fürsten, nachdem sich Herzog Heinrich (reg. in D. 1569–1598) wegen einer nichtstandesgemäßen Heirat von der Regierung des Lüneburger Landes zurückgezogen hatte (reg. als Fürst von Lüneburg 1559–1569). Als Residenz wählte er D. Die untergeordnete Stellung des neu geschaffenen Fsm.s D. äußerte sich darin, dass das Hofgericht in Celle auch für D. Berufungsinstanz und das Fürstentum den Celler Landordnungen unterworfen war, zudem der Vorsteher der D.er Kanzlei nicht die Amtsbezeichnung Kanzler führen durfte. Erst nach Vergrößerung des Fsm.s um die Ämter Hitzacker, Lüchow und Warpke 1592 wurden im Jahr darauf mehrere Behörden (Rechenkammer, Kanzlei und Konsistorium) errichtet. Neben Herzog Heinrich nutzten sein kinderloser Sohn Julius Ernst (1598–1636) sowie dessen Witwe Sybille (1584–1652) D. als Residenz. 1638 gab es wegen der Pest eine achtjährige Unterbrechung der Hofhaltung, Kanzlei und das Konsistorium wurden nach Lüchow verlegt. 1652 fiel das Fürstentum an die Wolfenbütteler Linie der Welfen, 1671 wieder an die Lüneburger Linie. Zwischen 1644–1671 wurden die D.er Kanzleigeschäfte von Wolfenbüttel aus abgewickelt. Lediglich ein Schreiber und ein Sekretär blieben im Schloss zurück.

(2) Als Stadt profitierte D. nur wenig von der verkehrsgünstigen, einen raschen Zugang zur Elbe ermöglichenden Lage. Landwirtschaft, Handwerk und Nahhandel prägten das Wirtschaftsleben. Die Stadtgestalt wird durch die in leichten Bogen angelegte Hauptstraße geprägt, von der mehrere Querstraßen abgehen, und die sich zu einem Marktplatz erweitert. Es gab zwei Tore, im Südwesten das Drawehner Tor, im Nordosten das Masch- bzw. Mühlen- oder Hitzackersche Tor (1650 abgerissen). Für die rechtliche Entwicklung der Stadt diente das etwa 50 km entfernte Lüneburg als Vorbild. So galt in D. das zu einem unbekannten Zeitpunkt verliehene Lüneburger Stadtrecht (1373 bestätigt). Den Rechtszug nach Lüneburg hob Herzog Magnus 1373 auf, was aber nicht lange Bestand gehabt haben dürfte, da 1382 Lüneburg Pfandherr wurde. Ein Rat wird 1323 zum ersten Mal erwähnt, 1357 erscheint das Stadtsiegel, 1419 zwei Bürgermeister; Zusammensetzung und Kompetenzen von Rat und Gericht sind noch nicht erforscht. Die Hochgerichtsbarkeit lag bei einem stadtherrlichen Richtvogt, während das städtische Gericht für die anderen Gegenstände bürgerlichen Rechtslebens zuständig gewesen sein dürfte. Der Rat kaufte 1389 das Dorf Bückau u. a. Förderlich dürfte das 1368 verliehene Recht zur Abhaltung eines Ostermarkts gewirkt haben, womit ein Frühjahrsmarkt neben dem älteren Markt zu Mariä Geburt (8. September) trat. Als erste Handwerkerorganisation wurde 1376 die Schmiedezunft gegründet, 1405 folgte die Schneidergilde, bis in die frühe Neuzeit folgten weitere Gewerbe wie Rademacher, Maurer, Schuster, Schlachter, Drechsler, Tischler, Bäcker, Leineweber und Zimmerer, die einen eher handwerklichen Charakter des Wirtschaftslebens verraten. Ein Zusammenschluss von Kaufleuten erscheint 1516. Unter die städtische Aufsicht fielen die Mühlen. Indiz bürgerlichen Lebens ist die 1528 entstandene Schützengilde, der Herzog Heinrich 1573 eine silbern vergoldete Königskette stiftete. Beim Stadtbrand 1483 ging etwa ein Viertel der Häuser verloren, auch das Rathaus wurde zerstört, erst 1502 wurde es wieder erbaut. Weitere Einschnitte dürften immer wiederkehrende Überschwemmungen durch Jeetzel-Hochwasser (besonders 1490), das Auftreten der Pest 1516 (noch mehrmals), ein Brand 1592, für deren Geschädigte Grundstücke vor dem Hitzackerschen Tor ausgewiesen wurden und die Maschstraße entstand, und ein weiterer Brand 1608 gewesen sein, bei dem neben 130 Häusern erneut das Rathaus zerstört wurde. Letzterer hat wohl das Braugewerbe besonders getroffen, denn in der Folge wurde vermehrt Bier aus Salzwedel eingeführt, was der Stadtherr 1611 verbot, lediglich dem Ratskeller wurde der Ausschank fremden Biers gestattet.

1506 ist das erste Mal Sprache von einer Schule, die wohl unter städtischer Aufsicht stand. Wenige Jahre später, 1519, stritt sich die Stadt mit Propst Johann Patyner, Propst der St. Johannis-Kirche zu D. und Kanonikus zu Braunschweig, über die Besetzung der Schulmeisterstelle.

(3) Ab etwa 1245 erfolgte am Rande der Siedlung der Bau der St. Johanniskirche im frühgotischen Stil, seit 1252 hat sie den Status einer Propstei. Ihre Funktion als städtische Pfarrkirche ist 1311 belegt. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind die kirchlichen Strukturen in der Stadt derart gefestigt, dass die Propstei nur noch als Pfründe genutzt und die Pfarre von Vikaren versehen wurde. In der Residenzzeit wurde sie als Grablege für die hzl.e Familie benutzt, wie die Grabplatte Anna Sophias († 1574), Tochter Herzog Heinrichs, zeigt, die, eine qualitätvolle Steinmetzarbeit, in die Westwand der Kirche eingelassen ist. Daneben gibt es eine Fürstengruft. 1510 wird außerhalb D.s die St. Annen-Kapelle errichtet, zu der ein Friedhof gehört.

Um 1528 wurde im Fürstentum Lüneburg die Reformation unter Herzog Ernst dem Bekenner (1521–1546) rasch eingeführt. Den ersten evangelischen Gottesdienst hielt der Predikant Matthias Milow im selben Jahr ab. 1593 wurde ein Konsistorium zur Kirchenaufsicht und Wahrung der geistlichen Gerichtsbarkeit im D.er Fürstentum installiert. Alle Mitglieder waren nebenamtlich tätig. Eine eigene Kirchenordnung für das Fürstentum wurde nicht erlassen.

Seit 1684 hielten sich Juden in D. auf. Ca. 30 Personen lebten dort gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

(4) Eine Rekonstruktion der Burganlage der ersten D.er Grafen ist nicht mehr möglich. Der nach König Waldemar II. von Dänemark († 1241), der 1223 in D. gefangen gehalten worden sein soll, benannte Waldemarturm ist der als einziges erhalten gebliebene Bergfried. Baugeschichtlich lässt er sich in die Zeit um 1200 datieren; er überstand die Schleifung der Burg 1376. Nach der Wahl D.s als Residenz Herzog Heinrich wurden 1571 zur Aufnahme des Hofs mehrere Fachwerkgebäude an den Turm angebaut. Nach dem Tode der Hzg.switwe Sybille 1652 wurde er fortan als Gefängnis genutzt.

Die Schaffung des Fsm.s D. wirkte sich auch auf die Stadt aus. Herzog Heinrich übernahm ebenfalls 1571 die Bau- und Unterhaltungskosten der vier Brücken, der Tore und Torhäuser. Dafür leistete der Stadtrat eine einmalige Zahlung von 200 Talern. 1593, im Jahr nach dem Brand 1592, wurden mehrere Regierungsbehörden in D. errichtet.

Das 1620–1626 genutzte Münzgebäude wurde von Julius Ernst an seinen Kanzler Johann Pfreundt übergeben.

(6) D. lässt sich als weitgehend landwirtschaftlich geprägte Kleinstadt verstehen. Inwieweit sie durch die Anwesenheit des Hofs und der Behörden im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert profitiert hat, bleibt noch genauer zu untersuchen, wie auch die Verflechtung zwischen Hof- und Stadtgesellschaft bisher nicht vertiefend erforscht wurde.

(7) Ungedruckte Quellen zur Geschichte Dannenbergs liegen ganz überwiegend im Niedersächsischen Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv Hannover (NLA, HStA Hannover). Hinzuweisen ist auf die Bestände Hann. 74 Dannenberg. Weitere Quellen finden sich in den Beständen der Nachbarämter (Hann. 74 Gartow und Hann. 74 Lüchow), in den älteren Ämterakten der Kanzlei (Celle Br. 61 und Celle Br. 61a) und der Kammer (Hann. 88 F) sowie in den Beständen der Landdrostei Lüneburg (Hann. 80 Lüneburg), der Regierung Lüneburg (Hann. 180 Lüneburg) und der Geheimen Räte (Hann. 93). Daneben finden sich im Staatsarchiv Wolfenbüttel Bestände (2 Alt Nr. 3496).

Quellen zur Ortsgeschichte Dannenberg (Elbe) 1333–1890, hg. von Hugo Krüger, Dannenberg 1981 (Urkundenbuch. Archiv der Stadt Dannenberg, 2).

(8)Koch, Oskar: Dannenberger Ortsgeschichte. Eine Sammlung älterer und neuerer Nachrichten über die Stadt Dannenberg und deren Umgebung aus der Zeit bis zum Jahr 1880, Dannenberg 1892. – Jeddeloh, Bruno zu: Dannenberger Häuser erzählen. Zur Siedlungsgeschichte der Dannenberger Altstadt. Stadt Dannenberg (Elbe), Dannenberg 1983. – Wachter, Berndt: Aus Dannenberg und seiner Geschichte, Uelzen 21983 (Schriftenreihe des heimatkundlichen Arbeitskreises Lüchow-Dannenberg, 3). – Landkreis Lüchow-Dannenberg, bearb. von Falk-Reimar Sänger, Braunschweig u. a. 1986 (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmäler in Niedersachsen, 21). – Reinbold, Michael: Fürstlicher Hof und Landesverwaltung in Dannenberg 1570–1646. Hof- und Kanzleiordnungen als Spiegel herrscherlichen Selbstverständnisses am Beispiel einer welfischen Sekundogenitur, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 64 (1992) S. 53–70. – Schmitz, Antje: Die Siedlungsnamen und Gewässernamen des Kreises Lüchow-Dannenberg, Neumünster 1999 (Kieler Beiträge zur deutschen Sprachgeschichte, 19). – Seggern, Harm von: Die welfischen Residenzen im Spätmittelalter. Ein Überblick, in: Stadt – Land – Schloss. Celle als Residenz, hg. von Brigitte Streich, Bielefeld/Gütersloh 2000 (Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte, 29), S. 30–31. – Schubert, Ernst: Art. „Dannenberg“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 120–122.

Simon Sosnitza