Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Wittstock

Wittstock

(1) Anlässlich der Gründung des Bm.s Havelberg 946 schenkte König Otto I. diesem u. a. die civitas W. etwa 65 km nordöstlich des neuen Bischofssitzes. Im bfl.en Besitz war sie auch nach der Wiedererrichtung des Bm.s in der Mitte des 12. Jahrhunderts. W., gelegen an einem Übergang über Dosse und Glinze, lag an einer Handelsstraße, die von Havelberg durch das Land Stargard nach Vorpommern führte. Eine weitere Handelsstraße verband W. mit Wittenberge, Perleberg und Pritzwalk. Die Burg bildete den Mittelpunkt der terra W., des größten geschlossenen Herrschaftskomplexes des Bf.s. Faktisch waren die Bischöfe spätestens seit dem 15. Jahrhundert der Landesherrschaft der brandenburgischen Kurfürsten unterworfen, auch wenn der Anspruch auf die Reichsstandschaft seitens des Reiches noch im 16. Jahrhundert aufrechterhalten wurde.

W. blieb bis zum Ende des Bm.s Havelberg in der Reformation in dessen Besitz. Nachdem 1553 der minderjährige Markgraf Joachim Friedrich von Brandenburg zum Bischof postuliert worden war, übernahm sein Vater, Kurprinz Johann Georg, die Administration des Stifts. Als dieser 1571 die Regierung als Kurfürst antrat, verleibte er die bfl.en Besitzungen dem kfl.en Domanialbesitz ein, so dass W. von nun an direkt zum Kurfürstentum Brandenburg zählte.

1248 erstmals als bfl.er Aufenthaltsort bezeugt, wurde W. seit den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts zur bevorzugten Residenz des Bf.s. Bauliche Maßnahmen auf der Burg sind insbesondere für die Regierungszeit Bf.s Johann Wöpelitz (1385–1401) bezeugt. W. blieb bevorzugter Aufenthaltsort der Bischöfe, bis nach dem Tod Bussos II. von Alvensleben (1522–1548) jüngere brandenburgische Fs.ensöhne zu Bf.en gewählt wurden. Nach 1571 diente die Burg als Amtssitz bis ins ausgehende 18. Jahrhundert; die Residenzgebäude verfielen.
(2) Eine städtische Siedlung unmittelbar nördlich der Burg dürfte in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts entstanden sein. Die nahezu kreisrunde Anlage mit ihrem bis auf wenige Ausnahmen rechtwinkligen Straßennetz ist wohl auf eine planmäßige Erweiterung unter Bischof Wilhelm (1219–1244) zurückzuführen. Nach Ausweis der Ortsnamen nennenden Familiennamen erfolgte eine Einwanderung aus Gebieten westlich der Elbe, vor allem aus der Altmark und der Gegend um Magdeburg. Die Einwohnerzahl betrug um 1570 etwa 2000 bis 2500 Personen. Vorstädte existierten nicht.

Die Stadt war wohl seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von einem geschlossenen Mauerring umgeben, der von drei Toren an den Ausfallstraßen (Kyritzer, Röbeler und Gröper Tor) durchbrochen wurde. In den Ring einbezogen war im Süden die Burg, die durch Graben und Mauer von der eigentlichen Stadt getrennt war. Der Burg vorgelagert war die sogenannte Freiheit, die im 15. Jahrhundert den bfl.en Wirtschaftshof, Häuser von Bediensteten des Bf.s (u. a. des Offizials) sowie mehrere Burglehen beherbergte. Die Freiheit unterlag nicht der Jurisdiktion des Rates.

1248 erhielt W. von Bischof Heinrich von Kerkow (1244/45–1271/72) das Stendaler Stadtrecht. Gleichzeitig wird erstmals ein Rat genannt, daneben aber auch ein bfl.er Vogt. 1319 existierte ein Schöffenkollegium, Bürgermeister sind seit 1466 bezeugt. Mit dem »sitzenden« und dem »alten« Rat bestanden zwei Ratsmittel.

Trotz einiger Privilegien vor allem aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts blieb die Stellung des Bf.s in der Stadt während des gesamten Spätmittelalters bestimmend. Eine Erhebung der Bürgerschaft gegen Bischof Wedigo Gans von Putlitz (1460–1487) mündete 1482 in einen von Kurfürst Johann von Brandenburg vermittelten Vertrag, der die Stadt fast vollständig der Herrschaft des Bf.s unterwarf. Die Ratsherren mussten fortan vom Bischof bestätigt werden.

Wirtschaftliche Grundlagen W.s waren neben der Landwirtschaft das Handwerk, insbesondere der Tuch- und Schuhmacher, Bäcker und Schneider, sowie das Brauwesen. 1275 verkaufte der Bischof der Bürgerschaft den Markt mit der crambode. Gleichzeitig wurde der Stadt das Recht verliehen, Innungen zu errichten. 1333 wurde eine Wollenweber- und Tuchmachergilde vom Bischof bestätigt. Die Gilden mussten nach dem Vertrag von 1482 aufgelöst werden. 1488 wurden sie mit verminderten Rechten wieder zugelassen, jedoch vom Stadtregiment ausgeschlossen. Teile der städtischen Ackerflächen waren im 15. Jahrhundert als bischöfliche Lehnhufen in der Hand von W.er Bürgerfamilien. Die Mühlen, die im Spätmittelalter in bürgerlichen Besitz gekommen waren, mussten 1482 dem Bischof abgetreten werden.

(3) An der 1275 erstmals erwähnten Pfarrkirche St. Marien und St. Martin befand sich mit dem Sitz eines Propstes der Mittelpunkt eines der neun Archidiakonatsbezirke der Diözese Havelberg. 1275 wurde die Pfarrpfründe dem Domkapitel inkorporiert. 1312 übertrug Bischof Reiner von Dequede (1312–1319) auch die Pfründe des Propstes dem Kapitel und vereinigte sie mit der Pfarrkirche. Die Marienkirche war gleichzeitig Ort der seit dem 14. Jahrhundert bezeugten jährlichen Diözesansynoden. Klöster entstanden in W. nicht, doch besaß die Stadt im ausgehenden Mittelalter vier Hospitäler. 1309 erstmals erwähnt wurde die Hl.-Geist-Kapelle im Nordwesten der Stadt, mit der ein allerdings erst in nachreformatorischer Zeit fassbares Hospital verbunden war. Wohl erst am Ende des 15. Jahrhunderts wurde das St. Annen-Hospital im Südosten der Stadt errichtet. Dagegen befanden sich das 1364 erstmals erwähnte St. Georg-Hospital vor dem Kyritzer Tor und das Hospital St. Gertrauden vor dem Röbeler Tor außerhalb der Mauern. An der Gründung des Gertraudenhospitals im Jahr 1464 war Bischof Wedigo durch die Überlassung eines Grundstückes beteiligt. Daneben bestand in W. eine Terminei der Kyritzer Franziskaner. Nachweisbar sind ferner eine Elendengilde sowie ein Kaland, der in der Stadt ein Haus besaß.

Die Reformation in W. begann 1549 mit der Reichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt durch den Franziskaner Jakob Schünemann in der Hl.-Geist-Kirche. 1550 wurde vom Rat ein evangelischer Prediger angestellt. Im folgenden Jahr wurde dem Prädikanten auch die Pfarrstelle an St. Marien durch das Domkapitel übertragen. 1588 trat das Kapitel schließlich das Patronatsrecht vollständig an den Rat ab.

(4) Das ursprüngliche Rat- und Kaufhaus befand sich auf der westlichen Seite des heutigen Marktes. Um 1400 wurde ein neues Rathaus errichtet, von dem die Gerichtslaube im Osten sowie die Kellergewölbe noch heute erhalten sind. Die Stadttore waren mit Türmen versehen, von denen der Gröper Torturm erhalten ist. An den Toren wurden zu Beginn des 16. Jahrhunderts Zwinger errichtet.

Bfl.e Repräsentation in der Stadt fand vor allem in der Pfarrkirche statt. Die aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammende dreischiffige Hallenkirche wurde ab 1451 durch einen Neubau des Chores erheblich erweitert. 1484 stiftete Bischof Wedigo die möglicherweise aus Strafzahlungen der Stadt errichtete Marienkapelle an der Nordseite. Der Marienaltar in der Pfarrkirche wurde von den Bf.en Johann Wöpelitz (1385–1401) und Otto von Rohr (1401–1427) mit Stiftungen ausgestattet. Im 16. Jahrhundert diente die W.er Marienkirche als Begräbnisstätte der beiden letzten altgläubigen Bischöfe Hieronymus Schultz († 1522) wurde inmitten der Kirche in einem Gewölbe und Busso II. von Alvensleben († 1548) im Chor vor dem Hauptaltar beigesetzt. Noch vorhanden ist der Grabstein des bfl.en Hauptmanns Peter Rosenberg († 1548).

(5) W. fungierte vor allem als regionales Zentrum des bfl.en Besitzkomplexes an der Grenze zwischen der Mark Brandenburg und Mecklenburg. Jahrmärkte sind seit 1402 nachweisbar. Überörtliche Bedeutung besaß das Brauwesen. Das gleiche galt für den Handel, der auch mecklenburgische Gebiete erfasste. Fernhandel, möglicherweise vor allem mit Tuchen, wurde hingegen bis in den Ostseeraum betrieben. Eine Beteiligung W.s an Städtebündnissen ist nicht nachweisbar.

(6) Als größte Stadt innerhalb des zersplitterten Herrschaftsbereichs des Bf.s von Havelberg fungierte W. im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert zugleich als regionales Zentrum an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg. Die Stadt konnte zwar im Spätmittelalter einige Freiheiten erringen, sich aber nur bedingt von der Herrschaft des Bf.s emanzipieren. 1482 kam es gar unter brandenburgischem Einfluss zu einer vollständigen Unterwerfung. Stadt und Hof blieben schon aus topografischen Gründen eng verbunden, ohne dass in den spärlichen Quellen nennenswerte personelle Verbindungen deutlich werden. Allerdings wurde die städtische Pfarrkirche, die dem Domkapitel inkorporiert war, in mancher Hinsicht als Ersatz für den Dom genutzt, etwa als Ort von Stiftungen, als Raum für die Diözesansynoden oder im 16. Jahrhundert auch als Begräbnisort der Bischöfe.

(7) Die ältere archivalische Überlieferung Wittstocks ist durch einen Rathausbrand im Jahr 1716 weitgehend verloren. Die Bestände der Stadt im Kreisarchiv Ostprignitz-Ruppin setzen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Quellen anderer Provenienz zur Geschichte der Stadt bis ins 16. Jahrhundert finden sich insbesondere in den Beständen des Bistums Havelberg (Rep. 10 A Bistum Havelberg) und des Amtes Goldbeck-Wittstock (Rep. 8 Amt Goldbeck-Wittstock) im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam sowie in Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (I. Hauptabteilung, Geheimer Rat, Rep. 58 Bistum Havelberg).

Die älteste Stadtansicht von 1636 befindet sich im Reichsarchiv Stockholm (auszugsweiser Druck in: Kunstdenkmäler [unter (8)], S. 228). Einen Plan der Stadt von J. Chr. Grundt aus dem Jahr 1716 verwahrt das Geheime Staatsarchiv (XI. HA, A 50118).

Stein, Joachim Conrad: Epitome historica episcoporum Havelburgensium […], in: Küster, Georg Gottfried: Collectio opusculorum historiam Marchicam illustrantium […], Bd. 2, Berlin 1733–1753, Stück 13–15, S. 46–145. – Bekmann, Johann Christoph: Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg […], Bd. 2, Berlin 1753. – Riedel, Adolph Friedrich: Burg, Amt und Stadt Wittstock, in: Codex diplomaticus Brandenburgensis, Bd. A I (1838), S. 389–442.

(8) Die Kunstdenkmäler des Kreises Ostprignitz, bearb. von Paul Eichholz, Friedrich Solger und Willy Spatz, Berlin 1907 (Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, 1,2). – Polthier, Wilhelm: Geschichte der Stadt Wittstock, Berlin 1933. – Wentz, Gottfried: Das Hochstift Havelberg, in: Das Bistum Havelberg, bearb. von Gottfried Wentz, Berlin 1933 (Germania Sacra, 1,2), S. 1–125. – Enders, Lieselott: Die Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, Potsdam 2000 (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 38). – Enders, Lieselott: Art. „Wittstock“, in: Städtebuch Brandenburg und Berlin (2000), S. 550–556. – Scholz, Michael: Art. „Wittstock“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 637–639.

Michael Scholz