Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Putlitz

Putlitz

(1) Am Nordrand der Prignitz am östlichen Ufer der Stepenitz gelegen hatte P. im Spätmittelalter eine geringere Bedeutung als die umliegenden Städte, was die Einbindung in die überregionalen Handels- und Verkehrsströme angeht, obwohl sich in P. zwei wichtige Nebenstraßen kreuzten, nämlich ein von Südwesten von Perleberg kommender Weg, der weiter nach Nordosten an die Ostseeküste führte, und ein aus Südosten von Pritzwalk kommender Weg, der in P. die Stepenitz querte und weiter nach Parchim führte. Die Stepenitz war erst ab Perleberg schiffbar.

P. gehörte zum Siedelgebiet der slawischen Linonen, die hier eine Burg anlegten. Der Ort wird 946/948 erstmals urkundlich erwähnt als eine der civitates, mit denen König Otto I. das Bistum Havelberg ausstattete. Im Zuge des ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts einsetzenden Landesausbaus ließ sich das Geschlecht der Edlen Gans in der Altmark, in der Gegend um Wittenberge und entlang der Stepenitz im Gebiet um P. nieder. Die Inbesitznahme der P.er Burg lässt sich seit 1267 sicher belegen. Allerdings hatte die Familie Gans die Oberlehnsrechte des Havelberger Bf.s an P. und die gleichnamige terra anerkennen müssen. 1354 trat Bischof Burkhard diese Lehnsrechte an Herzog Albrecht von Mecklenburg ab, erst 1438 konnte sie das Bistum Havelberg wiedergewinnen. Im Zuge der Reformation erlangte sie der brandenburgische Kurfürst, der sie dauerhaft behielt.

Die Familie Gans als Lehnsnehmer hatte bereits seit dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts ihrem Namen den Zusatz »zu Putlitz« verliehen. Der Ort avancierte seit dieser Zeit zum Stammsitz des Geschlechts, das diesen bis ins 19. Jahrhundert ununterbrochen in Besitz hatte. Erst mit der preußischen Städtereform 1808 mussten sie auf ihre stadtherrlichen Rechte verzichten. Das unmittelbar bei P. gelegene Gut Philippshof verblieb bis 1945 im Besitz der Familie.

(2) In der Prignitz wurde der hochmittelalterliche Landesausbau zu einem großen Teil von der Familie der Edlen Gans getragen. Mit der Gründung der Stadt P. strebten sie die herrschaftliche Durchdringung des von ihnen erschlossen Raumes an. Sie errichteten seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts südlich der Burg mit Hilfe von Einwanderern zumeist aus der Altmark eine städtische Siedlung, die 1319 das erste Mal urkundlich erwähnt wird. Die Vorlage des zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt von den Edlen Gans zu P. verliehenen Stadtrechts ist unbekannt. Möglicherweise liegt der ältere Siedlungskern von P. im Westen um den Viehmarkt herum. Das heutige Stadtbild ist stark von dem 1652 einsetzenden Wiederaufbau geprägt, nachdem P. 1638 fast völlig zerstört worden war. Der ins Mittelalter zurückreichende Stadtgrundriss wird von zwei längsovalen Straßen geprägt, die im Verbund mit unregelmäßigen Querstraßen und dem rechteckigen Markt eine gitterartige Struktur bilden. P. war von Wehranlagen und einer Stadtmauer mit zwei, später drei Toren umgeben, die die Bürgerschaft instand halten musste (erhalten haben sich nur einige Reste der Mauer im Süden der Stadt).

Vermutlich gab es um 1450 um die 100 bewohnte Hausstellen, was auf ungefähr 450–500 Einwohner schließen lässt. Vier Jahrzehnte später zerstörte ein Brand große Teile der Stadt. 1542 werden 80 Häuser genannt, 1722 104. 1319 werden Ratmannen erwähnt, was auf die Existenz einer Ratsverfassung schließen lässt. Die Rechtsfähigkeit der Bürgerschaft ist durch das Führen eines Siegels 1361 belegt. Nach einem verheerenden Stadtbrand, bei dem sämtliche Urkunden und Privilegien verloren gingen, erneuerten die Edlen Gans 1492 die Stadtverfassung, die vorsah, dass alle die Bürgerschaft betreffenden Rechtsstreitigkeiten vor dem Stadtgericht verhandelt werden mussten. Hierunter fielen auch Vergehen gegen die Herrschaft, die nicht mit Gewalt oder Gefangennahme im herrschaftlichen Gefängnis geahndet wurden. Nur Totschlag und andere die hohe Gerichtsbarkeit betreffenden Fälle fielen in die Zuständigkeit des stadtherrlichen Gerichts, das auf der Burg tagte. Der Rat war zu einem Drittel an den Gerichtseinnahmen beteiligt. Bürgermeister und Rat wurden von den Edlen Gans in ihrem Amt bestätigt. Auch den Stadtrichter setzten letztere ein, der oft mit dem Amt des für die Herrschaft zuständigen Gesamtrichters zusammenfiel. Häufig hatten es P.er Bürger vermocht, sich dieses Amt anzueignen. Außerdem war die Stadt von sämtlichen Hofdiensten befreit. Lediglich in Notlagen und auch dann nur auf ausdrückliches Bitten der Stadtherren sollten Rat und Bürgerschaft Dienste leisten.

Im Rahmen der zwischen der Familie Gans und Herzog Albrecht von Mecklenburg geschlossenen Friedensbündnis 1354 traten die consules von P. als Mitverbündete ihrer Stadtherren auf. Ferner bestätigten sie den mecklenburgischen Hzg.en 1361 die diesen zugestandene Öffnung von Burg und Stadt P. Mehrfach urkundeten die Ratmannen in Sachen des Lehnsempfanges ihrer Herren.

Das Verhältnis zur Familie der Edlen Gans blieb nicht immer konfliktfrei. Im Verlauf der frühen Neuzeit kam es zu vermehrten Eingriffen in die Stadtverfassung. So wurde den Ratsherren das Einziehen der Gerichtsgefälle untersagt. Auch unrechtmäßige Dienste hatten sie zu erdulden. Bei Widersetzlichkeit gingen die adligen Herren willkürlich gegen städtisches Amtspersonal und Bürger vor. 1614 kam es deswegen sogar zur Bildung einer coniuratio zwischen Bürgermeister, Ratsherren und anderen Einwohnern der Stadt.

Neben Rat und Bürgerschaft treten die Viergewerke (gemeint sind die vier führenden Zünfte) als weitere Körperschaft innerhalb der städtischen Verfassung hervor. Handwerker bildeten folglich einen bedeutsamen Anteil an der städtischen Bevölkerung. Die Sozialstruktur war überdies stark von Händlern, Viehzüchtern und Landwirten geprägt. Daneben waren zahlreiche Burgmannen anwesend, wobei die rudimentäre Quellenlage keine genaueren Aussagen zulässt.

Die Präsenz der Familie Gans brachte es zudem mit sich, dass ihre nach P. eingeladenen Gäste unter Umständen von der Stadt verköstigt bzw. beherbergt werden mussten. Die Stadtrechtsprivilegien von 1492 und 1652 sicherten der Bürgerschaft in diesen Fällen allerdings eine Entschädigung für die entstehenden Kosten zu.

(3) Bereits in slawisch-frühdeutscher Zeit wird für den Burgort P. die Existenz einer Großparochie angenommen. Ein dort tätiger Pfarrer lässt sich 1259 erstmals urkundlich fassen. In diese Zeit fällt die Errichtung der Nikolaikirche südlich der Burg. Das Patronat lag in den Händen der Stadtherren, die als Stifter und Bauherren auftraten. Mitunter führte dies zu Konflikten zwischen einzelnen Familienmitgliedern der Edelherren Gans. So hatte Lorenz Gans zu P. Anfang des 16. Jahrhunderts eine von seinem Vetter Wulf Ernst neu eingerichtete Tür in der Nikolaikirche zumauern lassen. Umgekehrt beschwerte sich Wulf Ernst darüber, dass Lorenz einen unehelichen Sohn in der Kirche habe bestatten lassen. Alldies verweist auf die Existenz eines Erbbegräbnisses in der P.er Kirche, das auch in der Folgezeit mehrfach erwähnt wird. Nach Ausweis des 1652 erneuerten Stadtprivilegs hatten sich auch die Bürger am Bau der Kirche und des Pfarrhauses zu beteiligen, die durch zahlreiche Stadtbrände und infolge des Dreißigjährigen Kriegs mehrfach zerstört worden waren. Im Laufe des 18. Jahrhunderts kam es hinsichtlich der Höhe der Zuwendungen zu vermehrten Streitigkeiten zwischen den Patronatsherren.

In den 1540er Jahren führte man in P. eine erste evangelische Visitation durch, auch wenn der Bischof von Havelberg als Gegner der Reformation dies lange Zeit zu verhindern versuchte. Der erste evangelische Pfarrer ist 1545 urkundlich belegt, bald darauf schritt die Stadt zur Errichtung einer Schule und einer Kaplanei. Die Besoldung des Schulmeisters und dessen Gehilfen lag in der Verantwortung der Stadtherren, die diese Verpflichtung 1591 jedoch an den Stadtrat zu verweisen gedachten. Längerfristig konnten sich jedoch die Edelherren Gans nicht von der Finanzierung befreien.

Zu den vor der Reformation genannten kirchlichen Einrichtungen gehörte das St. Georgs-Hospital, das vermutlich bereits zu dieser Zeit vom Rat unterhalten worden ist.

(4) Die Burg mit ihrem repräsentativen Turm bildete das herrschaftliche Zentrum in der Stadt. Seit frühstädtischer Zeit residierten dort Mitglieder der edelherrlichen Familie Gans. Auch ein von ihnen bestellter Amtsverwalter nahm seinen Sitz in P. Ausdrücklich legte das P.er Stadtrecht fest, dass die Bürger ihren Gerichtsstand im Rathaus hatten (konkret in der Gerichtsstube), das in direkter Nachbarschaft zur Burg lag und gleichsam als kommunales Machtzentrum einen Gegenpol zur Burg bildete. Über Jahrhunderte hinweg ist es von der Bürgerschaft verteidigt worden. Überdies gab es im Stadtraum ein vielfältiges Ineinandergreifen von Herrschaft und Kommune. So reichte die Burg, die im frühen 16. Jahrhundert stark umgebaut wurde, nicht aus, um alle Familienmitglieder aufzunehmen, weswegen die Familie sich im 16. Jahrhundert zwei weitere Wohnsitze in der Stadt zulegte, das sogenannte »Pfaffenhaus« und den um eine Gutwirtschaft erweiterten Philippshof (nördlich des Mühlentores), dessen Benennung auf seinen ersten Besitzer (Philipp Edler Gans zu P.) zurückgeht. Daneben gelangte ein weiteres, vormals bürgerliches Haus in den Besitz der Familie. Mitte des 18. Jahrhunderts war die Burg stark verfallen. Sowohl durch den Erwerb von Grund und Boden als auch durch Stiftungen in der Kirche und ihrem dortigen Familienbegräbnis waren die Edelherren Gans auf vielfältige Weise in der Stadt präsent.

(5) Das Stadtrechtsprivileg von 1492 belegt einen Ausgriff auf die wüst gefallenen Feldmarken von Konikow, Krocksdorf und Quitzdorf im Umland südwestlich von P. Das ehemalige Bauersdorf und Röskendorf wurden gekauft. Bei der Nutzung dieser Feldmarken, insbesondere wegen der dortigen Holzplätze, geriet die Stadt im 16. und 17. Jahrhundert mehrmals in Konflikt mit der Stadtherrschaft.

Der P.er Markt besaß hauptsächlich nahörtliche Funktionen. Sein Recht zur Durchführung zweier jährlicher Märkte hatte sich der Rat 1543 nicht nur vom Stadtherrn, sondern auch vom brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. bestätigen lassen. Der Markt zog Händler und Handwerker v. a. aus Pritzwalk, Perleberg, Mayenburg und Parchim an. Die Stellung P. als Mediatstadt wirkte sich hinsichtlich des Fernhandels hinderlich aus im Vergleich zu den benachbarten Städten Perleberg oder Pritzwalk, die Beziehungen zur Hanse unterhielten. Der Bürgerschaft stand es zu, die Herrschaft bei der Ausübung des Geleits zu vertreten.

(6) Stadt und Herrschaft waren seit dem hochmittelalterlichen Landesausbau eng miteinander verflochten. Dies zeigt sich nicht etwa nur an der Rolle der Stadt in den lehnsrechtlichen Aushandlungen der Edelherren Gans mit den Hzg.en von Mecklenburg oder den Markgrafen von Brandenburg. Auch in innerfamiliäre Streitigkeiten um Besitz und Rechte war die Stadt eingebunden. Hierbei ist zwar die Tendenz des Stadtrats zu erkennen, sich aus diesen weitgehend herauszuhalten, da er bei Entscheidungen zugunsten einer Partei Repressalien der Gegenseite fürchtete. Allerdings konnte sich die Bürgerschaft keineswegs neutral verhalten. Vielfach sind ihre Vertreter im Gefolge einzelner Mitglieder der Familie Gans zu finden, wobei sie sich an Gewalttaten gegen deren Verwandte beteiligten. Der P.er Rat war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert immer wieder Zugriffen ihrer Herren ausgesetzt, die die Privilegien und Freiheiten der Stadt auszuhebeln gedachten. Der Rat verstand es jedoch, durch das Einholen von Gutachten übergeordneter Gerichte und Klagen beim brandenburgischen Kurfürsten, einen Großteil der Selbstverwaltungsrechte und Freiheiten bis ins 18. Jahrhundert zu wahren.

Daneben ist ein hohes Maß an Konsensfähigkeit zwischen Stadt und Herrschaft vorauszusetzen, das sich allein darin ausdrückte, dass über Generationen hinweg zahlreiche Familienmitglieder der Edelherren Gans in der Stadt wohnten, die Gottesdiente in der Nikolaikirche besuchten und dort ihre Grablege unterhielten. Einen entscheidenden Umbruch markierte die preußische Städtereform 1808, mit der P. zur Immediatstadt erklärt wurde.

(7) Ungedruckte Quellen finden sich im Brandenburgischen Landeshauptarchiv Potsdam unter den Signaturen Rep. 8 Stadt Putlitz und Rep. 37 Herrschaft Putlitz. Die ab 1600 einsetzende Überlieferung des Pfarrarchivs Putlitz findet sich im Domstiftsarchiv Brandenburg, Depositum Pfarrarchiv Putlitz. Eine maschinengeschriebene und bisher ungedruckte zweibändige Chronik der Stadt Putlitz von Herbert Wiese kann im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem Preußischer Kulturbesitz unter Signatur Rep. 16 Kleine Erwerbungen, Nr. 259 eingesehen werden. Unter Signatur Rep. 16 Kleine Erwerbungen, Nr. 260 findet sich eine ebenso bisher ungedruckt gebliebene Geschichte der Putlitzer Kirche vom selben Autor.

Die gedruckten Urkunden finden sich im Codex diplomaticus Brandenburgensis, Bd. A I (1838), S. 268–346 und vereinzelt in Bd. A III (1843), S. 336–512.

(8)Rudloff, Richard: Aus der Geschichte der Stadt Putlitz, Putlitz 1911. – Schirrholz, Heinz: Die Städte der Prignitz von ihren Anfängen bis zur Herausbildung ihrer vollen städtischen Verfassung, Berlin 1957, S. 178–183. – Hardt, Matthias: Art. „Putlitz“, in: Städtebuch Brandenburg und Berlin (2000), S. 434–438. – Enders, Lieselott: Die Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, Potsdam 2000 (Veröffentlichungen des brandenburgischen Landeshauptarchivs, 38). – Bergstedt, Clemens: Zur Frühgeschichte der Edlen Herren Gans zu Putlitz, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 56 (2010) S. 1–35. – Barsewisch, Bernhard: Die Familie Gans zu Putlitz im Städtlein Putlitz im 16. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 10 (2010) S. 104–119.

Sascha Bütow