Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Stolpen

Stolpen

(1) Die Stadt S. liegt am Fuß eines hohen, die Burg S. tragenden Basaltfelsen über dem Wesenitztal. Urkundlich wurde die Stadt erstmals 1222 erwähnt. Der Ortsname geht auf altsorbisch Stopno, eine Ortbestimmung, die die Lage auf Pfosten, Mauer, Palisadenzaun o. ä. meinte, zurück und bedeutet, sich wohl auf die Basaltsäulen beziehend, soviel wie Säulenort; gemeint war zunächst allein die Burg. S. liegt an der Kreuzung der von Halle a. d. Saale nach Schluckenau in Schlesien führenden Salzstraße und der Pirna mit Bautzen in der Oberlausitz verbindenden Fernhandelsstraße. Kurz vor 1222 erwarben die Bischöfe von Meißen den Ort, der kirchenrechtlich zu ihrem Bistum gehörte. Von S. aus verwalteten die Bischöfe ihren Besitz in der Oberlausitz, welche bis 1635 Nebenland der Krone Böhmens war. Im 15. Jahrhundert häufiger Aufenthaltsort der Meißener Bischöfe, war S. von 1537 bis 1559 Nebenresidenz. 1559 kam die Stadt an die Wettiner als Kurfürsten von Sachsen, welche aus dem hochmittelalterlichen Burgward Göda und der Pflege Liebethal nun das Amt S. bildeten. Unter den sächsischen Kurfürsten diente die Burg von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts häufig für Jagdaufenthalte. Die Reichsgräfin Constantia von Cosel, eine Geliebte Kurfürst Augusts des Starken, verbrachte 1716–1765 ihre Arresthaft auf der Burg.

(2) Über die Anfänge der Stadt schweigen die Quellen. In einiger Entfernung zum Burgberg entwickelte sich im Verlaufe des Landesausbaus im 13. Jahrhunderts eine kleine, 1276 erstmals erwähnte vorstädtische Siedlung, die zunächst den Namen Jockgrim (1297 Jochgrimme, 1355 Jochgrim, 1360 Jockerim) erhielt und gewisse Bedeutung als Nahmarkt gehabt haben dürfte; sie lag direkt am Wesenitz-Bach. Der Grundriß des Dorfs, der späteren Oberaltstadt, weist auf den Typ eines Gruppengassendorfs mit Waldhufenflur hin. Der Ortsname wandelte sich im Spätmittelalter um in Altstadt (1388 Jokrim in der Aldinstat, 1413 in der Alden stad unter dem Stolpen). Nach 1429, wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Hussitenkriegen, kam es zur Verlegung der Stadt etwa einen Kilometer weiter nordostwärts direkt unterhalb der Burg. Der Grundriß der neuen Stadt ist nicht streng geometrisch, so daß nicht von einer planvollen Neuanlage gesprochen werden kann, sondern eher von einer sich den topographischen Gegebenheiten anpassenden Neustadt.

Um 1470 ließ der Meißener Bischof Dietrich von Schönberg S. mit einer Mauer mit acht Türmen und zwei Stadttoren bewehren. Am Obertor (Zittauer Tor) ließ er eine Inschrift, die ihn als Errichter der Stadtmauer nennt, und sein Familienwappen anbringen. Unter Bischof Johannes VI. von Salhausen wurde die Stadtmauer nach 1500 erneuert, auch regelte er die Finanzierung der Unterhaltung. Stadtbrände 1671 und 1723 zogen sie stark in Mitleidenschaft, 1795 wurde der Abriß beantragt. Später wurde ein weiteres Tor vom Kirchplatz zum Tiergarten angelegt.

1503 erhielt S. vom Landesherrn eine Ratsverfassung, die sog. Statuten; von den Wettinern wurden sie 1659 und 1689 bestätigt. Der Rat bestand aus neun Personen, wobei nur drei von ihnen, namentlich festgelegte Männer für jeweils ein Jahr das Amt des Bürgermeisters ausüben durften und dem amtssässigen Rat rechenschaftspflichtig waren. Der Rat hatte nur in Fragen der Gerechtsame für den Wein-, Branntwein- und Salzschrank volle Freiheiten. Ein Rathaus für Jockgrim ist 1411 belegt. 1600 wurde es mit landesherrlicher Erlaubnis an die Südostecke des Marktes der neuen Stadt verlegt. 1549 bekam die Stadt ein die Herrschaft des Bf.s verdeutlichendes Wappen, das einen Geistlichen mit Mitra auf einer von zwei Türmen umgebenden Stadtmauer zeigt.

Handwerkliche Zusammenschlüsse sind so gut wie nicht belegt, im weiteren Verlauf der frühen Neuzeit werden Schneider, Kürschner, Leineweber und Posamentierer genannt. Spezielle Hofhandwerke erscheinen nicht. Über die Wirtschaftskraft der Stadt und über die Einnahmen des Rates sind wir wegen des Komplettverlusts des Ratsarchivs unzureichend informiert. Nach der Übernahme der Stadt und der Einrichtung des Amtes S. durch die Wettiner sind für 1559 122 besessene Mannen überliefert, für 1748 kaum mehr (146), was auf etwa 500–600 Einwohner schließen lässt (1834 1220 Einwohner).

(3) Jockgrim war seit Siedlungsbeginn Pfarrort, die Kirche dem Hl. Laurentius geweiht (später mit neuem Patrozinium als Lorenzkirche). Die Kirche brannte 1489 ab, der Wiederaufbau setzte alsbald ein. Bischof Johann VII. (1518–1537) stiftete an der Lorenzkirche einen Gottesacker, seine Nachfolger Johann VIII. (1537–† 1549) und Nikolaus II. (1550–† 1555) wurden dort begraben (Grabmäler bei weiterem Stadtbrand 1796 zerstört). Nach der Einführung der Reformation diente der Gottesacker vor allem Standespersonen als Begräbnisstätte.

Mit der Verlegung der Altstadt unterhalb der Burg verbunden war auch der Bau einer neuen Stadtkirche St. Anna (angeblich eine Stiftung englischer Tuchhändler). Im Gefolge der Herrschaftsübernahme durch die evangelischen Wettiner 1559 wurde Magister Johann Lehmann als erster protestantischer Pfarrer eingesetzt. Der Pfarrkirche angeschlossen war eine Schule mit zwei Lehrerstellen. Bis 1815 war S. zudem Diakonatssitz mit zunächst drei Geistlichen. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts war eine Stiftung für 13 Stadtarme der Kirche angebunden. Über Bruderschaften liegen keine Informationen vor. Nach dem großen Stadtbrand von 1723 wurde die Kirche barock wiederaufgebaut.

Ein Hospital wurde von Bischof Dietrich von Schönberg (1463–1476) gestiftet, das in unmittelbarer Nähe des bfl.en Vorwerks, des späteren Tiergartens, lag. Bischof Johann VII. stiftete hier eine Kirche (Weihe 1534) mit einem Friedhof. Nach der Übernahme S.s durch die Wettiner erfuhr das Hospital weiterhin eine Förderung. Die Hospitalkirche genannte Einrichtung wurde 1616 durch Bürgermeister Nikolaus Kramer in Stein ausgeführt und brannte 1795 ab.

Auf der Burg S. gab es seit Baubeginn eine Kapelle, dem Hl. Basilius und der Hl. Barbara geweiht; als Steinbau erst 1355 unter Bischof Johann I. belegt. 1406 erfolgte die Umwandlung in ein Kollegiatkapitel mit sieben Stiftsherren. 1523 wurde Bischof Benno von Meißen (1066–1106) heiliggesprochen, in der Folge war er Schutzpatron des katholischen Bm.s Meißen. Seine sterblichen Überreste kamen 1539 in die S.er Burgkapelle. Mit der Übernahme der Burg durch die Wettiner 1559 wurde der evangelische Ritus eingeführt, Gottesdienste jedoch alsbald eingestellt. Bennos Grabstätte wurde zunächst nach Wurzen, 1580 endgültig nach München in die Liebfrauenkirche umgebettet.

(4) Mit der Verlegung der Altstadt Jockgrim und der Anlage der Neustadt im 15. Jahrhundert erfolgte die Anlage eines neuen Marktplatzes. Auf ihn richteten sich die bei den Stadttoren beginnenden Straßenzüge aus, nicht auf die Burg. Die heute erhaltenen repräsentativen Bürgerhäuser rund um den Markt stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, als S. kaum noch als Residenz genutzt wurde. Am Markt befand sich auch der stattliche Sitz des S.er Amtmanns (heute Stadtmuseum). Markant am Markt gelegen ist desweiteren die 1710 errichtete Apotheke, die im Kern auf die Kräuterküche der Kfs.in Anna von ca. 1560 zurückgeht; 1722 verlieh der Kurfürst August der Starke den Inhabern das Apotheken-Privileg in Erblichkeit.

Während vor allem am Ausgang des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Burg umfangreich ausgebaut wurde (Bau von vier Türmen), können derartige Aufwertungen des Stadtbildes nicht konstatiert werden. Mit der Übergabe der Burg durch die katholischen Bischöfe an die protestantischen Wettiner 1559 stagnierte der weitere Ausbau der Burg, doch ließ Kurfürst August im südwestlichen Bereich unterhalb der Burg ein großes landwirtschaftliches Areal – der Tiergarten genannt – errichten, in dem er die hier befindlichen älteren bfl.en Anlagen auf nunmehr 60 ha erweiterte. Bis 1737 fanden hier regelmäßig Jagden statt. Von 1716 bis 1765 war auf der Burg die Reichsgräfin von Cosel, eine Geliebte des sächsischen Kurfürsten August, inhaftiert. Zugleich diente die Burg als Garnison.

(5) Die unmittelbare Versorgung der Residenz erfolgte durch das bei der Burg gelegene Vorwerk und weitere Ländereien. S. hatte zentrale Bedeutung dadurch, dass die Meißener Bischöfe von hier aus ihren Oberlausitzer Teil verwalteten. Mit der Übernahme S.s durch die Wettiner 1559 wurde der Ort Sitz des Amtmannes.

Ab wann es einen Wochenmarkt in S. gab, ist unbekannt. Eventuell wurde er 1503 zusammen mit den Statuten verliehen. Ende des 18. Jahrhunderts wurde er eingestellt. Spätestens seit 1541, also noch unter bfl.er Hoheit, existierte ein Jahrmarkt, der bis zum Ende des 17. Jahrhunderts viermal jährlich stattfinden sollte. Gehandelt wurde vor allem mit Garn und Flachs, der Salzhandel lag nach den Statuten in Händen des Rats. Zudem verfügte S. seit 1555 über den Bierzwang im Amt, so daß nur Bier aus S. bzw. Bischofswerda ausgeschenkt werden durfte.

Nicht überliefert sind Hinweise zur zwischenstädtischen Kommunikation und zur Korrespondenz mit den Landesherren und den herrschaftlichen Ratskollegien.

(6) S. gehörte im ausgehenden 15. und bis Mitte des 16. Jahrhunderts als Nebenresidenz der Bischöfe von Meißen, neben Wurzen, zu den bevorzugten Aufenthaltsorten. Maßgeblich unter ihnen kam es im ausgehenden 15. Jahrhundert zur Anlage einer Neustadt mit Markt und Stadtrecht. Die vier Burgtürme oberhalb der Stadt sind ein adliges Element in der weitgehend von Landwirtschaft geprägten Kleinstadt. Nach dem Übergang S.s an die Kurfürsten von Sachsen 1559 wurde die Burg immer weniger von den Landesherren genutzt, was gravierende Auswirkungen auf die städtische Entwicklung hatte. Der mit Marktrecht privilegierten Stadt gelang es nicht, überregionale Bedeutung zu erlangen. Weiterreichende Privilegien erhielt sie nicht. Es kam auch nicht zu einer Verknüpfung städtischer und landesherrlicher Institutionen. Für S. sind keine Hoftage oder andere Adelsversammlungen überliefert. Die Ratsverfassung war schwach ausgeprägt und Auseinandersetzungen mit den Landesherren sind nicht überliefert.

(7) Beim großen Stadtbrand 1723 wurde das gesamte Ratsarchiv vernichtet und ebenso die sog. »Mönchsbibliothek« mit umfangreichen Lutherschriften und bischöflichen Meßbüchern. An ungedruckte Quellen sind daher nur noch zu nennen in Bautzen, Archiv des Hochstifts Meißen, der Liber Salhusii, A 1b. – Ferner das Inventar von 1531, C1, Nr. 6. – In Dresden, Sächsisches Hauptstaatsarchiv, das Amtserbbuch von 1599, Loc. 40097, Nr. 80, a, b. – Ferner ebd., Stadt Stolpen, Stadtgericht (1647–1835), Bestand 13764.

Gerken, Carl Christian: Historie der Stadt- und Bergvestung Stolpen im Markgrafthume Meissen, Dresden/Leipzig 1764, darin Stich von G. Nestler: Festung und Stadt Stolpen gegen Mitternacht. – Gerken, Carl Christian: Etwas Altes von dem Hofstaat der Meißnischen Bischöffe zu Stolpen, Friedrichstadt 1764.

Schirmer, Uwe: Der Verwaltungsbericht des Bischofs Johannes von Meißen aus dem Jahr 1512, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 66 (1995), S. 69–101, darin abgedruckt: Liber Salhusii, Iohannes de Salhausen XLII. Episcopi administrationis epitome.

Dillich, Wilhelm: Ansicht von Stolpen 1626/1629, Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Fotothek. – Senft, Carl Emanuel: Prospekt der Berg Vestung und Stadt Stolpen gegen Mitternacht, 1719, Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. – Nestler, Carl Gottfried: Festung und Stadt Stolpen gegen Mitternacht, 1764, Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Fotothek.

(8)Bachmann, Walter: Schloß Stolpen, in: Mitteilungen des Landesvereins sächsischer Heimatschutz 20 (1931) S. 161–192. – Meiche, Alfred: Historisch-topographische Beschreibung der Amtshauptmannschaft Pirna, Pirna 1991. – Chronik von Burg und Stadt Stolpen, hg. von der Stadtverwaltung Stolpen und mit Beiträgen von Erich Bartlitz, Leipzig 1994. – Hartmann, Hans Günther: Stolpen, ein slos und stetlein czwischen Pirna und Bischofswerda, Amsterdam/Dresden 1996. – Butz, Reinhardt: Art. „Stolpen“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 559–561. – Fichte, Stefan: zcu unsers slosses Stolpen nucz und not. Quellenkundliche Untersuchung zur Burg Stolpen vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, in: Staatliche Burgen, Schlösser und Gärten Sachsen 11 (2003) S. 135–141. – Fichte, Stefan: Und endlich seyndt auch die Dühlen in meiner Wohn-Stube völlig verfaulet und ganz untüchtig. Quellenkundliche Untersuchungen zur Burg Stolpen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (bis 1813), in: Staatliche Burgen, Schlösser und Gärten Sachsen 13 (2005) S. 81–88. – Wittig, Thomas: Die Bautätigkeit der Bischöfe von Meißen in Stolpen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Monumenta Misnensia 8 (2007/2008) S. 86–102. – Donath, Matthias: Wohnung, Verwaltungssitz, Herrschaftszeichen. Die Schlösser der Bischöfe von Meißen als Symbole bischöflicher Landesherrschaft, in: Spätmittelalterliche Residenzbildung (2009), S. 209–240.

Reinhardt Butz