Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Heldrungen

Heldrungen

(1) H. liegt in Nordostthüringen am Helderbach, zu Füßen von Schmücke und Schrecke unweit des Überganges der Straße von Frankenhausen nach Querfurt (Fernhandelsweg Westfalen – Halle/Leipzig) über die Unstrut.

Ein edelfreies Geschlecht, das sich nach dem Ort H. nannte, ist seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nachweisbar. In diese Zeit dürfte auch die Anlage einer Burg an der Stelle der heutigen Festung anzunehmen sein. Ein Ort namens H. (Heltrunga) ist jedoch schon früher, in einer aus dem 10. Jahrhundert stammenden Abschrift einer Urkunde König Ludwig des Deutschen von 876, nachweisbar, doch dürfte sich diese Erwähnung auf das etwa drei Kilometer östlich liegende Nachbardorf Oberh. beziehen. Eine Siedlung im Bereich der Burg H. dürfte sich erst seit dem 12. Jahrhundert entwickelt haben.

Im frühen 15. Jahrhundert verloren die Herren von H. in einer Fehde ihren Besitz an die Wettiner, die 1412 Burg und Herrschaft H. an die Grafen von Honstein übergaben. Im Jahre 1479 verkaufte Graf Hans von Honstein H. an seinen Stiefvater Graf Gebhard VI. von Mansfeld, der 1484 endgültig von den Wettinern mit der Herrschaft belehnt wurde. Die Grafschaft Mansfeld wurde im 15. und 16. Jahrhundert mehrfach geteilt. 1501 entstanden die drei Hauptlinien des gfl.en Hauses, die sich seit 1511 nach ihrem Anteil an der Stammburg Mansfeld als Vorder-, Mittel- und Hinterort bezeichneten. H. zählte zum Besitz der vorderortischen Linie. Die Brüder Ernst II. (1479–1531) und Hoyer VI. von Mansfeld (1484–1540) erwirkten 1530 die Verleihung des Stadtrechts durch Kaiser Karl V. für H. Im Jahre 1570 führte die Verschuldung der Grafen zur Zwangsverwaltung und in der Folge zur faktischen Mediatisierung Mansfelds. Die Besitztümer wurden zwischen Kursachsen und dem Erzbistum Magdeburg aufgeteilt. H. kam 1572 an die sächsischen Kurfürsten (endgültig 1624). Ab 1653 gehörte H. zur sächsischen Sekundogenitur Sachsen-Weißenfels. Die Burg diente ab 1740 als Sitz des Amtshauptmanns. Seit 1746 gehörte H. wieder zu Kursachsen. Auf Grund der Regelungen des Wiener Kongresses fiel H. 1815 an Preußen.

(2) Der Ort H. ist erst nach der Anlage der Burg im 12. Jahrhundert als Suburbium entstanden. In einer Urkunde von 1422 wird H. als Stadt bzw. Städtchen angesprochen. Nähere Aussagen über H. bietet erst wieder die Stadtrechtsurkunde Karls V. von 1530, in der H. als Flecken bezeichnet wird. Ernst II., vor allem aber sein Bruder Hoyer VI. pflegten enge Verbindungen zum ksl.en Hof und versuchten u. a. mit Hilfe des Stadtrechtsprivilegs, den Ausbau ihres Territoriums zu fördern. In der Urkunde werden neben H. auch noch die in der Nähe Mansfelds gelegenen Bergstädte Gerbstedt und Leimbach mit statrechten, burgerlichen handtierungen unnd handtwercken begabt. Im Falle H.s wird die verkehrsgünstige Lage die Hoffnung auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung des Ortes mitbestimmt haben. Neben der West-Ost-Verbindung von Frankenhausen nach Querfurt wurde mit dem Ausbau der Festung auch die von Erfurt über Sangerhausen nach Magdeburg führende Straße über H. verlegt. Ein Entwicklungsschub H.s im Gefolge der Stadtrechtsverleihung und die nachhaltige Ausprägung städtischer Strukturen sind jedoch nicht erkennbar. Das Stadtrecht ist später mehrfach bestätigt worden: 1558 durch Kaiser Ferdinand I., 1684 durch Herzog August von Sachsen-Weißenfels oder 1749 durch den polnischen König und sächsischen Kurfürsten Friedrich August II.

Zur Entwicklung einer Ratsverfassung ist es bis ins 18. Jahrhundert nicht gekommen. Die Jurisdiktion in der Stadt und ihrem Umland verblieb bei stadtherrlichen Amtsträgern bzw. später beim Amt. Mit der Verwaltung der Kommune beauftragte der jeweilige Stadtherr sogenannte Schultheißen oder Schulzen, denen zwei Heimbürgen an die Seite gestellt wurden.

Über die Einwohnerzahl im Mittelalter und ihre Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert lassen sich so gut wie keine Angaben machen, selbst für Schätzungen fehlen ausreichende Grundlagen. Vermutlich hat die Zahl der Einwohner im 16. Jahrhundert deutlich unter 500 gelegen. Die mehrfache Zerstörung von Festung und Stadt vor allem im Dreißigjährigen Krieg hatte erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerungszahl, ohne dass diese quantifizierbar wären. Gesicherte Angaben liegen erst für das 18. Jahrhundert vor: 1779 sind etwas weniger als 600 Einwohner bezeugt.

Ebenfalls nur unzureichend sind die Kenntnisse über die Wirtschafts- und Sozialstruktur. Ein wichtiges Standbein dürfte das Kleinhandwerk gewesen sein, das auch die Bedürfnisse der Festung bediente. Genauere Angaben über die Zahl und Organisation der Handwerke fehlen jedoch. Auch über die sonstige Handelstätigkeit H.er Bürger und über den Erfolg des ebenfalls 1530 bestätigten Marktes ist nichts überliefert. Daneben bildete die Landwirtschaft das Rückgrat des Erwerbslebens. Cyriacus Spangenberg berichtet in seiner Chronik, dass Maximilian I. der Stadt zu Beginn des 16. Jahrhunderts einen Viehmarkt verliehen habe, doch fehlen weitere Nachrichten hierüber. Seit dem 18. Jahrhundert ist auf Grund der fruchtbaren Böden in der Umgegend vermehrt Gemüseanbau belegt.

(3) Über die frühe Kirchengeschichte H.s, das bis zur Reformation zur Erzdiözese Mainz und zum Archidiakonat St. Marien in Erfurt gehörte, sind nur spärliche Nachrichten überliefert. Als gesichert kann gelten, dass zumindest im 15. Jahrhundert eine eigene Pfarrkirche am Ort bestand, die wahrscheinlich dem Hl. Wigbertus geweiht war. Inwieweit die Nachrichten Spangenbergs zutreffen, dass sich die ursprüngliche Kirche des Ortes in der heutigen Wüstung Ohe befand und diese Kirche erst später nach H. verlegt wurde, ist durch neue Forschungen sehr in Zweifel gezogen worden. Die Reformation wurde in der Herrschaft H. nach dem Tode Graf Hoyers VI. 1540 eingeführt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Wigberti-Kirche zerstört. 1682–1696 wurde sie durch einen barocken Nachfolgebau ersetzt.

Die ältere Burgkapelle wurde von Graf Ernst II. von Mansfeld nach 1488 ausgebaut und neu dotiert. Er wurde dort 1531 beigesetzt. 1746 wurde die Kapelle abgebrochen.

(4) Die Burg bzw. später die Festung war das dominierende Element für die Entwicklung des Ortes. Graf Ernst II. residierte seit Beginn des 16. Jahrhunderts in H. und ließ zwischen 1514 und 1519 Schloss und Festung umfassend ausbauen. Weitere Baumaßnahem erfolgten unter dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. nach 1623 sowie unter seinem Sohn Herzog August von Sachsen-Weißenfels, der die Festung zwischen 1664 und 1668 nach Vaubanschen System ausbauen ließ. Für die Anlage von Wall und Graben mussten auch Teile des Ortes weichen. Wegen ihrer strategischen Bedeutung stand die Festung immer wieder im Zentrum kriegerischer Auseinandersetzungen (Schmalkaldischer Krieg, Grumbachsche Händel, Dreißigjähriger Krieg, Siebenjähriger Krieg), wodurch sowohl die Festung als auch die vorgelagerte Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Eine Stadtmauer hat es bis ins 18. Jahrhundert nicht gegeben. Im Kriegsfall bot die Festung den Stadtbewohnern Schutz. Erst 1743 wurde die Stadt in die äußeren Befestigungsanlagen einbezogen.

Die ältesten Ansichten H.s stammen aus dem 17. Jahrhundert Die Belagerung durch die Schweden im Dreißigjährigen Krieg hält ein Ölgemälde aus dem Jahr 1645 fest. Aus dem Jahr 1650 stammt ein Stich der Festung von Matthäus Merian.

(5) Auf Grund des Quellenmangels lassen sich über die Interaktion zwischen der Stadt und ihrem Umland nur Mutmaßungen anstellen. H. hatte durch seine Funktion als Standort der Amtsverwaltung eine entsprechende Wirkung auf das Umland. Gleiches dürfte auf H.s Funktion als lokales Wirtschaftszentrum zutreffen. In der Stadt wurden regelmäßig Nahmärkte abgehalten. Ob der 1530 von Karl V. verliehene Markt zumindest zeitweise in Gang kam, ist unbekannt. Schließlich wird auch die Hofhaltung insbesondere während der Herrschaftszeit der vorderortischen Grafen von Mansfeld sowie der Herzöge von Sachsen-Weißenfels positive Auswirkungen auf die Wirtschaft H.s und des Umlandes gehabt haben. Andererseits brachte es die strategische Lage der Festung mit sich, dass Stadt und Umland mehrfach zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen wurden, die sich nachteilig auf ihre Entwicklung auswirkten.

(6) H. war Herrschaftssitz der Herrn von Heldrungen (bis 1412), der Grafen von Honstein (bis 1479), der Grafen von Mansfeld (bis 1571/1624) und der Herzöge von Sachsen-Weißenfels (zwischen 1653 und 1746). Insbesondere die Grafen von Mansfeld-Vorderort suchten die Entwicklung von Stadt und Festung entschieden voranzubringen (1530 Stadtrechtsverleihung durch Karl V.). Die Ausbildung kommunaler Strukturen kam allerdings über Ansätze nicht hinaus. Im Schatten von Burg bzw. Festung konnte der Ort allein eine gewisse Bedeutung als regionaler Verwaltungssitz (Amt) erlangen.

(7) Der Großteil der städtischen Archivalien wurde 1821 bei einem Brand vernichtet. Erhalten ist in mehr oder weniger großer Geschlossenheit die in der Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzende Überlieferung des Amtes Heldrungen (u. a. Erbbücher seit 1523, Handels- und Konsensbücher seit dem 17. Jahrhundert). Diese Archivalien befinden sich in den Beständen des Landesarchivs Sachsen-Anhalt. Im Sächsischen Staatsarchiv werden u. a. bis ins 16. Jahrhundert zurückgehend Inventare und Beschreibungen sowie Pläne von Schloss und Festung Heldrungen verwahrt. Neben diesen Archivalien ist die Mansfelder Chronik des Cyriacus Spangenberg (1528–1604) heranzuziehen: Spangenberg, Cyriacus: Mansfeldische Chronica. 1, Von Erschaffung und Austheilung der Welt, und insonderheit von der Graueschafft Mansfelt, und den alten und ersten Deutschen Königen und Fürsten, der Schwaben und Marckmannen, Cherusken, Francken und Sachsen, Eisleben 1572.

(8)Roch, Irene: Schloss Heldrungen, Leipzig 1980. – Schmitt, Reinhard: Schloss und Festung Heldrungen, München/Berlin 1993 (Grosse Baudenkmäler, 488). – Bresgott, Klaus-Martin: Die Wasserburg Heldrungen, Berlin 1997 (Der historische Ort, 98). – Schmitt, Reinhard: Eine bisher unbekannte Ansicht des Schlosses Heldrungen vom 16. Juli 1664. Quellen zur Zerstörung der Festung im Dreißigjährigen Krieg und zum Wiederaufbau seit 1663, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 7 (1998) S. 135–158. – Roch-Lemmer, Irene: Heldrungen, in: Historische Festungen im Mittelosten der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Hans-Rudolf Neumann, Stuttgart 2000, S. 53–66. – Schmitt, Reinhard: Zur Geschichte des Schlosses und der Festung Heldrungen im Dreißigjährigen Krieg und in den Jahren des Wiederaufbaus seit 1663, in: Festungsjournal 13 (2001) S. 17–30. – Berger, Heiko: Die militärische Bedeutung des Schlosses Heldrungen für das Kurfürstentum Sachsen bis zu seiner Eroberung am 22. Oktober 1632, in: Historia in Museo. Festschrift für Frank-Dietrich Jacob zum sechzigsten Geburtstag, hg. von Volker Schimpff und Wieland Führ, Langenweissbach 2004, S. 33–53. – Roch-Lemmer, Irene: Die »Mansfeldische Chronica« des Cyrakius Spangenberg als baugeschichtliche Quelle für Burgen und Schlösser des Mansfelder Landes, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 13 (2004) S. 133–150. – Steinführer, Henning: »… mit statrechten zu begnaden unnd zu begaben.« Zur Verleihung des Stadtrechts an Heldrungen durch Karl V. im Jahre 1530. Festschrift anlässlich des Jubiläums 475 Jahre Heldrungen, Petersberg 2005. – Wittmann, Helge: Im Schatten der Landgrafen. Studien zur adeligen Herrschaftsbildung im spätmittelalterlichen Thüringen, Köln/Weimar/Wien 2008 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 17), bes. S. 25–182. – Christine Müller: Die Städtelandschaft des Kyffhäuserkreises, in: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmale in Thüringen, Bd. 5: Kyffhäuserkreis, Teilbd. 1: Überblicksdarstellungen, bearb. von Rainer Müller, Altenburg 2014, S. 138–149, bes. S. 144 f. – Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmale in Thüringen, Bd. 5: Kyffhäuserkreis, Teilbd. 3: Östlicher Teil, bearb. von Dietrich Wiegand, Altenburg 2014, S. 1142–1155.

Henning Steinführer