Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Greiz

Greiz

(1) G. verdankt seine Entstehung einem markanten, die Stadt beherrschenden Burgberg, der bis heute das Obere Schloss trägt und einer dazugehörigen Ansiedlung im Bereich des heutigen Marktes. Erstmals 1209 als »Graitz/Groytz« erwähnt, erschließt sich der Stadtname aus der slawischen Bezeichnung für eine Burganlage und bedeutet soviel wie befestigte, umhegte Siedlung. Trotzdem deutet nichts auf eine slawische Burganlage hin, sondern auf einen von Slawen gegründeten Ort am Fuße einer Burg des mittelalterlichen Landesausbaus unter bereits deutschrechtlichen Verhältnissen. Die größeren, überregional bedeutenden Handelsstraßen mieden G. wegen seiner ausgesprochenen Tallage. Anschluss an die großen Handelsstraßen gab es über die benachbarten Städte im thüringischen und im sächsischen Vogtland.

Seit 1306, mit einer kurzen Unterbrechung im Reformationszeitalter, war G. ständige Residenz der Vögte Reuß von Plauen, aus denen die späteren Herren, Grafen und Fürsten Reuß älterer Linie hervorgingen. Im 1871 gegründeten Deutschen Reich war G. die Haupt- und Residenzstadt der kleinsten Monarchie. Der letzte Fürst Heinrich XXIV. Reuß ältere Linie verstarb 1927 in G. im Unteren Schloss, ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen.

(2) Die Anfänge der ersten deutschrechtlichen Burganlage lassen sich bis in die Jahre 1188/1189 zurückverfolgen. Die älteste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1209. Seitdem entwickelte sich G. kontinuierlich zur Residenzstadt. Erstmals 1359 als Stadt bezeichnet, dürften Stadtrechte sicherlich früher vergeben worden sein, sind nach derzeitigem Forschungsstand aber nicht nachweisbar. Wegen des umfangreichen Stadtbrandes von 1494 lassen sich so gut wie keine Aussagen zur spätmittelalterlichen Stadt treffen. Selbst die Frage, ob die Stadt bis ins 15. Jahrhundert hinein unbedeutend blieb, muss offen bleiben. Die ersten Privilegien sind von 1527 überliefert. Über Größe und Bedeutung der Stadt in der Frühzeit liegen keine Nachrichten vor, die Bevölkerung dürfte ursprünglich von Ackerbau und Viehzucht gelebt und der Landesherrschaft Dienste zu leisten gehabt haben. Erst im Laufe der Zeit entstand ein die Wirtschaft der Stadt bestimmendes Handwerk, 1479 erhalten Schuster und Schneider einen gemeinsamen Innungsbrief. Durch das Stadtrecht bestand jedenfalls eine Sonderstellung gegenüber dem Umland. 1486 werden erstmals Bürgermeister, Rat sowie ein Stadtsiegel urkundlich erwähnt. Letzteres hat das landesherrliche Wappen im Siegelbild. Die älteste überlieferte Stadtverfassung stammt von 1672 (als Kopie des 18. Jahrhunderts überliefert). Seit dem 15. Jahrhundert war G. in die stadtherrschaftlichen Bereiche Unter- und Obergreiz geteilt, weil das regierende Herrschaftshaus die Primogenitur nicht eingeführt hatte; dennoch gab es nur einen Stadtrat. Erst 1768 sollte G. nach Aussterben anderer Herrschaftslinien der Reußen wieder unter einer Landesherrschaft vereinigt sein.

Deutlich änderte sich das Bild im 16./17. Jahrhundert Durch den Zuzug von Handwebern und Schwarzfärbern aus Böhmen, Schlesien und der Lausitz breitete sich vor allem das Textilgewerbe sehr rasch aus, Innungsbriefe wurden verliehen an die Leineweber 1623, Schwarzfärber 1627, Tuchmacher 1661 und die Zeugmacher 1673. Die Beteiligung der Handwerker an der Politik des Rats wird sichtbar an der Zustimmung zu einem Kredit, den G. bei ihrer Nachbarstadt Reichenbach 1523 aufnehmen wollte. Mit dem wirtschaftlichen Aufblühen der Stadt stieg das Bemühen des Rats, die Stadt unabhängiger von der Landesherrschaft zu machen. Zu den Forderungen gehörte vor allem die Neuverleihung und Erweiterung der bisherigen Privilegien nach dem Vorbild anderer Städte. 1672 stimmte die Landesherrschaft den vom Rat vorgelegten neuen Stadtstatuten endlich zu (nur als Kopie des 18. Jahrhunderts bekannt); mit gewissen Änderungen hatten sie bis 1849 Gültigkeit. Die enge Verschränkung vieler Rechte und Befugnisse gab immer wieder Anlass zu Streitigkeiten zwischen Rat und Stadtherrn. Besonders über die Zugehörigkeit neu erbauter Häuser mussten zwischen beiden wiederholt neue Vereinbarungen geschlossen werden. Dabei gelang es dem Rat nach und nach, die untere und die obere Vorstadt seinem Einfluss zu unterwerfen, allein die Teichgasse verblieb dauerhaft dem landesherrlichen Amt. Einen gewissen Einfluss auf die Landesverwaltung erlangte der Rat über die landständische Vertretung, deren wichtigstes Recht die Steuerbewilligung war. Erst aus der Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es Quellen, die Aussagen über die Bevölkerungszahl zuließen: 1566 lebten in G. 725 Einwohner, 1609 1274 (in 99 Häusern). Trotz der Auseinandersetzungen war G. der bevorzugte Ort für höfische bzw. herrschaftliche Festlichkeiten der Reußen wie Taufen, Begräbnisse und vor allem Vermählungen, die von den Einwohnern G.s und der Umgebung begleitet wurden. Die Teilnahme von Amtspersonen und Untertanen war dabei von wesentlicher Bedeutung für den rechtlichen und politischen Erfolg des Ereignisses.

1474 wird erstmals ein städtischer Schulmeister erwähnt, seit 1580 gab es einen zweiten Lehrer, der Kantor und zugleich Organist war, 1691 einen dritten Lehrer. Besucht wurde die Schule auch von Kindern der nach G. eingepfarrten Orte. 1680 errichtete man ein neues Schulhaus. 1705 erteilte Graf Heinrich III. Reuß-Untergreiz dem Buchdrucker Carl Friedrich Martini aus Zwickau das Privileg als Hofbuchdrucker.

Bedingt durch die Lage im engen Tal an der Mündung von Göltzsch und Gräßlitz in die Weiße Elster kam es zu regelmäßigen Hochwasserüberschwemmungen, die die Elsterbrücke entweder völlig zerstörten oder sehr schwer beschädigten. Die ständig wiederkehrenden kostspieligen Ausbesserungsarbeiten zwangen die Stadt 1686 zur Aufnahme von Anleihen und zur Einführung eines Brückenzolls. Mehrere Brände zerstörten die Stadt zu weiten Teilen, so 1494, 1544, 1555 und 1610. Verheerend wirkte sich auch der letzte große Stadtbrand von 1802 aus. Wieder zerstörte das Feuer mehr als 50 Wohnhäuser im Stadtkern, darunter alle kulturhistorisch wertvollen Gebäude mit Ausnahme des Oberen Schlosses und des Sommerpalais im Greizer Park. Die noch vorhandenen Stadttore, die Stadtkirche, Rathaus und Amtshäuser sowie das Untere Schloss (samt dem darin enthaltenen Archiv) wurden vernichtet.

(3) Klöster, Stifte oder Kommenden gab es in G., das zum Bistum Naumburg-Zeitz gehörte, nicht. Die Stadtkirche St. Marien wurde 1225 erstmals urkundlich erwähnt. Ab diesem Zeitpunkt waren die Vögte von Weida, aus denen die Reußen hervorgegangen sind, die Patronatsherren. Die Bürger hatten keinen Einfluss auf deren Wahl. Die Kirche wurde 1727 zu einer barocken Hallenkirche umgebaut. Neben der repräsentativen Herrschaftsloge enthielt das Kirchenschiff zahlreiche Stände der G.er Bürgerschaft. Die Stadtkirche war zugleich die Hofkirche der Landesherrschaft und enthielt mehrere unterirdische Gewölbe, die als deren Grablege dienten.

Der sächsische Lehnsherr, Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, versuchte erstmals im Frühjahr 1529 die Reformation einzuführen, stieß jedoch auf den Widerstand der G.er Landesherrschaft, die sich gegen dessen Einmischungen in die inneren Kirchenverhältnisse sträubte. Erfolgreich eingeführt wurde Luthers Lehre bei einem zweiten Versuch 1533. Im gleichen Jahr stellte der Stadtrat anlässlich einer Visitation ein Verzeichnis aller, besonders kirchlicher Missstände auf. Anschließend wurde dem Rat von der Visitationskommission ein Abschied betr. das Pfarreinkommen und den Kirchenbesitz übergeben. Dieser sah vor, dass der vom Stadtrat zugunsten des Hospitals sehr begehrte Teil des Kirchengutes bei der Kirche zu verbleiben hatte. So blieb der geistliche Besitz größtenteils unangetastet. Außerdem wurde festgelegt, dass die Kirche nicht mehr zur Verkündung städtisch-weltlicher Angelegenheiten dienen sollte, sondern dieses im Rathaus zu geschehen hätte.

(4) G. war durch seine Lage zum größten Teil auf natürliche Weise durch die benachbarten Höhenzüge und den Flusslauf der Weißen Elster geschützt. Allein der östliche Teil bedurfte einer Stadtmauer von 760 m Länge, sie wies vier Stadttore auf. Bis heute stadtbildprägend ist das hochgelegene, aus der mittelalterlichen Burg hervorgegangene Obere Schloss mit seinem 1625 bis 1627 an der Stelle des ehemaligen Bergfriedes errichteten Hauptturm. Der Vorgängerbau des Unteren Schlosses entstand erst nach der Landesteilung ab 1564 am südlichen Stadtrand zur Weißen Elster hin; nach einem Band 1802 wurde es wieder aufgebaut. Zu den Residenzbauten gehört die Hauptwache mit dem markanten reußischen Wappen gegenüber dem Unteren Schloss. In unmittelbarer Nachbarschaft, teilweise in dieses architektonische Ensemble integriert, liegen die Stadtkirche St. Marien, zugleich Hofkirche mit einem direkten Zugang zum Schloss, die Pfarrhäuser und Schulen. Das alte Rathaus am Marktplatz, an dessen Außenseite das herrschaftliche und das städtische Wappen angebracht waren, brannte ebenfalls 1802 ab (Neubau erst 1840 bis 1842; das heutige Marktensemble geht auf die Neubauten nach den Bränden von 1802, 1902 und 1908 zurück). Innerhalb des engeren Stadtgebietes befindet sich noch das Hauptgebäude des Marstalls, das als Ersatz für das Untergreizer Vorwerk im 19. Jahrhundert entstanden ist.

Westlich der Stadt wurde ab 1650 der Obergreizer Lustgarten angelegt. Anstelle eines älteren Vorgängerbaus errichtete Heinrich XI. zwischen 1769 und 1779 das Sommerpalais als repräsentatives Sommerschloss. Der Fürstliche Greizer Park wurde im 19. Jahrhundert zum englischen Landschaftspark erweitert.

Die ältesten Stadtansichten sind in einer reußischen Genealogie (1684), in Kalendern (ab 1718) und in Beigaben zu Gesangbüchern (ab 1727) seit dem Ende des 17. Jahrhunderts überliefert.

(5) Prägend für die Beziehungen zum Umland waren vor allem die Markttage. Bekannt ist, dass es bis 1494 montags einen Wochenmarkt und in der Fastenzeit an einem Sonntag einen Jahr- und Rossmarkt gab, deren Tage nicht bekannt sind. Nach dem verheerenden Stadtbrand 1494 fielen die Märkte allerdings für lange Zeit aus. Anfang des 16. Jahrhunderts bat die Stadt mehrmals um Wiedergewährung des Marktrechts, doch erst 1536 kam Heinrich d. Ä. dieser Bitte nach. Einsprüche benachbarter Städte wie Elsterberg und Auma führten dazu, dass die zugesicherten Markttage nochmals für einen längeren Zeitraum verboten wurden.

Auf Bitten der Stadt verfügte die Herrschaft 1670, dass Bauern aus den umliegenden Dörfern Fuhrdienste für den Neubau der Elsterbrücke zu leisten hatten. Ähnliches galt für die eingepfarrten Dörfer auch für den 1608 begonnenen Kirchenneubau.

(6) G. entstand in unmittelbarer Nähe einer Burg in einem Flusstal geringer Ausdehnung. Die Vögte Reuß von Plauen hatten diesen Ort zu ihrer Residenz ausgewählt und ihm im beginnenden 14. Jahrhundert Stadtrechte übertragen. Trotzdem blieb G. sehr lange eine kleine Stadt und musste sich weitgehende Eingriffe von der in unmittelbarer Nähe residierenden Herrschaft gefallen lassen. Bei herrschaftlichen Teilungen wurde die organisch gewachsene Stadt zeitweise in zwei Hälften geteilt, die nach 1564 für kurze Zeit sogar zwei getrennte Stadträte zur Folge hatte. Aus der Funktion als Mittelpunkt eines Herrschaftsgebietes zog G. dennoch Vorteile. Vor allem förderten die Reußen die G.er Märkte in besonderem Maße, wenn es auch Rückschläge gab. Zur wirtschaftlichen Förderung gehörte die Anwerbung von Tuchmachern aus Guben, die die Tuchherstellung ab 1660 in G. aufbauten, und denen die Herren eine Reihe von Vorrechten einräumten. Besondere Privilegien erhielt die G.er Papiermühle für das Lumpensammeln in allen reußischen Herrschaftsgebieten. Eine Färberei wurde durch Zuschüsse gefördert. Dem unaufhörlichen Drängen des Stadtrates nach einer neuen Stadtverfassung, die ihm alle bisher gebräuchlichen Rechte und Gewohnheiten zubilligte, gaben die Reußen erst 1672 nach.

(7) Archivalien befinden sich im Stadtarchiv Greiz und insbesondere im Thüringischen Staatsarchiv Greiz. Zunftbriefe Greizer Innungen, Stadtansichten und Stadtpläne sind in den Sammlungen der Museen der Schloss- und Residenzstadt Greiz und im Sommerpalais aufbewahrt. Die Kirchenbücher sind im Pfarramt der Kirchengemeinde Greiz eingelagert.

(8)Bartsch, Ewald: Schutz-, Innungs-, Lehn- und Kaufbriefe sowie Privilegien und städtische Urkunden, Regesten zur Greizer Geschichte, in: Jahresbericht und Mitteilungen des Vereins für Greizer Geschichte 1 (1894) S. 1–63. – Thoss, Alfred: Die Geschichte der Stadt Greiz von den Anfängen bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, Jena 1933. – Kaffenberger, Heinrich: Chronik der Stadt Greiz, Berlin 1938. – Prinz zu Schoenaich-Carolath, Hans Georg: Das landesherrliche Kirchenregiment Reuß-Greiz 1560 bis 1716, Jena 1938. – Diezel, Rudolf: Übersicht über die Bestände des Landesarchivs Greiz, Weimar 1963. – Querfeld, Werner: Greiz, Geschichte einer Stadt, Greiz 1995. – Joseph, Henriette, Porada, Haik Thomas: Das nördliche Vogtland um Greiz, Köln/Weimar/Wien 2006. – Rüster, Hagen: Stadtherrschaft und Residenz in Greiz, in: 800 Jahre Greiz, Festschrift der Stadt Greiz zur Wiederkehr der 800-jährigen Ersterwähnung und der 650-jährigen Nennung als Stadt, bearb. von Volkmar Schneider, Greiz 2009, S. 10–19. – Werner, Matthias: »pars nemoris prope Graitz«. Die Ersterwähnung von Greiz im Jahre 1209. Die Anfänge von Greiz und die älteste Geschichte der Vögte von Weida, Greiz 2009.

Sven Michael Klein