Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Wörlitz

Wörlitz

(1) W. liegt leicht erhöht an einem See in der Elbaue unweit des Zusammenflusses mit der Mulde. Es ist seit der Landnahme durch flämische Siedler im Besitz der Askanier. Mit der Teilung nach dem Tod Bernhards 1212 gelangte W. dauerhaft an den anhaltischen Zweig der Askanier. W. fungierte seither häufig als landesherrlicher Aufenthaltsort und Mittelpunkt eines Verwaltungs- und Gerichtsbezirks und bildete ein Amt, das wiederholt verpfändet und erst 1524 aus den Händen der Kurfürsten von Sachsen eingelöst wurde. Die Landesteilung 1603/06 brachte W. an Johann Georg von Anhalt-Dessau, dessen Söhne Johann Casimir und Georg Aribert das Territorium erneut teilten, wobei der jüngere Georg Aribert im W.er Schloss von 1632 bis zu seinem Tode 1643 seine Residenz nahm. Seine Witwe wurde bald darauf aus dem Schloss entfernt und ihr ein Rittergut in W. zugewiesen. Der Ort blieb Amt und Ausgangspunkt für fürstliche Jagden, bis sich Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau zu Beginn der 1760er Jahre entschloss, W. durch den Bau eines Schlosses mit zugehöriger Gartenanlage zu seiner Nebenresidenz umzuwandeln. Daneben residierte von den späten 1780er Jahren bis 1811 seine Gattin Louise in W., während andere Familienmitglieder sowie der größte Teil des Hofstaats zumeist in Dessau blieben. Nach dem Tod Herzog Leopold Friedrich Franz’ 1817 orientierte sich sein Enkel und Nachfolger Leopold Friedrich wieder nach Dessau, so dass die W.er Schlossanlagen nur noch gelegentlich als Aufenthaltsort dienten.

(2) Eine Besiedelung des Gebiets ist mit häufigen Unterbrechungen seit der Mittelsteinzeit nachweisbar, wahrscheinlich gab es eine slawische Wallanlage auf dem Terrain des heutigen Schlosses. Der Ort wurde erstmals 1004 als Teil einer Reihe von Befestigungen an der Elbe in einer Urkunde König Heinrichs II. mit dem aus dem Slawischen rührenden Namen Vuerlazi erwähnt, scheint aber bald wieder aufgegeben worden zu sein. Mit der flämischen Besiedlung entwickelte sich von neuem ein Dorf, das in einer Urkunde 1440 erstmals als Stadt bezeichnet wird, die über Bürgermeister, Rat und Gemeinde als Organe verfügte. Der Rat bestand aus drei Mitteln zu drei Personen, die jährlich neu gewählt wurden. Das W.er Amtsregister von 1548 legt eine Einwohnerzahl um 400 Personen nahe, die vor allem als Bauern, im weiteren Verlauf der frühen Neuzeit zunehmend auch als Handwerker lebten. W. verfügte über Innungen der Fleischer, Schuhmacher, Bäcker, Böttcher, Tischler, Maurer, Sattler, Seiler und Färber und stand einem anhaltischen Innungsbezirk vor. Über das Jahr verteilt fanden drei kleinere Kramer- und Viehmärkte statt. 1787 wurden 1674 Einwohner aufgeführt, die Stadt dehnte sich auf einer Fläche von ca. 600 mal 700 Metern aus.

Bereits zu dieser Zeit verfügten die Fürsten von Anhalt über umfangreichen Grundbesitz in W. Auf der W.er Flur existierte ein Gut der Adelsfamilie Creutz, das 1603 von Johann Georg I. von Anhalt-Dessau gekauft wurde. Nach dem Auskauf von Grundbesitz durch Leopold I. war die Hälfte des Bodens als Domäne in direktem landesherrlichem Besitz. Mit Einrichtung der Nebenresidenz orientierte sich das städtische Gewerbe immer stärker an der Residenz, so dass in den 1780er Jahren über die Hälfte der Haushalte, weit mehr als in Dessau, direkt vom Hof abhängig waren.

(3) Schon die 1004 genannte Burg dürfte über eine Kapelle verfügt haben. Papst Coelestin III. verlieh 1196 der Kirche in W. das Recht der Zehnterhebung und bestätigte ihre Erhebung zu Archidiakonatskirchen. 1201 weihte Bischof Norbert von Brandenburg die den Aposteln Petrus und Paulus geweihte Kirche. Der ursprüngliche Pfarrbezirk war mit 42 Dörfern sehr umfangreich, was sich auch an dem seit 1405 vom W.er Pfarrer geführten Titel eines Propstes ablesen lässt. Später waren nur noch die Orte Griesen und Münsterberg eingepfarrt, Vockerode war Filial. Die W.er Kirche war 1532 Ort der Predigten Nikolaus Hausmanns und Martin Luthers, in deren Folge die Fürsten von Anhalt die Reformation durchführen ließen. Seit dem 16. Jahrhundert sind für W. Propst und Kaplan sowie in Personalunion Rektor und Subdiakonus belegt. Das Amtsregister von 1548 nennt eine zur Kirche gehörige Schule, die um 1570 mit zwei Klassen und Lateinklasse nachweisbar ist. Um die Wende zum 17. Jahrhundert gingen die Fürsten von Anhalt zum reformierten Bekenntnis über, ohne eine völlige konfessionelle Homogenität in ihren Territorien erreichen zu können. Der romanische Kirchenbau wurde 1804 abgetragen und die Reste in einen 1809 fertig gestellten neugotischen Bau mit Fürstenloge integriert.

Seit dem 17. Jahrhundert ist die Anwesenheit von Juden belegt, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts an die 10 % der Einwohner stellten. 1760 legten sie einen eigenen Friedhof an. Leopold Friedrich Franz weihte 1790 im W.er Park eine Synagoge ein, die die jüdische Gemeinde nutzen durfte.

(4) Im 13. Jahrhundert bestand in W. eine Burg der Fürsten von Anhalt, die 1487 als Schloss bezeichnet wurde. Daneben errichteten diese Mitte des 16. Jahrhunderts einen Fachwerkbau als neuen Herrschaftssitz und Jagdschloss. Dieser Bau wurde 1698 abgetragen und von Fs.in Henriette Katharina von Anhalt-Dessau durch einen Neubau ersetzt. Nach dem Brand 1725, dem ca. ein Drittel der Stadt zum Opfer fiel, wurden viele Häuser mit fsl.em Zuschuss neu errichtet. Deichneubauten in den 1730er Jahren vergrößern außerdem die bebaubare Fläche.

Mitte des 18. Jahrhunderts bestand die Stadt aus 133 Häusern mit 164 Haushalten. Mit dem Schlossneubau setzte 1761 ein sich über mehrere Jahre hinziehender Ankauf und Abriss nahegelegener Häuser ein, in deren Ergebnis die Stadt vom See abgedrängt und als Ganzes nach Süden verschoben wurde. Betroffen war davon u. a. das ohnehin baufällige Rathaus, für das nach provisorischen Lösungen erst 1795 ein Neubau eingeweiht wurde. In diese Zeit fallen auch der Neubau des fsl.en Amtshauses und die Neuanlage des Marktplatzes als Zentrum einer nun »regelmäßig« gebauten Stadt. Eine bauliche Integration von Stadt und Residenz fand nicht statt, im Gegenteil wurde das Schloss als isolierter Bestandteil eines ländlichen Idylls inszeniert und selbst Blickbeziehungen zwischen Stadt und Schloss durch Abrisse und Pflanzungen unterbunden.

(5) Die heute noch gebräuchliche Selbstbezeichnung als W.er Winkel verweist auf die Randlage innerhalb Anhalt-Dessaus. Das nördlich der Elbe gelegene Coswig gehörte zum Fürstentum Anhalt-Zerbst, während die Grenze zu Kursachsen nur wenige Meilen südlich und östlich der Stadt verlief. Damit war und blieb das westlich gelegene Dessau der mit Abstand wichtigste verkehrstechnische und ökonomische Bezugspunkt, in dessen Schatten W. in jeder Hinsicht verblieb und nur geringe Wirkung auf das Umland zu entfalten vermochte.

(6) Während W. bis zum 18. Jahrhundert kein ständiger Aufenthaltsort des Landesherrn war, stellt es mit der 1765 begonnenen Errichtung des Schlosses und der umliegenden Gärten einen besonders ausgeprägten Fall landesherrlichen Zugriffs auf eine Residenzstadt dar. Die Gemeinde W. war von Beginn an amtssässig. Der Rat musste gegenüber dem Amtmann jährlich Rechenschaft ablegen, eine kommunale Selbständigkeit war nicht in Ansätzen vorhanden. Bedingt durch das landesherrliche Kirchenregiment und den Auskauf adligen Grundbesitzes regierte Leopold Friedrich Franz in W. ohne ernstzunehmende Zwischen- oder Nebeninstanzen in einer Einheit von Landesherr, Kirchenherr, Grundherr und -eigentümer, die die Stadt eher als großes Rittergut denn als Residenzstadt erscheinen ließ. Es war daher nur folgerichtig, wenn mit dem Fortgang des Hofes und der Verlegung des Amtssitzes nach Oranienbaum 1819 Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft der Stadt stagnierten, teils sogar zurückgingen.

(7) Ungedruckte Quellen zur Geschichte von Wörlitz liegen zum größten Teil in der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt vor. Hervorzuheben sind dort die Bestände Anhaltisches Gesamtarchiv für das 16. Jahrhundert sowie für die Folgezeit der die Überlieferung des Territoriums Anhalt-Dessau zusammenfassende Bestand Abteilung Dessau. Weitere Quellen verwahrt das Evangelische Pfarramt Wörlitz. Ein Kupferstich in Johann Christoph Beckmanns »Historia des Fürstenthums Anhalt« zeigt die Stadt um 1710.

Specht, Land- und Amtsregister, Tl. 2 (1938), Amt Wörlitz: S. 249–288. – Thalwitzer, Karl: Wörlitzer Chronik, Wörlitz 1940/41, Exemplar im Stadtarchiv Dessau-Roßlau.

(8)Graf, Friedrich: Die Vergangenheit des Wörlitzer Winkels, Oranienbaum 1922. – Harksen, Marie-Luise: Stadt, Schloß und Park Wörlitz, Burg/Magdeburg 1939 (Die Kunstdenkmale des Landes Anhalt, 2,2). – Heese, Bernhard: Art. „Wörlitz“, in: Deutsches Städtebuch, Bd. 2: Mitteldeutschland (1941), S. 739–740. – Hirsch, Erhard: Die Dessau-Wörlitzer Reformbewegung im Zeitalter der Aufklärung. Personen – Strukturen – Wirkungen, Tübingen 2003. – Wörlitz. Zwölf Beiträge zur Geschichte der Stadt, hg. von Brunhild Höhling, Wörlitz 2004. – Süssmann, Johannes: Der Garten als Bauakt. Zur Einrichtung »natürlicher« Herrschaft in der Wörlitzer Landschaftsarchitektur, in: Politische Gartenkunst? Landschaftsgestaltung und Herrschaftsrepräsentation des Fürsten Franz von Anhalt Dessau in vergleichender Perspektive: Wörlitz, Sanssouci und Schwetzingen, hg. von Andreas Pečar und Holger Zaunstöck, Halle a. d. Saale 2015, S. 15–23. – Beckus, Paul: Hof und Verwaltung des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1758–1817). Struktur, Personal, Funktionalität, Halle a. d. Saale 2015.

Andreas Erb