Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Marienburg (Malbork)

Marienburg (Malbork)

(1) M. entstand am rechten Ufer der Nogat, dem großen östlichen Mündungsarm der Weichsel. Es gehörte zur prußischen Kleinlandschaft Aliem (Algent) und entstand an einer Furt, an der eine ältere Handels- und Heerstraße die Nogat in westöstlicher Richtung überquerte. Ob vorher eine prußische Siedlung bestanden hat, lässt sich nicht erweisen, da archäologische Zeugnisse fehlen. Die Frühgeschichte M.s ist nicht ganz geklärt. Nach einer Quelle des 16. Jahrhunderts soll 1203 an dieser Stelle eine wundertätige Marienkapelle gegründet worden sein. Als das werdende Ordensland Preußen 1251 in Komtureien eingeteilt wurde, erhielt der für das Weichselmündungsgebiet zuständige Komtur seinen Sitz zunächst in Zantir (bei der Abzweigung der Nogat vom Hauptarm der Weichsel im bisherigen Einflussbereich der Fürsten von Pommerellen). Der Komtursitz wurde während des zweiten Krieges gegen die Prußen in den 1270er Jahren auch zum Schutz der Kapelle nach M. verlegt. 1276 erhielt die neu gegründete Stadt M. jedenfalls vom Landmeister Konrad von Tierberg d. Ä. ihre Handfeste, in der Komtur und Konvent erwähnt werden (aber noch nicht die Burg). Nach einer anderen Quelle des 16. Jahrhunderts soll der tatsächliche Umzug der Komturei erst 1279/80 nach Fertigstellung der Burg erfolgt sein.

1309 wurde die Ordensleitung von Venedig, wo sie 18 Jahre ihren Sitz hatte, nach M. verlegt, eventuell weil in dem strategisch ähnlich günstig gelegenen Elbing der Landmeister seinen Sitz hatte, der als bisher höchster Amtsträger des Ordens in Preußen über die Umsiedlung des Hochmeisters wenig erfreut war. Wegen der folgenden Auseinandersetzungen innerhalb des Ordens konnte erst Hochmeister Werner von Orseln 1324 seinen Sitz dauerhaft in M. nehmen. Erst sein Nachfolger Luther von Braunschweig erhob für sich und seine in M. residierenden Nachfolger einen fürstengleichen Anspruch, die ältere Komturburg wurde zum Haupthaus des Ordens ausgebaut, die sich neben der Burg entwickelnde Stadt hatte mit Zulieferaufgaben zu dienen. Dieses machte den Ort jedoch nicht zur Hauptstadt des Ordenslandes, sondern M. hatte als Stadt eher mittlere Bedeutung.

Die Verhältnisse änderten sich gravierend als während des Dreizehnjährigen Krieges (1454–1466) zwischen dem Orden einerseits und dem Preußischen Bund und dem König von Polen-Litauen andererseits der finanziell geschwächte Orden 1454 sein Haupthaus an seine Söldner verpfändete. Als der Orden sein Haupthaus nicht auslösen konnte, verkaufte ein Teil der Söldner die Burg 1456/57 an den König von Polen. Seit 1457 residierte die Ordensleitung in Königsberg, sie musste 1466 im Zweiten Thorner Frieden den Verlust des westlichen Landesteils mit M. auf Dauer hinnehmen. Die Burg in M. diente seitdem als Sitz eines königlich polnischen Starosten und gelegentlich als Nebenresidenz des polnischen Kg.s. 1772 fiel mit der ersten Teilung Polens auch M. an das Königreich Preußen.

(2) M. erhielt 1276 seine Handfeste als Stadt nach Kulmer Recht. Es darf vorausgesetzt werden, dass die ersten Bewohner M.s, nunmehr Bürger werdend, unter Leitung eines Lokators dort bereits gesiedelt hatten, zumal in der Handfeste ein M.er Pfarrer als einer der Zeugen angeführt wird. 1284 wird erstmals ein Schultheiß namentlich erwähnt (Meinhard [Menneko]), bei dem es sich um den Lokator gehandelt haben könnte. In der Handfeste wird ausdrücklich von der Gründung einer neuen Stadt gesprochen, was vermutlich im Blick auf die bevorstehende Verlegung des Komturssitzes mit der zugehörigen Siedlung von Zantir geschah. Die Nennung von Badestube sowie von Bäcker- und Fleischerbänken in der Handfeste dürfte auf die Zukunft gerichtet gewesen sein, die Gewerbetreibenden unterlagen einer Abgabepflicht an den Landesherrn. Als Stadtgebiet werden acht Hufen vorwiegend oberhalb der Stadt sowie die Stadtfreiheit auf der anderen Seite der Nogat angegeben.

Die Stadt wurde südlich der Burg parallel zur Nogat angelegt, einem Rechteck ähnlich. Ein etwa 32 m breiter Straßenmarkt teilte die Stadt in Längsrichtung. An den Markt grenzten an beiden Seiten je vier rechteckige Häuserblöcke. M. wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts landseitig durch eine parallel zum Markt verlaufende Straße erweitert, so dass die Stadt nunmehr eine Breite von etwa 240 m, weiterhin eine Länge von 300 m hatte. Der Markt wurde auf beiden Seiten von den 1365 erstmalig erwähnten zusammenhängenden Vorlaubenhäusern begrenzt. Die Stadtbefestigung wurde im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts an die äußere Burgmauer angeschlossen. Sie verfügte über drei Stadttore, nämlich das Fährtor (Zugang zum Markt von Süden), das seit dem frühen 15. Jahrhundert wegen des dorthin verlegten Marienheiligtums als Marientor bezeichnet wurde; seit 1340 führte von dort die erste Brücke über die Nogat. Daneben gab es das Heiliggeisttor (Töpfertor) an der Straße nach Elbing und das Schuhtor zur Burg bzw. in Richtung Danzig. Eine vorstädtische Besiedlung gab es am Mühlengraben und vor dem Marientor.

Mehr als die Hälfte der Bürger kamen nach Ausweis des Bürgerbuchs und des Schöffenbuchs vom Ende des 14. Jahrhunderts aus dem Ordensland östlich der Weichsel. Prußen, Polen und andere Slawen wurden nach der Willkür von 1365 vom Bürgerrecht ausgeschlossen. Hinweise zur Bevölkerungsgröße sind erst spät überliefert. 1781 ist von 174 Bürgerhäusern, 1789 von 995 Feuerstellen die Rede. 1772 wurden 3635, zwei Jahre später 4985 Einwohner gezählt.

Die Handfeste sah vor, dass Verwaltung und Rechtsprechung beim Schultheißen lagen. Seit dem 14. Jahrhundert sind Bürgermeister überliefert, die sich mit einem Kumpan jährlich abwechselten. Kämmerer sind seit dem 15. Jahrhundert bekannt, Ratmänner sind bis zu fünf gleichzeitig überliefert. Das Gericht wurde vom Schultheißen, dem Schöffenmeister, dessen Kumpan und zehn Schöffen gebildet. Rat und Schöffenkolleg wurden später durch die 3. Ordnung, die Vertretung der Händler und Handwerker, ergänzt (bis 1772). Die landesherrliche Aufsicht betraf die Wahlämter, auch die Genehmigung von Satzungen und Willküren. Das wurde zunächst vom örtlichen Komtur, nach der Übersiedlung der Ordensleitung in die M. durch den Hauskomtur wahrgenommen. Dieser war außerdem zuständig für die von der städtischen Selbstverwaltung ausgenommenen Ordensuntertanen. In königlich polnischer Zeit war M. Sitz eines Palatinats, unter dem ein Starost die Verwaltung ausübte (1460/66–1772).

In der Stadt lebten in erster Linie dem Orden zuarbeitende Bürger, die Handel und Handwerk als Gewerbe betrieben (gleich in der Handfeste von 1276 ausdrücklich erwähnt). Zudem dürfte eine bedeutende Anzahl von Haushandwerkern auf der Burg selbst gewohnt haben, wie es zwar nicht für die M., wohl aber für die benachbarte Ordensburg Elbing 1386 quellenmäßig gut belegt ist. Für die Ritterbrüder kam wegen ihrer Ehelosigkeit eine familiäre Verbindung zu Einwohnern der Stadt nicht in Betracht; informelle Beziehungen zu Bewohnern der Stadt und wohl auch zu den der umliegenden Dörfern können jedoch sehr wohl bestanden haben.

M.s Wirtschaft war während der Ordenszeit stark auf die Versorgung des Haupthauses des Ordens ausgerichtet. Zunächst ging es um Zulieferaufgaben für die zahlreichen Ordensbrüder. Von den vielen Besuchern des Hochmeisters hatten insbesondere die Teilnehmer an den Kriegszügen gegen die Litauer eine wirtschaftliche Bedeutung. Der Hochmeister lud zwar die vornehmsten Preußenfahrer zum Essen ein, doch diese hatten selbst für sich und ihr Gesinde für die Unterkünfte in der Stadt aufzukommen. Zur Finanzierung ihrer Reise werden sie weniger in M. als in den großen Städten kapitalkräftige Kaufleute als Geldgeber gefunden haben, auch das gesellige Leben spielte sich hauptsächlich in den Großstädten ab. Die Bedürfnisse sowohl des Hochmeisterhofs als auch dessen Gäste regten neben dem Beherbergungsgewerbe ferner das Kunsthandwerk an, Maler und Goldschmiede sind zu nennen. Ein Artushof wird auch für M. genannt, auch wenn er längst nicht die Bedeutung wie in Thorn oder Danzig erlangte. Innerstädtische Bedeutung wird die Schützenbruderschaft gehabt haben, die 1422 erstmals belegt ist.

Gemäß der ersten Handfeste war einmal jährlich von den Fleischmärkten eine Abgabe an den Landesherrn zu leisten, zudem standen ihm Einkünfte von den Brot-, Schuh- und Kramerbänken sowie von der Badestube und zudem ein kleiner Zins von den Hofstätten zu. Nicht angesprochen werden in der Handfeste Gerichtsgebühren, doch dürfte es sie auch in M. gegeben haben. Ein Münzrecht hatte die Stadt nicht.

(3) Von den kirchlichen Einrichtungen in M. ist an erster Stelle die Kapelle in dem Ordenshaus zu nennen, die bereits in der seit den 1270er Jahren entstehenden Burg vorgesehen war. Nach Übersiedlung der Ordensleitung wurden die Burg (nun Konventshaus) und Kirche in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erheblich umgebaut, 1344 war die Umgestaltung laut einer Inschrift abgeschlossen. Die Kirche stand unter dem Patrozinium der Ordensheiligen Maria. Die Kirche wurde in ihrer Länge verdoppelt, so dass sie aus der Ostfront der Burg weit herausragte. Unterhalb dieser Kirche wurde als Hochmeistergrablege die Kapelle St. Anna gebaut, in der die Hochmeister von Dietrich von Altenburg (1335–1341) bis zu Konrad von Erlichshausen (1341–1449) beigesetzt wurden. Der weitere Ausbau des Ordenshauses erforderte die Einrichtung weiterer Kapellen. Zu nennen sind etwa in der Mitte des 14. Jahrhunderts im Ostflügel des neuen Mittelschlosses, der die Gästekammern aufnahm, die Kapelle St. Bartholomäus, sowie im Hochmeisterpalast die Kapelle des Hochmeisters. In der neuen Vorburg bekam das Gesinde seine eigene Kapelle St. Lorenz, die 1358 im Rohbau fertig war.

Auch die Stadt verfügte wohl seit ihren Anfängen (ein Priester wird in der Handfeste von 1276 erwähnt) über eine Kirche. Ob die Marienkapelle von 1203 unmittelbarer Vorläufer der späteren Stadtpfarrkirche war, ist nicht zu erweisen. Die Pfarrkirche St. Johannis wurde vermutlich im späten 13. Jahrhundert in der Nordwestecke der Stadt neben der Burg errichtet. Während des Dreizehnjährigen Krieges (1453–1466) wurde sie weitgehend zerstört. Mit einem Neubau wurde 1468 begonnen, doch erst 1523 war er vollendet. M. gehörte zum Bistum Pomesanien, es war Sitz eines Erzpriesters für die nähere Umgebung.

Seit 1403 ist die vermutlich ältere Kirche St. Georg außerhalb der Stadtmauern bezeugt. Sie war keine Pfarrkirche, sondern stand in Verbindung mit dem Leprosenhospital, das 1471 einverleibt wurde. Am alten Fährtor im Süden der Stadt wurde nach der vom Orden verlorenen Schlacht bei Tannenberg 1410 eine Marienkapelle eingerichtet, die in der Nachfolge der älteren Marienkapelle von 1203 gestanden haben dürfte. Die dort entstehende Wallfahrt führte dazu, dass das Stadttor bald als Marientor bezeichnet wurde. Eine weitere Verbindung zwischen Stadt und Residenz bestand in den Wallfahrern, die die Reliquiensammlung im Ordenshaus selbst zum Ziel hatten. Für die Masse der Besucher wurden Prozessionen vor die Burg durchgeführt, da die Wallfahrer aus Sicherheitsgründen nicht in die eigentliche Burg eingelassen wurden. Mönchsorden haben sich nicht niedergelassen.

Da der Deutsche Orden ursprünglich ein Spitalorden gewesen ist und diesen Zweig seiner Tätigkeit im Mittelalter stets beibehalten hat, dürfte vermutlich bald nach der Übersiedlung der Ordensleitung nach M. ein Heilig-Geist-Spital eingerichtet worden sein. Dieses wurde von einem Angehörigen des Konvents, dem Unterspittler, geleitet. Für ihn ist das M.er Ämterbuch eine wichtige Quelle. Die Anfänge des Leprosenspitals St. Georg im 14. Jahrhundert liegen im Dunkeln. Das Jerusalem-Hospital für die Versorgung ›armer Leute‹ ist erst 1528 infolge einer testamentarischen Stiftung entstanden.

Die Reformation fällt erst in die Zeit nach der Residenzfunktion für den Deutschen Orden. M. gehörte seit 1466 zum königlich polnischen Preußen, wo es in der Folge zu lang anhaltenden Konflikten zwischen den Katholiken und den Lutheranern kam. In der Stadtkirche St. Johannis wurde 1526–1594 evangelisch gepredigt, danach wurde die mehrheitlich evangelische Bevölkerung auf die ordenszeitliche Spitalkirche St. Georg beschränkt.

(4) Das alles überragende Bauwerk war die Deutschordensburg, die mit ihrer letzten Erweiterung flächenmäßig ungefähr so groß wie die Stadt war. Sie wurde in den 1270er Jahren als Komtursburg zu bauen begonnen, geplant als ein Vierflügelbau und der sich nördlich anschließenden Vorburg. Nach der Ansiedlung der Ordensleitung führte der Ausbau zur Residenz zur Erweiterung der Anlage. Das Konventshaus wurde um die nach außen herausragende Burgkapelle erweitert, vor allem aber wurde die bisherige Vorburg durch die dreiflügelige Anlage des Mittelschlosses ersetzt, das am Ende des 14. Jahrhunderts mit dem Hochmeisterpalast abgeschlossen wurde; die Bezeichnung Hochschloss stammt erst aus dem 16. Jahrhundert Weiter nördlich wurde das erweiterte Vorburggelände angefügt. Im frühen 15. Jahrhundert wurde als letzte Erweiterung der Residenz zur Stadt hin die äußere Befestigung angelegt. Darüber hinaus umgab Burg und Stadt eine gemeinsame Befestigung, weswegen die Stadtmauer mit ihren drei repräsentativen Toren auch dem Schutz der Burg diente.

An kommunalen Gebäuden ist vor allem das Rathaus anzuführen, das wohl 1365–1380 errichtet worden (bis heute erhalten). Als weiterer während der Ordenszeit von der Kommune getragener Bau ist die Spitalkirche St. Georg zu nennen. Auch das Gebäude der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Lateinschule ist als Bauwerk der Residenzzeit anzuführen.

Die einzige Abbildung, die die M. während der Ordenszeit zeigte, war das Gemälde eines unbekannten Malers (um 1480), das die Belagerung M.s 1460 darstellt, als der Orden vergeblich eine Rückeroberung versuchte. Das Gemälde befand sich bis 1945 im Danziger Artushof und ist seitdem verschollen. Die von Friedrich Gilly und Friedrich Frick um 1800 gefertigten und herausgegebenen Bilder stehen bereits am Beginn der modernen Denkmalpflege.

(5) M. verfügte anders als Thorn, Kulm und Elbing nicht über ein großes Stadtgebiet. Die Handfeste von 1276 weist lediglich acht Hufen (etwa 134 ha) auf der rechten Nogatseite aus, die hauptsächlich oberhalb der Stadt lagen, und von denen sich der Orden einen Teil unter eigener Gerichtsbarkeit vorbehalten hat. In diesem Gebiet entstanden vorstädtische Siedlungen am Mühlengraben und vor dem Marientor sowie das kleine Stadtdorf Hoppenbruch. Auf der linken Flußseite zwischen Nogatdamm und dem Flüßchen Schwente wurde für die Stadtfreiheit eine Fläche von 40 Hufen (etwa 672 ha) gewährt (aus späteren Quellen ermittelt). Daneben lag das Ordensvorwerk Kalthof, während sich das Vorwerk Sandhof östlich der Stadt befand. M. war von etwa 1270 bis 1309 Sitz einer für das Weichselmündungsgebiet zuständigen Komturei. Begrenzt wurde diese im Süden vom Hochstift Pomesanien, im Osten von der Komturei Elbing und im Westen vom Herzogtum Pommerellen. Durch Erwerbung Pommerellens und den Umzug der Ordensleitung nach Preußen 1309 wurde die Komturei um vormals pommerellisches Gebiet Richtung Danzig (Vogtei Grebin) erweitert und unmittelbar der Ordensleitung unterstellt. Die Aufgaben des Komturs übernahmen Hochmeister, Großkomtur und Hauskomtur. Nach dem Zweiten Thorner Frieden 1466 wurde M. Sitz einer der drei Wojewodschaften, in die das Preußen königlich polnischen Anteils gegliedert wurde.

M.s Handel war vornehmlich auf das direkte Umland bezogen, auf den Großen Werder im Nordwesten und das pomesanische Höhenland im Süden. Überdies ermöglichte die Lage an der schiffbaren Nogat eine Teilnahme am Weichselhandel, der neben landwirtschaftlichen Gütern vor allem von Holz, Kürschnerwaren, Leinwand und Tuchen geprägt war.

M. gehörte nicht zu den sechs preußischen Hansestädten, es war aber die bedeutendste der sogenannten »Gemeinen« Städte. Das ergab sich aus ihrer Lage neben der Hochmeisterresidenz. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, d. h. mit Einsetzen der Überlieferung zu den preußischen Städtetagen, fanden diese zumeist im M.er Rathaus statt. Anfangs nicht so häufig waren Ständetage, die ebenfalls in M. durchgeführt wurden. Vermehrt wurden sie nach der Schlacht bei Tannenberg 1410 abgehalten, bis die Stände (zunächst 53 preußische Edelleute und 19 Städte) 1440 den ›Preußischen Bund‹ gründeten. M. trat ihm erst nachträglich bei und erklärte bereits 1450 ihren Austritt, weil die Nähe des Hochmeistersitzes für sie einen größeren Wert darstellte. Nachdem der mit Polen-Litauen verbündete Bund 1454 den Krieg eröffnet hatte, behauptete sich M. bis 1460 auf der Ordensseite. Auch nach dem Übergang zum königlich polnischen Preußen war M. weiterhin Tagungsort der westpreußischen Stände.

In der territorialen Ordnung des Ordenslandes besaß M. keine Aufgabe, weil im Ordensland die Städte grundsätzlich keine Beteiligung an Regierung und Verwaltung hatten. Diese wurde allein durch den Orden und seine Amtsträger auf den Ordensburgen ausgeübt. Daher ist die Rede von einer ›Hauptstadt‹ unzutreffend, wenn damit Regierungssitz gemeint sein soll.

(6) M. hatte nach dem Kulmer Recht, das den meisten Städten des Ordenslandes verliehen wurde, ein gewisses Maß an Autonomie. Neben der Ordensburg war die Stadt als eigener, äußerlich deutlich erkennbarer Rechtsbereich entstanden. Aus der unmittelbaren Nachbarschaft ergaben sich enge Beziehungen, die offenbar von der städtischen Politik als so wichtig eingeschätzt wurden, dass sich die Stadt vom ordensfeindlichen Preußischen Bund bereits nach nur zehn Jahren Zugehörigkeit wieder losgesagt hat. Soziale Verflechtungen zwischen Stadt und Hof ergaben sich durch die Rekrutierungen des Gesindes auf der Burg aus der Stadt und ihrem Umland. Wirtschaftliche Beziehungen bestanden in vielfältiger Weise, in erster Linie im Erwerb von Erzeugnissen der städtischen Handwerkerschaft und im Ankauf landwirtschaftlicher Produkte auf dem mit dem Umland verzahnten Markt, soweit nicht die Ordensvorwerke die Bedürfnisse der Hofhaltung decken konnten. Die Ordensburg war im Prinzip während der gesamten Zeit, in der sie als Regierungs- und Verwaltungssitz des Ordens diente, eine Baustelle, für die Handwerker und Arbeiter aus der Stadt benötigt wurden. Hervorzuheben ist ferner der Bedarf des Hofs an höherwertiger Kunsthandwerksarbeit, der dafür sorgte, dass sich in M. Gewerke der Luxuswarenherstellung niederließen. In kultureller Hinsicht ist die Bedeutung der Ordensburg als geistliches Zentrum für seine Umgebung, auch als Ziel von Wallfahrten zu nennen.

Bezeichnend ist, dass M., abgesehen von der Marienkapelle von 1203, offenbar keine Vorgängersiedlung kannte, sondern erst im Gefolge des Baus der Komtursburg entstanden ist, zudem zwar im Nah- und Regionalhandel eingebunden war, seine größere Bedeutung bspw. als Ort der Städtetage jedoch allein aus der Nähe zum Hof des Hochmeisters verdankte. Aus all diesen und den oben genannten Gründen kann M. als besonderer Fall der Burgstadt bzw. treffender als Residenzstadt bezeichnet werden.

(7) Das Stadtarchiv Marienburg befindet sich heute teilweise im Staatlichen Archiv in Danzig (Archiwum Państwowe w Gdańsku), andere Teile sind in Marienburg. Hauptteil des Archivs der Marienburger Schlossbauverwaltung (Archiwum Zarządu Odbudowy Zamku w Malborku) befindet sich im Staatsarchiv in Elbing mit Sitz in Marienburg (Archiwum Państwowe w Elblągu z siędziba w Malborku). Der andere Teil, vor allem das Bildmaterial liegt im Archiv des Schlossmuseums zu Marienburg (Muzeum Zamkowe w Malborku). Darüber hinaus gibt es im Historischen Staatsarchiv Königsberg die ordenszeitlichen Archivbestände der Pergament-Urkunden, der Ordensfolianten und des Ordensbriefarchivs, die auch Marienburg betreffen und heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, verwahrt werden.

Quelleneditionen speziell zur Stadtgeschichte wurden bisher nicht ermittelt, so dass die zur allgemeinen preußischen Deutschordensgeschichte zu benutzen sind: Scriptores rerum Prussicarum, hg. von Theodor Hirsch, Max Töppen und Ernst Strehlke, Bde. 1–5, Leipzig 1861–1874 (ND Frankfurt a. M. 1965). – Akten der Ständetage Preußens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, hg. von Max Töppen, Bde. 1–5, Leipzig 1878–1884 (ND Aalen 1973–1974). – Preußisches Urkundenbuch (1882–2000). – Regesta historico-diplomatica Ordinis S. Mariae Theutonicorum 1198–1525, bearb. von Erich Joachim u. a., hg. von Walther Hubatsch, Pars I/1–3, II, Göttingen 1948–1973.

(8)Voigt, Johannes: Geschichte Marienburgs, der Stadt und des Haupthauses des deutschen Ritterordens in Preußen, Königsberg 1824. – Bender, Joseph: Ueber Zantir, in: Zeitschrift für die Geschichte und Alterthumskunde Ermlands 2 (1861–1863) S. 192–226. – Steinbrecht, Conrad: Preußen zur Zeit der Landmeister, Berlin 1888 (Die Baukunst des Deutschen Ritterordens in Preußen, 2), S. 89–92, Abb. 124–125 auf Tf. – Berg, Gustav: Geschichte der Stadt Marienburg (Westpreußen), Marienburg 1921. – Schmid, Bernhard: Die Stadtfreiheit von Marienburg, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte von Ost- und Westpreußen 5 (1931) S. 34–41. – Schmid, Bernhard: Marienburg, Kr. Marienburg, in: Deutsches Städtebuch, Bd. 1: Norddeutschland (1939), S. 80–83. – Schmid, Bernhard: Bau- und Kunstdenkmäler der Ordenszeit in Preußen 2: Pomesanien, das Oberland und das Große Werder, Marienburg 1941, S. 24–53. – Schmid, Bernhard: Die Marienburg, hg. von Karl Hauke, Würzburg 1955. – Górski, Karol: Dzieje Malborka, Gdynia 1960 (und öfter). – Neues Marienburger Heimatbuch, hg. von Rainer Zacharias, Herford 1967. – Letkemann, Peter: Die Geschichte der westpreußischen Stadtarchive, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 5 (1976) S. 5–96, hier S. 68–70. – Paravicini, Werner: Die Preußenreisen des europäischen Adels, bisher 1–2, Sigmaringen 1989–1995 (Beihefte der Francia, 17/1–2). – Dehio, Kunstdenkmäler: West- und Ostpreußen (1993), S. 384–398. – Zacharias, Rainer: Marienburg. Wallfahrtsort zwischen Spiritualität und Herrschaft, in: Sztuka w kręgu Zakonu Krzyżackiego w Prusach i Inflantach, Toruń 1995, S. 67–91. – Jähnig, Bernhart: Art. „Marienburg“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003). – Herrmann, Mittelalterliche Architektur (2007), S. 582–588. – Jähnig, Bernhart: Vorträge und Forschungen zur Geschichte des Preußenlandes und des Deutschen Ordens im Mittelalter, Münster 2011 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, 34). – Pospieszny, Kazimierz: Domus Malbork. Zamek krzyżacki w typie regularnym, Toruń 2014.

Bernhart Jähnig