Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Hardegsen

Hardegsen

(1) H., erstmals 1015/36 in einer Besitzübertragung an die Paderborner Bf.skirche, dann wieder im 13. Jahrhundert erwähnt, lag an der von Einbeck im Norden kommenden Fernstraße, die weiter nach Uslar im Westen und Hann. Münden im Süden führte; eine Kreuzung mit der west-östlich über den Solling verlaufenden Straße gab es weiter nördlich. Im Nordosten der späteren Stadt lag eine Burg, deren Erbauer und Erbauungszeit nicht bekannt sind, 1305 befand sie sich im Besitz der Herren von Rosdorf. 1363 ließ sich der welfische Herzog Ernst im 1345 entstandenen Fürstentum Göttingen das Öffnungsrecht an der Burg zusichern, 1379 kaufte sein Nachfolger Herzog Otto der Quade H. Die Burg wurde in der Folge eine der Residenzburgen der Herzöge des Fsm.s Göttingen, Aufenthalte der Herzöge sind seit 1380 nachzuweisen, 1381 wird H. als Stadt erwähnt (als Oppidum bereits 1349). Otto der Quade starb hier 1394, die Burg diente seiner Gemahlin Margarethe bis zu ihrem Tod 1442 als Witwensitz. Aufgrund innerdynastischer Verteilungen wechselte H. im weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts mehrmals den Besitzer, wurden in den 1460er Jahren zudem verpfändet. Hier hielt Herzog Wilhelm d. J. seinen jüngeren Bruder Friedrich zu Anfang von dessen zehnjähriger Haft (1485–1495) gefangen, ab 1491 diente sie zudem als Ruhesitz für Wilhelm d. J. († 1503), der sich aus der Regierung zurückgezogen hatte. Bei der Landesteilung 1495 kam H. zum neugeschaffenen Fürstentum Calenberg-Göttingen. Nur gelegentlich hielten sich der Herzog oder Familienmitglieder in H. auf (so Herzog Erich I. 1535 nach einer Feuersbrunst), insbesondere Herzogin Sidonie, erste Frau Erichs II. († 1584), lebte um 1560 zeitweise auf der Burg und in der Stadt H. Damit endete die Zeit als Residenz; Burg, Stadt sowie Amt H. wurden mehrmals verpfändet. 1617/1619 und 1620 wurde H. der Herzogin Anna Sophie, Gemahlin Friedrich Ulrichs, als Leibzucht verschrieben. Bei der Neuverteilung der welfischen Fsm.er 1635 kam H. mit dem Fürstentum Göttingen an die Lüneburger Linie und bildete mit den Fsm.ern Calenberg und Grubenhagen 1692 das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg (»Kurhannover«). Nach Ende der Residenz war die Burg H. bis zum Bau des Amtshauses 1780 Sitz des 1409 zuerst (als Gericht) erwähnten Amts.

Kirchlich gehörte H. zur Sedes Nörten im Archidiakonat Nörten der Erzdiözese Mainz, 1599 wurde H. Sitz einer Superintendentur im Bereich der Generalsuperintendentur Münden (seit 1588).

(2) H. erstreckte sich als Reihensiedlung entlang der späteren Langen Straße, die Teil der Fernstraße war. Diese führte von Norden durch das Obere Tor in die Stadt. Die Stadtmauer (wohl zwischen 1380 und 1400 errichtet) umschloss ein 350 mal 250 Meter messendes ovales Areal. Mit dem Obertor und dem Niederen (1447) oder Untertor gab es an jedem Ende der Langen Straße ein Stadttor. Parallel zur Langen Straße als Hauptverkehrsweg lief nördlich und südlich jeweils ein Straßenzug. Sie waren über Querstraßen wie die zu Burg und Kirche führenden Burgstraße und Kirchstraße miteinander verbunden; die Stubenstraße im Nordosten weist auf eine hier liegende Badestube. 1534 sind 130 Haushaltsvorstände verzeichnet; 1664 sind 299 Personen über 14 Jahre in 108 Haushaltungen gezählt worden, 1689 610 Personen.

Dass H. 1383 Stadtrecht (etwa zeitgleich werden Bürgermeister und Rat erwähnt) erhalten hat, geht erst aus einer Bestätigung des Jahres 1649 hervor. Kaufmannsgilde und Bäckergilde bestanden 1390; zu dieser Zeit gab es zwei Jahrmärkte, zu denen später zwei weitere hinzukamen. 1397 wird ein Kaufhaus erwähnt, in dem die Herzogin einkaufen ließ. Vor dem Oberen Tor wurde 1574 ein Brauhaus gebaut. Im 16. Jahrhundert findet mit den Schuhmachern eine weitere Handwerkervereinigung Erwähnung, im 18. Jahrhundert noch die der Lohgerber und der Maurer. Gegen Ende des Jahrhundertsbestanden eine herrschaftliche Ziegelhütte und eine Legge, die allerdings nicht auf eine umfangreichere Textilproduktion vor Ort verweist.

H.s Bevölkerung war überwiegend im Handwerk beschäftigt. 1689 waren die meisten Haushaltsvorstände Brauer, einer Braumeister, einige übten ein weiteres Handwerk aus oder waren Krämer. Bezeichnend ist, dass es neben höheren und niedrigen landesherrlichen und städtischen Amtsträgern auch einen Schulmeister und eine Schulmeisterin gab.

(3) Die Erwähnung eines Plebans 1280 lässt auf eine Pfarrkirche schließen; aufgrund des Mauritius-Patroziniums ist eine ins 11. Jahrhundert zurückgehende Vorgängerkirche anzunehmen. Erst 1423 ist die Kirche St. Mauritius zu fassen, in der Herzogin Margarethe Altäre gestiftet haben soll, Herzog Wilhelm d. J. eine Glocke. 1424 ließen Herzogin Margarethe und ihr Sohn Otto Cocles die St. Georgskapelle, deren Patron der Herzog war, anbauen. Unweit St. Mauritius lag das Hospital St. Spiritus, dessen Gründung der Herzogin Margarethe zugeschrieben wird; vor dem Untertor befand sich das 1521 genannte, 1725 wegen Baufälligkeit abgebrochene Siechenhaus, das auf Herzog Wilhelm d. J. zurückgeführt wird, mit der St. Nikolauskapelle, dessen Patronat beim Rat lag. 1439 und 1541 wird ein Kaland erwähnt, für dessen Gründung ebenfalls Herzogin Margarethe in Anspruch genommen wird. Die Burg verfügte über eine eigene Kapelle. Die von Antonius Corvinus durchgeführte Visitation 1543 gilt als Einführung der Reformation.

(4) Während das zwischen 1324 und 1327 von den Herren von Rosdorf errichtete Moshaus heute noch besteht, ist die übrige Burganlage bis auf einen viereckigen Turm Ende des 17. Jahrhunderts abgebrochen worden, der Turm wurde 1780 zum Bau des Amtshauses abgerissen. Es gab zwei Burgmannshöfe, von denen einer (Sattelhof) vor der Burg, der andere südöstlich der Kirche lag; auf welchen sich die Ersterwähnung 1385 bezieht, ist nicht zu entscheiden. Beide wurden vom Herzog als Lehen vergeben; einer gehörte 1462 als Pfandbesitz dem Rat.

In der Georgskapelle befinden sich die Grabtafel der Herzogin Margarethe und das Grabmal des 1391 jung verstorbenen Sohnes Ottos des Quaden, Wilhelm; bestattet wurden Herzogin und Hzg.sohn in der St. Mauritius-Kirche. Schlusssteine in der Georgskapelle zeigen das Wappen der Herzogin Margarethe und das der welfischen Hzg.e.

Das 1434 erwähnte Rathaus soll 1416 erbaut worden sein; vielleicht kann das 1397 genannte Kaufhaus bereits als Rathaus gelten. Brände haben mehrmals, zuletzt 1678 große Teile der Stadt eingeäschert, so dass von der alten Bausubstanz wenig (z. T. umgebaut wie das einstige Rathaus oder als neuer Bau wie der vor der Burg liegende Burgmannshof) geblieben ist.

Die älteste Darstellung H.s stammt aus Johann Letzners H.er Chronik 1595. In Merians Topographie (1654) sind die ummauerte Stadt mit Burg, Kirche, einem Burgmannshof und Stadttortürmen gut zu erkennen. Zwei kleinformatige Kupferstiche von 1681 zeigen H. als Amtsstadt.

(5) Im direkten Umfeld der Stadt lagen herrschaftliche Mühlen. Eine Mühle wird bereits 1266 erwähnt, die Mittelmühle 1349, 1548 Vordere und Hintere Mühle, 1556 die Obere Mühle. Die Mühle vor dem Niederen Tor verpfändete Herzog Friedrich Ulrich 1615 an den H.er Rat. 1434 hatte der Herzog der Stadt die Feldmark Rischenau überlassen. Die Stadt verfügte zudem über Waldbesitz. Die vier Jahrmärkte waren Eintagesmärkte; 1390 war bestimmt worden, dass auswärtige Bäcker auf den damals beiden Jahrmärkten ihre Ware anbieten durften. 1620 bestand eine hzl.e Kippermünzstätte. 1404 sagte der Rat – wie auch der von Moringen – der Stadt Uslar Entschädigungsleistungen zu, falls deren Bürgschaft für den Herzog in Anspruch genommen werden sollte. H. gehörte 1435 zu den Städten, die sich mit hzl.er Erlaubnis für drei Jahre mit dem Adel des Fsm.s verbündet hatten, und wie die anderen Städte beschwor sie 1442 die dynastische Vereinbarung über das Fürstentum Göttingen. 1447 bat einer der Herren von Hardenberg den H.er Rat um Vermittlung beim Herzog 1521 fand in H. ein Landtag zur Steuerfestsetzung statt. Die Vertretung der vier kleinen Städte des Fsm.s Göttingen auf den Landtagen war alternierend vorgesehen. Herzog Erich I. bestimmte 1538 H. zum Verhandlungsort zwischen seinen Räten und dem Pfandinhaber der einzulösenden Burg Niedeck.

(6) H. gehörte mit Uslar, Moringen und Dransfeld zu den kleinen Städten des Fsm.s Göttingen. Der Ort wurde von den Hzg.en gefördert, Stadtrecht und Bäckergilde gehen auf Herzog Otto den Quaden zurück. H. war besonders im 15. Jahrhundert wie die anderen Städte des Fsm.s in die kriegerischen Aktivitäten der Herzöge eingebunden (1385, 1435, 1445, 1448, 1452, 1456, 1467 u. ö.), stellte aber nur wenige Mann und Pferde; 1519 trug sie zum Lösegeld für den gefangenen Herzog Erich I. bei.

Die Integration H.s in höfische Beziehungsgeflechte wird u. a. aus dem Umstand erkennbar, dass der Pfarrer der Herzogin 1546/47 ein Buch widmete, wofür er zwei Taler erhielt. Beziehungen zur landesherrlichen bzw. höfischen Führungsschicht blieben nach dem Ende als Residenz erhalten. Johannes Jagemann († 1604), Kanzler am wolfenbüttelschen Hof, erwarb 1588 den Burgmannshof. Sein Wunsch, in der Kirche einen Stuhl und Erbbegräbnis zu erwerben, wurde von der Bürgerschaft abgelehnt. Seine Erben verkauften den Burgmannshof an Jacob Arend Pape, der seit 1617 Schatzeinnehmer des Fsm.s Göttingen mit Sitz in H. war; seine Erben besaßen den Burgmannshof bis 1877.

(7) Das ehrenamtlich betreute Stadtarchiv Hardegsen bewahrt Urkunden ab 1550 und Akten ab 1600 auf. Im Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Hannover sind Archivalien in verschiedenen Beständen zu finden; Urkunden in: Cal Or. 1, Cal Or. 100 Kleine Städte Gött/Grub, Cal Or. 15; Akten in: Cal Br. 1, Cal Br. 2, Cal Br. 8, Cal Br. 16, Cal Br. 19, Cal Br. 22; Ansichten und Pläne in: Kartensammlung Nr. 23 Hardegsen 2 pm, 3 pm (Amtshaus, Muthaus und Turm 1775, Grundriss Erdgeschoss und 1. Stock). Die Hardegser Chronik von Johann Letzner mit der ältesten Ansicht Hardegsens befindet sich in Hannover, Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek, Ms. XXIII, 731 (entstanden 1589/90). – Domeier, Johann Gabriel: Geschichte der Churfürstl. Braunschweig-Lüneburgischen Stadt Hardegsen und des Amtes aus Urkunden und anderen Nachrichten, Celle 1771.

Urkundenbuch Herzöge von Braunschweig, Bde. 2, 3, 5, 7, 8 (1860, 1862, 1865, 1871, 1876). – Urkundenbuch der Stadt Göttingen, Bd. 1, hg. von Karl Gustav Schmidt, Hannover 1863 (Urkundenbuch des Historischen Vereins für Niedersachsen, 6) (ND Aalen 1974). – Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, bearb. von Richard Doebner, Bde. 7–8, Hildesheim 1899, 1901. – Urkundenauszüge zur Geschichte der Stadt Einbeck bis zum Jahre 1500, bearb. von Wilhelm Feise, Einbeck 1959. – Kopfsteuerbeschreibung Calenberg-Göttingen und Grubenhagen (1969), S. 127–137. – Urkundenbuch des Stifts Fredelsloh, bearb. von Manfred Hamann, Hildesheim 1983 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXVII; Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter, 6). – Urkundenbuch Herren von Boventen (1992). – Urkundenbuch des Stifts Weende, bearb. von Hildegard Krösche nach Vorarbeiten von Hubert Höing, Hannover 2009 (Göttingen-Grubenhagener Urkundenbuch, 5, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 249). – Schatzverzeichnisse Göttingen (2011).

(8)Domeier, Börries Ludewig: Topographie der Stadt Hardegsen und ihrer Umgebung zuerst bearbeitet von weil. Bürgermeister Johann Gabriel Domeier, Einbeck 1813. – von Blümbach, [Anon.]: Blicke in den Hofstaat und die Lebensweise einer verwitweten Fürstin im 14. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen (1849) S. 1–20. – Mithoff, Hector Wilhelm Heinrich: Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen, 2. Bd.: Fürstentümer Göttingen und Grubenhagen nebst den hannoverschen Teilen des Harzes und der Grafschaft Hohnstein, Hannover 1873, S. 92–96. – Lechte, Karl: Die Geschichte der Stadt Hardegsen, Hardegsen 1968. – Historisch-Landeskundliche Exkursionskarte/Blatt Moringen, bearb. und hg. von Erhard Kühlhorn, Hildesheim 1976 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung, 2, 4).

Gudrun Pischke