Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Barby

Barby

(1) B. liegt im Hochwassergebiet am linken Ufer der mittleren Elbe nahe der Einmündung der Saale. Der Ort verdankt seine Entstehung einer erstmals 961 erwähnten Burg (civitas Barbogi), die Mittelpunkt eines Burgwards war. 974 dem Reichsstift Quedlinburg geschenkt, gelangten Teile des Burgwards in den Besitz der Grafen von Arnstein. Eine Linie derer Erben benannte sich nach dem Ort als Herren von B., als erster Walther IV. († nach 1263) und dessen Nachfahren (der von ihnen seit 1293 geführte Gf.entitel hing an Mühlingen und wurde erst später auf B. bezogen). Diese wählten B. zu ihrer Residenz eines eigenständigen Herrschaftskomplexes. Das Gebiet wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts östlich um die Grafschaft Mühlingen, 1306 rechts der Saale um die Herrschaft Rosenburg erweitert und 1497 durch König Maximilian zur Reichsgft. erklärt. Obschon sie insbesondere bei Kursachsen in Abhängigkeit blieben (B. blieb kursächsisches Lehen), gelang den Grafen, die an Reichstagen teilnahmen und Regalien ausübten, durch polyzentrische Schutz- und Dienstverhältnisse und eine geschickte Pfründen- und Heiratspolitik der Erhalt ihrer Reichsunmittelbarkeit (Bestätigung 1599).

Die Herrschaft B., die vier Ämter bildete (B., Walternienburg, Rosenburg und Mühlingen), fiel nach dem Aussterben des Gf.enhauses 1659 an verschiedene Herrschaftsträger, Stadt und Amt B. kamen dauerhaft an Kursachsen und bildeten eine Exklave des bis 1746 bestehenden Hzm.s Sachsen-Weißenfels. Die winzige Grafschaft verbürgte ihren Inhabern das Vorrecht des Reichstagsvotums. Nach langen Auseinandersetzungen wurde die Grafschaft B. kirchlich und jurisdiktionell stärker in den Kurstaat integriert. Zwischen 1681 und 1739 war B. die Residenzstadt einer Seitenlinie der Weißenfelser Sekundogenitur, wobei besonders Herzog Heinrich von Sachsen-Weißenfels-B. (1657–1739) prägend wirkte; unter ihm vergrößerte sich der B.er Hof deutlich. Nach 1746 blieben die Behörden (außer dem Konsistorium) noch bestehen; erst 1761 wurde B. als Amt dem Kurkreis unterstellt.

(2) Ausgehend von einer im Schatten der Burg ausgeprägten Marktsiedlung wurde die Stadt mit ihren fünf Toren und einem gitterförmigen Straßenverlauf seit Anfang des 13. Jahrhunderts wahrscheinlich planmäßig ausgebaut und mit einer Ringmauer umgeben. Die Marienkirche mit ihrem Kirchhof lag im Zentrum; Markt und Rathaus befanden sich weiter östlich. Die Vorstädte im Süden und Südosten sowie die Burganlage wurden seit dem 15. Jahrhundert in den (1847 bis auf den Ostteil abgetragenen) Mauerring einbezogen.

Ein Stadtrat wird erstmals 1407 erwähnt. Drei Ratsmittel zu fünf Mitgliedern gerieten im 17. und 18. Jahrhundert wiederholt mit der Bürgerschaft aufgrund einer Oligarchisierung (sowie vermutlich sozialen Spannungen) in Konflikt, in dem die Stadtherren vermittelten (so vor allem im Rezess von 1679). Im Spätmittelalter hatte die Stadt ein eigenständiges Gericht besessen. Seit dem 16. Jahrhundert war der gräfliche Kammerverwalter als Mitglied der Regierung zugleich Land- und Stadtrichter. Schon unter den Grafen leisteten die Bürger den Bürgereid zuvörderst auf den Landesherrn. Bei Erbhuldigungen (so 1620) – einem Ritual, das im Schloss stattfand und von der Herrschaft geleitet wurde – kamen sie gemeinsam mit den Amtsuntertanen am Schluss zum Zuge.

1584 soll B. ca. 340 Einwohner besessen haben, von denen 100 bis 150 der gfl.en Verwaltung und dem Hof zuzuordnen waren. Trotz Eroberung durch die Schweden und einer grassierenden Pest ist 1663 die Zahl von 382 Einwohnern gesichert. Genauere wirtschafts- und sozialgeschichtliche Untersuchungen fehlen; anzunehmen ist, dass Landwirtschaft und Brauwesen auch gegenüber den mit der Elbe zusammenhängenden Erwerbszweigen von Bedeutung waren, zumal Stadt und Grafen sich nicht gegenüber Magdeburg und dem von ihm behaupteten Stapelzwang durchsetzen konnten.

In der letzten Residenzphase unter Herzog Heinrich, als das Land im Sinne des Kameralismus ausgebaut wurde, kam es zu einem erheblichen Bevölkerungswachstum; Mitte des 18. Jahrhunderts zählte B. ca. 2000 Einwohner.

(3) Kirchlich gehörte B. im Spätmittelalter zum Erzbistum Magdeburg. Die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene, im frühen 15. Jahrhundert um- und ausgebaute Pfarrkirche St. Marien war von Rat und Bürgerschaft geprägt. Ihr massiger, 1505 begonnener Turm war, wenigstens ab der Höhe der Galerie, städtisches Eigentum und als Wachturm gedacht (mit Türmerwohnung). In ihrem Innern finden sich bürgerliche Epitaphien und fromme Stiftungen. Herzog Heinrich ließ den Bau erweitern und die Inneneinrichtung (geschnitzte Kanzel 1722, Empore, Orgelprospekt und hoher Altar 1728) barock umgestalten.

Über ein eventuell 1332 gegründetes Dominikanerkloster sowie ein weiteres Nonnenkloster in der östlichen Vorstadt fehlen Nachrichten. Etwas weniger dürftig sind die Informationen über das von Graf Burchard II. 1264 gegründete Franziskanerkloster mit St. Johannis-Kirche, das noch 1530 bestand. Über das rechtliche Verhältnis der Pfarrkirche St. Marien zur Franziskanerkirche ist nichts bekannt. Hervorzuheben ist, dass die Grafen nicht die Pfarr-, sondern die Klosterkirche zum Zentrum ihrer Memoria machten; vielleicht hängt dieses mit dem Einfluss der Bürgerschaft auf die Marienkirche zusammen. Die als Schlosskirche dienende Johanniskirche besticht durch zahlreiche, kunsthistorisch wertvolle Grabmäler und Epitaphien für Angehörige der Gf.enfamilie aus dem 13. bis 17. Jahrhundert (im 15. Jahrhundert unter Prager Einflüssen, sog. Weicher Stil) sowie den Epitaphaltar für Graf Wolfgang, seine Frau Agnes von Mansfeld und beider Kinder. Es finden sich dort auch einige Epitaphien von Niederadeligen, vermutlich Hofangehörigen. Nach der Reformation war der Oberpfarrer und gleichzeitige Superintendent an St. Johannis angesiedelt, während dem Stadtpfarrer an St. Marien ein Diakon zur Seite stand.

Über drei Stifte liegen nur sehr vage Angaben vor. Eine Bruderschaft des Hl. Blutes und eine Fronleichnamsbruderschaft sind im 14. Jahrhundert nachweisbar. Dem vermutlich um 1500 außerhalb der Stadt gegründeten Hospital St. Georgii wurden ein Friedhof und eine Kapelle zugewiesen. Auf dem Gottesacker haben sich stadtbürgerliche Epitaphien des 16. bis 18. Jahrhunderts erhalten; die Kapelle erhielt 1591 eine repräsentative Außenkanzel.

Gf. Wolfgang von B. (1502–1565) führte 1540 die Reformation ein. Seit Ende des 16. Jahrhunderts verfügte die lutherische Grafschaft über ein Konsistorium, das sich aus Kanzleiräten und dem seit 1569 nachweisbaren Superintendenten bildete. Das gräfliche Kirchenregiment wurde seitens des Wittenberger Konsistoriums mehrfach angefochten, nicht aber von der Stadt. Seit 1723 hatte Kursachsen die Kirchenhoheit inne, indem das B.sche Konsistorium sich im Zweifelsfall dem Willen des Wittenbergischen zu fügen hatte.

Der Übertritt Herzog Heinrichs zur reformierten Konfession 1688 sorgte für ein erhebliches publizistisches Echo und Auseinandersetzungen mit dem sächsischen Hof in Dresden. In B. entstand eine reformierte Gemeinde, die zunächst in der Schlosskirche, später in einer eigenen Kapelle Gottesdienst hielt (Aufhebung 1811). Mit dem Pietismus verbindet B. neben der späteren, als Liederdichterin bekannten Herzogin Ämilia Juliana von Schwarzburg-Rudolstadt (1623–1706) und den böhmischen Exulanten, die sich 1680 in der Grafschaft niederließen, vor allem das 1748–1808 in B. befindliche Theologische Seminar resp. Gymnasium der Herrnhuter Brüdergemeine (mit Druckerei und Verlag). Voraussetzung für beide war gewesen, dass Graf Heinrich XXVI. zu Reuß 1746 das Schloss samt Vorwerken für die Herrnhuter gemietet hatte. Schleiermacher war hier 1785–1787 Schüler.

(4) Als Nachgeborener der Sekundogenitur Sachsen-Weißenfels besaß Herzog Heinrich ab 1681 keine Souveränität, sondern war der Regierung des sächsischen Kfm.s unterworfen. Allein architektonisch konnte er seinem Herrschaftsanspruch Ausdruck verleihen. 1687 bis 1715 entstand an Stelle des alten, auf die Burg zurückgehenden Schlosses eine dreiflügelige barocke Schlossanlage mit H-förmigem Grundriss. Integriert wurde nordwestlich die vor der Mitte des 16. Jahrhunderts errichtete »Alte Kanzlei« mit ihrem durch das B.er und Mansfelder Wappen gekrönten Eingangsportal, das auf Graf Wolfgang zurückgeht. Als Fürst von Sachsen-B. setzte sich Herzog Heinrich deutlich von der gfl.en Tradition ab, indem er unter dem Westgiebel des nördlichen Querflügels des Schlosses eine neue Familiengruft schuf. Auch der Neu- bzw. Umbau der Stadtkirche St. Marien erfolgte unter Herzog Heinrich. Noch heute sind im Stadtbild barocke Hofanlagen, Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus dieser Zeit besonders auffällig.

(5) B. war die einzige Stadt innerhalb der Grafschaft, die Stadt bildete ihr administratives und kulturelles Zentrum: Hier befand sich die gräfliche Verwaltung inklusive des Archivs, hier spielte sich das höfische Leben ab (Regierungs- und Kanzleiordnungen 1590, 1630, 1652, 1660, Hofordnung 1691). Hier fanden die Huldigungen der Untertanen von Stadt und Amt, auch der Geistlichkeit (1620 neun Einrichtungen) der ganzen Grafschaft statt sowie die Familien- und Trauerfeierlichkeiten der gfl.en Familie. Als Gäste waren immer wieder andere mitteldeutsche Hochadelsfamilien in B. anwesend, u. a. die Fürsten von Anhalt. Regionale Bedeutung hatte B. daher in erster Linie als Stadt des Hofs. Überregional bedeutende Märkte sind nicht bekannt.

(6) B. lässt sich als Residenzstadt für die Herren bzw. Grafen von B. sowie für Herzog Heinrich von Sachsen-Weißenfels-B. bezeichnen. Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte B.s ist bisher so gut wie nicht erforscht, so dass sich viele Fragen der Durchdringung von Stadt- und Hofgesellschaft nicht klären lassen. Zu vermuten ist, dass für B. aufgrund der Kleinheit von Stadt und Territorium ein besonders enges und zugleich klar strukturiertes Verhältnis von Stadt und Hof (insbesondere bei der Repräsentation in unterschiedlichen Kirchenräumen zu bemerken) festzustellen sein wird. Die soziale Interaktion dürfte groß gewesen sein. Die Ressourcen für eine konfrontative Betonung von Eigenständigkeit dürften auf beiden Seiten gering gewesen sein.

(7) Die Überlieferung ist für Grafschaft bzw. Amt und Stadt nicht nur sehr dicht, sondern konzentriert sich trotz der herrschaftlichen Dynamik auf zwei Bestände im Landesarchiv Sachsen-Anhalt: Rep. A 31a wurde 1820 gebildet und nahm bereits einen Teil der aufgrund der nach dem Wiener Kongress erfolgten Ablieferung aus den kursächsischen Zentralbehörden nach Magdeburg gelangten Akten auf (dort Nr. 605: Informationen zur Huldigung). Rep. A 31a I folgte 1901 als Bestand primär kursächsischer Barbiana nach. Hinzufügen ließen sich Copiare und Lehnsregister sowie die Akten des B.’schen Konsistoriums (Rep. A 31a II). – Schwineköper, Berent: Gesamtübersicht über die Bestände des Landeshauptarchivs Magdeburg, Bd. 2, Halle 1955.

Besonders die umfangreichen Klassifikationsgruppen zur Stadt, zu herrschaftlichen Gebäuden und zum Bauwesen, zu Kirchen- und Religionsangelegenheiten sowie zu Barbyschen Familien- und Haussachen dürften für die Erforschung des Verhältnisses von Stadt und Hof einträglich sein. Die Kirchenbücher sind im Archiv der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland in Magdeburg einzusehen. Reich an Quellenabdrucken ist die ansonsten mit Vorsicht zu verwendende »Chronik« von Höse 1913 (unter 8). Über vormoderne Stadtchroniken ist nichts bekannt; jüngere Darstellungen finden sich gebündelt bei Engelmann (unter 8).

(8)Höse, Karl: Chronik der Stadt und Grafschaft Barby, Barby 1913. – Kretzschmar, Hellmuth: Zur Geschichte der sächsischen Sekundogeniturfürstentümer, in: Sachsen und Anhalt 1 (1925) S. 312–343. – Schwineköper, Berent: Art. „Barby“, in: Handbuch der Historischen Stätten, Bd. 11: Provinz Sachsen-Anhalt (1987), S. 31–33. – Dehio, Kunstdenkmäler: Sachsen I (1996). – Barocke Fürstenresidenzen an Saale, Unstrut und Elster (Ausstellungskatalog), hg. Museumsverbund Die fünf Ungleichen e. V., Petersberg 2007. – Die Stadt und Grafschaft Barby in alten Chroniken, hg. von Dieter Engelmann, Oschersleben 2010. – Straube, Manfred: Das Sekundogeniturfürstentum Sachsen-Weißenfels 1663/64. Territorium und Bevölkerung, in: Sachsen und seine Sekundogenituren. Die Nebenlinien Weißenfels, Merseburg und Zeitz (1657–1746), hg. von Martina Schattkowsky und Manfred Wilde, Leipzig 2010, S. 113–182. – Brademann, Jan: Art. „Barby und Mühlingen, Grafen von“, in: Höfe und Residenzen IV,1 (2012), S. 153–166.

Jan Brademann