Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Stolberg (Harz)

Stolberg (Harz)

(1) S. – im Spätmittelalter durchgehend Stalberg – befindet sich im südöstlichen Teil des Harzes an einer Stelle, an der aus drei Gebirgsbächen die Thyra entsteht, die nach 18 km in die Helme mündet, einem der in der Goldenen Aue befindlichen Zuflüsse der Unstrut. S. liegt ca. 15 km nordöstlich von Nordhausen und 35 km nordwestlich von Sangerhausen. Vermutlich entstand der Ort im Hochmittelalter zusammen mit dem Bergbau im Harz. Nach Burg und Ort S. benannten sich um 1200 bzw. im Laufe des 13. Jahrhunderts die Grafen von S., deren genaue familiäre Herkunft nicht geklärt ist. S. wurde Hauptsitz der Grafen und blieb dieses auch nach Erwerb der im Nordharz gelegenen Grafschaft Wernigerode 1429. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts kam es immer wieder zur Bildung von Nebenlinien, doch blieben diese nur kurzfristig bestehen. Bleibend war die 1645 vollzogene Trennung in eine S.-Wernigeroder und eine S.-S.er Linie, für die S. Hauptsitz bis 1945 blieb.

(2, 5) Aufgrund seiner Lage musste der klein bleibende Ort, der nur aus drei Straßen bestand (Eselgasse, Niedergasse, Neustadt), nicht befestigt werden, nur die Taleingänge wurden mit Toren verschlossen (einzig erhalten das Rittertor). Vor 1300 verliehen die Grafen Stadtrechte, deren genauer Umfang nicht bekannt ist. Auf Bitten des Rats erließ der Graf 1451 eine knappe Ratsordnung, in der zwischen dem sitzenden und dem gemeinen Rat unterschieden wird; als Versammlungsort der Gemeinde wird das Kaufhaus vorgeschrieben. Im 15. Jahrhundert werden mehrmals gräfliche Vögte als Vertreter des Stadtherrn erwähnt. Wirtschaftliche Grundlage waren der Bergbau und die Weiterverarbeitung der gewonnenen Metalle durch das Saigern, das einige Familien zu Wohlstand führte; mehrmals wird im 15. Jahrhundert das Handwerk der Stahlschmiede erwähnt, über deren mangelhafte Produkte sich 1455 die Stadt Lübeck beschwerte. 1473 erscheint die Schneider-Innung, 1479 die Wollweber-Innung, 1493 die der Semmelbäcker. Auch wenn 1490 fremde Schneider auf dem S.er Freimarkt erwähnt werden, so wuchs der kleinen Stadt doch keine größere Bedeutung für das Umland zu, sie erlangte (abgesehen von herrschaftlichen Institutionen wie dem Konsistorium) keinerlei zentrale Funktionen. Im 15. Jahrhundert ist ein aus vier Ratsherren belegter Rat belegt, eine jede der drei Straßen bildete eine Gassen-Organisation, der ein Gassenmeister und ein Gassenältester vorstanden. Für das Jahr 1450 werden 317 schoßzahlende Personen verzeichnet, was auf etwa 1500 Einwohner schließen lässt. 1438 kam es zu einem Aufstand von Teilen der Bürgerschaft gegen den Rat. Anlass war eine neue Brauverordnung und die (vermutete) Veruntreuung von Beute nach einer Fehde gegen den Bischof von Halberstadt. Die von den Aufrührern vor dem Grafen geäußerte Klage wurde von diesem abgewiesen, woraufhin es zu einem Gewaltausbruch gegen den Rat kam. S. dürfte von der zunehmenden Bedeutung des (mit 1428 erteilter Zustimmung des Ldgf.en von Thüringen erfolgenden) Silber- und Kupferbergbaus im 15./16. Jahrhundert profitiert haben; 1446 hatten der Graf, der Rat, die Pfarrkirche und S.er Bürger Anteile am Bergwerk Zum Drachen. 1431 wurden zwei aus Freiberg stammende Kaufleute von den Thüringer Ldgf.en und den Grafen von S. als Münzmeister angestellt und erhielten einen Freihof in der Stadt. Bezeichnend ist, dass es 1418 ein Bündnis mit der Stadt Wernigerode gab, wo 1429 infolge einer Erbverbrüderung die S.er Grafen nachfolgten.

(3) Hauptkirche war St. Martini, deren Patronat bei den Grafen lag. Sie fungierte zudem als gräfliche Grablege, für die eine Kapelle angebaut wurde, seit 1433 ist die Herrenkapelle nachzuweisen. Seit dem 14. Jahrhundert erhielt die Kirche immer wieder gräfliche Stiftungen. 1436 wird die Pfarrkirche allen 14 in S. tätigen Vikaren übergeordnet. 1477–1482 wurde die von Graf Heinrich d. Ä. (1433–1511) gestiftete Marienkapelle über einem Beinhaus auf der Nordseite der Pfarrkirche errichtet. Der an St. Martini wirkende Kaplan war im Spätmittelalter zugleich Kanzler der Grafen, andere Geistliche waren als Schreiber tätig. 1459 werden an der Pfarrkirche Schulkinder erwähnt, es dürfte folglich eine Schule gegeben haben. Die Burgkapelle wurde 1324 aus dem Pfarrverband von St. Martini herausgelöst. Das St. Georgs-Hospital verfügte über eine Georgskapelle, die 1333 zum ersten Mal erwähnt wurde. In der frühen Neuzeit fungierte das Hospital zur Versorgung von Alten. Das Nordhäuser Augustinerkloster unterhielt einen Hof in S., die Nordhäuser Dominikaner eine Terminei (1445 war der Terminar Beichtvater des Gf.en).

Erster lutherischer Pfarrer wurde der aus S. stammende Tilmann Plat(h)ner, der 1521 vom Kirchenpatron Graf Botho (1467–1538) als Priester eingesetzt wurde und anschließend die Gf.ensöhne Wolfgang (1501–1551) und Ludwig (1505–1574) an die Wittenberger Universität begleitete; 1521 wurde Wolfgang Ehrenrektor der Universität, Tilman Plat(h)ner Vizerektor. Aus Rücksicht auf seine katholisch verbliebenen Lehnsherren, den Markgrafen von Brandenburg und den Hzg.en von Sachsen, verblieb Graf Botho in der Konfessionsfrage abwartend, weswegen die Reformation erst 1539 von seinem Sohn Wolfgang eingeführt wurde, auch wenn 1522 und 1525 Luther in S. predigte. Nach 1539 wurde in S. das Konsistorium eingerichtet, das auch für die Grafschaft S.-Wernigerode zuständig war, bis diese 1645 abgetrennt wurde. Bedeutender Superintendent und Hofprediger war Georg Aemilius (1517–1569), der von 1553 bis zu seinem Tod in S. wirkte. Der S.er Prediger und gräfliche Konsistorialrat Johann Arnold Zeitfuchs (1671–1742) war an der von Gf.in Sophie Eleonore (1669–1745) betriebenen Sammlung von Leichenpredigten maßgeblich beteiligt.

(4) Dominiert wurde S. durch die auf einem Bergsporn zwischen zweien der drei Gebirgsbächen errichtete Burg, die in ihrem Kern vermutlich auf das frühe 12. Jahrhundert zurückgeht. Die Burgkapelle St. Johannes Evangelist wird 1316 zuerst genannt, 1324 zur eigenen Pfarre erhoben, 1357 erfolgte ein Neubau. Umfassende Umbauten der Burg sind für das 15. und 16. Jahrhundert belegt, aus dem 15. Jahrhundert stammen die ältesten noch erhaltene Teile. Zwischen 1690 und 1720 erfolgte der barocke Umbau zu der heute noch stehenden Vierflügelanlage mit ihrem der Stadt zugewandten Rundturm (ein zweiter Rundturm wurde abgetragen).

Unterhalb der Pfarrkirche wurde 1455 das Rathaus erbaut (1482 erweitert), das als Besonderheit eine außenliegende Treppe zum Obergeschoss hat, die zugleich zur St. Martini-Kirche führt. Gegenüber dem Rathaus steht der zu einer Schmelzhütte gehörende sog. Saigerturm, dessen älteste Teile in das 13. Jahrhundert zurückreichen. 1452 wurde vom Rat ein neues Kaufhaus errichtet. Der Stadtraum, vor allem der Marktplatz, gelegentlich auch das Rathaus bzw. das Kaufhaus, wurde vom Hof für Festlichkeiten genutzt, insbesondere für die beiden im Zusammenhang mit der Fastnacht abgehaltenen Turniere 1456 (von Graf Heinrich d. Ä.) und 1500 (von Graf Botho III.), wobei das letztere einen weitreichenden Teilnehmerkreis auch von fsl.en Höfen kannte (1432 hielten die S.er Grafen ein Turnier in der Reichsstadt Nordhausen ab). S. kennt ein geschlossenes, von Fachwerkhäusern geprägtes altes Stadtbild. Ausdruck des auf dem Bergbau ruhenden Wohlstands des 15./16. Jahrhunderts ist die Alte Münze, ein 1534/35 vom Bürger und gfl.en Münzmeister Kilian Keßler errichtetes, reich verziertes Fachwerkhaus, in dem zu Mitte des 19. Jahrhunderts das Konsistorium und die Regierung untergebracht wurde.

(6) Aufgrund der Kleinheit der Verhältnisse verwundert es nicht, dass die Beziehungen zwischen Stadt und Gf.enhof eng waren. Immer wieder stammten namentlich bekannte Hofamtsträger aus der S.er Oberschicht (so in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die gfl.en Kanzler), vor oder nach ihrer Dienstzeit bei Hofe fungierten sie als städtische Ratsherren. An der Spitze der Verwaltung der überschuldeten Grafschaft stand seit 1491 nicht mehr der Kanzler, sondern Rentmeister, die für eine wirtschaftliche Konsolidierung sorgten. Überdies war die Stadt zu Kreditbürgschaften zugunsten des bzw. zu Geldzahlungen an den Stadtherrn verpflichtet sowie zur Heeresfolge. Der Stadtrat bezuschusste die beiden Turniere. 1455 hinterlegte Graf Botho beim Rat ein (Teil-)Testament mit Bestimmungen zu den Beisetzungsfeierlichkeiten, 1461 bestimmte der Graf neben mehreren Adligen den Rat als Testamentsvollstrecker. Wenn der Hof auch Produkte des täglichen Bedarfs auf dem städtischen Markt erwarb und Handwerker für den Hof arbeiteten, so kam es doch nicht zur Ausbildung von Luxusgewerben. Höherwertige Produkte, selbst Stiefel, mussten in der Ferne erworben werden, in erster Linie in der eine Tagesreise weit entfernten Reichsstadt Nordhausen, sodann auf den Messen in Leipzig und Frankfurt am Main. In S. wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt (1489?) der Reformator Thomas Müntzer geboren.

(7) Das Stadtarchiv befindet sich heute im Stadtmuseum Alte Münze. Es ist nur nach vorheriger Anmeldung zu benutzen. Hervorzuheben sind die Ratsrechnungen des 15. Jahrhunderts (Sign. A 1–22). Im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Außenstelle Wernigerode, finden sich überdies Ratsrechnungen 1456–1509 (Rep. H Stolberg-Stolberg, F II, Nr. 1 und Nr. 2). Die gräflichen Renteirechnungen sind ab 1491 überliefert und befinden sich in Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Außenstelle Wernigerode, Rep. H Stolberg-Wernigerode, F I, Nr. I. Die bis ins frühe 19. Jahrhundert erweiterte Leichenpredigtsammlung findet sich seit 1977 als Depositum in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Nr. 3159, 7826), siehe Katalog der Leichenpredigten der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel 22008. Ältere kirchliche Bestände befinden sich im Pfarreiarchiv der Stadtkirche St. Martini.

Die ältere Stadtgeschichte stammt von Zeitfuchs, Johann Arnold: Stolbergische Kirchen- und Stadthistorie, Frankfurt a. M./Leipzig 1711 (ND Auleben 2003, mit Vorwort von Monika Lücke). – Regesta Stolbergica, Quellensammlung zur Geschichte der Grafen zu Stolberg im Mittelalter, bearb. von Botho Grafen zu Stolberg-Wernigerode, neu bearb., vermehrt […], hg. von Georg Adalbert von Mülverstedt, Magdeburg 1885.

(8)Lücke, Monika, Brückner, Jörg: Das Kirchenregiment der Grafen zu Stolberg und die Anfänge der Konsistorien in den stolbergischen Harzgrafschaften im 16. Jahrhundert, in: Evangelische Landeskirchen der Harzterritorien in der frühen Neuzeit. Tagung des Arbeitskreises Kirchengeschichte des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 15. September 2001 im Kloster Drübeck bei Ilsenburg, Berlin 2003 (Harz-Forschungen, 15), S. 39–58. – Czech, Vinzenz: Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der frühen Neuzeit, Berlin 2003 (Schriften zur Residenzkultur, 2). – Brückner, Jörg: Zwischen Reichsstandschaft und Standesherrschaft. Die Grafen zu Stolberg und ihr Verhältnis zu den Landgrafen von Thüringen und späteren Herzögen, Kurfürsten bzw. Königen von Sachsen (1210 bis 1815), Phil. Diss. masch. Chemnitz 2005. – Höh, Marc von der: Stadt und Grafenhof in Stolberg/Harz im 15. Jahrhundert, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Werner Paravicini und Jörg Wettlaufer, Ostfildern 2006 (Residenzenforschung, 20), S. 487–511. – Höh, Marc von der: Art. „Stolberg“, in: Höfe und Residenzen IV,2 (2012), S. 1469–1473. – Hennrich, Claudia-Christina: Zur baugeschichtlichen Entwicklung des Schlosses Stolberg im Harz, in: Historische Bauforschung in Sachsen-Anhalt 2 (2013) S. 148–178. – Lücke, Monika: Zwei Stolberger Rathäuser, in: Jahrbuch für Hausforschung 57 (2010 [Thema: Bauforschung in Quedlinburg und der Harzregion]) S. 197–212.

Harm von Seggern