Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Sondershausen

Sondershausen

(1) S. liegt in Nordthüringen südlich des Kyffhäusers im Wippertal zwischen den Höhenzügen Hain- und Windleite. »Fürstliche« Gräber aus der Merowingerzeit in unmittelbarer Nähe der späteren Stadt belegen die Besiedlung im 7./8. Jahrhundert Die vermutlich im 8. Jahrhundert als fränkische Gründung entstandene Siedlung findet 1125 als Sitz von Ministerialen des Mainzer Ebf.s erstmals urkundliche Erwähnung. Ab 1211 sind Ministerialen des Thüringer Ldgf.en nachweisbar. Spätestens seit 1295 besaßen die Grafen von Honstein S.; 1356 gelangte S. durch Erbschaft an die Grafen von Schwarzburg (bis 1918). Stark an Bedeutung gewann S. unter Graf Günther XL. (1525–1552), der seit 1537 alle schwarzburgischen Territorien (mit Ausnahme der kleinen Herrschaft Leutenberg) vereinigte. Im Rahmen der Erbteilungen von 1572/99 wurde S. Residenz der 1697 gefürsteten Linie Schwarzburg-S. Vor allem unter den Fürsten Christian Wilhelm (1672–1721), Günther I. (1720–40) und Christian Günther (1758–94) kam zu einer markanten Entfaltung höfischen Lebens. Der S.er Hof orientierte sich aufgrund seiner Lage in Nordthüringen, der gegebenen Lehnsabhängigkeit von Kursachen und Sachsen-Weimar, je nach historischer Konstellation und persönlicher Vorliebe der Regenten, an den Höfen zu Dresden, den ernestinischen Höfen und/oder Braunschweig. Im 19. Jahrhundert , Zeiten einer Anlehnung an Preußen, erlangte S. als Kulturstandort Bekanntheit (Hofkapelle, Hoftheater). Nach Absterben der Linie Schwarzburg-S. kam S. 1909 an den Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt (gemäß Erbfolgevertrags 1713), der bis 1918 beide schwarzburgischen Territorien in Personalunion regierte. Da Schwarzburg-S. aus zwei getrennten Territorien (Ober- und Unterherrschaft) bestand, war S. zwar Hauptresidenz der Grafschaft bzw. des Fsm.s, als Zentralort aber nur für die Unterherrschaft relevant, während Arnstadt diese Funktion für die Oberherrschaft zufiel. S. war Sitz von Kanzlei (später Regierung, Geheimes Consilium, Geheimratskollegium), Kammer und Konsistorium; parallel dazu existierten für die »Oberherrschaft« Kanzlei, Regierung, Kammer und Konsistorium in Arnstadt. Wittumssitze wurden außerhalb von Sondershausen etabliert, Residenzen apanagierter Söhne im 18. Jahrhundert teils ebenfalls außerhalb, teils in der Stadt.

(2) Da beim Brand von 1621 das Stadtarchiv weitgehend zerstört wurde, lassen sich zur älteren Geschichte S.s nur rudimentäre Aussagen machen. Bezeichnungen als allodium (1287) oder als oppidum (1304) belegen den rechtlichen Status und lassen auf eine Ausformung innerstädtischer Strukturen im späten 13., frühen 14. Jahrhundert schließen. Hierzu passt, dass das älteste erhaltene Stadtsiegel von 1341 datiert. Im 14. Jahrhundert gab es eine Stadterweiterung, die auf eine gewisse wirtschaftliche Dynamik schließen lässt. Die Einwohnerzahl belief sich 1817 auf 3119. Ältere Angaben resultieren nur aus Hochrechnungen kirchlicher Amtsvorgänge. Die Pest (1611 416 Tote) und der Dreißigjährige Krieg brachten tiefe Einschnitte in die Bevölkerungsentwicklung mit sich.

Bedeutendstes Dokument der älteren Rechtsgeschichte sind die Statuten von 1555, denen zu Folge jährlich zwei Bürgermeister, zwei Kämmerer und vier Viertelsmeister gewählt wurden. Es gab zwei »Mittel«, ein regierendes und ein ruhendes. Vom Rat eingesetzt wurden eine ganze Reihe von Amtsträgern, von denen nur der Stadtschreiber (Syndikus) und der Schulmeister sowie der Mädchenschulmeister genannt seien. Ehrenamtlich tätig waren zwei Marktmeister und die Vorsteher der Hospitäler St. Spiritus und St. Crucis.

In wirtschaftlicher Hinsicht prägten die üblichen Gewerbe der Nahrungsmittelbereitung, Kleidungsverarbeitung und des Bauwesens die Handwerkerschaft. Die Baugewerke waren so gut entwickelt, dass sie höfischen Ansprüchen genügten. Architekten und Spezialhandwerker wie Stuckateure wurden nur nach Bedarf und bei größeren Bauvorhaben des Hofs und auch dann nur zeitweise aus der Fremde engagiert, während in der Regel einheimische Werkmeister tätig waren. Mitunter ließen sich die Fremden aber auch – wie im 18. Jahrhundert die Hofuhrmacher Graupner sen. und jun. aus Meißen – in S. nieder. Inwieweit Künstler als Hofmaler und Hofbildhauer nach S. bestellt wurden, hing von den Ambitionen des jeweiligen Fürsten ab. Aufgrund der Überschaubarkeit der Verhältnisse wirkte dasselbe spezialisierte Personal bei Hofe und – soweit erforderlich – in der Stadt. Seit 1686 war ein Hofbuchdrucker ansässig, der eine Vielzahl kausallyrischer Texte für die Hofgesellschaft publizierte. Von 1732 datiert der älteste überlieferte S.er Kalender. 1796 erschien das erste »Wochenblatt«, das sich zum »Regierungs- und Intelligenzblatt« entwickelte.

(3) Die Stadt verfügte über zwei Kirchen: St. Trinitatis (Vorgängerbau St. Andreas) am südöstlichen Ende des ursprünglichen Siedlungskerns und St. Crucis als Kirche der östlichen Stadterweiterung des 14. Jahrhunderts (Ruine, moderne Instandsetzung). St. Andreas (mit herrschaftlicher Grablege) wird erstmals 1344 erwähnt, als bei dieser Kirche die letztlich unterbliebene Gründung eines Zisterzienserinnenklosters geplant war. Beim Stadtbrand 1482 wurde sie stark beschädigt, sodann bis 1490 instandgesetzt, 1608 abgerissen und bis 1620 durch den Neubau St. Trinitatis ersetzt. Beim Stadtbrand 1621 zerstört, erfolgte der Wiederaufbau phasenweise von den 1650er Jahren bis 1691. Die fürstliche Grablege befand sich im Vorgängerbau St. Andreas in einer gesonderten Kapelle, in der Trinitatiskirche unter dem Altarraum, bis das 1890/91 als Chorscheitelkapelle errichtete »Mausoleum« diese Funktion übernahm. Südöstlich von St. Trinitatis wurde 1578 jenseits der Stadtmauer ein Gottesacker angelegt.

St. Crucis (Baubeginn 1392) wurde im 17. Jahrhundert anstelle der abgebrannten Stadtkirche verstärkt genutzt. An der Kirche befand sich das Hospital St. Crucis (1358 als Siechenhaus erwähnt), das 1729/30 durch ein Waisenhauses ersetzt wurden, und 1766 in eine Besserungsanstalt umgewandelt wurde.

Die Grafen von Schwarzburg gehörten zu den frühsten Förderern der Reformation. Ein Bildnis von »Martin Luther auf dem Totenbett« (erstmals 1620 in St. Trinitatis nachweisbar) wird mit der engen Bindung der Schwarzburger an den Reformator in Verbindung gebracht. Die Bevölkerung war seit der Reformation weitestgehend evangelisch. Städtische Geistliche sorgten dafür, dass der des Calvinismus verdächtige Kanzler Salomon Plathner (1546–1604) ausgewiesen wurde.

Im 13. Jahrhundert lebten Juden in der Stadt (Ausgrabung einer Mikwe), 1349 wurden sie vertrieben. Im späten 17. Jahrhundert siedelten sich erneut Juden an, 1699 wurde Gelände für einen jüdischen Friedhof erworben. Im 18. Jahrhundert traten jüdische Geschäftsleute auch als Finanziers des Hofes auf.

Erstmals erwähnt wird eine Schule 1501. Auf die Einrichtung eines allgemeinen Schulwesens, das sich an der sächsischen Schulordnung von 1543 orientierte, nahm Gf.in Elisabeth (1508–1572) starken Einfluss; sie trug auch entscheidend zur Förderung der Kirchenbibliothek bei. Erst 1829 entstand ein Gymnasium. Für die Heranbildung des Personals an Beamten, Geistlichen und Lehrern wurden die Universitäten in Jena und Leipzig in Anspruch genommen. Der Hof vergab Stipendien, vornehmlich an Söhne des Verwaltungs-, Hof-, Kirchen- und Schulpersonals.

(4) Das Schloss, gelegen am östlichen Ende einer Landzunge anstelle einer Burg, dominiert durch Lage und Dimension die Stadt. Als unregelmäßige Vierflügelanlage mit Bausubstanz des 13.–19. Jahrhunderts bildet es zusammen mit Nebengebäuden und Park eines der großen Residenzschlösser Thüringens.

Südlich des Schlossberges und des herrschaftlichen Vorwerks und südwestlich zur Stadtkirche hin liegt die »Mittelstadt« (unregelmäßiges Viereck mit Marktplatz und sechs Straßen). Östlich davon entstand als Stadterweiterung des späten 14. Jahrhunderts die »Unter- oder Neustadt« mit St. Crucis, später im Westen die »Oberstadt«. Das Straßennetz beschränkte sich im Wesentlichen auf Hauptstraße und Lange Straße, die das Stadtgebiet annähernd parallel zueinander von West nach Ost durchzogen, und den zwischen beiden verlaufenden Querstraßen.

Der Marktplatz liegt direkt unterhalb des Schlosses. Er wird beherrscht durch das Ensemble von Schlossterrasse, Schlosswache und Schlosstreppe an der Westseite, 1837–1839 anstelle einer barocken Anlage geschaffen, und das als Doppelpalais konzipierte Prinzenpalais an der Nordseite (gebaut in den 1720er Jahren anstelle des Marstalls). Dem steht das vergleichsweise bescheidene Rathaus an der Ostseite (errichtet 1568–70, beim Stadtbrand 1621 zerstört, wieder aufgebaut, 1856 klassizistisch überformt) gegenüber. Im nordöstlichen Bereich des Marktes befanden sich mehrere Gasthöfe. Südlich des Schlossberges und Marktes führt die Hauptstraße, das herrschaftliche Vorwerk bogenförmig umgehend, entlang. In unmittelbarer Nähe des Rathauses befindet sich in der Burgstraße das »Kanzlerhaus« (»Blödausches Haus«, Bau des 18. Jahrhunderts am alten Standort), über Jahrhunderte hinweg Wohnsitz der Kanzler.

Auf die südöstlich des Schlossberges gelegene Stadtkirche führt von Norden die Pfarrstraße zu (Superintendentur, Wohnungen für Kirchen- und Schulpersonal, Schulgebäude).

Im 14. und 15. Jahrhundert sind mehrere adlige Freihöfe nachweisbar, von denen zwei aufgrund der späteren Geschichte der Grundstücke bis heute fassbar sind. Auf dem Utzbergischen Hof (1377) wurde 1774 das Gottschalcksche Haus als freistehendes Stadtpalais (bedeutendster bürgerlicher Privatbau des 18./19. Jahrhunderts ) errichtet. Die Gottschalcks waren eine im Staats- und Hofdienst führende Juristenfamilie. Der Freihof vor der Burg (am Markt, 1446) wurde 1841 zur Posthalterei.

Die älteste überlieferte Ansicht ist ein Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä. (1650), die aussagekräftigste Darstellung ein Sondershausen-Prospekt von Johann Alexander Thiele (1736).

(5) Durch den Charakter S.s als kleiner Stadt mit starker Ausrichtung auf den Hof entstand keine nennenswerte Kommunikation mit anderen Städten über das Fürstentum hinaus, zumal die nahegelegenen Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen eine völlig andere politische Ausrichtung besaßen. Nähere Kontakte gab es allenfalls mit dem 17 km südlich gelegenen Greußen, der zweiten Stadt der Unterherrschaft, wohl auch zwischen S. und dem oberherrschaftlichen Arnstadt, hier jedoch eher im Kontakt zu den Behörden als zu dem Stadtrat, da das bedeutendere Arnstadt mit S. phasenweise um den Status der Hauptresidenz konkurrierte. Das nur 17 km östlich gelegene Frankenhausen, als Stadt ebenfalls bedeutender als S., gehörte hingegen zu Schwarzburg-Rudolstadt.

Für die Stadt Greußen und die umliegenden Dörfer war S. Amtssitz. In dem unmittelbar am Schlosspark gelegenen Dorf Stockhausen (im frühen 19. Jahrhundert ein Badeort) nahmen Hofbedienstete, sofern diese nicht in S. lebten, ihren Wohnsitz. 1381 erwarb S. das Dorf Schersen als Stadtgut.

(6) Aufgrund der bescheidenen Dimension der Stadt und ihrer unmittelbaren Anbindung an höfische Funktionen bestand eine weitgehende Abhängigkeit vom Landesherrn. Die Bürgerschaft und ihre Vertreter verstanden sich als dem Hof nachgeordnet und von ihm abhängig. Eine Schwäche der Stadt ergab sich zudem aus der Tatsache, dass der Landesherr mit Arnstadt, sofern dies nicht im Rahmen einer Erbteilung anderweitig vergeben war, über eine bedeutendere Stadt als Residenzstandort verfügte, wogegen sich S. behaupten musste. Eine S.er Identität resultierte im Wesentlichen aus der Abgrenzung schwarzburgischer gegen wettinische Territorien bzw. Identifikation, wodurch die ohnehin gegebene Einbindung in kleinräumige Verhältnisse noch verstärkt wurde. Jahrhundertealte dynastische Tradition, starke Abhängigkeit von der Herrschaft und geographische Abgelegenheit schlugen bei den Einwohnern mitunter in eine von Zusammengehörigkeit geprägte Identifikation um.

Während die Geschichte der Dynastie und des Staates Schwarzburg-S. unter bau-, kunst-, musik-, theater-, militärhistorischer und judaistischer Fragestellungen seit den 1980er Jahren erforscht wird, ist die S.er Stadtgeschichte, zu der noch immer die Anfang des 20. Jahrhunderts erschienene dreibändige Publikation von Lutze das meiste Material bietet, nur ungenügend erschlossen. Es fehlen vor allem Untersuchungen zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialgeschichte.

(7) Die älteren Bestände des Sondershauser Stadtarchivs sind aufgrund des Stadtbrandes 1621 vergleichsweise bescheiden. Von Bedeutung für die Erforschung des Verhältnisses von Hof und Stadt sind die Bestände des Thüringer Staatsarchivs Rudolstadt. Wichtige realienkundliche Quellen bietet des Schlossmuseum Sondershausen, in dem die Überlieferung der ehemals fürstlichen Sammlungen und die Bestände des Städtischen Museum zusammengeführt wurden. Im Schlossmuseum befindet sich auch der Bestand der ehemaligen fürstlichen Ministerialbibliothek (Schwarzburgica). Chronikalische Zeugnisse sind Sigismund Strophius († 1591), Matthäus Zimmermann († 1618), Joachim Manard (1593), Ludwig Friedemann Gerber (um 1770) zu verdanken. Das fürstliche Bauarchiv ist bis auf Einzelblätter nicht mehr nachweisbar. Städtische Häuserakten (Landratsamt) beziehen sich fast ausschließlich auf das späte 19. und das 20. Jahrhundert. Stadt- und Liegenschaftspläne sind erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts überliefert. – Böttger, Gottfried Konrad: Beschreibung der Hochfürstlichen Residenzstadt Sondershausen, Sondershausen 1798.

(8)Irmisch, Thilo: Beiträge zur Schwarzburgischen Heimatskunde, 2 Bde., Sondershausen 1905, 1906. – Lutze, Günther: Aus Sondershausens Vergangenheit, 3 Bde., Sondershausen 1905, 1909, 1919 (bisher ausführlichste Behandlung stadthistorischer Themen). – Lammert, Friedrich: Verfassungsgeschichte von Schwarzburg-Sondershausen, Bonn/Leipzig 1920. – Mitteilungen des Vereins für deutsche Geschichts- und Altertumskunde im ehemaligen Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen, Abteilung Unterherrschaft, H. 1–10, Sondershausen 1922–1940. – Eberhardt, Hans: Zur Geschichte des Stadt Sondershausen im Mittelalter, in: Rastloses Schaffen. Festschrift für Friedrich Lammert, Stuttgart 1954, S. 9–30. – Bärnighausen, Hendrik: Historische Bauten und Sehenswürdigkeiten in Sondershausen, Arnstadt 1990. – Sondershäuser Beiträge, Heft 1–16, Sondershausen 1990–2015 [wird fortgeführt]. – Bärnighausen, Hendrik: Die Stadtkirche St. Trinitatis in Sondershausen, Regensburg 1997. – 875 Jahre Sondershausen, hg. von der Stadt Sondershausen, Sondershausen 2000. – Bärnighausen, Hendrik: »Prospect der Fürstl: Schwarzb: Residens Schloß, und Stadt Sondershausen«. Johann Alexander Thieles Sondershausen-Prospekt von 1736 im topographischen Kontext, in: »Wie über die Natur die Kunst des Pinsels steigt«. Johann Alexander Thiele (1685–1752). Thüringer Prospekte und Landschafts-Inventionen, hg. vom Schlossmuseum Sondershausen, Weimar 2003, S. 137–145. – Juden in Schwarzburg, Bde. 1–2, hg. vom Schlossmuseum Sondershausen, Sondershausen/Dresden 2006.

Hendrik Bärnighausen