Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Schleusingen

Schleusingen

(1) S. liegt auf einem Höhenrücken 350–400 Meter über NN zwischen den beiden Flüssen Erle und Nahe, die unterhalb der Stadt zusammenfließen und nach einem Kilometer in die Schleuse, einen rechten Nebenfluss der Werra, münden. Das Gelände fällt nach Norden, Westen und Süden zu den beiden Flüssen steil ab. Hier tritt eine der wichtigsten Straßen aus dem Raum Nürnberg und Coburg in Richtung Erfurt/Leipzig in den Thüringer Wald ein, den sie bei Ilmenau wieder verlässt. Bei der urkundlichen Ersterwähnung war S. im Besitz der Grafen von Henneberg. Deren nur wenige Kilometer entfernt gelegenes, 1135 gegründetes Hauskloster Veßra dürfte bei S. ein Fischwehr (sclusa) angelegt haben, das für den Ort Namen gebend war.

Bei einer Erbteilung der Grafen von Henneberg 1274 wurde S. Sitz einer Linie, der 1310 durch König Heinrich VII. bestimmte fürstliche Vorrechte verliehen wurden. S. blieb bis zum Erlöschen des Gf.enhauses 1583 deren wichtigste Residenz, auch wenn die Verwaltung 1547 und in den 1570er Jahren zwei Mal kurzfristig nach (Unter-)Maßfeld verlegt wurde.

Nach dem Erlöschen des Gf.enhauses haben die Rechtsnachfolger (mehrere Linien aus dem Haus der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen) das Territorium zunächst nicht geteilt. S. blieb Sitz des Obersteuereinnehmers. Daneben wurde eine in Meiningen ansässige Regierung eingerichtet, zuständig für die allgemeine Verwaltung und die Justiz. 1660 wurde die Grafschaft Henneberg aufgeteilt, das Amt S. und weitere Teile fielen an Kursachsen bzw. dessen Nebenlinie Sachsen-Zeitz (erloschen 1718). Zwischen 1815 und 1945 gehörte der Kreis S. zu Preußen (Provinz Sachsen).

(2) Die Stadt schließt sich östlich an die Burg an, die die Spitze des Höhenrückens zwischen den beiden Flüssen einnimmt. Durch die Geographie war die bebaubare Fläche vorgegeben, unterhalb der Stadt und außerhalb von deren Mauern entstanden später Vorstädte, deren Bewohner zu einem großen Teil ebenfalls das Bürgerrecht besaßen.

Mit der Gründung von Kloster Veßra 1135, das bei der Gründung S.s beteiligt gewesen dürfte, beginnt in der Region der intensive Landesausbau. Daher dürfte S. weit älter als seine erste Nennung sein. 1235 ist S. als Sitz einer Pfarrei belegt, zugleich als Aufenthaltsort der aus dem Haus der Ldgf.en von Thüringen stammenden Ehefrau des Grafen in der landesherrlichen Burg. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte eine von den Landesherren geförderte Entwicklung zur Stadt eingesetzt haben. 1268 bestimmte Graf Berthold von Henneberg († 1284) Burg und Stadt S. zum Leibgeding seiner Ehefrau. Bei der Erbteilung mit seinen Brüdern 1274 fiel ihm S. zu, das er zu seiner bevorzugten Residenz machte. Sein gleichnamiger Sohn, eine bedeutende Figur der Reichspolitik, hat die Stadtentwicklung weiter vorangetrieben und S. zum Sitz der regionalen Verwaltung gemacht.

Bereits 1268 dürfte es eine Befestigung der Stadt gegeben haben. Das älteste Urbar 1360/66 erwähnt das obere Tor, woraus die Existenz mindestens eines weiteren Tores erschlossen werden kann. Die erste Nachricht über die komplette Stadtbefestigung stammt allerdings erst aus dem Jahr 1504, als die Bewachung einzelner Abschnitte auf Bürger verteilt wurde.

Die Landesherren ließen sich vor Ort durch Vögte bzw. Amtleute vertreten. Ein Vogt wird erstmals 1285 genannt, ein Amtmann, der einen Teil von dessen Aufgaben übernahm, im Jahr 1400. Der Vogt saß dem Stadtgericht vor; diese Funktion übernahm spätestens mit der Erneuerung der Statuten 1496 ein vom Grafen ernannter Stadtrichter. Daneben gab es ein in S. ansässiges, für die umliegenden Dörfer zuständiges Landgericht.

Ein Stadtsiegel ist erstmals 1299 belegt. Dies deutet auf Anfänge einer bürgerlichen Selbstverwaltung, über deren Struktur nichts bekannt ist. Eine formelle Stadtrechtsverleihung ist nicht belegt; 1316 wird S. in einer deutschsprachigen Urkunde als stat bezeichnet. Zwischen 1406 und 1415 erließ die Gf.enwitwe Mechtild, zu deren Wittum Burg und Stadt S. gehörten, Statuten, die 1496 erneuert wurden. 1415 sind Bürgermeister und Rat mit zwölf Mitgliedern belegt. Ein jüngeres, wohl bei Verleihung der Statuten angefertigtes Stadtsiegel zeigt das Wappen der Gf.in Mechtild.

Wenn die Höhe der laut Urbar von 1360/66 eingenommenen Gülte (75 Pfund Heller Bede) auf die Zahl der Einwohner schließen lässt, dann dürfte S. ungefähr so groß wie Schmalkalden (74 Pfund Heller) gewesen sein. Konkrete Zahlen liegen erst für 1535 vor: 147 Bürger und 38 Hausgenossen sowie 105 Bürger drei Hausgenossen in den Vorstädten; 1572 in der Stadt 143, in den Vorstädten 157 waffenfähige Männer, was eine Bevölkerung von 672 bzw. 738 Personen ergibt. Gelegentlich haben die Grafen an S.er Bürger wichtige Funktionen in ihrer Verwaltung übertragen: Mathes Semler (aus einer Nürnberger Familie, die die Saigerhütte bei S. besaß) war Amtmann zu Ilmenau; Georg Emes war Amtmann zu Ilmenau, später in S., sowie Münzmeister. Unter den Amtleuten, die in der Regel dem Adel entstammten, blieben diese Männer jedoch Ausnahmen.

Laut Urbar von 1360/66 wurde am Fest der Hl. Apostel Simon und Juda (28. Okt.) ein Jahrmarkt abgehalten, an dem Marktrecht galt. Die Grafen erhoben einen Marktzoll. Genannt werden in derselben Quelle auch umfangreiche Einkünfte in der Stadt, mehrere Mühlen, ein Spital und eine Badestube, es fehlen jedoch Angaben zur Struktur der Handwerke. Eine 1445 belegte Mühle an der Schleuse südlich der Stadt wurde 1518 in eine Papiermühle umgewandelt.

Die Lage an einer wichtigen Straße und vor allem die gesicherte Brennstoffversorgung aus dem Thüringer Wald dürfte dazu beigetragen haben, dass 1461 durch Nürnberger Bürger eine Saigerhütte angelegt wurde, die mit Unterbrechungen über das gesamte 16. Jahrhundert betrieben wurde. 1508 erhielt ein Bürger die Genehmigung für den Bau eines Kupferhammers.

(3) Ein Pfarrer zu S. wird bereits 1235 erwähnt. Seine Pfarrkirche befand sich in unmittelbarer Nähe des Schlosses. Deren Patronat schenkte Graf Berthold VII. 1291 dem Johanniterorden, was die Grundlage für die am Ort entstehende Johanniterkommende war. Am heutigen Standort soll zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein Neubau errichtet worden sein, der 1307 geweiht worden sein soll. Nach 1485 wurde die Pfarrkirche umgebaut (Neuweihe 1498). Die 1318 erstmals erwähnte Ägidienkapelle wurde in die Pfarrkirche einbezogen. Hierhin wurden 1566 die Grabsteine der landesherrlichen Familie aus dem aufgehobenen Hauskloster Veßra transferiert.

Seit etwa 1460 gab es eine Fronleichnamsbruderschaft, deren Mitglieder nur zu einem kleinen Teil, jedoch sowohl Bürger als auch Angehörige des gfl.en Hofes umfassend, bekannt sind. Ab 1316 betrieb Graf Berthold VII. die Gründung eines Kanonikerstiftes, das vor allem der Unterbringung seines Kanzleipersonals dienen sollte. Er scheiterte allerdings am Widerstand des Johanniterordens. Das Stift wurde schließlich in Schmalkalden errichtet.

Im ältesten Urbar der Grafschaft Henneberg (angelegt 1360–1366) wird u. a. eine Spitalmühle genannt, woraus sich die Existenz eines Spitals zu dieser Zeit erschließen lässt; noch 1577 bestand es. 1423 wird ein »neues Spital« in St. Kilian bei S. (ein Kilometer nördlich) erwähnt.

Gf. Wilhelm III. von Henneberg hatte sich seit 1476 um die Gründung eines Franziskanerklosters bemüht, jedoch konnte erst sein Sohn Wilhelm IV. 1502 einen observanten Konvent ansiedeln. Nach Einführung der Reformation wurden die Mönche 1545 vertrieben. In den Gebäuden richtete Graf Georg Ernst eine Lateinschule ein, die 1577 zum Gymnasium erhoben wurde. Dieses hat die Gebäude bis zur Errichtung eines Neubaus 1868 genutzt.

Die Gf.in Mechtild († 1425), zu deren Wittum S. gehörte, hat am Ort Juden aus Bingen am Rhein und aus Stadtlauringen (Kreis Hassberge, Unterfranken) die Niederlassung erlaubt. Seit dieser Zeit gibt es immer wieder Belege für die Anwesenheit von Juden am Ort. Deren bedeutendster war zweifellos der auch als Arzt tätige Jakob von Schleusingen, zeitweise Besitzer eines Gießwerks mit Hammer und der S.er Papiermühle. An ihn hatten die übrigen in der Grafschaft ansässigen Juden ihr Schutzgeld abzuliefern; Jakob haftete gegenüber dem Grafen für diese Summen. Nach 1555 wurde er mit den übrigen Juden aus der Grafschaft vertrieben (später in Friedberg in der Wetterau belegt).

(4) Die Lage auf einem Bergsporn hat die Möglichkeiten zur Gestaltung des Stadtraumes stark eingeschränkt. Die Stadt war baulich auf die Bertholdsburg ausgerichtet. Unmittelbar vor der Burg lag die Pfarrkirche, in die 1566 die Grabdenkmäler der Grafen aus dem aufgelösten Hauskloster Veßra gebracht wurden, die bis heute zu den herausragenden Kunstwerken am Ort gehören. Nahe dabei lag (und liegt) der Marktplatz mit weiteren repräsentativen Gebäuden.

Eine Zeichnung vom Anfang des 18. Jahrhunderts , die aber die Situation bis 1583 gut wiedergeben dürfte, befindet sich im ungedruckt gebliebenen Werk von Christian Juncker, Ehre der gefürsteten Grafschaft Henneberg (LATh-StAM, Hennebergica aus Gotha, Akten Nr. 364 Bl. 62; weitere Exemplare in anderen Archiven und Bibliotheken; Abbildung bei Bergner 1901 S. 180).

(5) Bei S. trat die aus dem Raum Nürnberg/Coburg nach Erfurt und weiter nach Leipzig führende Straße in den nahezu siedlungsleeren Thüringer Wald ein. Die Burg in S. diente zweifellos zur Kontrolle dieser Straße. Für den über den Wald führenden Verkehr bestand in S. eine letzte Möglichkeit zu Versorgung, Unterkunft und Pflege der Fahrzeuge. Daneben war S. seit dem 13. Jahrhundert Residenz und Sitz des für die nähere Umgebung (im Vorland des Waldes) zuständigen Amtes S. Hof und Verwaltung haben deshalb – neben den für die Versorgung des Hofes, der Bevölkerung und der Durchreisenden tätigen Handwerken und Gewerben – stets den Charakter der Stadt dominiert. In den Landständen der Grafschaft, deren Entstehung (1539) in einem engen Zusammenhang mit der Überschuldung des Grafen stand, war S. mit den fünf übrigen Städten (Ilmenau, Suhl, Themar und Wasungen, ab 1542 auch Meiningen) von Anfang an vertreten.

(6) Entstehung und Entwicklung S.s sind eng mit den Grafen von Henneberg verbunden, die den Ort im 13. Jahrhundert zur Residenz machten. Ein Teil der Häuser und Höfe der Stadt war Zubehör von Burglehen; sie dürften von den Inhabern, durchweg Niederadligen, an ortsansässige Bürger zur Nutzung überlassen worden sein. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung war vom gfl.en Hof wirtschaftlich abhängig.

Spannungen zwischen der Stadt und der Residenz bzw. dem Landesherren scheint es lediglich im Bauernkrieg 1525 gegeben zu haben. Sowohl die Stadt als auch zahlreiche Dörfer im Amt S. legten Beschwerden vor. Georg Schenk, vormaliger Bürgermeister, der sich offenbar besonders stark engagiert hatte, wurde nach dem Ende des Bauernkriegs zum Verkauf seines Besitzes und zum Verlassen der Grafschaft gezwungen.

(7) Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Meiningen [LATh-StAM], Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv [GHA], Urkunden, Akten, Sektion III; Hennebergica aus Gotha, Urkunden / Akten; Hennebergica aus Magdeburg, Akten; Nachlass Dr. Hermann Wahle aus Weimar: Druckfahnen eines Aufsatzes zur Stadtgeschichte Schleusingens (1937). – Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Magdeburg, Rep U 19 und Rep. A 33.

Spangenberg, Cyriacus: Der uralten löblichen Graven und Fürsten zu Henneberg Genealogia, Stammenbaum und Historia, Straßburg 1599. – Schultes, Johann Adolph: Diplomatische Geschichte des Gräflichen Hauses Henneberg, 2 Bde., Leipzig 1788 / Hildburghausen 1792 (ND Neustadt an der Aisch 1994). – Schultes, Johann Adolph, Historisch-Statistische Beschreibung der gefürsteten Grafschaft Henneberg, 2 Bde., Hildburghausen 1794/1804 (ND Neustadt an der Aisch 1999).

Hennebergisches Urkundenbuch (1842–1877). – Regesta Thuringiae, hg. Dobenecker (1896–1939). – Die ältesten Lehnsbücher der Grafen von Henneberg, bearb. von Johannes Mötsch und Katharina Witter, Weimar 1996 (Veröffentlichungen aus thüringischen Staatsarchiven, 2). – Mötsch, Johannes: Das Urbar der Grafschaft Henneberg-Schleusingen von 1360/66 mit Fragmenten des Urbars von 1340/47, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 17 (2002) S. 97–126.

(8)Gessner, Theodor: Geschichte der Stadt Schleusingen, Schleusingen 1861. – Bergner, Heinrich: Beschreibende Darrstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Ziegenrück und Schleusingen, Halle 1901 (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, 12), S. 180–211. – Lorentzen, Theodor: Ursprung und Anfänge der Stadt Schleusingen, Meiningen 1932. – Mauersberg, Hans: Besiedlung und Bevölkerung des ehemals hennebergischen Amtes Schleusingen, Würzburg 1938. – Lorentzen, Theodor: Die Papiermacherei in der vormaligen Grafschaft Henneberg, o. O. 1940 (Aus der Praxis des Papiermachers, 4), S. 127–156. – Deutsches Städtebuch, Bd. 2: Mitteldeutschland (1941), S. 669–671. – Zickgraf, Eilhard: Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen. Geschichte des Territoriums und seiner Organisation, Marburg 1944 (Schriften des Instituts für geschichtliche Landeskunde von Hessen und Nassau, 22). – Handbuch der Historischen Stätten, Bd. 9: Thüringen (1968), S. 382–385. – Wölfing, Günther: Geschichte des Henneberger Landes zwischen Grabfeld, Rennsteig und Rhön, Hildburghausen 1992, verbesserte Neuausgabe Leipzig und Hildburghausen 2009 (Veröffentlichungen des Hennebergischen Museums Kloster Veßra, 1; Hennebergisch-Fränkischer Geschichtsverein, Sonderveröffentlichung 1). – Rossteuscher, Fritz: Chronik der Stadt Schleusingen, Schleusingen 1994. – Wendehorst, Alfred: Die Stifte Schmalkalden und Römhild, Berlin/New York 1996 (Germania Sacra, N.F. 36; Bistum Würzburg, 5). – Mötsch, Johannes: Die gefürsteten Grafen von Henneberg und ihre fürstlichen Statussymbole, in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hg. von Jörg Rogge und Uwe Schirmer, Leipzig 2003, S. 227–242. – Mötsch, Johannes: Art. „Henneberg“, in: Höfe und Residenzen I,1 (2003), S. 96–108. – Mötsch, Johannes: Art. „Schleusingen“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 519–523. – Mötsch, Johannes: Der Aufstand im südlichen Thüringen, in: Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, hg. von Günter Vogler, Stuttgart 2008 (Historische Mitteilungen im Auftrage der Ranke-Gesellschaft, Beihefte 69), S. 113–133.

Johannes Mötsch