Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Marienwerder (Kwidzyn)

Marienwerder (Kwidzyn)

(1) Im Zuge der Eroberung des Preußenlandes errichtete der Deutschen Orden 1233 auf einem vor einer Hochfläche stehendem Bergrücken über der Niederung der Flüsse Liebe und Nogat die Burg M. und sicherte sich so die strategisch wichtige Verkehrsverbindung für seine weiteren Eroberungszüge entlang von Weichsel und Nogat. 1234 gründete der Deutsche Orden nördlich der Burg auf dem mittleren Hügelrücken die Stadt M. Nach der Aufteilung der 1243 errichteten Diözese Pomesanien zwischen dem Deutschen Orden und dem Bischof, der vom Orden ein Drittel des Diözesangebietes mit allen landesherrlichen Rechten erhielt, kamen Burg und Stadt 1254/55 in den Besitz der pomesanischen Bischöfe, die M. zum Kathedralort des neuen Bm.s bestimmten. Aufgrund der anhaltenden Kämpfe des Zweiten Prußenaufstandes (1260–1273), in denen die Stadt zweimal niedergebrannt wurde, kam es aber wohl erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts zu einer dauerhaften Ansiedlung. Auch die Bischöfe residierten erst seit 1285 in der Burg. 1286 übertrug Bischof Albert dem neuen Domkapitel eine Fläche im Norden der Stadt (Dombezirk) sowie das Patronat über die Stadtpfarrkirche.

Seit den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts begannen die Bischöfe, die zumeist dem Deutschen Orden als Priesterbrüder angehörten, mit dem Bau einer neuen Burg im benachbarten Riesenburg, wo sie ab etwa 1360 bis zur Reformation (1525) bzw. Säkularisation (1527) des Bm.s Pomesanien überwiegend residierten. Seit 1551 war M. Sitz der hzl.en Amtsleute und erlebte bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts eine Blütezeit. Nach wiederholten Besetzungen und Zerstörungen im Dreißigjährigen und in den schwedisch-polnischen Kriegen blieb die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt trotz der strategisch wichtigen Lage am Übergang von Weichsel und Nogat bis in das 18. Jahrhundert gering. An politischer Geltung gewann M. erst wieder nach der Ersten Teilung Polens 1772 als Sitz der westpreußischen Kriegs- und Domänenkammer.

(2) Die Stadt M. entstand als planmäßige Marksiedlung (Kolonisationsstadt) in Form eines unregelmäßigen Fünfecks mit einer Ausdehnung von etwa 200 × 250 m. Die Bf.sburg im Süden war durch einen Graben getrennt, längs der Nordseite lag innerhalb des Stadtgebietes die ebenfalls durch einen Graben von der Stadt getrennte Domburg des Domkapitels mit einer nach Norden anschließenden Vorburg (Wirtschaftshof). Im Verlauf des 14. Jahrhunderts entstanden vor den drei Stadttoren kleinere Vorstädte. Die Stadt dürfte um 1400 etwa 700, um 1500 etwa 600 Einwohner gezählt haben.

Die Bürgerschaft, an deren Spitze Bürgermeister und Rat standen, umfasste anfangs 51, später durch Teilungen 72 zinspflichtige Bürgererben. Die älteste überlieferte Handfeste von 1336 garantierte M. das Kulmische Recht, der Bischof behielt sich jedoch die Einsetzung eines Schultheißen sowie das Stadtgericht vor, das aus dem bfl.en Schulzen bzw. Vogt und sieben Schöffen bestand, die vom Rat aus dem Kreis der Bürger gewählt wurden. Die erste Stadtwillkür erließ Bischof Johann IV. 1480.

Das Domkapitel vermochte seinen Besitz im Laufe des 14. Jahrhunderts durch Ankäufe von Dörfern nördlich und östlich der Stadt erheblich zu arrondieren, während auf dem städtischen Landbesitz in der trockengelegten Niederung im 14. Jahrhundert nur das Stadtdorf Ziegellack entstand. Infolge der Auseinandersetzungen und Krisen des 15. Jahrhunderts kam es indes immer wieder zum Verfall der Dämme, so dass die Ländereien der Niederung zumeist nur als Weideflächen genutzt werden konnten. Die Vergabe des Dom- und Burgareals im Nordwesten der Stadt an das Domkapitel (um 1310/15) führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Domherren und Stadtgemeinde um die Weiderechte in der Umgebung des Geländes, die Bischof Berthold 1336 durch eine neue Handfeste beizulegen suchte.

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kam es weiteren Konflikten um die Abgrenzung der Kapitelsbesitzungen innerhalb und vor den Mauern der Stadt, die der Bischof schlichten ließ (1393/99). Sie hingen nicht zuletzt mit den umfangreichen Gütererwerbungen des Domkapitels zusammen, in deren Verlauf die Domherren bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts nahezu das gesamte Gebiet nördlich bzw. nordwestlich der Stadt in ihren Besitz bringen konnten. Weitere Grundstücke innerhalb der Stadt konnte das Domkapitel dagegen wohl nicht erwerben.

M. wurde im Zuge der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts mehrfach geplündert und niedergebrannt (1414, 1460, 1478, 1520). Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt kam dadurch wiederholt zum Erliegen, so dass die Bischöfe zahlreiche Hypotheken ausgeben mussten. Über Schwerpunkte und Umfang der Handels- und Gewerbeentwicklung im Spätmittelalter gibt es kaum Anhaltspunkte. Über die Hafenanlagen an der Weichsel wurden im Binnenhandel wohl vor allem Tuche, Getreide, Bier, Teer, Pech und Schlachtvieh verschifft.

Für das höfische Personal des Bf.s und Domkapitels lässt sich eine Herkunft aus M. nur selten nachweisen, nur für einzelne Mitglieder des Domkapitels ist dieses bekannt. Auch für das umfangreiche geistliche Personal am Dom fehlen Nachweise für eine familiäre Verbindung zur Bürgerschaft.

(3) Das Pfarramt an der 1286 zum Dom erhobenen Stadtpfarrkirche war seit dem 14. Jahrhundert eine Prälatur des Domkapitels und wurde ausschließlich von Mitgliedern des Kapitels bekleidet. Städtische Kapellen außerhalb des Domes bestanden wohl nicht. Stiftungen von M. Familien am Dom sind kaum überliefert.

Neben dem Heilig-Geist-Spital des pomesanischen Domkapitels nördlich der Stadt bestand außerhalb der Stadt ein städtisches Sankt-Georg-Spital, zu dem aber kaum Nachrichten überliefert sind. Auch über Bruderschaften liegen keine gesicherten Quellen vor. Neben dem Domkapitel, dessen Mitglieder dem Deutschen Orden als Priesterbrüder angehörten, und einem kleinen Deutschordenskonvent, der um 1330/40 in der bfl.en Burg bestand, gab es in der Stadt keine weiteren Ordensniederlassungen. Neben der seit Mitte des 14. Jahrhunderts belegten Domschule bestand um 1400 auch eine städtische Schule.

(4) Die Ende des 13. Jahrhunderts vor den südlichen Mauern der Stadt errichtete zweiflügelige Bf.sburg (Altschlößchen) mit Bergfried und Eckturm besaß einen unregelmäßig rechteckigen Grundriss von etwa 29 × 50 m Seitenlänge. Mit dem Bau des Schlosses in Riesenburg verlor die Burg als Bf.sresidenz zwar an Bedeutung, zumal sie mehrfach zerstört wurde, doch sind Aufenthalte der Bischöfe noch bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts bezeugt.

Der die Stadt weithin überragende Dom, ein 86 m langer Backsteinbau in Form einer Pseudobasilika, entstand seit der Mitte des 14. Jh.ts als wehrhafter Anbau an die Domkapitelsburg und diente mitunter auch als Grablege der Hochmeister des Deutschen Ordens (Werner von Orseln † 1330, Ludolf König † 1348, Heinrich von Plauen † 1429).

Das einzige aus Stein errichtete Gebäude der Stadtgemeinde neben der (seit 1336 belegten) Stadtmauer dürfte bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts das Rathaus gewesen sein. Die Stadtsiegel mit Bf.sstab und Mitra weisen M. als bischöfliche Stadt aus. Die ältesten Stadtansichten stammen aus dem späten 16. Jahrhundert (C. Henneberger 1595, A. Boot 1632).

(5) Im Zuge der wachsenden Konflikte zwischen dem Deutschen Orden und den Städten und Ständen des Preußenlandes gründeten 1440 in M. zahlreiche Städte und Vertreter der preußischen Ritterschaft den »Preußischen Bund«. Zwar ist M. seit Beginn des 15. Jahrhunderts als Ort ständischer Versammlungen bezeugt, allerdings sind Vertreter der Stadt selbst bei diesen Verhandlungen nie erwähnt. Es war wohl weniger ihre wirtschaftliche oder politische Bedeutung, welche die kleine Stadt wiederholt als geeigneten Ort ständischer Versammlungen erscheinen ließ, als vielmehr ihre günstige geographische Lage außerhalb des Ordensterritoriums auf halbem Wege zwischen den großen preußischen Städten und unweit der Marienburg, wohin während der Tagfahrten Gesandte zu parallelen Beratungen mit dem Hochmeister entsendet werden konnten.

Nach der Tagfahrt von 1440 sind in M., das dem Bund selbst erst einen Monat später beitrat, allein in den drei Jahren von 1450 bis zum Ausbruch des Dreizehnjährigen Krieges Anfang 1454 13 ständische Versammlungen bezeugt (gewöhnlich in der Domkirche und im Rathaus). M. selbst war – wie die übrigen kleinen Städte des Ordenslandes – indes nur selten durch Abgesandte vertreten.

Die wirtschaftlichen Verflechtungen der Stadt mit dem Umland wie auch mit den übrigen preußischen Städten lassen sich aufgrund fehlender Quellen kaum nachweisen. Um 1400 ist ein Kaufmann aus M. als Handelsvertreter (Wirt) des Königsberger Großschäffers des Deutschen Ordens belegt.

(6) M. blieb bis zur Säkularisation 1525 im Schatten der alles überragenden Domburg des Domkapitels eine vom Bischof von Pomesanien als Landesherrn kontrollierte Stadt, deren Bürgern es nie gelang, einzelne bischöfliche Rechte zu erwerben. Die wirtschaftliche Notlage der Gemeinde nach den zahlreichen Verwüstungen des 15. Jahrhunderts verhinderte eine auf finanzielle Mittel gestützte Emanzipation aus der stadtherrlichen Kontrolle.

Weder wirtschaftlich noch politisch konnte M. bis zum Ende der bfl.en Herrschaft eine größere Bedeutung neben den westpreußischen Handelsstädten wie Danzig, Elbing oder Thorn erlangen. Lediglich die Bemühungen von Bischof und Domkapitel um die Heiligsprechung der Klausnerin Dorothea von Montau, die 1394 in ihrer Klause im Dom gestorben war, und ihr großer, 1404/05 in M. stattfindender Kanonisationsprozess machten den kleinen Kathedralort der Diözese für kurze Zeit zu einem geistigen und geistlichen Zentrum des Ordenslandes Preußen.

(7) Das 1934 eingerichtete Stadtarchiv enthielt für die Ordenszeit nur noch wenige Urkunden, und das Stadtbuch von 1480 gilt seit 1945 als verloren. Zur mittelalterlichen Stadtgeschichte ist daher vor allem die archivalische Überlieferung der Bischöfe und des Domkapitels von Pomesanien sowie des Deutschen Ordens heranzuziehen, die heute zur XX. Hauptabteilung (Historisches Staatsarchiv Königsberg) des Geheimen Staatsarchivs PK in Berlin-Dahlem gehört. Stadtchroniken oder andere städtische Quellen sind nicht bekannt. Eine Quellenedition zur Stadtgeschichte liegt nicht vor.

(8)Töppen, Max: Geschichte der Stadt Marienwerder und ihrer Kunstbauten, Marienwerder 1875. – Wernicke, Erich: Marienwerder. Geschichte der ältesten Stadt der reichsdeutschen Ostmark, Marienwerder 1933. – Krantz-Domasłowska, Liliana: Katedra w Kwidzynie, Toruń 1999. – Glauert, Mario: Das Domkapitel von Pomesanien (1284–1527), Toruń 2003 (Prussia Sacra, 1). – Radzimiński, Andrzej: Kwidzyń w średniowieczu, in: Kwidzyn. Dzieje miasta, Bd. 1, hg. von Krzysztofa Mikulskiego und Justyny Liguz, Kwidzyn 2004, S. 55–90. – Jarzebowski, Residenzen (2007), S. 41–50. – Herrmann, Mittelalterliche Architektur (2007), S. 590–596.

Mario Glauert