Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Küstrin (Kostrzyn)

Küstrin (Kostrzyn)

(1) K. (der slawische Name »Cozsterina« [»Ort, wo rispenartige Pflanzen (Gräser) wachsen«] ist 1232 erstmals urkundlich erwähnt) liegt, leicht erhöht, unweit der Mündung der Warthe in die Oder an der Nahtstelle von Oder- und Warthebruch. Hier bot sich seit alters her einer der wenigen natürlichen Oderübergänge, die Passage erfolgte mittels langer Dammwege und vieler Brücken, einer Passstraße durch die Niederung ähnlich. Ursprünglich befand sich die Warthemündung unmittelbar südlich der Altstadt, bis sie 1787 mit dem Bau des Friedrich-Wilhelms-Kanals nach Nordwesten verlegt wurde.

Im 10. Jahrhundert befand sich der Pass wahrscheinlich in pommerschem Besitz, bis das Gebiet im 11./12. Jahrhundert unter polnische Herrschaft kam. 1232 übertrug der polnische Herzog Władisław Odonicz dem Templerorden 1000 Hufen im Land K.; der Burgort an dem Oderpass gab der Region ihren Namen. Ausdrücklich wurde den Templern erlaubt, einen Markt nach deutschem Recht anzulegen. Kurz darauf kam K. in den Besitz der schlesischen Piasten, die den Ort 1249 zu ihren Burgorten des Landes Lebus zählten. 1252/53 erwarben die Markgrafen von Brandenburg das Gebiet. Im brandenburgischen Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375 wird K. zur Neumark gezählt. 1402 wurde die Neumark an den Deutschen Orden verkauft, 1454 kaufte der Markgraf von Brandenburg sie zurück. Anschließend wurde in K. eine Vogtei eingerichtet. 1505 wies der Markgraf das K.er Schloss dem Landvogt der Neumark als Amtssitz und Wohnung zu, doch stand K. hinter Königsberg (Neumark) und Soldin an Bedeutung für die Landesherren zurück.

1535 trat Markgraf Johann von Brandenburg (1513–1571), jüngerer Bruder des regierenden Kurfürsten Joachim II., die selbständige Herrschaft über die Neumark an und wählte anstelle Soldins K. als Residenz; daher wurde für ihn die Kurzbezeichnung »Hans von Küstrin« üblich. Nach seinem Tod wurde die Neumark wieder mit der Kurmark vereinigt, doch behielt sie bis 1809 eine verwaltungsmäßige Sonderstellung, diente überdies gelegentlich als Aufenthalt des mkgfl.en Hofs. In K. befand sich die Neumärkische Regierung, das 1548 errichtete Oberlandesgericht sowie die Amtskammer (seit 1723 Kriegs- und Domänenkammer). Außerdem war die Stadt Verwaltungs- und Tagungsort der neumärkischen Stände. Zudem war unter Johann begonnen worden, die Altstadt K. zur Festung auszubauen. 1758 wurde sie im Siebenjährigen Krieg schwer zerstört.

(2) Neben der slawischen Burg entstand ab 1232 allmählich eine deutschrechtliche Marktsiedlung mit großem rechteckigem Markt und einem von Slawen bewohnten Kietz. Bis 1930 blieb dieser ein von der Stadt unabhängiges Dorf mit eigenem Schulzen. Der Kietz lag ursprünglich südöstlich der Altstadt, wurde im 16. Jahrhundert durch den Festungsbau verdrängt und mitsamt der Langen Vorstadt auf das westliche Oderufer verlegt. Noch im 16. Jahrhundert legte man am Ende des Dammüberganges in die Neumark die Kurze Vorstadt an, aus der sich die Neustadt entwickelte.

Hinter Schloss und Zollstelle trat die Stadt in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens zurück. Das Magdeburger (Strausberger) Stadtrecht wurde K. wahrscheinlich durch Markgraf Albrecht III. vor 1300 verliehen. 1317 wird K. als »civitas« bezeichnet, 1323 als »oppidum«. Eine Stadtmauer gab es nicht, noch 1397 wurde K. als »offene Stadt« bezeichnet. Die städtischen Rechte wurden 1373 und 1388 gelinde ausgeweitet. Von einem Richter und Räten ist erstmals 1397 die Rede, Bürgermeister und Ratmannen werden 1462 zum ersten Mal erwähnt. 1388 stand K. lediglich das niedere Gericht zu, außerdem das Gericht über den einmal wöchentlich abgehaltenen Fischmarkt. Grundbesitz besaß die Stadt nicht. Man ernährte sich von Handwerk und Handel, namentlich vom Fischhandel. Neben dem Zoll, der am K. mit der Neumark verbindenden und von der Stadt zu unterhaltenden Damm erhoben wurde, stellten die Gebühren des Fischmarkts die einzige Einnahmequelle K.s dar. Das Siegelbild zeigt den halben brandenburgischen Adler und einen Fisch, was die Bedeutung des Fischfangs und -handels verdeutlicht.

Einwohnerzahlen aus dem Mittelalter sind nicht überliefert. 1623 hatte die Festung mit Kurzer und Langer Vorstadt zusammen etwa 1490 Einwohner, 1750 immerhin 4675.

(3) Die 1396 erstmals erwähnte Pfarrkirche St. Marien wurde bei der Belagerung K.s 1758 bis auf die Fundamente zerstört, auch die Ausstattung ging verloren, u. a. der aus Alabaster geschaffene Hochaltar, den Markgraf Johann 1544 im Rahmen der Reformation hatte errichten lassen. Johann hatte 1538 (und damit ein Jahr vor dem Kurfürstentum Brandenburg) die lutherische Lehre verbindlich gemacht. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche wiederaufgebaut. In der Fs.engruft unter dem Altar waren Markgraf Johann und seine Gemahlin Katharina bestattet worden. Der neuerlichen Zerstörung fiel die Altstadt mitsamt der Pfarrkirche im März 1945 zum Opfer.

(4) Unter Markgraf Johann setzte der Ausbau K.s zur ersten modernen Festung nach italienischem Vorbild auf märkischem Boden ein, zunächst durch Erdwälle, dann durch Mauern aus Backstein bewehrt. Die ältere Burg wurde zu einem Residenzschloss in Renaissanceformen umgebaut. Auch andere herrschaftliche Bauten wie Kornmagazine, Zeughäuser u. a. nahmen einen wesentlichen Teil der bebauten Fläche ein. Die dadurch beengte Stadt dehnte sich etwas weiter nach Osten aus. Nachdem der Markgraf die Oderbrücke weiter stromabwärts neu errichten ließ, wurde auch der Verkehr in großem Bogen nördlich um Stadt und Festung herum geleitet. Westlich der Oder blühte die Lange Vorstadt auf. In der Nähe fand auch der Kietz seinen neuen Platz, nachdem dieser durch den Festungsbau von seiner alten Stelle verdrängt worden war. Im gleichen Zuge nahm am nordöstlichen Ende des Dammübergangs in die Neumark die Kurze Vorstadt ihren Anfang, die später zu K.-Neustadt wurde.

Als kommunaler Bau ist das Rathaus zu erwähnen, das 1572 bis 1577 auf dem Marktplatz im Renaissancestil errichtet wurde, und welches die Zerstörung K.s 1758 nicht überlebte.

Die frühesten bildlichen Darstellungen sind zwei Kupferstiche, die angelegentlich von Festlichkeiten am Hof des Kurfürsten Johann Georg 1595 entstanden sind und in der »Frankfurter Meßzeitung« wiedergegeben wurden (Brenner 1599, siehe unter [7]). Vom Ende des 16. Jahrhunderts stammt eine kolorierte Handzeichnung K.s, die sich heute im Kgl.en Kriegsarchiv Stockholm befindet (ebenfalls unter [7]). Aus der Zeit um 1650 gibt es einen Grundriss der Festung sowie zwei Ansichten bei Matthäus Merian. Zwei Ansichten jeweils von Süden und Norden zeichnete Daniel Petzold 1710–1715 (unter [7]: Meisner 1913). Im 18. Jahrhundert häufen sich die Karten und Pläne, insbesondere im Zusammenhang mit dem weiteren Ausbau der Festung sowie der Trockenlegung und Besiedlung von Oder-, Warthe- und Netzebruch.

(5) Nach der Wiedervereinigung von Neu- und Kurmark sorgten die in K. beibehaltenen Behörden weiterhin für eine Sonderstellung als Zentralort für die Neumark, zumal im Laufe des 17. Jahrhunderts K. zum Ort der Ständeversammlungen wurde. Diese Funktionen schlugen sich in der Bevölkerungszahl nieder. An den Folgen des Dreißigjährigen Krieges litt K., obwohl nicht eingenommen, sehr lange. Drei Jahrmärkte wurden in der Stadt, die jetzt den gesamten Festungsbereich ausfüllte, abgehalten. Der Mangel an größerem Grundbesitz und die Festung wirkten hemmend auf die städtische Entwicklung ein. Mit einer Feldmark von nur etwa 1000 Hektar hatte K. eine der kleinsten Gemarkungen aller neumärkischen Immediatstädte. Die Wirtschaft lebte vom Handel und dem regen Ost-West-Durchgangsverkehr. Trotz aller ökonomischen Hemmnisse und der Tatsache, dass K. nach den beiden schlesischen Kriegen als einzige neumärkische Stadt weiterhin die Festungseigenschaft behielt, stieg im 18. Jahrhundert die Einwohnerzahl allmählich an. Die eher bescheidenen wirtschaftlichen Aktivitäten wurden von den militärischen Bedürfnissen dominiert, die das Erscheinungsbild der Stadt und den städtischen Alltag prägten.

(6) Residenzstadt war K. unter Markgraf Johann während des Zeitraums 1535–1571. Für die Entwicklung K.s war diese Phase entscheidend. Vorher kann K. als Burgort bzw. Marktsiedlung mit Kietz von allenfalls schwacher wirtschaftlicher und überörtlicher Bedeutung verstanden werden. Entscheidend war der Schutz der Oderfurt für den Transitverkehr. In der Residenzzeit wurde K. nicht nur als Residenzstadt zum Sitz des Hofes und von Behörden, sondern auch zur (als uneinnehmbar geltenden und daher im Dreißigjährigen Krieg umgangenen) Festung ausgebaut. Die Funktion als Verwaltungsmittelpunkt der Neumark blieb nach Ende der Residenz erhalten, K. löste Königsberg (Nm.) und Soldin ab, die in dieser Hinsicht im Spätmittelalter bedeutender waren. Das ältere Stadtbild wurde durch mehrere Zerstörungen völlig verändert; zu nennen sind neben dem ersten Stadtbrand 1491 vor allem die Beschießung im Siebenjährigen Krieg 1758 und die Vernichtung im März 1945.

(7) Ungedruckte Quellen zur Geschichte Küstrins liegen zum überwiegenden Teil im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, hier die Bestände I. HA GR, Rep 42 Neumark (1455–1808) und II. HA GenDir., Abt. 13 (1350, 1411–1541) 1561–1822 (59 lfm). Weiteres Quellenmaterial bewahrt das Brandenburgische Landeshauptarchiv Potsdam auf, z. B. Pr.Br.Rep 3. Rep 4, 4A und 4B. Die älteren Archivalien im Stadtarchiv wurden bereits bei der Zerstörung Küstrins 1758 vernichtet.

Die nicht besonders umfangreiche Urkundenüberlieferung ist publiziert im Codex diplomaticus Brandenburgensis, Bd. A XIX (1860).

Abbildungen K.s 1595 finden sich in der »Frankfurter Meßzeitung«, abgedruckt bei Sebastianus Brenner: Continuator Temporis quinquennalis. Das ist: Fünffjärige Histori Erzehlung, ander, dritter vnnd vierdter Theil […] auß Iacobi Franci […] Relationibus zusammengetragen […], Frankfurt a. M. (im Verlag Paul Brachfeld[t]) 1599. – Abbildung vom Ende des 16. Jahrhunderts in Stockholm, Königliches Kriegsarchiv, Utländska Kartor, Stad- och fästningsplaner, Tyskland, Küstrin Nr. 1. – Die Ansichten Pezolds abgedruckt in: Ansichten märkischer und pommerscher Städte 1710–1715, hg. von Hans Otto Meisner Berlin 1913.

Bekmann, Johann Christoph [1641–1717]: Von der Stat und Veste Küstrin. [Mit 2 dafür von D. Petzold gezeichneten Ansichten], hg. von Carl Fredrich, [Cüstrin 1914] (Königliches Gymnasium Küstrin, Programm 1913/1914).

(8)Seyffert, Johann Christian: Annalen der Stadt und Festung Cüstrin, Küstrin 1801. – Kutschbach, K.-W.: Chronik der Stadt Küstrin, Küstrin 1849. – Berg, Gustav: Geschichte der Stadt und Festung Cüstrin, Tle. 1–2, Landsberg a. d. Warthe 1917/1918. – Mollwo, Ludwig: Markgraf Hans von Küstrin, Hildesheim/Leipzig 1926. – Hoppe, Willy, Voss, Georg: Die Kunstdenkmäler des Kreises Königsberg (Neumark), Heft IV: Die Stadt Cüstrin, Berlin 1927 (Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, VII,1). – Thoma, W.: Markgraf Hans von Küstrin, Neudamm 1927. – Rachel, Hugo: Küstrin, Kr. Königsberg Nm. in: Deutsches Städtebuch, Bd. 1: Norddeutschland (1939), S. 566–569. – Junk, Heinz-Karl: Küstrin, in: Deutscher Städteatlas, Lfg. 4,8: Küstrin (1989). – Dobosz, Józef: Kostrzyn nad Odrą w latach 1232–1536, in: Kostrzyn nad Odrą. Dzieje dawne i nowe, Poznan 1991, S. 77–110. – Piątkowski, Józef: Spacer po Starzym Kostrzynie, Gorzów Wlkp.-Kostrzyn 2001. – De Oppido Et Castello: Vergangenheit und Gegenwart der Festung Küstrin. Kostrzyn-Zielona Góra 2004 (Vorträge von einer Tagung am 29. August 2004 in der Küstriner Altstadt). – Piotrowska, Dominika: Renesansowy zamek w. Kostrzynie nad Odrą, Kostrzyn nad Odrą 2008. – Wichrowski, Marcin (Texte): Die Stadt und Festung Küstrin 1750–1850 in ausgewählten Bildquellen, hg. vom Museum der Festung Küstrin, Küstrin 2010.

Reinhard Schmook