Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

Zurück zur Liste

Bernburg

Bernburg

(1) Die Burg B., hoch über dem östlichen Ufer der Saale, ist erstmals zum Jahre 1138 sicher bezeugt. Mit ihr ließ sich der Saaleübergang auf dem Handelsweg von Magdeburg nach Halle und Leipzig beherrschen, an dem es spätestens 1239 eine Brücke gab, welche 1436 und 1616 umfassend erneuert werden musste. Im Jahr 1212 gelangte die Burg an die anhaltische Linie der Askanier, die sie bis 1863 als Residenz nutzte. Vor 1468 und nach der Erbteilung von 1603 residierte hier die B.er Linie der Fürsten von Anhalt. Von 1497 bis 1544 stand die Herrschaft B. unter gemeinschaftlicher Verwaltung der Fürsten, nachdem sie zuvor zum Witwengut bestimmt und zeitweise umstritten war. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts bauten die anhaltischen Fürsten die Burg zu einer beachtlichen Schlossanlage im Stil der Renaissance um, die trotz der Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg und trotz späterer Umbauten in ihrer äußeren Gestalt erhalten blieb.

(2) In der unmittelbaren Nähe der Burg entstand vermutlich recht bald, jedoch erst im 14. Jahrhundert schriftlich erwähnt, eine Siedlung von Dienstleuten. Auf dem Schwemmland der Saale unterhalb des Burgbergs entwickelten sich eine Altstadt und eine Neustadt B., die fast gleichzeitig ins Licht der schriftlichen Überlieferung treten. Die Verleihung des Stadtrechts 1279 und die Bestätigung und Erweiterung der städtischen Freiheiten 1311 und 1366 erfolgten für beide Gemeinwesen gleichermaßen. Die Bürger im Tal durften über ihren Besitz frei verfügen und sich nach Magdeburger Recht selbst verwalten, blieben aber bis ins 19. Jahrhundert zu Leistungen an den fsl.en Hof verpflichtet. Die hohe Gerichtsbarkeit wurde durch einen Vogt bzw. Amtmann des Fürsten ausgeübt. Im Spätmittelalter besaßen sowohl die beiden Talstädte als auch die Siedlung auf dem Berg ein eigenes Rathaus und einen eigenen Rat, der vom Fürsten bestätigt werden musste. In der Regel erfolgte die Bestätigung ohne Schwierigkeiten, wenngleich am Ende des 16. Jahrhunderts auch Ratsherren gegen den Willen der Bürger eingesetzt wurden. Die Abhängigkeit vom Fürsten, aus der sich B. nie lösen konnte, kommt bereits in den Siegelbildern der beiden Talstädte zum Ausdruck. Auf dem Siegel der Altstadt ist ein Stadttor mit zwei Türmen zu sehen, darüber ein Helm mit den askanischen Pfauenwedeln. Das Siegel der Neustadt zeigt denselben Helm über dem askanischen Stammwappen. Bis ins erste Viertel des 15. Jahrhunderts scheinen die beiden Talstädte lediglich mit Erdwällen und Gräben sowie einer Umfassung aus Holz und Lehm befestigt gewesen zu sein. Um 1425 gab es zwei Mauerringe mit Wehrtürmen, drei Stadttoren und zwei Pforten. Über den Hauptweg zur Saalebrücke wölbten sich das Neustädter Tor, auch Waldauer Tor genannt, das Tor zwischen Alt- und Neustadt und schließlich das Brücktor. Innerhalb der Mauern der Neustadt lagen zwei Freihöfe und ein Hof des Klosters Gernrode. In der Altstadt lagen drei Freihöfe. Die Entwicklung der Einwohnerzahl lässt sich erst für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts auf der Grundlage von Steuerlisten einschätzen. In der damals bereits vereinigten Talstadt stieg die Zahl der steuerpflichtigen Haushalte von 245 im Jahre 1572 auf 313 im Jahre 1589. In der Bergstadt waren 1589 nur 169 Haushalte erfasst.

(3) B. gehörte zur ebfl.en Diözese Magdeburg, lag aber dicht an der Grenze zum Bistum Halberstadt, zu dem Teile der städtischen Flur gehörten. Die Pfarrkirchen St. Marien in der Altstadt und St. Nikolai in der Neustadt sind in der Baugestalt des späten 15. Jahrhunderts erhalten. Am Südrand der Neustadt sind noch Reste des Klosters der Marienknechte zu sehen. In der Nähe der Altstädter Brücke befand sich am östlichen Ufer der Saale ein Heilig-Geist-Spital. Die Wolfgangskapelle auf dem Berg, die einige Zeit als Wallfahrtskirche aufgesucht wurde, war eine Stiftung der Fs.enwitwe Hedwig von Anhalt 1480. Vor der Reformation gab es in B. zudem einen Kaland, 1375 durch Fürst Otto III. begründet, und eine Bruderschaft der Schuhknechte, die für das Jahr 1501 bezeugt ist. Seit der Zeit um 1300 wohnten in der Altstadt einige Juden, die 1494 dauerhaft vertrieben wurden. Eine Wiederansiedlung jüdischer Familien begann erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts.

Sakraler Mittelpunkt der Residenzstadt war bis ins frühe 17. Jahrhundert die Marienkirche der Altstadt, zu deren Pfarrsprengel die bis ins 16. Jahrhundert bestehende Burgkapelle St. Pankratius gehörte. Das Recht, den Pfarrer zu bestimmen, lag bei den Fürsten, die gelegentlich zur Ausstattung der Marienkirche beitrugen und Geistliche von dort zum Hofdienst heranzogen. Im 16. Jahrhundert ließen sich einige Angehörige des Hofes an dieser Kirche beisetzen, bis die Fürsten im 17. Jahrhundert begannen, die romanische Aegidienkirche bei der Burg zur Schlosskirche und Grablege auszubauen.

(4) Unter Fürst Wolfgang von Anhalt, der ab 1544 allein in B. regierte, setzte eine tief greifende Umgestaltung des Schlossgeländes wie des städtischen Raumes ein. Bereits 1547 ließ der Fürst das Neustädter Tor im gleichen Stil wie das Schloss erneuern und mit seinem Wappen versehen. Im März 1561 vereinigte er die Altstadt mit der Neustadt unter einem gemeinsamen Rat, angeblich um eine Ursache des Streits zu beseitigen. Diesem Zusammenschluss, der zehn Jahre zuvor noch am Widerstand des Neustädter Rates gescheitert war, folgten umfangreiche Baumaßnahmen. So wurde die Stadtbefestigung zwischen Alt- und Neustadt niedergelegt, um Bauland zu gewinnen. Ein dadurch mitten in der vereinigten Talstadt gelegenes Brauhaus wurde zur fsl.en Kanzlei umgebaut. Das Neustädter Rathaus bei der Nikolaikirche diente seither als Provianthaus. Die Bergstadt blieb von diesen Maßnahmen unberührt. Sie wurde erst 1825 mit der Talstadt unter gemeinsame Verwaltung gestellt.

(5) Bis zur Industrialisierung lebten die B.er hauptsächlich vom Durchgangsverkehr über die Saalebrücke und vom Mühlengewerbe. Das städtische Handwerk war auf den Nahmarkt ausgerichtet und erlangte kaum überregionale Bedeutung. Für die Fürsten waren Burg und Stadt jedoch von hohem symbolischem Wert. Die älteste Ansicht der Stadt findet sich immerhin auf einem Epitaphgemälde für die 1569 verstorbene Fs.in Agnes von Anhalt in der Klosterkirche zu Nienburg an der Saale.

(6) Das Verhältnis zwischen Hof und Stadt blieb in B. über weite Strecken frei von größeren Auseinandersetzungen. Nach einem Hochwasser im Jahre 1408 unterstützte der Stadtherr den Wiederaufbau der Stadtbefestigung und der Saalebrücke. Als sich die beiden Talstädte zu diesem Zweck im September 1410 miteinander verbündeten, taten sie dies ausdrücklich, um ihrem Fürsten besser dienen zu können. Nach dem Neubau der Saalebrücke gestattete der Fürst den Bürgern die Erhebung eines Brückenzolls, von dem er und seine Leute jedoch ausgenommen sein sollten. Ein gewaltsames Aufbegehren gegen die fürstliche Herrschaft gab es anscheinend erst im Zusammenhang mit den Bauernunruhen des Jahres 1525. Bei der Einführung der Reformation handelte die Mehrheit der Bürger dann wieder im Einvernehmen mit Fürst Wolfgang, der sich früh der lutherischen Lehre angeschlossen hatte. Auf einigen Widerwillen stießen die Fürsten indessen, als sie am Ende des 16. Jahrhunderts zum reformierten Bekenntnis übergingen.

(7) Für das Spätmittelalter ist die Überlieferung sowohl auf der städtischen Seite (Stadtarchiv Bernburg, Findbuch 5 und 13) als auch der fürstlichen (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau) bruchstückhaft. Zur Erforschung des Verhältnisses von Stadt und Residenz in der frühen Neuzeit stehen jedoch archivalische Quellen zur Verfügung, die bislang wenig ausgeschöpft wurden. Die Überlieferung der Bernburger Ratsprotokolle reicht von 1662 bis 1790, die der Ratsrechnungen von 1573 bis 1853. Hinzu kommen Stadt-, Amts- und Gerichtsbücher im Landesarchiv (LASA, Abt. Dessau, Z 11–13). Stücke aus dem Briefwechsel zwischen der Stadt und dem Fürstenhof haben sich seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert erhalten (LASA, Abt. Dessau, Z 6). – Beckmann, Johann Christoph: Historie des Fürstenthums Anhalt, Zerbst 1710 (ND Dessau 1994), Teil 3, S. 114–135. – Krause, Gottlieb: Urkunden, Aktenstücke und Briefe zur Geschichte der anhaltischen Lande und ihrer Fürsten unter dem Druck des 30jährigen Krieges, 5 Bde., Leipzig 1861–1866. – Codex diplomaticus Anhaltinus (1867–1883). – Suhle, Hermann: Die Privilegien der Stadt Bernburg, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 4 (1886) S. 643–645. – Förstemann, Joseph: Fragment aus einem Stadtbuch der Altstadt Bernburg (1401–1420), in: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen 19 (1898) S. 288–324 [Universitätsbibliothek Leipzig, Ms. 1583]. – Wäschke, Hermann: Regesten der Urkunden des Herzoglichen Haus- und Staatsarchivs zu Zerbst aus den Jahren 1401–1500, Dessau 1909. – Hinze, A.: Das Kopialbuch der Marienkirche zu Bernburg, Bernburg 1911. – Specht, Reinhold: Eine Bernburger Bürgerrolle aus dem Jahre 1631, in: Bernburger Kalender 10 (1935) S. 49–51. – Specht, Land- und Amtsregister, Tl. 2 (1938).

(8)Büttner Pfänner zu Thal , Franz: Die Kunstdenkmale der Kreise Ballenstedt, Bernburg, Köthen, Dessau, Zerbst, Dessau/Leipzig 1892 (ND Halle a. d. Saale 1998). – Suhle, Hermann: Beiträge zur Geschichte der Bergstadt Bernburg, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde 11 (1912) S. 641–668. – Peper, Hans: Die Gründung der Stadt Bernburg und ihre Entwicklung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, in: Anhaltische Geschichtsblätter 6/7 (1930/1931) S. 50–67. – Peper, Hans: Geschichte der Stadt Bernburg, Bernburg 1938. – Stieler, Franz: Die Entstehung des Renaissanceschlosses Bernburg, Bernburg 1954. – Ebersbach, Volker: Geschichte der Stadt Bernburg, 2 Bde., Dessau 1998 [ohne Nachweise]. – Müller, Matthias: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470–1618), Göttingen 2004 (Historische Semantik, 6), S. 100–103. – Kreissler, Frank: Die Dominanz des Nahmarktes. Agrarwirtschaft, Handwerk und Gewerbe in den anhaltischen Städten im 15. und 16. Jahrhundert, Halle 2006 (Studien zur Landesgeschichte, 13). – Meinhardt, Matthias: Chancengewinn durch Autonomieverlust. Sächsische und anhaltische Residenzstädte zwischen bürgerlicher Selbstbestimmung und fürstlichem Gestaltungswillen, in: Der Hof und die Stadt. Konfrontation, Koexistenz und Integration in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Werner Paravicini und Jörg Wettlaufer, Ostfildern 2006 (Residenzenforschung, 20), S. 37–62. – Schmitt, Reinhard: Schloss Bernburg, Leipzig 2009. – Neugebauer, Anke: Andreas Günther von Komotau. Ein Baumeister an der Wende zur Neuzeit, Bielefeld 2011 (Hallische Beiträge zur Kunstgeschichte, 2), S. 119–136. – Stadtgeschichte im Spannungsfeld. Bernburgs Weg zur frühneuzeitlichen Residenzstadt der Fürsten von Anhalt, hg. von Olaf Böhlk, Bernburg 2011. – Deutschländer, Gerrit, Meinhardt, Matthias: Die fragmentierte Gesellschaft. Politische Gruppierungen in mitteldeutschen Residenzstädten des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, hg. von Jan Hirschbiegel, Werner Paravicini und Jörg Wettlaufer, Ostfildern 2012 (Residenzenforschung, 25), S. 197–222, bes. S. 205–207.

Gerrit Deutschländer