Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Barth

Barth

(1) B., am südlichen Ufer des B.er Boddens gelegen und damit über einen durch die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst geschützten Ostseezugang und eine Anbindung an Rügen verfügend, befand sich zwischen den Städten Stralsund (ca. 30 km ostwärts) und Rostock (ca. 50 km westwärts). In B. mündet der Fluss Barthe in den Bodden.

Die südlich B.s gelegene »alte« Burg hatte zentrale Funktion im slawischen Siedlungsverband der Pomoranen, der bei Saxo Grammaticus zum Jahr 1159 als provincia B. bezeichnet wurde. 1193 bis 1325 befand sich die Region im Besitz der Fürsten von Rügen. Unter ihnen entstand eine neue Burg. Von den rügischen Fürsten hielt sich erst Wizlaw III. (reg. allein 1304–1325), der letzte dieses Geschlechts, vermehrt in B. auf. Unter ihm entwickelte sich B., das in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Stadt geworden war, zur Residenzstadt. Nach seinem Tod ging B. an seinen Neffen Wartislaw IV. von Pommern-Wolgast über, unter dem B. an Bedeutung verlor und zeitweilig an die mecklenburgischen Herzöge verpfändet wurde, ehe es Mitte des 14. Jahrhunderts erneut in den Besitz der pommerschen Herzöge gelangte, welche mit dem Frieden von Stralsund 1354 rechtmäßige Nachfolger der rügischen Fürsten wurden. B. machte mehrere dynastische Teilungen mit und wurde unter Wartislaw VI. (reg. 1377–1394) wieder Residenzstadt. Erneut Residenzstadt wurde B. unter Herzog Bogislaw XIII., der als zweitgeborener Sohn Philipps I. von Pommern-Wolgast 1569 mit B. und Kloster Neuenkamp (heute Franzburg) abgefunden wurde. In B. residierte er 1574–1605, wo er ein repräsentatives Hofleben entfaltete, das sich vor allem in einem weiteren Ausbau der Stadt niederschlug. Dieses fand sein Ende, als er 1605 das Stettiner Erbe seines kinderlosen Bruders Kasimir VI. († 1605) antrat und seine gesamte Hofhaltung nach Stettin verlegte. B. übergab er seinem Neffen Philipp Julius. B. behielt den Status einer Nebenresidenz bis zu dessen Tod 1625, danach fiel die Stadt in das Wittum seiner Frau Agnes. 1648 fiel B. wie ganz Pommern unter schwedische Herrschaft. 1655–1657 war B. Exil für den dänischen Reichshofmeister Corfitz Ulfeldt und seine Familie, nachdem dieser vom dänischen König Friedrich III. zu Unrecht angeklagt wurde. Für kurze Zeit 1710/11 hielt sich auf Einladung des Schwedenkg.s Karl XII. der flüchtige König Stanislaus Leszczynski von Polen in B. auf. König Friedrich I. von Schweden hatte mehrere Besitzungen, u. a. das mittlerweile verfallene Schloss in B., an die Ritterschaft Neuvorpommerns übergeben, welche zwischen 1726 und 1733 an dessen Stelle ein »adliges Fräuleinstift« errichteten.

(2) Die Fürsten von Rügen gründeten zu Anfang des 13. Jahrhunderts auf einer Erhebung zwischen zwei slawischen Fischerdörfern eine deutschrechtliche Marktsiedlung, aus der die spätere Stadt hervorging. 1255 wurde B. von Fürst Jaromar II. das lübische Stadtrecht verliehen unter der Zusage, die neue Burg abzureißen und weiterhin keine Klostergründung vorzunehmen. Im Gegenzug wurde von der Gemeinde eine jährliche Naturalabgabe gefordert, von der sie sich 1306 freikaufen konnte. Anfang des 14. Jahrhunderts wurde das Stadtgebiet erweitert (1306 im Südosten durch den Hof Alkun, 1316 im Südwesten durch das Dorf Zarnkewitz, 1325 im Osten durch Glöwitz). Die kreisförmige Anlage der Stadt mit einem gitterförmigen Straßen- und Wegenetz verweist auf Lübeck als Vorbild. Die zentralen Plätze (Markt- und Kirchplatz) befinden sich im nördlichen Stadtareal. Der Bau einer Mauer mit Wiekhäusern erfolgte erst nach 1325, vorher wohl nur aus Wall, Graben und Palisaden bestehend. Sicher belegt ist die Mauer erst 1398. Ursprünglich gab es vier Tore (Langes Tor im Süden, Dammtor im Westen, Fischertor im Norden, Wiektor im Osten). Ein Rat ist 1309 (consul) erstmals bezeugt, 1359 wird ein proconsul genannt. Der Rat übte die niedere Gerichtsbarkeit aus.

Die wirtschaftlichen Grundlagen im 13. Jahrhundert und darüber hinaus bildeten in erster Linie die Fischerei (Fang und Handel wurden durch die fürstlich privilegierte Fischzunft geregelt), Land- und Forstwirtschaft sowie der Binnenhandel. Größere wirtschaftliche Entwicklungen blieben aus. B. wurde weder Mitglied des Hansebundes, noch konnte es aufgrund des flachen Boddengewässers am Fernhandel teilnehmen. Unter Bogislaw XIII. wurde die Bierproduktion zu einem Exportzweig ausgebaut, die Ausfuhr in größerem Maße ist belegt. 1539 verlieh Herzog Philipp I. das Privileg zur Abhaltung eines Pferdemarkts. Herzog Philipp Julius bestätigte diesen, zugleich die Abhaltung von zwei Jahrmärkten jährlich erlaubend; Bogislaw XIII. verbot 1594 den Vorkauf bei Jahrmärkten. Die Jahrmärkte trugen zur wirtschaftlichen Prosperität bei. Eine wirtschaftliche Förderung B.s durch Fürst Witzlaw III. lässt sich in Ansätzen darin erkennen, dass er 1306 eine in der Badstübnerstraße eingerichtete Rossmühle einem B.er Einwohner und dessen Erben frei von Abgaben und Lasten überließ. Archäologisch sind in der Nähe des Fürstenhofes Tausende von Tonscherben entdeckt worden, welche auf eine Töpferwerkstatt schließen lassen; die in B. 1590/1600, also unter Bogislaw XIII., hergestellte, schwarz glasierte Keramik gehört zu den frühesten und hochwertigen Erzeugnissen dieser Art im Nordosten des Reichs (verbaut wohl in Turmöfen des Rathauses und Schlosses).

(3) Pfarrkirche war die vermutlich 1250 als Hallenkirche zu bauen begonnene St. Marienkirche, 1321 wird der Ostchor erwähnt, der unter Witzlaw III. († 1325) erweitert und ausgebaut wurde. Von Anfang an hatten die Rügenfs.en das Patronatsrecht inne. 1385 wurde mit den Turmbauarbeiten begonnen, die sich bis in das erste Viertel des 15. Jahrhunderts hinzogen. Vor der Reformation sind in der urkundlichen Überlieferung über 20 Altäre belegt, zudem sind etwa 50 Bruderschaften bezeugt; eine Priesterbruderschaft hatte ihren Sitz im 1388 erwähnten Papenhof westlich der Marienkirche. Bereits früh wurde eine Schule eingerichtet, über welche die Stadt 1325 das Patronatsrecht ausübte. Um 1450 wurde in der Marienkirche die fürstliche Gruft angelegt. In diese Zeit fällt auch die Anlage der Kirchenbibliothek (noch heute über 4000 Bände verfügend). Die im Stadtbild imposant wirkende Stadtpfarrkirche diente unter Bogislaw XIII. als Hofkirche und erfuhr, zeitgleich mit dem Umbau des Fürstenhofs, im Innenraum eine für die Zeit moderne Umgestaltung (Farbfassung) sowie einen repräsentativen Ausbau (Kanzel, Epitaph der Klara von Braunschweig, Glocke, Kronleuchter).

Im Spätmittelalter gab es in und außerhalb B.s vier Hospitäler. Das älteste (Ersterwähnung 1309) war das Hl.-Geist-Hospital (St. Spiritus) innerhalb der Mauern vor dem Langen Tor. Außerhalb der Mauer vor dem Dammtor wurde 1444 das St.-Gertruden-Hospital eingerichtet. 1481 ist erstmals das Hl.-Kreuz-Spital vor dem Wiektor erwähnt. Vor dem Langen Tor befand sich außerdem das St.-Jürgen-Hospital.

(4) Im Nordosten der Stadt befand sich der unter Witzlaw III. († 1325), eventuell schon ab 1275 entstandene, wahrscheinlich in Fachwerkbauweise errichtete Fs.enhof. Zum Schloss im Renaissancestil ausgebaut wurde dieser unter Bogislaw XIII. während seiner Zeit in B. 1574–1605, wobei der Vorgängerbau architektonisch miteinbezogen wurde. Zentrales Hauptaugenwerk der stadtseitigen Hoffassade war ein imposanter Treppenturm, dessen Spitze mit einem goldenen Greifen als Wetterfahne geschmückt war. Das Schlossareal wurde erheblich nach Süden erweitert, so dass das Wiecktor im Osten in den Schlossbereich einbezogen wurde und die Stadt weiter südlich ein neues Wiecktor errichten musste.

Vom Schloss führte eine Straße direkt zum Marktplatz und Rathaus, welches mit seiner langen Seite dem Fs.enhof gegenüberstand; zusammen mit der westlich des Rathauses gelegenen Stadtkirche befanden sich Schloss und Rathaus beinahe auf einer Achse. Archäologisch gesichert ist der Bau des an der Westseite des Marktplatzes befindlichen Rathauses 1275 (im Stadtbuch erstmals 1376 als teatrum, 1398 als domus consulatus erwähnt). Das Rathaus wurde immer wieder erweitert, bis es 1450 seine endgültige, beeindruckende Größe von 30 × 13 Metern (Länge/Breite) erhielt. Im 17./18. Jahrhundert wurde das Rathaus derart barock überformt, dass nicht zu entscheiden ist, ob die älteren Vorgänger als Stein- oder Fachwerkbauten ausgeführt worden waren; 1871 wurde es abgerissen. Inmitten des Markts wurden im 16./17. Jahrhundert Brunnen angelegt, von denen vermutet wird, dass sie in Verbindung stehen mit der von Bogislaw XIII. 1582 gebauten Wasserkunst.

Anzunehmen ist, dass sich in Nähe von Schloss und Marktplatz Höfe für Adel und höhere Bürgerschaft befunden haben können, erhalten geblieben sind sie wie die übrige Wohnbebauung nicht.


Bildliche Darstellungen des Stadtraums finden sich ab 1593. Auf der Stammtafel der Greifenherzöge ist das Schloss ins Zentrum der Stadt verlegt. Auf einer aquarellierten Federzeichnung der Stralsunder Bildersammlung 1616 und der Lubinschen Karte von 1618 wurde das Schloss an den rechten Rand gerückt, wodurch die Stadt mehr Bildraum erhält. Die Gestaltung und Ausmaße des Stadtraums werden erstmals 1594 auf der wenn auch sehr schematischen und vereinfachten Darstellung im Braun/Hogenbergschen Städteatlas deutlich. Immerhin sind einzelne Gebäude wie Schloss, Stadtkirche, Rathaus, Papenhof und die Tore eindeutig zu erkennen, die städtische Struktur des 16. Jahrhunderts dürfte sie treffend wiedergeben. Die Stadtansicht von Braun/Hogenberg war Vorbild für die später erscheinenden Ansichten B.s von Matthäus Merian (1652) und Barbata Questio (1697).

(5, 6) Wenn auch B. in erster Linie von lokaler wirtschaftlicher Bedeutung war (von einer Beteiligung an der Hanse oder Städtebünden verlautet nichts), so verweisen größere Münzfunde in einem Areal zwischen Kirche und Papenhof doch auf einen wie auch immer gearteten Zahlungsverkehr ab dem 13./14. Jahrhundert; die meisten Münzen stammen aus dem 15./16. Jahrhundert Als Residenzstadt im engeren Sinn lässt sich B. unter Witzlaw III. im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts und unter Bogislaw XIII. im ausgehenden 16. Jahrhundert verstehen. Unter letzterem erlebte B. eine weitere höfische Prägung. Zu nennen sind neben den baulichen Umformungen im Stadtbild (Kirche, Rathaus, Schloss, Wohnhöfe, Stadtmauer und -tore wurden weiter ausgebaut) die Einrichtung einer Hofdruckerei und -verlags (Druck der B.er Bibel in mittelniederdeutscher Sprache), daneben einer Apotheke und einer Schule; die zu diesen Unternehmungen bzw. Einrichtungen gehörigen Berufe dürften die Erwerbsstruktur B.s verändert haben. Bezeichnend ist, dass Verlag und Druckerei nach Wegzug des Hofs zum größten Teil nach Stettin verlagert wurden (nach neuesten Forschungsergebnissen hat es wohl einen rudimentären Weiterbestand der B.er Druckerei gegeben). Die im Laufe der frühen Neuzeit auf dem Verordnungswege getätigten Eingriffe der Fürsten in das Leben der Stadt erfolgten einvernehmlich, Streitigkeiten gab es lediglich über das den Einwohnern auferlegte Jagdverbot in den Wäldern und auf dem Stadtfeld.

(7) Einschlägig sind die Bestände des Stadtarchivs Barth, hier Rep. 1 (Urkunden und Privilegien), Rep. 2 (Polizeiordnungen 1574, 1584, 1597), Rep. 3 (14bändige Urkundensammlung von Emil Müller zur Geschichte der Stadt, Chronik Barths von Matthias Wichmann von 1620 [Auszug in Pommersche Bibliothek 2 (1751) S. 169–175], Eidbuch der Stadt Barth 1602, Verlassbuch 1505–1761, Bürgerbuch 1553–[1825]), Rep. 4 (Streitigkeiten um Privilegien, Jagd, Schule, u. a.), Rep. 9 (Manuskript Emil Müllers zur Apotheke). Ferner sind zu nennen Bestände des Pommerschen Landesarchivs in Greifswald, nämlich Rep. 2 (Duc. Nr. 828: 1573 VIII 12, Barth = Rep. 2 Duc. 830), Rep. 5, Tit. 77 (Amt Barth 1532–1642) und Rep. 40 (Stadt Barth). Schließlich befindet sich noch im Staatsarchiv Stettin (Archiwum Państwowe w Szczecinie) der Bestand Herzoglich Wolgaster Archiv (Archiwum Książąt Wołogoskich), Tit. 47 (Stadt Barth).

Dähnert, Johann Carl: Sammlung gemeiner und besonderer Pommerscher und Rügischer Landes-Urkunden, Gesetze, Privilegien, Verträge, Constitutionen und Ordnungen. Zur Kenntniß der alten und neueren Landes-Verfassung, insonderheit des Königlich-Schwedischen Landes-Theils, Bd. 2, Stralsund 1767. – Codex juris municipalis Germaniae medii aevi. Regesten und Urkunden zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte der deutschen Städte im Mittelalter, gesammelt und hg. von Heinrich Gottfried Gengler, Erlangen 1863 (ND Amsterdam 1968). – Deutsche Hofordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 1: Brandenburg, Preußen, Pommern, Mecklenburg, hg. von Arthur Kern, Berlin 1905 (Denkmäler der deutschen Kulturgeschichte. Abt. 2: Ordnungen, 1). – Mecklenburgisches Urkundenbuch (1863–1977). – Pommersches Urkundenbuch, hg. von der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle (Historische Kommission) für die Provinz Pommern, jeweils 6 Bde. in 2 Abt., Bd. 7–11 ohne Abt., Stettin/Köln 1868–1990. – Wilhelm Bülow, Chronik der Stadt Barth, hg. von Erich Gülzow, Barth 1922. – Saxo Grammaticus, Gesta Danorum, 2 Bde., hg. von Karsten Friis-Jensen und Peter Zeeberg, Kopenhagen 2005.

(8) 725 Jahre Stadt Barth, 1255–1980, hg. vom Rat der Stadt Barth, Barth 1980. – Buske, Norbert: Geschichte und Bedeutung der Barther Druckerei unter besonderer Berücksichtigung der Illustrationen für die Barther Bibel, in: Beiträge zur Bibel. Niederdeutsche Bibeltradition. Entwicklung und Gebrauch des Niederdeutschen in der Kirche, hg. von Dems., Berlin u. a. 1990, S. 13–33. – Buske, Norbert: Kirchen in Barth, Schwerin 1997. – Die Stadt Barth 1255–2005. Beiträge zur Stadtgeschichte, hg. von Jörg Scheffelke und Gerd Garber, Schwerin 2005. – Unter fürstlichem Regiment. Barth als Residenz der pommerschen Herzöge, hg. von Melanie Ehler und Matthias Müller im Auftrag der Stadt Barth, Berlin 2005. – Werlich, Ralf-Gunnar: Art. „Barth“, in: Höfe und Residenzen I,2 (2003), S. 37–39.

Melanie Ehler