Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Ziesar

Ziesar

(1) Z. liegt im Vorland des Fläming, am Rand der Ausläufer eines Urstromtals, des sogenannten Fiener Bruchs. Burg und Siedlung entstanden auf einer Landbrücke zwischen dem Bruch und den sie südlich und südöstlich umgebenden Seen. Durch den Ort führte die südliche Route des Straßenzuges zwischen Magdeburg und Brandenburg, die vor allem die strategische Bedeutung des Ortes ausmachte, und eine Straßenverbindung nach Zerbst. Mit der Gründung des Bm.s Brandenburg im 10. Jahrhundert wurde dem Bischof der Besitzkomplex Z. übertragen, zu dem am Ausgang des Mittelalters 22 Ortschaften gehörten. In diesem begrenzten Raum verfügten die Bischöfe über landesherrliche Rechte, die sie in vollem Umfang wahrnahmen. In Folge der Reformation ging das Hochstift Brandenburg in den Besitz der Kurfürsten von Brandenburg über. Die Burg wurde fortan nur noch gelegentlich als Aufenthaltsort der kfl.en Familie genutzt.

Der Ausbau der slawischen Burg und der dazugehörigen Siedlung setzte ab der Mitte des 12. Jahrhunderts ein. Die Entwicklung des Ortes stagnierte bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Bischöfe orientierten sich verstärkt auf ihren Kathedralsitz, und die vor 1237 angesiedelten Franziskaner verließen den Ort in Richtung Altstadt Brandenburg. Erst unter Bischof Ludwig von Neindorf (1327–47) erfuhr die Entwicklung Z.s neue Impulse. Die Burg wurde während seines Pontifikats immer häufiger als Aufenthaltsort genutzt. Damit einher ging die Ansiedlung eines Zisterzienserinnenkonvents zwischen 1335 und 1340. Die Tendenz, die Burg Ziesar als bevorzugten Aufenthaltsort zu wählen, hatte sich ab der Mitte der 14. Jahrhunderts verfestigt. Wahrscheinlich 1373 erhielt der Ort Stadtrecht. Durch den Übergang des Hochstifts in den Besitz des Kurhauses Brandenburg 1560/71 verlor die Burg ihre Funktion als bischöfliche Residenz.

(2) Die Errichtung der Siedlung nördlich der Burg dürfte ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eingesetzt haben. Im höher gelegenen Teil der Siedlung zeigen sich zwei regelmäßig gegliederte Viertel, nach Süden setzte sich der Ausbau, wohl nicht zuletzt wegen der schwierigen hydrologischen Bedingungen, nur in Ansätzen fort. Bestimmend ist die mitten durch den Ort in West-Ost-Richtung verlaufende Handelsstraße. Der Stadtgrundriss hat die Form eines leicht verschobenen Vierecks mit einer Fläche von etwa 400 × 500 m. Noch 1354 war Z. unbefestigt. Wahrscheinlich erfolgte die Befestigung mit Wällen, Gräben und Palisaden sowie vier Stadttoren erst ab dem Ende des 14. Jahrhunderts. Ein Erbrezess aus dem Jahre 1576 verzeichnet 110 Ackerbau treibende Familien.

Die Stadtrechtsverleihung erfolgte wahrscheinlich erst 1373. Der Bischof als Stadtherr blieb stets die entscheidende Instanz. Das zeigt sich auch am Stadtsiegel (1552), das mit den gekreuzten Schlüsseln bischöfliche Herrschaftszeichen aufweist. Beziehungen der Bürger zum bfl.en Hofstaat lassen sich nicht belegen. Die Wirtschaft war stark landwirtschaftlich orientiert, handwerkliche Dienstleistungen aus der Stadt wurden kaum in Anspruch genommen. Die Stadt hatte regelmäßige Abgaben an den Bischof zu entrichten und im Kriegsfall einen Heerwagen (um 1550) zu stellen. Die Bürger traten weder als Kreditgeber in Erscheinung noch verfügten sie über nennenswerten Grundbesitz auf dem Land. Einen Teil der städtischen Abgaben setzten die Bischöfe immer wieder zur Schuldentilgung ein.

(3) An der Pfarrkirche Hl. Kreuz wurden vor 1237 Franziskaner wahrscheinlich aus Magdeburg angesiedelt. Als diese Z. Mitte des 13. Jahrhunderts verließen, nahmen sie die Gebeine des Stifters mit. Nachdem sich zwischen 1335 und 1340 Zisterzienserinnen bei der Kirche niedergelassen hatten, übertrug ihnen der Bischof das Patronat. Der Konvent verblieb kirchenrechtlich beim Ortsbf. Bis auf eine Schenkung sind zwischen dem Frauenkonvent und der Bürgerschaft keine Verbindungen zu belegen. Die Initiativen zur Ansiedlung von Augustinereremiten aus Magdeburg in den 1340er Jahren führten trotz des Erwerbs eines Grundstücks in Z. zu keinem Erfolg. In der Pfarrkirche existierten drei Nebenaltäre, einen davon hatte die Elendengilde gestiftet.

(4) Die Handelsstraße war das zentrale, den Stadtraum gliedernde Element. Sie durchzog die Stadt in ihrer gesamten Ost-West-Ausdehnung. Neben bzw. mitten auf dieser Achse standen die bischöfliche Stadtkirche mit dem Klostergebäude und das städtische Rathaus. Dessen Lage mitten auf der Straße wurde durch archäologische Grabungen 2007 nachgewiesen. Die Fundamente weisen eine Länge von etwa 19 Metern in Ost-West-Richtung auf und eine Breite von 5 Metern. Diese beachtlichen Ausmaße sprechen für die Bedeutung, die diesem Bauwerk aus städtischer Sicht zukam. Zusammen mit dem Roland, über dessen Existenz nur eine Nachricht aus dem 18. Jahrhundert vorliegt, waren sie Zeichen städtischen Selbstbewusstseins. Das Rathaus bildete visuell ein Gegenwicht zur bfl.en Stadt- und Klosterkirche mit ihrem ca. 35 Meter hohen Turm.

Eine andere, auch außerhalb des Stadtraums sichtbare Achse manifestiert sich zwischen Burg und Stadtkirche, deren Türme annähernd gleich hoch waren und Ankommenden von weitem von der bfl.en Macht in und um Z. Zeugnis gaben. Auch in der Stadtkirche waren die Zeichen bfl.er Herrschaft sichtbar. Während des Pontifikats von Bischof Dietrich von Kothe (1347/49–65) wurden dessen Verwandte in der Kirche beigesetzt. Von diesem Vorrecht zeugen bis heute erhaltene Grabplatten.

Aus einem Briefwechsel der Stadt aus dem späten 17. Jahrhundert geht hervor, dass das Recht des Vogel- und Scheibenschießens Bestandteil der verliehenen Stadtrechte gewesen sein soll. Da auch die Bischöfe dem Preisschießen frönten, wäre ein Zusammenhang denkbar.

(5) Eine Wirksamkeit der Stadt ist nur für das unmittelbare Umfeld über ihre Funktion als Nahmarkt anzunehmen. Hinweise auf überregionale Beziehungen sind nicht vorhanden.

(6) Z. war als Siedlung bzw. Kleinstadt ausschließlich Bestandteil der Versorgungslandschaft um die Residenzburg. Sie zahlte regelmäßig Steuern in Form von Zins und Pacht und lieferte landwirtschaftliche Produkte. Daraus ergaben sich keine nennenswerten Berührungspunkte zwischen Stadt und Residenzburg, weswegen die Charakterisierung Z.s als Residenzstadt im vollumfänglichen Sinn weiterer Prüfung vorbehalten bleibt. Erst spät wurde der Siedlung Stadtrecht verliehen, als Stadtherren behielten die Bischöfe die zentralen Hoheitsrechte in ihrer Hand. Belege für eine eigenständige und emanzipierte Bürgerschaft sind rar, wobei jedoch die Überlieferungsungunst städtischer Quellen zu berücksichtigen bleibt. Die lokale Begrenztheit des städtischen Wirkungskreises stand im Gegensatz zum überregionalen Handlungshorizont der Bischöfe, so dass sich die kulturellen Austauschprozesse dementsprechend einseitig gestalteten.

(7) Codex diplomaticus Brandenburgensis (1838–1868). – Regesten der Urkunden und Aufzeichnungen im Domstiftsarchiv Brandenburg, Tl. 1: 948–1487, Tl. 2: 1488–1519/1545, bearb. von Wolfgang Schössler, Weimar 1998 / Berlin 2009 (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 36; 54).

In der Burg, die seit 2005 als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich ist, befinden sich freigelegte Malereien aus dem 14. Jahrhundert (vermutl. Jerusalemdarstellung) und aus dem 16. Jahrhundert (Maßwerkmalereien) sowie eine Vielzahl an Architekturrelikten. Die Burgkapelle, 1470 geweiht, ist in ihrer mittelalterlichen Architektur und Ausmalung relativ vollständig erhalten. Der Grabstein des Kapellengründers, Bischof Dietrichs von Stechow, ist im Museum ausgestellt. An den Bergfrieden befinden sich bischöfliche Wappendarstellungen aus Ton. Die älteste Stadtansicht aus der Zeit um 1710 stammt von Daniel Petzold.

(8) Bischofsresidenz Burg Ziesar. Das Haus – Das Denkmal – Das Museum, hg. von Clemens Bergstedt, Thomas Drachenberg und Heinz-Dieter Heimann, Berlin 2005 (Veröffentlichungen des Museums für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters, 1). – Neitmann, Klaus: Die bischöfliche Residenz Ziesar – oder: Wie sich der Bischof von seiner Kathedralstadt Brandenburg trennte, in: Wege in die Himmelsstadt. Bischof-Glaube-Herrschaft 800–1550. Begleitbuch zur Ausstellung, hg. von Clemens Bergstedt und Heinz-Dieter Heimann, Berlin 2005, S. 128–144 (Veröffentlichungen des Museums für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters, 2). – Brandenburgisches Klosterbuch (2007). – Bergstedt, Clemens: Ziesar und Wittstock. Die Residenzbildungen der Bischöfe von Brandenburg und Havelberg, in: Spätmittelalterliche Residenzbildung (2009), S. 241–264.

Clemens Bergstedt