Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)

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Spandau

Spandau

(1) S. entstand beim Zusammenfluss von Spree und Havel, wo der im 10. Jahrhundert bezeugte Fernhandelsweg von Magdeburg nach Lebus die Havel kreuzte. Auf einer Insel gab es einen älteren slawischen Burgwall mit einer nördlich gelegenen, im 9. Jahrhundert bezeugten Siedlung. Bei dieser Siedlung errichteten die Askanier als Markgrafen von Brandenburg im 12. Jahrhundert eine weitere Burganlage. Die ältere Siedlung am Burgwall wurde aufgegeben, die Handelsstraße zur neuen Siedlung verlegt. Südwestlich der neuen Burg erfolgte um 1170 die Besiedelung des heutigen Stadtgebiets. Für die Askanier war S. die wichtigste Residenz östlich der Elbe, die Markgrafen Otto III. und Johann I. hielten sich zwischen 1232 und 1266 siebzehn Mal dort auf. Unter den Luxemburgern und Wittelsbachern spielte S. dagegen keine besondere Rolle. Erst unter den Hohenzollern machte Markgraf Johann von Brandenburg als Statthalter seines jüngeren Bruders Kurfürst Friedrichs I. S. zwischen 1429 und 1436 wieder zu einem Herrschaftszentrum. Mit der Residenzbildung in Berlin-Cölln büßte S. seine Funktion als Residenz jedoch zunehmend ein, wurde zum Witwensitz der Kfs.innen, zuletzt für die 1555 verstorbene Kfs.in Elisabeth, der Witwe Joachims I. Als einzige der brandenburgischen Burgen blieb die S.er nahezu durchgängig in landesherrlichem Besitz. Lediglich für einige Jahre während des Dreißigjährigen Krieges (1631–1634) befand sie sich in schwedischer Hand und diente König Gustav Adolf von Schweden als Residenz.

(2) Erstmals wurde S. 1197 zusammen mit einem mkgfl.en Vogt erwähnt. Die aus der Kaufmannssiedlung hervorgegangene Stadt wird erst mit dem Stadtgründungsprivileg 1232 greifbar, die nur als (wohl verunechtete) Abschrift überliefert ist. Die askanischen Markgrafen Johann I. und Otto III. legten darin den Umfang des Stadtgebiets fest (bis ins 18. Jahrhundert unverändert) und erteilten umfassende wirtschaftliche Privilegien. Wirtschaftlich war S. stark agrarisch geprägt. Die Rechte der Landwirtschaft treibenden Bürger regelte eine spezielle »Wröheordnung«. Das Handwerk war gering ausgeprägt. Wichtig für den Handel blieb die Lage an den Wasserwegen. Rechnungen der mkgfl.en Hofhaltung des 14. Jahrhunderts belegen, dass Nahrungsmittel und Luxusgüter über Havel und Spree eingeführt, Ziegelsteine ausgeführt wurden. Neben der deutschrechtlichen Stadt gab es noch den slawischen Kietz, der 1319 das erste Mal erwähnt wird (1375 25 Häuser umfassend). Noch 1560 wurden sechs Kietzbewohner umgesiedelt, um Platz für die Zitadelle zu schaffen.

In S. gab es vier Stadtviertel, denen die Organisation der Wehr- und Wachfunktionen oblagen und die sich nach den entsprechenden Torabschnitten – die Ummauerung entstand um 1320 – benannten: Heide-, Stresow-, Kloster- und Mühlenortviertel. Die städtische Miliz musste gelegentlich den Landesherren dienen; eine Schützengilde, die auch karitative Belange verfolgte, soll 1334 mit landesherrlicher Genehmigung gegründet worden sein. An der Spitze der Stadt stand zunächst der landesherrliche Schultheiß, unterstützt von sieben bürgerlichen Schöffen, denen Aufgaben im Rahmen der Stadtverwaltung oblagen. Später wurden die Schöffen durch einen Rat abgelöst, dem einer von vier gewählten Bürgermeistern vorstand (erstmals nachgewiesen 1324). Der Rat ergänzte sich durch Kooptation, die politische Macht lag in den Händen einiger wohlhabender Familien (Kaufleute, Tuchmacher, Ackerbürger). Im 14. Jahrhundert war die Ratsfähigkeit auf die »Viergewerke« (Fleischer, Bäcker, Schuhmacher, Wollweber) begrenzt. Als Vertretung der Bürgerschaft bildete sich die »Bursprache«, welche Kurfürst Johann von Brandenburg nach Auseinandersetzungen 1488 auf 16 gewählte Mitglieder beschränkte.

Noch unter Herrschaft der Askanier (bis 1320) gelang es der Stadt, sich aus der Jurisdiktion des Vogteigerichts zu befreien. Im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts wurden der schwachen Landesherrschaft weitere städtische Freiheiten abgewonnen. Insbesondere wurden die Kompetenzen des Schultheißen, nunmehr ein erbliches Lehen, das erst 1548 in den Besitz der Stadt überging, gestärkt, in dessen Händen die gesamte Strafgerichtsbarkeit lag. Durch die vom Landesherrn verhängte Stadtordnung von 1515 wurde S. schwer getroffen, da die alten städtischen Privilegien aufgehoben und jegliche politische Selbständigkeit verhindert wurde. Die Reste kommunaler Autonomie beseitigte Kurfürst Johann Sigismund 1618, indem er vor dem Hintergrund innerstädtischer Auseinandersetzungen S. zwang, neugewählte Räte künftig vom Landesherrn bestätigen zu lassen. Es gelang jedoch nicht, die Stadt der Verwaltung des kfl.en Amts S. zu unterwerfen. Seit der kgl.en Verordnung von 1719 amtierten die Stadträte durchgehend mit landesherrlicher Vollmacht, die Bürgermeister wurden nun auf Lebenszeit berufen.

Um 1600 zählte S. rund 420 Hauseigentümer und 80 Mieter (was etwas über 2000 Einwohnern entsprach), nach dem Dreißigjährigen Krieg 1650 nur noch 227 Hauseigentümer und 46 Mieter (entsprechend unter 1300 Einwohner). Durch die landesherrliche Peuplierungspolitik im 18. Jahrhundert stieg die Bevölkerung wieder an (1780 3500 Einwohner, dazu 2200 Militärangehörige). Als Garnison fungierte S. seit 1631, als die Schweden erste Truppenverbände unterbrachten. Nach Rückgabe S.s an Kurbrandenburg 1634 blieb die Stationierung erhalten, die Bürger hatten neben Steuern Einquartierungen hinzunehmen und den Festungsbau mitzufinanzieren.

1240 wurde das zwischen Stadt und Burg gelegene Gebiet, der Behnitz genannt, angeschlossen, später in die Stadtmauer einbezogen. Dörflichen Charakter behielt dagegen das auf der linken Havelseite gelegene, zuerst 1330 erwähnte Stresow, die älteste Vorstadt, die 1600 wohl 34 Haushalte gehabt hatte. Nördlich S.s bildete sich bereits im Spätmittelalter eine agrarisch geprägte Vorstadt, die spätere Oranienburger Vorstadt.

(3) Die Stadtkirche St. Nikolai ist seit dem 13. Jahrhundert greifbar, 1240 das erste Mal urkundlich erwähnt. Das Patronatsrecht lag beim S.er Benediktinerinnenkloster, nach 1541 beim Rat. Der bis heute existierende Kirchenbau stammt in erster Linie aus dem 14. Jahrhundert , der Turm wurde 1467/68 errichtet. Aus dem 14. Jahrhundert sind fünf Altarstiftungen bekannt, zwei davon wurden 1352 mit landesherrlichen Stiftungen zum Gedenken an die brandenburgischen Markgrafen bedacht. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts werden fünf weitere, vor allem von S.er Gewerken gestiftete Altäre erwähnt. Den prunkvollen Hochaltar verdankt die Kirche dem S.er Festungsbaumeister Graf Rochus Guerini zu Lynar (1525–1596). Über eine zweite, 1461 erstmals anlässlich einer Altarstiftung erwähnte Stadtkirche St. Moritz ist wenig bekannt. Sie wurde nicht durchgängig für die Seelsorge genutzt, bis zum Abriss Anfang des 20. Jahrhunderts lange Zeit auch als Kaserne und Lagerhaus.

Das 1239 gegründete Benediktinerinnenkloster wurde von Askaniern und Wittelsbachern als Landesherrn durch großzügige Zuwendungen bedacht, gewidmet in erster Linie dem Seelengedenken der eigenen Eltern sowie adeliger Gefolgsleute. Aufnahme fanden ledige bzw. verwitwete Frauen aus Adel und wohlhabendem Bürgertum. Zudem unterhielt das Kloster eine 1299, dann wieder in der Reformationszeit belegte Schule für Kinder beiderlei Geschlechts. Die evangelische Kirchenordnung von 1540 musste das Kloster zwar anerkennen, aufgelöst wurde es jedoch nicht. Die letzte Nonne verstarb 1590.

Der Bau des Hl.-Geist-Hospitals wurde 1252 von Propst und Bürgerschaft gemeinsam aufgenommen, in der Folgezeit scheint es sich jedoch um eine rein städtische Einrichtung gehandelt zu haben. Die Kalandsbruderschaft bestand unabhängig neben dem Kloster, wenngleich enge Beziehungen zu diesem wahrscheinlich sind.

S. beherbergte eine relativ große jüdische Gemeinde. Der frühe, durch S. führende Fernhandel ruhte vornehmlich auf den Schultern jüdischer Händler. 1324 wird ein Judenfriedhof außerhalb der Stadt erwähnt, 1342 eine vermutlich in der späteren Jüdenstraße angesiedelte Synagoge. Der Friedhof wurde während des Pogroms 1349 geschändet. Pogrome im 14. Jahrhundert und die restriktive Politik Kurfürst Joachims I. am Anfang des 16. Jahrhunderts setzten dem jüdischen Leben ein Ende.

Erste Anzeichen für die Verbreitung der Reformation zeigten sich 1527/30. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts pluralisierte sich die Konfessionslandschaft. 1670 baute sich die reformierte Gemeinde eine erste Kapelle, aus der später die Kirche St. Johannes entstand. 1721 erhielt das Zucht- und Spinnhaus eine eigene Kapelle. Die in der Gewehrfabrik tätigen katholischen Arbeiter erhielten ebenfalls eine Kirche, die jedoch nicht innerhalb der Stadtmauern, sondern bei der Fabrik auf dem Plan lag.

(4) Die ältere slawische Burg auf einer Havelinsel wurde aufgegeben, als im 12. Jahrhundert auf dem Gelände der späteren Zitadelle die askanische Burganlage entstand. Mit der Anlage der Flutrinne durch die Stadt nach 1232 wurde die Burgfreiheit zu einer Insel in der Havel. 1317 wird eine Stiftung für die Burgkapelle erwähnt. Zu den Pertinenzen der Burg gehörte der slawische Kietz.

Die Burg wurde unter Kurfürst Joachim II. (reg. 1535–1571) durch eine von den Festungsbaumeistern Francesco Chiraramella de Gandino und Rochus Guerini Graf Lynar errichtete Landesfestung ersetzt. Die Zitadelle lag in strategisch günstiger Nähe zur Residenzstadt Berlin-Cölln und zudem zentral im Territorium. Vom Vorgängerbau blieben nur der Burgfried des 12./13. Jahrhunderts (Juliusturm) und der Palas des 15. Jahrhunderts erhalten. Ab den 1630er Jahren war die Zitadelle Sitz des Stadtkommandanten. Der Juliusturm wurde seit dem 18. Jahrhundert als Gefängnis genutzt, ab 1779 die ganze Zitadelle (bis 1920). Außerdem diente die Zitadelle als Zufluchtsort für den landesherrlichen Hof in Kriegszeiten (so 1757).

S. wurde von der Zitadelle stark geprägt, das mittelalterliche Stadtbild musste dem Bau weitgehend weichen zur Bereinigung des Schussfeldes. Kurfürst Johann Georg schenkte Graf Lynar 1578 das ehemalige Amtsschreiberhaus in der Klosterstraße, dem noch zwölf weitere, teilweise wüste Bürgerstellen zugeschlagen wurden, auf denen Graf Lynar einen repräsentativen Wohnsitz errichtete. Während des Dreißigjährigen Krieges diente er als Quartier für Offiziere, auch König Gustav Adolf von Schweden residierte 1631 hier (auch aufgebahrt nach Tod 1632). 1687 erwarb es Kurfürst Friedrich Wilhelm und richtete darin ein Zucht- und Spinnhaus ein vorwiegend für Frauen (nach Aufhebung des Berliner Zucht- und Spinnhaus 1721 erweitert). Eine erste Kaserne wurde 1766 errichtet. Außerdem erhielt die Stadt im 17. Jahrhundert eine bastionäre Befestigung.

(5) Die Landschaft im Umkreis S.s wurde im 16./17. Jahrhundert nach militärischen Gesichtspunkten gestaltet. Viele in bürgerlicher Hand befindliche Grundstücke mussten den Bastionärsbefestigungen weichen. Pulverfabrik und Salpetersiederei waren 1578 vom Grafen Lynar an der Brücke beim Mühlentor angelegt, 1617 abgebrochen und östlich der Zitadelle neu errichtet worden. Nach Explosionen 1663 und 1719 wurde sie durch eine Schleifmühle ersetzt. Pulvermagazine wurden außerhalb der Stadtmauern angelegt, u. a. auf der Havelinsel Eiswerder nördlich der Zitadelle. 1722 entstand auf königliche Initiative auf dem Plan die Gewehrfabrik der Unternehmer Splitgerber und Daum, für die König Friedrich Wilhelm I. Arbeiter im katholischen Hochstift Lüttich anwerben und Wohnhäuser sowie eine katholische Kirche auf dem Plan erbauen ließ.

(6) S. ist als wichtiger Burgort anzusprechen, der an einer verkehrsgünstigen Stelle lag und von den Markgrafen zwar gefördert wurde (bis ins frühe 15. Jahrhundert ), jedoch im weiteren Verlauf hinter Berlin-Cölln zurückstand. S. war kurzfristig Sitz eines Statthalters und diente bis Mitte des 16. Jahrhunderts zur Versorgung von Witwen, wurde dann Festungsstadt, die den landesherrlichen Hof aufnehmen sollte (so 1757). Kurzfristig, 1631/32, nahm der schwedische König Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg hier seinen Sitz. Kennzeichen der Residenzfunktion waren landesherrliche Stiftungen, wirtschaftlich profitierte die Stadt jedoch nicht erkennbar davon. Immerhin vermochte die Stadt ihre Rechte bis zum frühen 16. Jahrhundert zu erweitern, musste sich dann aber der Macht des Landesherrn weitgehend unterwerfen. Mit dem Ausbau der Zitadelle wandelten sich Stadtbild und Bevölkerungszusammensetzung stark. Durch die Nutzung der Zitadelle als »Staatsgefängnis« und die Einrichtung des Zucht- und Spinnhauses wurde S. zur »Gefängnisstadt«.

(7) Die städtische Überlieferung befindet sich, soweit sie den Zweiten Weltkrieg überstanden hat, im Archiv des Stadtgeschichtlichen Museums Spandau. – Ferner: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (z. B. VII. HA Urkunden; I. HA Geheimer Rat, Rep. 21 Brandenburgische Städte, Ämter und Kreise; II. HA Generaldirektorium, Abt. 14 Kurmark; XI. HA Karten); Brandenburgisches Landeshauptarchiv (z. B. Rep. 2 Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer; Rep. 7 Amt Spandau; Rep. 8 Stadt Spandau; AKS Allgemeine Kartensammlung). – Landesarchiv Berlin. – Inventar zum Militär: Kloosterhuis, Jürgen u. a.: Militär und Gesellschaft in Preußen. Quellen zur Militärsozialisation 1713–1806, 3 Bde., Frankfurt a. M. 2014, Berlin 2015.

(8)Kuntzemüller, Otto: Urkundliche Geschichte der Stadt und Festung Spandau von Entstehung der Stadt bis zur Gegenwart, 2 Bde., Berlin 1928. – Biller, Thomas: Die Entstehung der Stadt Spandau im hohen Mittelalter, Berlin 1980. – Ahrens, Karl-Heinz, Residenz und Herrschaft. Studien zu Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im späten Mittelalter, Frankfurt a. M. 1990. – Ribbe, Wolfgang: Spandau, Berlin 1991 (Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke). – Pohl, Joachim: Der Bürger- und Einwohnerkataster der Stadt Spandau von 1723, Neustadt a. d. Aisch 1993 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye, 23). – Theissen, Andrea, Witgen, Arnold: Militärstadt Spandau. Zentrum der preußischen Waffenproduktion 1722 bis 1918, Berlin 1998. – Gebuhr, Ralf, Theissen, Andrea, Winter, Martin: Von Vestungen. Die brandenburgisch-preußischen Festungen Spandau – Peitz – Küstrin, Berlin 2001. – Pohl, Joachim: Art. „(Berlin-) Spandau“, in: Brandenburgisches Klosterbuch, Bd. 2 (2007), S. 1182–1191. – Theissen, Andrea: Auf der Suche nach dem verschwundenen Schloss der Lynars. Geschichte eines Prachtbaus. Eine Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Spandau 2008/2009, Berlin 2008.

Mathis Leibetseder